LG Mannheim, Urteil vom 14.07.2006 - 7 S 2/03
Fundstelle
openJur 2012, 66359
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 29.08.2003 - 10 C 943/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt abgeändert und neu gefasst:

1. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, folgende Fotografie zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten:

2. Die Beklagte Ziff. 2 wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über die Höhe der Auflage des Kalenders & Freiburger Ansichten 2003, über die Anzahl der verbreiteten und sich etwa noch auf Lager befindlichen Exemplare des Kalenders, ferner über die den Beklagten in Bezug auf den &-Kalender gezahlten Honorare für die drei Fotografien (Karlssteg mit Münster, Titelblatt, Kalenderblatt März, Blatt auf Kalenderrückwand).

3. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 2.042,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2003 zu bezahlen.

4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Für die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz gilt: Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Kläger zu 7/15 und die Beklagten zu Ziff. 1 und Ziff. 2 als Gesamtschuldner zu 8/15. Die außergerichtlichen Kosten von & trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu Ziff. 1 und 2 trägt der Kläger jeweils zu 1/5. Für die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz gilt: Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/5 und die Beklagten als Gesamtschuldner 4/5 zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I.

Bezüglich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 29.08.2003 (10 C 943/03).

Zweitinstanzlich hat sich als Ergänzung ergeben, dass der Kläger streitig vorträgt, dass die Fotografie Karlssteg mit Münster des Klägers in der Fassung FR 67 neu im Fotoarchiv der & öffentlich zugänglich gewesen sei und die Beklagten in dieses Archiv Einsicht genommen hätten.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, folgende Fotografie zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten:

2. Die Beklagte Ziff. 2 wird verurteilt, Auskunft zu erteilen, über die Höhe der Auflage des Kalenders der & Freiburger Ansichten 2003, über die Anzahl der verbreiteten und sich etwa noch auf Lager befindlichen Exemplare des Kalenders, ferner die den Beklagten in Bezug auf den &-Kalender gezahlten Honorare für die drei Fotografien (Karlssteg mit Münster, Titelblatt, Märzblatt, Blatt auf der Kalenderrückwand).

3. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger einen Betrag von EUR 3.000,00 zu zahlen zuzüglich 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Herrn Prof. & sowie Einvernahme der Zeugen & und &. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten (AS 93 ff) und die Sitzungsniederschrift vom 16.06.2006 (AS 208 ff) Bezug genommen. Im übrigen wird ergänzend Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie alle sonstigen Aktenteile.

Gründe

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

In der Sache hat sie überwiegend Erfolg. Das angefochtene Urteil war abzuändern. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz zu, wobei die Höhe des Schadensersatzes allerdings hinter dem vom Kläger geforderten Betrag zurückbleibt.

1. Die Voraussetzungen des § 97 Abs. 1 UrhG liegen vor. Die von den Beklagten auf dem Titelblatt, dem Kalenderblatt März und dem Kalenderrückblatt des Kalenders Freiburger Ansichten 2003 der & verwendete Fotografie stellt eine Verletzung der klägerischen Schutzrechte an der Fotografie Karlssteg mit Münster wie im Bildband & abgedruckt (fortan FR 67 alt) dar.

a) Bei der streitgegenständlichen Fotografie FR 67 alt handelt es sich um ein Lichtbildwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG.

Als Lichtbildwerke sind nur solche Fotografien zu verstehen, die sich gegenüber dem Alltäglichen (Knipsbilder) durch Individualität auszeichnen (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 2004, § 2, Rdnr. 192). Als Anhaltspunkte für eine hinreichende Individualität eines Lichtbildwerkes sind u.a. ein besonderer Bildausschnitt, Licht- und Schattenkontraste sowie ungewohnte Perspektiven heranzuziehen (Schulze, a.a.O., Rdnr. 194). Dabei ist für die Bestimmung des Schutzgegenstands entscheidend, dass nach Art. 6 der EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts vom 19.10.1993 individuelle Werke geschützt sind, wenn sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Im Hinblick darauf, dass nach der Richtlinie dieselben geringen Anforderungen wie beim Schutz vom Computerprogrammen gelten (§ 69a UrhG) und der nationale Gesetzgeber von einer Richtlinienumsetzung unter Hinweis auf den bereits bestehenden Schutz der fotografischen kleinen Münze bewusst abgesehen hat, sind bei Lichtbildwerken allgemein geringe Anforderungen an die Schöpfungshöhe zu stellen (Schulze, a.a.O., Rdnr. 195, Dreyer, in: Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 2004, § 2, Rdnr. 240; Nordemann/Vick, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Auflage 1998, § 2, Rdnr. 74; vgl. auch BGH, GRUR 2000, 317 - Werbefotos). Als Lichtbildwerke sind mithin auch Gegenstandsfotografien geschützt, soweit sie nicht blindlings geknipst wurden (Schulze, a.a.O.). Wird ein feststehendes Motiv fotografiert, so kann die schöpferische Leistung des Fotografen in der Auswahl des Aufnahmeorts, in der Wahl eines bestimmten Kameratyps, eines bestimmten Films, eines bestimmten Objektivs sowie in der Wahl von Blende und Zeit sowie weiterer Feineinstellungen liegen (BGH, GRUR 2003, 1035 - Hundertwasser-Haus).

