KG, Beschluss vom 28.02.2012 - 18 UF 184/09
Fundstelle
openJur 2012, 68160
  • Rkr:

In Ausnahmefällen kann auch gegen den Willen eines Elternteils ein Betreuungs-Wechselmodell familiengerichtlich angeordnet werden. Ein solcher Ausnahmefall kann dann gegeben sein, wenn das Betreuungs-Wechselmodell im Hinblick auf das Kindeswohl geboten ist und dem eindeutig geäußerten und belastbaren Willen des Kindes entspricht (§ 1671 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, § 1684 Abs. 3 BGB; Kammergericht, 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen -, Beschluss vom 28. Februar 2012 zu 18 UF 184/09).

Tenor

Auf die Beschwerde des Vaters wird unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde der Mutter sowie der Beschwerde des Vaters im übrigen der Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 3. November 2009 – 25 F 2866/07 - abgeändert:

Der Umgang des Kindes mit dem jeweiligen Elternteil wird dahin geregelt, dass J... jeweils im Wechsel einer Woche beginnend montags nach der Schule/dem Hort bei der Mutter und dem Vater lebt. Der Elternteil, dessen Umgangszeit beginnt, holt das Kind jeweils montags von der Schule/dem Hort ab. Diese Umgangsregelung führt die derzeit von den Eltern praktizierte Regelung fort. Die Weihnachtsferien verbringt das Kind im jährlichen Wechsel jeweils komplett bei einem Elternteil; die übrigen Ferienzeiten verbringen die Eltern jeweils zur Hälfte mit dem Kind.

Im übrigen verbleibt es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Eltern.

Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert.

Für jede Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Anordnungen wird ein Zwangsgeld von bis zu 25.000 € angedroht.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die gerichtlichen Auslagen haben die Eltern jeweils zur Hälfte zu tragen. Eine Anordnung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten ergeht nicht.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.000 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die nicht miteinander verheirateten Eltern des jetzt 8,0 Jahre alten Kindes J... , die ursprünglich eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben, leben seit April 2007 voneinander getrennt und streiten seit Mai 2007 über den wechselseitigen Betreuungsumfang und die alleinige elterliche Sorge für J... . Als Folge der elterlichen Streitigkeiten hat J... seit dem Spätherbst 2008 bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung im November 2009 im wöchentlichen Wechsel eine Kindertagesstätte in P... und eine im B... Stadtteil F... besucht. Im Mai 2010 ist der Vater mit seiner Familie ebenfalls nach P... verzogen. Beide Eltern leben mittlerweile in jeweils neuen Partnerschaften, aus denen jeweils ein weiteres Kind hervorgegangen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird zunächst auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung, auf deren Begründung Bezug genommen wird, den Umgang des Vaters mit dem Kind geregelt und ihm hierbei aufgegeben, das Kind von der seitens der Mutter ausgewählten Kita in P... abzuholen und nach Ende der Umgangszeiten auch wieder dorthin zurück zu bringen. Die übrigen Anträge der Eltern auf Regelung der elterlichen Sorge bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechts hat es zurückgewiesen. Hiergegen haben sowohl der Vater als auch die Mutter Beschwerde eingelegt, die sich auf Seiten des Vaters gegen die Umgangsregelung und die damit einhergehende unterbliebene Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und auf Seiten der Mutter gegen die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge richten. Auf die jeweilige Begründung der Beschwerde wird Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 19. Januar 2010 den Antrag des Vaters, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bezüglich der Verpflichtung des Vaters, das Kind auch während seiner Betreuungszeiten in die Kita in P... zu bringen, einstweilen bis zur Entscheidung der Hauptsache auszusetzen, zurückgewiesen. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt, dass dem Kind ein weiterer wöchentlicher Wechsel zwischen einer im Land B... und einer im Land B... liegenden Kita im Hinblick auf die bevorstehende Einschulung im Land B... nicht zuzumuten ist. Im übrigen wird auf die Gründe des Beschlusses verwiesen.

