VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.04.2011 - 11 S 522/11
Fundstelle
openJur 2012, 64143
  • Rkr:

In der Konstellation des § 48 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist zwingend ein Ausweisersatz auszustellen. Nr. 5.3.2.4 der AufenthG-VwV vom 26.10.2009 (GMBl. 2009 S. 877) in Verbindung mit der hierzu ergangenen baden-württembergischen Ergänzung in der VwV-AuslR-IM vom 02.11.2010 (Az.: 4-1310/131; GABl. v. 29.12.2010 S. 504) stehen dem nicht entgegen.

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. Januar 2011 - 2 K 4708/10 - wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Der entsprechend § 124 a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO rechtzeitig gestellte und begründete, auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils; grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Aus den von der Beklagten dargelegten Gründen bestehen - auch bei Beachtung verfassungsrechtlicher Anforderungen (BVerfG, Beschlüsse vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - VBlBW 2000, 392 und vom 08.03.2001 - 1 BvR 1653/99 - DVBl 2001, 894) - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die Darlegung ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfordert, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine für diese Entscheidung erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschluss vom 23.06.2000, a.a.O.). Dazu müssen zum einen die angegriffenen Rechtssätze oder Tatsachenfeststellungen - zumindest im Kern - zutreffend herausgearbeitet werden (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11.08.1999 - 6 S 969/99 - juris). Zum anderen sind schlüssige Bedenken gegen diese Rechtssätze oder Tatsachenfeststellungen aufzuzeigen, wobei sich der Darlegungsaufwand im Einzelfall nach den Umständen des jeweiligen Verfahrens richtet (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 11.08.1999, a.a.O., und vom 27.02.1998 - 7 S 216/98 - VBlBW 1998, 378), insbesondere nach Umfang und Begründungstiefe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Zulassungsgrund liegt vor, wenn eine Überprüfung des dargelegten Vorbringens aufgrund der Akten ergibt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils tatsächlich bestehen. Jedenfalls Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat keine erheblichen Gründe vorgebracht, die dafür sprechen, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.

Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil, mit dem es die Beklagte verpflichtet hat, der Klägerin einen Ausweisersatz auszustellen, im Wesentlichen damit begründet, dass im Falle der Klägerin bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (zwingend) von der Erfüllung der Passpflicht abgesehen worden sei. Aus diesem Grund sei ihr nach § 48 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ein Ausweisersatz auszustellen.

Die Einwendungen der Beklagten im Zulassungsantrag begründen keine ernstlichen Richtigkeitszweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das Gesetz ist auch für den Senat eindeutig. § 48 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lautet: Wird nach § 5 Abs. 3 von der Erfüllung der Passpflicht (§ 3 Abs. 1) abgesehen, wird ein Ausweisersatz ausgestellt. Die Norm räumt der Ausländerbehörde mithin keinerlei Ermessensspielraum ein, im konkreten Fall doch keinen Ausweisersatz auszustellen. Ausnahmen sind gesetzlich nicht vorgesehen, auch nicht für das Ziel, Druck auf den Ausländer zu machen, an der Beschaffung von Identitätspapieren wirklich effektiv mitzuwirken.

Die Beklagte beruft sich für ihre abweichende Rechtsauffassung, im Falle der Klägerin zwar das Klebeetikett für den Aufenthaltstitel auf dem Vordruck Ausweisersatz nach Anlage D1 anzubringen, darauf jedoch das Wort Ausweisersatz zu streichen, d.h. gewissermaßen einen Nicht-Ausweisersatz auszustellen, auf Nr. 5.3.2.4 der AufenthG-VwV vom 26.10.2009 (GMBl. 2009 S. 877) in Verbindung mit der hierzu ergangenen baden-württembergischen Ergänzung in der VwV-AuslR-IM vom 02.11.2010 (Az.: 4-1310/131; GABl. v. 29.12.2010 S. 504). In Nr. 5.3.2.4 AufenthG-VwV wird diese Streichung auf dem Klebeetikett für den Fall angeordnet, dass zwar ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann, der Ausländer insbesondere aber nicht an zumutbaren Beschaffungshandlungen für Identitätspapiere mitwirkt. Für diese Konstellation soll klar gestellt werden, dass mit dem Klebeetikett nicht der Pass- und Ausweispflicht genügt wird.

Die baden-württembergische Ergänzung in der VwV-AuslR-IM (zu Nr. 5.3.2.4) will dieses Vorgehen nun auf den anders gelagerten Fall des § 48 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erstrecken:

Die Ausführungen gelten entsprechend für Fälle, in denen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 von dem Erfordernis der Erfüllung der Passpflicht im Rahmen der Erteilung des Aufenthaltstitels abgesehen werden muss. § 48 Abs. 4 steht den Abänderungen des Vordrucks nicht entgegen (vgl. dazu auch Nr. 48.4: Ausweisersatz nur bei Vorliegen der Voraussetzungen).

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass dieses Vorgehen mit dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sowie deren Systematik nicht in Einklang zu bringen ist. Der Senat hat dem nichts hinzuzufügen. Das Gesetz verlangt in dieser Konstellation eindeutig die Ausstellung eines Ausweisersatzes und eben nicht die eines Nicht-Ausweisersatzes. Kann der Ausländer - wie etwa die Klägerin - z.B. wegen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ohnehin derzeit nicht abgeschoben werden, verlangt das Gesetz, dass ihm direkt ein Ausweisersatz ausgestellt wird. Nach § 48 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. Absatz 3 der Norm entbindet dies den Ausländer selbstverständlich nicht davon, weiterhin an der Beschaffung von Identitätspapieren bzw. an der Aufklärung seiner wahren Identität effektiv mitzuwirken. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass derjenige Ausländer, der ohne Erfolg alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, bereits nach § 48 Abs. 2 AufenthG einen Ausweisersatz erhält, was aus systematischen Gründen ausschließt, dieses Erfordernis in Absatz 4 Satz 1 hineinzulesen.

2. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte auch den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Denn grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn das erstrebte weitere Gerichtsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen oder im Bereich der Tatsachenfeststellungen nicht geklärten Fragen mit über den Einzelfall hinaus reichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höhergerichtlicher Klärung bedürfen. Eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung scheidet hingegen aus, wenn keine klärungsbedürftige Frage vorliegt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Frage, deren Beantwortung sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt (vgl. VGH Bad.-Württ, Beschluss vom 23.01.1998 - 5 S 2053/97 - NVwZ 1998, 977). Wie dargelegt, ist dies hier der Fall. Die Frage, ob § 48 Abs. 4 Satz 1 AufenthG es unter Berufung auf die baden-württembergische VwV-AuslR-IM im Einzelfall zulässt, einem Ausländer doch keinen Ausweisersatz auszustellen, wird vom Gesetz ohne weiteres verneint.

Die Kostenentscheidung zugunsten der Klägerin folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Damit erübrigt sich eine Entscheidung über ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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