Die streitgegenständliche Fotografie Karlssteg mit Münster (FR 67 alt) übersteigt die genannten Anforderungen. In der Fotografie des Klägers finden sich hinreichende schöpferische Elemente. Hervorzuheben ist dabei der gezielte Einsatz von Gegenlicht, der dazu führt, dass bildbestimmende Komponenten der Fotografie - nämlich die Türme des Freiburger Münsters, der hintere Teil des Karlsstegs und die auf dem Steg befindlichen Personen - nur silhouettenhaft erscheinen. Die auf diese Weise bewirkte Reduktion der dargestellten Architektur erfolgt vor dem Hintergrund eines im Farbverlauf wechselnden Abendlichts. Kontrastiert zu dieser Silhouette ist der das Abendlicht reflektierende Steg, der durch die Wahl einer bestimmten Brennweite des Objekts vom bewusst gewählten Standort des Fotografierenden aus verjüngt abgebildet wird. Hierdurch wird eine Diagonale gebildet, die beim Betrachter einen dynamischen und spannenden Eindruck hinterlässt. Auf Grund dieser sich dem Betrachter unmittelbar erschließenden Bildelemente schließt sich die Kammer den folgerichtigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen an, der in dem streitgegenständlichen Bild durch das Zusammenfügen verschiedener Bildelemente eine gelungene Bildkomposition jenseits einer rein technisch korrekten Abbildung sah.

b) Die von den Beklagten verwendete Fotografie ist eine unfreie Bearbeitung gem. § 23 UrhG des Lichtbildwerkes des Klägers und keine freie Benutzung i.S.d. § 24 UrhG.

Eine nach § 24 UrhG zulässige freie Benutzung eines geschützten älteren Werks ist nur dann anzunehmen, wenn das neue Werk gegenüber dem benutzten Werk selbständig ist (BGH, GRUR 1994, 191 - Asterix-Persiflagen). Maßgebend hierfür ist der Abstand, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werks hält. Eine freie Benutzung setzt voraus, dass angesichts der Eigenart des neuen Werks die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werks verblassen (BGH, a.a.O.; GRUR 1971, 588 - Disney-Parodie; GRUR 1981, 267 - Dirlada). In der Regel geschieht dies dadurch, dass die dem geschützten älteren Werk entlehnten eigenpersönlichen Züge in dem neuen Werk in der Weise zurücktreten, dass das neue Werk nicht mehr in relevantem Umfang das ältere benutzt, so dass dieses nur noch als Anregung zu neuem, selbständigem Werkschaffen erscheint (ebenda).

Zwar ist nicht zu verkennen, dass das von den Beklagten im Kalender & verwendete Bild des Karlsstegs mit Münster durch die deutlichere Färbung des Himmels und die klar als Paar erkennbaren Personen auf dem Steg keine bloße Kopie der klägerischen Fotografie ist. Allerdings ist der Abstand zur Fotografie des Klägers zu gering, um in den Bereich der freien Bearbeitung zu gelangen. Denn die Fotografie der Beklagten zu 1) verwendet sämtliche Gestaltungselemente des klägerischen Bildes, die dessen Schutzfähigkeit als Lichtbildwerk begründen. Hierzu gehört die charakteristische Verwendung des Gegenlichts, die Architektur und Personen eine silhouettenhafte Gestalt verleiht. Hierzu gehört weiter die vom Standort des Fotografierenden aus gewählte Brennweite, die zu einer diagonalen Anordnung des Stegs führt. Hierzu gehört schließlich, dass sich das charakteristische Abendlicht im Steg spiegelt und somit der Steg als dynamischer Kontrast zur statischen Silhouette von Münster und der auf dem Steg befindlichen Personen fungiert. Vor diesem Hintergrund folgt die Kammer den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, der beim Bild der Beklagten zu 1) trotz des nur dort vorherrschenden romantischen Eindrucks die prägenden Gestaltungselemente der klägerischen Fotografie als übernommen ansah. Da diese prägenden Elemente übernommen sind, wird beim Betrachter beim Anblick der Fotografie der Beklagten nicht die Erinnerung an das Bild des Klägers verblassen, sondern im Gegenteil hervorgerufen. Folglich kann eine freien Benutzung i.S.d. § 24 UrhG nicht angenommen werden.