Im Termin zur persönlichen Anhörung aller Beteiligten am 1. April 2010 haben sich die Eltern darüber geeinigt, eine Paartherapie bei dem Institut für systemische Therapie in B... -D... zu beginnen und für den Zeitraum bis einschließlich Oktober 2010 eine Umgangsregelung dahingehend getroffen, dass J... künftig im wöchentlichen Wechsel jeweils eine Woche bei der Mutter und dem Vater lebt. Hintergrund dieser Vereinbarung war auch der Umstand, dass der Senat bei der persönlichen Anhörung des Kindes an diesem Tage den Eindruck gewonnen hat, dass das Kind äußerst bedrückt und traurig war und unter großem Druck stand. Die Eltern haben diese Therapie bis einschließlich Oktober 2010 durchgeführt. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2010, auf dessen Inhalt im übrigen Bezug genommen wird, hat der Senat ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen W... W... eingeholt. Auf das von der Sachverständigen unter dem 13. Mai 2011 erstattete Gutachten wird verwiesen.

Der Senat hat alle Beteiligten einschließlich des Kindes am 24. Februar 2012 nochmals persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf die jeweilige Sitzungsniederschriften sowie den dazugehörigen Vermerk Bezug genommen. Im übrigen wird auf die zwischen allen Beteiligten ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, weil es vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (BGH FamRZ 2010, 189-190 m. w. N.).

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Mutter ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen. Die ebenfalls zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Vaters erweist sich insoweit als begründet, als der Umgang der Eltern mit ihrem Kind J... im Wege des Wechselmodells zu regeln ist, wie dies der Vater bei Einlegung der Beschwerde begehrt hat. Hingegen ist seine Beschwerde ebenfalls unbegründet, soweit er mit ihr auch die Übertragung der elterlichen Sorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich allein erstrebt.

Gemäß § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB ist die gemeinsame elterliche Sorge dann aufzuheben, wenn dies sowie deren Übertragung auf einen Elternteil allein dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, der gemeinsamen Sorge gegenüber der alleinigen Sorge den Vorrang einzuräumen (vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 354; BVerfG FamRZ 2004, 1015, 1016; BGH FamRZ 2008, 592; OLG Brandenburg FamFR 2011, 331); ein solcher ist auch nicht in der Regelung des § 1671 BGB enthalten. Genauso wenig kann vermutet werden, daß die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei (BVerfG, a.a.O., m.w.N.). Die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt in aller Regel eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern voraus. Dabei kommt es insbesondere darauf an, dass eine Verständigung der Eltern über wichtige Sorgerechtsfragen überhaupt noch in einer Art und Weise möglich ist, die auch bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern eine dem Kindeswohl dienliche Entscheidung gewährleistet. Denn elterliche Gemeinsamkeit läßt sich weder vom Gesetzgeber noch von den Gerichten verordnen; streiten sich Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge fortwährend über die das Kind betreffenden Angelegenheiten, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind (vgl. BGH FamRZ 2005, 1167 ff.; BGH FamRZ 1999, 1646, 1647). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Senats vorliegend deshalb nicht erfüllt, weil die aktuellen Streitfragen zwischen den Eltern auch durch die Anordnung des Wechselmodells gelöst werden können und deshalb die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung auf einen Elternteil allein nicht erforderlich ist.

