LG Freiburg, Beschluss vom 29.03.2011 - 7 O 1/11; 7 O 2/11
Fundstelle
openJur 2012, 64020
  • Rkr:

Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Therapieunterbringung nach §§ 1, 2 ThUG liegen nicht vor, wenn die für den Vollzug zuständige Antragstellerin keine Einrichtung benannt hat, in der die Unterbringung vollzogen werden kann.

Tenor

1. Der Antrag auf Unterbringung des Betroffenen nach dem Therapieunterbringungsgesetz (Az. 7 O 1/11) wird zurückgewiesen.2. Der Antrag auf die einstweilige Anordnung einer vorläufigen Unterbringung des Betroffenen nach dem Therapieunterbringungsgesetz (Az. 7 O 2/11) wird zurückgewiesen.3. Die Auslagen des Betroffenen werden, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, jeweils der Antragstellerin auferlegt.4. Der Gegenstandswert für die Verfahren wird jeweils auf 3.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin beantragt gem. § 1 ThUG die Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung und stellt zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Mit Urteil des Landgerichts Freiburg vom 04.02.1986 (Az. 23 KLs 13/85 II AK 49/85, As. I 55) wurde der Betroffene wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung mit schwerem Raub sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Zugleich wurde die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

Zehn Jahre der Sicherungsverwahrung waren am 30.09.2005 vollstreckt. Mit den Beschlüssen vom 16.12.2005, 24.04.2008 und 09.06.2010 (Az. 12 StVK 651/09, As. I 45) ordnete das Landgericht Freiburg jeweils die Fortdauer der Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung an. Vorangegangen war jeweils die Einholung kriminalprognostischer Gutachten, die ein hohes Risiko weiterer Sexualdelikte des Betroffenen bejahten. Die letzte Entscheidung des Landgerichts Freiburg vom 09.06.2010 hob das Oberlandesgericht Karlsruhe auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 04.08.2010 (Az. 2 Ws 227/10, As. I 23) auf und erklärte die Sicherungsverwahrung für erledigt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az. 19359/04) das nachträgliche Entfallen der ursprünglichen Befristung der Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK verstoße. Diese Rechtsprechung sei im Wege der Auslegung auch im innerstaatlichen Recht zu berücksichtigen.

Der Betroffene wurde am 04.08.2010 entlassen. Er hält sich seitdem in Freiburg auf und wird dauerhaft polizeilich überwacht.

Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat mit Schreiben vom 03.01.2011 (As. I 17) der Antragstellerin die notwendigen Daten für die Einleitung des Verfahrens übermittelt.

Mit Schriftsatz vom 09.02.2011 (As. I 1 und 501) hat die Antragstellerin beantragt, gem. § 5 Abs. 1 ThUG das gerichtliche Verfahren gegen den Betroffenen mit dem Ziel seiner Therapieunterbringung einzuleiten und den Betroffenen gem. § 1 Abs. 1 ThUG in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses gem. § 10 Abs. 3 ThUG unterzubringen (Az. 7 O 1/11). Des Weiteren hat sie beantragt, eine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Unterbringung des Betroffenen zu erlassen (Az. 7 O 2/11).

Die Antragstellerin trägt vor, es bestünden Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Therapieunterbringung nach § 1 ThUG gegeben seien. Die bisher eingeholten Gutachten (Gutachten B. vom 30.08.2005, As. I 101; Gutachten Dr. R. vom 13.02.2008, As. I 215; Gutachten Dr. W. vom 31.03.2010, As. I 379; Fachärztliche Stellungnahme Dr. Sch. vom 24.01.2011, As. I 437) würden aufzeigen, dass der Betroffene an einer psychischen Störung leide und infolge der psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen werde. Um diese Gefährdung zu verhindern, sei zum Schutz der Allgemeinheit die Unterbringung des Betroffenen erforderlich.

Durch den präventiven Polizeieinsatz (vgl. dazu Schreiben der Polizeidirektion Freiburg vom 18.01.2011, As. I 425) werde die Rückfallgefahr zwar weitestgehend ausgeschlossen. Es sei jedoch nicht sicher, dass die nahezu ununterbrochene Observation aufrecht erhalten werden könne. Im Übrigen sei die Therapieunterbringung gegenüber der ständigen Bewachung des Betroffenen auch das mildere Mittel.

Die erforderliche Dauer der Unterbringung werde sich aus den einzuholenden Gutachten ergeben. Nach Mitteilung des Sozialministeriums Baden-Württemberg vom 04.03.2011 (As. II 557) könne bei Vorliegen eines Einweisungsbeschlusses auch kurzfristig eine Unterbringungsmöglichkeit bereitgestellt werden, die den Anforderungen des ThUG entspreche.