Im vorliegenden Fall ist auch nicht von einer Doppelschöpfung auszugehen. Für die Beurteilung der Frage, ob die im Einzelfall vorhandenen Übereinstimmungen zwischen zwei Werken auf Zufall oder darauf beruhen, dass das ältere Werk dem Urheber des neuen Werkes als Vorbild gedient hat, ist davon auszugehen, dass angesichts der Vielfalt der individuellen Schaffensmöglichkeiten auf künstlerischem Gebiet eine weitgehende Übereinstimmung von Werken, die auf selbständigem Schaffen beruhen, nach menschlicher Erfahrung nahezu ausgeschlossen erscheint (BGH, GRUR 1969, 90 - Rüschenhaube; GRUR 1988, 812 - Ein bisschen Frieden). Weitgehende Übereinstimmungen legen daher in der Regel die Annahme nahe, dass der Urheber des jüngeren Werkes das ältere Werk benutzt hat (BGH, GRUR 1971, 266 - Magdalenenarie). Vorliegend ist mit Blick auf die aufgezeigten Übereinstimmungen der Fotografie des Klägers und der Beklagten ein Anscheinsbeweis einer Benutzung des jüngeren Werkes des Klägers gegeben. Den Beklagten ist es nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften. Im Gegenteil sprechen die weite Verbreitung der Fotografie des Klägers - nicht zuletzt auf Postkarten und dem weit verbreiteten Bildband Freiburg von & und dem Kläger -, die örtliche Nähe der Parteien und die vom gerichtlichen Sachverständigen als vollkommen normal aufzeigte berufsübliche Kenntnisnahme von Arbeiten von Kollegen dagegen, dass die Beklagte zu 1) von der Fotografie des Klägers keine Kenntnis gehabt hat.

2. Der Kläger kann gem. § 97 Abs. 1 UrhG die von ihm begehrte Auskunft verlangen (zum Auskunftsanspruch Dreier, in: Dreier/Schulze, a.a.O., § 97, Rdnr. 78 m.w.N.). Die unfreie Bearbeitung der klägerischen Fotografie stellt eine zumindest fahrlässig begangene Urheberrechtsverletzung dar. Da der Kläger seinen Schadensersatz ohne weitere Informationen aus der Sphäre der Beklagten nicht exakt zu beziffern vermag, steht ihm der Auskunftsanspruch zu. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger hinsichtlich seiner schon jetzt teilweise bezifferten und im Wege der offenen Teilklage geltend gemachten Forderung teilweise unterliegt (siehe unten 3.). Denn im Hinblick auf durch die Auskunft zusätzlich gewonnene Erkenntnisse sind weitergehende Schadensersatzansprüche nicht ausgeschlossen.

3. Dem Kläger steht gegen die Beklagten aus § 97 Abs. 1 UrhG ein bezifferter Schadensersatz in Höhe von 2.042,40 Euro zu.

Dem Kläger steht nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie eine angemessene und übliche Vergütung bei der Verwertung von Fotografien zu. Der Schaden ist gem. § 287 ZPO richterlich zu schätzen.

Einen unverbindlichen Anhaltspunkt bilden die Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing (MFM), da die Empfehlungen der MFM auf der langjährigen und breit gefächerten Beobachtung der Marktgegebenheiten bei der Verwertung von Fotografien beruhen (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 194, OLG Hamburg, MMR 2002, 677). Vorliegend ist von dem Vergütungsrahmen der Empfehlungen der MFM (Bildhonorare 2003, Seite 37) auszugehen. Maßgebend ist dabei eine Auflage bis 50.000 Stück, da der Klägervortrag einer Verbreitung des Kalenders von ca. 30.000 Stück ohne substantiiertes Bestreiten der Gegenseite geblieben ist. Da das Format des Kalenders größer als DIN A 3 ist, ist die letzte Spalte der Tabelle maßgebend. Die Grundsumme beträgt demnach 740,00 Euro. Für das Titelbild gilt nach der Anmerkung Zuschläge - Deckblatt (bei Abreißtitel) plus 50 % ein Wert von 1.110,00 Euro (740,00 Euro + 370,00 Euro). Für das Kalenderblatt März gilt nach der Anmerkung Nachlässe - Wiederholung des Titelblatts im Innenteil: 50 % Rabatt auf das formatbezogene Innenseitenhonorar ein Wert von 370,00 Euro (740,00 Euro - 370,00 Euro). Für die Innenseite des Rückblatts gilt nach den Anmerkungen Nachlässe - Wiederholung des Titelblatts im Innenteil: 50 % Rabatt auf das formatbezogene Innenseitenhonorar und Abbildung auf Rückblättern: DIN A 4 und größer: 20 % Rabatt ein Wert von 222,00 Euro (740,00 Euro - 370,00 Euro - 148,00 Euro). Hieraus folgt eine Gesamtsumme von 1.702,00 Euro (1.110,00 Euro + 370,00 Euro + 222,00 Euro).

Die Empfehlungen sind nur ein Anhaltspunkt bei der Schätzung nach § 287 ZPO, da die Schätzung nach § 287 ZPO alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat. Im Hinblick auf die Publikation von Fotografien des Klägers in namhaften Magazinen, sein Hervortreten durch zahlreiche Veröffentlichungen wie dem weit verbreiteten Bildband Freiburg und die vom gerichtlichen Sachverständigen hervorgehobene Güte der klägerischen Bilder ist ein Aufschlag von 20 % auf den nach den MFM-Empfehlungen ermittelten Wert angemessen. Dies führt zu einer Gesamtforderung von 2.042,40 Euro (1.702,00 Euro + 340,40 Euro). Der auf dem jetzigen Informationsstand des Klägers beruhende Sachvortrag rechtfertigt eine weitergehende Summe nicht.III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und kein Erfordernis der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung besteht.