Nach den Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Erstgutachten wie in ihrem Ergänzungsgutachten sind beide Eltern grundsätzlich erziehungsfähig. Sie sind auch nach wie vor in der Lage, in einzelnen Fragen betreffend die Erziehung des Kindes Einvernehmen herzustellen, indem sie sich beispielsweise in der Frage des Schulbesuches auf eine Schule einigen konnten, die für beide als zufriedenstellend angesehen wird. Lediglich in der Frage der Teilnahme des Kindes am evangelischen Religionsunterricht, die der Vater favorisiert, konnten die Eltern nicht zu einer Einigung gelangen, weil die Mutter dies ablehnt und stattdessen möchte, dass J... an dem Fach Lebenskunde/Ethik teilnimmt. Diese Frage wird jedoch vom Vater selbst als nicht mehr relevant angesehen. Nach seinen Angaben im Termin zur persönlichen Anhörung besteht hierüber zwischen den Eltern kein Streit mehr. Er hat hierzu mitgeteilt, J... nehme derzeit nicht am Religionsunterricht teil und könne hierüber selbst entscheiden, wenn sie religionsmündig sei. Nach seinen eigenen Angaben ist der Vater mit der aktuellen Entwicklung des Kindes zufrieden; die Tochter ist nach seinem Eindruck ruhiger und stabiler geworden und er schätzt sie als glücklich, ausgeglichen, charakterfest und selbstbewusst ein. In die gesamte Familie ist nach seinen Angaben seit dem Termin zur letzten persönlichen Anhörung im April 2010 Ruhe eingekehrt und alles habe sich positiv entwickelt. Die Mutter hat demgegenüber eine andere Wahrnehmung der gemeinsamen Tochter und hält sie nach dem jeweiligen Wechsel zwischen den Elternteilen für in sich gekehrt; sie benötige einige Tage zur Adaption. Auch nach dem Eindruck der Mutter entwickelt sich das Kind zwar augenscheinlich sehr gut in der Schule, die Mutter hält J... aber nicht für völlig frei und unbeschwert, weil sie kein richtiges zuhause habe. Die Mutter stimmt allerdings mit dem Vater dahin überein, dass der Konflikt um die Frage der Religion und der Teilnahme am Religionsunterricht zwischen den Eltern im Grunde genommen im Sande verlaufen ist.

Ganz wesentlicher Streitpunkt der Eltern ist die Frage, ob J... überhaupt bei einem Elternteil ihren Lebensmittelpunkt haben sollte oder ob das Kind im wöchentlichen Wechsel jeweils bei beiden Elternteilen leben soll. An ihrer ablehnenden Haltung zum Wechselmodell hat die Mutter bis zum Schluss des Anhörungstermins festgehalten. Zwar kann nach der Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte gegen den Willen eines Elternteils ein Betreuungs-Wechselmodell nicht familiengerichtlich angeordnet werden (OLG Hamm NJW 2012, 398; vgl. auch OLG Brandenburg, FamRZ 2011, S. 120; OLG Koblenz, FamRZ 2010, S. 738; OLG Dresden, FamRZ 2005, S. 125; OLG Brandenburg, FamRZ 2009, S. 1759). Vielmehr ist es in solchen Fällen in aller Regel geboten, die gemeinsame elterliche Sorge in Bezug auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht aufzuheben und dieses auf einen Elternteil allein zu übertragen. Dieser Auffassung ist der Senat bisher uneingeschränkt gefolgt, vermag sich dem allerdings für den vorliegenden Ausnahmefall unter Zurückstellung eigener erheblicher Bedenken gegen das Wechselmodell nicht anzuschließen. Das Wechselmodell kann vielmehr nach Auffassung des Senats im Einzelfall dann gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden, wenn dies im Hinblick auf das Kindeswohl geboten erscheint. Wenn das Wechselmodell in Ausnahmefällen dem Kindeswohl am besten entspricht, kann von Seiten des Gerichts nur der Umgang geregelt werden. Denkbar ist zwar auch, das Aufenthaltsbestimmungsrecht im wöchentlichen Wechsel zwischen den Eltern aufzuteilen. Dieser Weg ist aber nach Auffassung des Senats rechtlich bedenklich, weil ein derartiger Eingriff in das Sorgerecht kaum gerechtfertigt erscheint; er ist aber auch vor allem völlig unpraktikabel. Die Möglichkeit der Anordnung eines Wechselmodells führt dann aber dazu, dass ein Eingriff in die gemeinsame elterliche Sorge und die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil allein nicht mehr erforderlich ist, um dem Wohl des Kindes genüge zu tun, sondern dies ist im Wege einer Umgangsregelung anzuordnen. So ist es hier.

