VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.07.1995 - 4 S 1610/95
Fundstelle
openJur 2013, 9719
  • Rkr:

1. Wird eine Verpflichtungsklage nach § 75 S 2 VwGO in zulässiger Weise als Untätigkeitsklage erhoben und ergeht danach ein die begehrte Leistung ablehnender Bescheid, ohne daß das Verwaltungsgericht das Verfahren nach § 75 S 3 VwGO ausgesetzt hatte, so hat das Verwaltungsgericht in die materiell-rechtliche Prüfung des Begehrens einzutreten. Für eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über den eingelegten Widerspruch ist dann kein Raum mehr.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte das Verfahren nicht bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Landesamtes für Besoldung und Versorgung vom 6.4.1995 aussetzen dürfen.

Die Vorschrift des § 75 VwGO, auf die sich das Verwaltungsgericht gestützt hat und die im hier gegebenen Zusammenhang allein in Betracht kommt, rechtfertigt die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Aussetzung nicht. Der Durchführung eines Vorverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Nach § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Liegt nach Ablauf einer Sperrfrist von drei Monaten (§ 75 Satz 2 VwGO) ein zureichender Grund für die Verzögerung der Bescheidung des Antrags durch die Behörde vor, setzt das Gericht nach § 75 Satz 3 VwGO das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus. Ohne eine derartige Aussetzung des Verfahrens bleibt eine nach § 75 Satz 1 VwGO erhobene Untätigkeitsklage zulässig und erfordert die Durchführung des Vorverfahrens selbst dann nicht, wenn die Behörde den Kläger - wie hier - während des Rechtsstreits ablehnend bescheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.1.1983, BVerwGE 66, 342 = DÖV 1983, 735; Urteil vom 4.6.1991, BVerwGE 88, 254 = DVBl. 1992, 290). Im vorliegenden Fall hat der Kläger etwa 16 Monate nach Antragstellung Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat zwar den Beklagten zu einer Entscheidung über den Antrag des Klägers sowie zur Vorlage der Verwaltungsvorgänge aufgefordert. Es hat jedoch nicht das Verfahren gemäß § 75 Satz 3 VwGO ausgesetzt. Die Klage ist daher ohne Rücksicht darauf zulässig, ob der Kläger Widerspruch gegen den nachträglich erlassenen Bescheid des Beklagten eingelegt hat. Aus Sinn, Zweck und Zielrichtung der im Interesse des rechtsuchenden Bürgers auf eine Beschleunigung des Verfahrens abzielenden Gesamtregelung des § 75 VwGO (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.6.1983, Buchholz 310 § 75 VwGO Nr. 9) ergibt sich nach Auffassung des Senats, daß in diesen Fällen auch bei Einlegung eines Widerspruchs gegen den nachträglich ergangenen Bescheid kein Raum mehr für eine Aussetzung des Verfahrens ist. Anderenfalls würde der Kläger einen Rechtsnachteil allein deshalb erleiden, weil er - entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung des angegriffenen Bescheids - zulässigerweise ein zusätzliches Rechtsmittel eingelegt hat (anders wohl BVerwG, Urteil vom 22.5.1987, NVwZ 1987, 969).

Da die Beschwerde Erfolg hat und ein unterliegender Teil i.S. des § 154 Abs. 1 VwGO nicht vorhanden ist, ist eine Kostenentscheidung nicht zu treffen.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.