Entscheidendes Kriterium für das Wechselmodell ist vorliegend der geäußerte Kindeswille. Die jetzt knapp 8 Jahre alte J... hat bereits in ihrem ersten Anhörungstermin vor dem Senat im April 2010, als sie gerade 6 Jahre alt gewesen ist, geäußert, dass sie sich vorstellen könne, bei jedem Elternteil gleich lang zu bleiben. Sie hat damals auf die konkrete Frage, bei welchem Elternteil sie leben wolle, geschwiegen und erst auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne, bei jedem Elternteil gleich lang zu bleiben, völlig überraschend und mit großer Erleichterung geäußert, dass sie sich das vorstellen könne. Seit der Einigung über das Wechselmodell im Frühsommer 2010 wird dieses zwischen den Eltern praktiziert und vom Kind gelebt. In ihrer Anhörung im Jahr 2012 hat sich J... erneut eindeutig dahin positioniert, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Hierbei hat sie mit offenem Blick und direktem Blickkontakt zu den Senatsmitgliedern gesprochen und nachdrücklich geäußert, dass es bei dem wöchentlichen Wechsel zwischen den jeweiligen Elternteilen bleiben soll, zumal sie sich auch mit den jeweiligen neuen Partnern der Eltern gut verstehe und an ihren jeweiligen Halbbrüdern hänge. Hierbei ist aufgefallen, dass J... sich ausgezeichnet sprachlich ausdrücken kann und ersichtlich genau wusste, um welche Frage es jetzt geht. Bei der erneuten persönlichen Anhörung J... konnten zwei der drei mitwirkenden Senatsmitglieder einen völlig anderen Eindruck von dem Kind gewinnen als bei dessen Anhörung im April 2010. J... machte einen fröhlichen und ausgeglichenen Eindruck und wirkte weder verängstigt noch bedrückt oder verhalten. Sie berichtete gut gelaunt, dass sie im Anschluss an den Termin zu einem Kindergeburtstag eingeladen sei, der auf einem Reiterhof gefeiert werde, und wirkte auch nicht annähernd so belastet wie im ersten Anhörungstermin vor knapp zwei Jahren. Der Verfahrenspfleger des Kindes, der von Beruf Diplom-Psychologe ist, hat diesen Eindruck bestätigt und berichtet, er habe seit seinem letzten Gespräch mit dem Kind am 10. Februar 2012 die eindeutige Anweisung des Kindes, das alles so zu lassen sei, wie es ist. Er hat nach seinen Angaben die Bedenken der Mutter, dass J... sich nicht traue, etwas anderes zu sagen, aufgegriffen und das Kind daraufhin angesprochen. Hierauf hat nach der Schilderung des Verfahrenspflegers das Kind ganz empört reagiert und ihm gegenüber mitgeteilt, sie würde sich trauen, alles zu sagen, aber sie wolle weiter bei jedem Elternteil gleich lang bleiben. Er hat hierbei nach seinen Angaben nicht den Eindruck eines besonders bedrückten und depressiven Kindes gehabt, sondern J... hat eher genervt gewirkt. Der Verfahrenspfleger des Kindes hat sich deshalb dagegen ausgesprochen, jetzt im Wechsel zum Ablauf der letzten Jahre ein Lebensschwerpunktmodell für J... zu wählen. Nach seinen Ausführungen würde dies eine Gefahr für das Kind darstellen, dem es zur Zeit gut geht, zumal die Unterschiede in den Haushalten der jeweiligen Elternteile schon fast gering sind. Dem ist allerdings die Sachverständige W... entgegengetreten und hat ausgeführt, sie halte es weiter für riskant, das Wechselmodell gegen den Willen der Mutter anzuordnen, weil sie Risiken für das Kind sieht. Nach ihren Ausführungen besteht bei J... in diesem Fall eine geringere Möglichkeit, sich frei zu entwickeln, weil bei ihr eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber Erwachsenen zu beobachten ist. Allerdings hat auch die Sachverständige, deren Ausführungen sich der Senat in diesem Punkt nach eigener Prüfung anschließt, ausgeführt, dass die Nichtbeachtung des Willens des Kindes ein erhebliches Problem darstellen würde, weil sich dann J... nicht mehr hinreichend wahrgenommen fühlen würde. Die Sachverständige hat schließlich ausgeführt, dass im Ergebnis eine Änderung des Betreuungsmodells an dem Dilemma, in dem sich das Kind befindet, nichts mehr ändern würde und die Risiken des Wechselmodells durch eine Änderung des Betreuungsmodells nicht automatisch gebannt werden. Nach den insoweit übereinstimmenden Ausführungen des Verfahrenspflegers und der Sachverständigen wäre die größte Entlastung für das Kind eine einverständliche Entscheidung der Eltern, die nicht möglich ist. Zu einer Einigung der Eltern im Sinne des Wechselmodells hat sich die Mutter bis zum Abschluss der persönlichen Anhörung nicht durchringen können. Unter diesen Umständen entspricht es aber nicht dem Kindeswohl am besten, die elterliche Sorge bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen Elternteil allein zu übertragen. Vielmehr ist unter Abwägung aller Umstände im vorliegenden Fall dem Willen J... zu folgen, weil dies ihrem Wohl am besten entspricht.

Dem Kindeswillen kommen in aller Regel zweierlei Funktionen zu. Zum einen kann ihm entnommen werden, zu welcher Person das Kind die stärksten Bindungen hat. Zum anderen dient er der Selbstbestimmung des Kindes. Je älter das Kind ist, desto mehr tritt die zweite Funktion in den Vordergrund (vgl. BGH in FamRZ 2011, 796). Die Sachverständige W... hat in ihrem vorgenannten Ergänzungsgutachten zwar festgestellt, dass J... eigene Bedürfnisse zu Gunsten einer Befriedung des Elternkonflikts zurückstellt und den Bedürfnissen und Wünschen der Erwachsenen erhöhte Wachsamkeit entgegenbringt. Sie hat gleichwohl den vom Kind geäußerten Wunsch nach einer Fortführung des Wechselmodells als eigenständigen Wunsch des Kindes eingeordnet und das vom Kind präferierte Wechselmodell als dessen eigene erlebte psychische Realität bezeichnet, obwohl nach ihren Feststellungen dem Kind genau bewußt ist, daß die Mutter dies nicht wolle. Nach den weiteren Ausführungen der Sachverständigen hat das Kind im Prozess der aktiven Anpassung und Verinnerlichung seiner Realität das Wechselmodell als eigenen Willen übernommen und erlebt es auch als solchen. Eine Nichtbeachtung des Kindeswillens birgt deshalb auch nach den Ausführungen der Sachverständigen die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung, zumal nach den Feststellungen der Sachverständigen auch bei einer Einführung des Schwerpunktmodells nicht hinreichend prognostiziert werden kann, ob hiermit überhaupt ein positiver Einfluss auf die Entwicklung des Kindes erzielt werden kann. Dies bedeutet aber, dass auch bei einem Wechsel des Betreuungsmodells gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Kindes keine dahingehende Prognose getroffen werden kann, dass diese Form der Betreuung gegen den erklärten Willen des Kindes im Ergebnis längerfristig seinem Wohl und der kindlichen Entwicklung förderlicher ist als die Beibehaltung des jetzigen Wechselmodells im Einklang mit dem Willen des Kindes. Unter diesen Umständen entspricht es aber nach Auffassung des Senats am besten dem Wohl des Kindes, auch seinem Willen zu folgen, und es nicht in seiner Selbstwahrnehmung zusätzlich zu schwächen, ohne dass dem auf der anderen Seite eine sichere positive Prognose für die weitere Entwicklung gegenüberstehen würde.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Sachverständige W... des weiteren als eines der bedeutendsten Risiken für das Kind im Rahmen des Wechselmodells die auch aktuell nicht durchgängig gelingende Kooperation der Eltern bezeichnet, deren Probleme sie auf das Verhalten beider Elternteile zurückführt. Sie beschreibt in diesem Zusammenhang die Kooperation eher als ein Nebeneinander als ein elterliches Miteinander, führt aber zugleich aus, dass diese Probleme nicht mit der Einführung des Schwerpunktmodells automatisch gebannt würden, weil auch für diesen Fall die dann immer noch notwendigen Absprachen zwischen den Eltern nicht garantiert werden können, so dass die Sachverständige nicht die Prognose treffen kann, ob eine Änderung des Betreuungsmodells überhaupt einen positiven Einfluss haben würde. Diese Risiken schätzt der Senat nicht für so hoch ein, dass sie im Ergebnis das Wechselmodell für unvertretbar erscheinen lassen. Zunächst ist hierbei festzuhalten, dass es den Eltern trotz gegenseitiger Auffassungen in den vergangenen 1 ½ Jahren gleichwohl gelungen ist, das Wechselmodell in einer Art und Weise zu praktizieren, die dem Kind gut getan und seine Entwicklung gefördert hat. Denn J... ist nach übereinstimmenden Angaben eine sehr gute Schülerin und ein ausgeglichenes, selbstbewusstes, teilweise als fröhlich beschriebenes Kind, auch wenn die Mutter sie manchmal für zu schweigsam hält. Dies ist nach Auffassung des Senats in erster Linie eine Leistung der Mutter, der es trotz ihrer erheblichen Vorbehalte gegen das Wechselmodell gelungen ist, dem Kind ein Leben zu ermöglichen, mit dem es sich selbst als zufrieden darstellt. Unter diesen Umständen kann aber erwartet werden, dass die Mutter auch zukünftig im Interesse des Kindes entsprechend handeln wird.

Der Senat hat davon abgesehen, die Eltern mit der Durchführung einer psychotherapeutischen Unterstützung für das Kind zu beauflagen. Die Sachverständige W... hat zwar in ihrem Ergänzungsgutachten vom 13. Mai 2011 eine solche psychotherapeutische Unterstützung des Kindes für hilfreich angesehen, alternativ hat sie den Besuch einer Trennungs-/Scheidungskindergruppe vorgeschlagen. Der Verfahrenspfleger des Kindes hält eine solche therapeutische Unterstützung nicht für erforderlich und hat sich deshalb gegen die Auflage einer Therapie ausgesprochen. Nach seinen Ausführungen bestünden derzeit keinerlei Verhaltensauffälligkeiten bei J... , weshalb eine solche Maßnahme einfach nicht erforderlich sei. Die Sachverständige W... hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass sie an der ursprünglich als hilfreich angesehenen Therapieempfehlung für J... nicht mehr unbedingt festhalten wolle, wenn nach den Erörterungen im Termin am 24. Februar 2012 davon auszugehen sei, dass sich das Kind positiv entwickelt habe. Nach ihren Angaben wäre die beste Therapie für das Kind eine Einigung der Eltern gewesen, die nicht möglich war. Unter diesen Umständen sieht der Senat derzeit keine Veranlassung für eine Therapieauflage.

Das Beschwerdeverfahren ist gemäß § 131 Abs. 3 KostO a.F. gerichtsgebührenfrei. Die Entscheidung zu den gerichtlichen Auslagen beruht auf § 131 Abs. 5 KostO a.F. iVm § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG a.F., weil die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 KostO nicht in vollem Umfang vorliegen. Eine Anordnung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten ergeht nicht, weil dies nicht der Billigkeit im Sinne des § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG a.F. entspricht.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens war gemäß § 30 Abs. 3 in Verbindung mit § 30 Abs. 2 KostO auf das zweifache des üblichen Regelwertes festzusetzen, weil das Verfahren nach der Dauer, Art und Umfang sich von den durchschnittlichen Verfahren erheblich unterschieden hat. So ist nicht nur die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen; es musste auch eine Paartherapie in Gang gesetzt werden und deren Verlauf einbezogen und berücksichtigt werden. Unter diesen Umständen erscheint es dem Senat gerechtfertigt, den Wert des Beschwerdeverfahrens auf das zweifache des Regelwertes zu erhöhen.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht gemäß § 574 ZPO zuzulassen, weil dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Es handelt sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung, der weder grundsätzliche Bedeutung zukommt, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte ab, sondern folgt ihr im Grundsatz und entwickelt diese lediglich weiter.