Der Betroffene tritt beiden Anträgen entgegen. Er hatte bereits vor Anhängigmachung der Anträge mit Anwaltsschreiben vom 29.12.2010 (Anlagenband As. 3) eine Schutzschrift beim Landgericht Freiburg (Az.: 7 AR 1/11) eingereicht.

Der Betroffene meint, die gesetzlichen Regelungen im ThUG seien verfassungswidrig und das Verfahren sei daher nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen. Weiter sei der Antrag auf Therapieunterbringung bereits unzulässig, da keine konkrete Dauer der Unterbringung angegeben werde und es außerdem keine geeignete Einrichtung gebe. Weiter liege beim Betroffenen keine psychische Störung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG vor, eine reale Gefahr gehe von ihm nicht aus. Im Übrigen sei die Unterbringung des Betroffenen nicht erforderlich, weil mildere Mittel den Schutz der Allgemeinheit in gleicher Weise sicherstellen könnten. So habe der Betroffene bereits mit der Forensischen Ambulanz Baden einen Behandlungsvertrag geschlossen (As. II 533).

Die Kammer hat die Führungsaufsichtsstelle auf ihren Antrag vom 17.02.2011 (As. I 479) mit den Beschlüssen vom 29.03.2011 in beiden Verfahren (7 O 1/11 und 7 O 2/11) beteiligt. Diese hat aber jeweils keine inhaltliche Stellungnahme abgegeben.

Im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.II.

Die Anträge sind zulässig.1.

Die Anträge sind ausreichend bestimmt, da sie nach den Grundsätzen der §§ 3 ThUG, 23 Abs. 1 FamFG jeweils die formalen Mindestanforderungen erfüllen.

Eine Zurückweisung als unzulässig wäre allenfalls dann möglich, wenn sich auch aufgrund der gebotenen Ermittlungen des Gerichts das Begehren des Antragstellers nicht ergründen ließe (Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 23 Rn. 38).

Hinsichtlich der Dauer der Unterbringung ergibt sich aus den Ausführungen der Antragstellerin, dass - unabhängig von der Frage, ob die Entscheidungen überhaupt einen Ablaufzeitpunkt enthalten sollen - jeweils die nach §§ 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 ThUG normierte Höchstdauer von 18 Monaten für die Hauptsacheentscheidung bzw. von 3 Monaten für die einstweilige Anordnung ausgeschöpft werden soll.2.

Die gem. §§ 3 ThUG, 23 Abs. 1 S. 4 FamFG erforderliche Unterschrift unter den Antrag hat die Antragstellerin nachgeholt.III.

Der Antrag auf Therapieunterbringung in der Hauptsache ist unbegründet.

Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Therapieunterbringung nach §§ 1, 2 ThUG liegen derzeit nicht vor, da die Antragstellerin keine Einrichtung benannt hat, in der die Unterbringung vollzogen werden soll.

Bereits nach §§ 3 ThUG, 323 Nr. 1 FamFG muss im Beschluss über die Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme diese näher bezeichnet werden. Diese gesetzliche Regelung wird nach ständiger Rechtsprechung so ausgelegt, dass zwar nicht die Einrichtung namentlich genannt werden muss. Es ist aber die genaue Art der Unterbringung anzugeben, weil nur so die Erforderlichkeit der konkreten Unterbringung durch das Gericht geprüft werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.06.2007 - 1 BvR 338/07 - zitiert nach Juris, Rn. 36; BayObLG, Beschluss vom 07.10.1993 - 3Z BR 222/93 - FamRZ 1994, 320, 322). Hierbei hat das Gericht die tatsächlich zur Verfügung stehenden Einrichtungen anhand ihrer Geeignetheit für die Person des konkreten Betroffenen zu überprüfen (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 23.10.2009 - 6 W 33/09 - zitiert nach Juris, Rn. 18; OLG Köln, Beschluss vom 17.07.2006 - 16 Wx 142/06 - zitiert nach Juris, Rn. 5 f.).

Diese Grundsätze sind auf die Unterbringung nach §§ 1, 2 ThUG anzuwenden. So sind u.a. Anforderungen an deren medizinisch-therapeutische Ausrichtung (§ 2 Nr. 1 ThUG) und deren räumliche und organisatorische Trennung von Einrichtungen des Strafvollzuges (§ 2 Nr. 3 ThUG) gestellt, die den Vorgaben des § 2 Abs. 2 UBG BW entsprechen. Darüber hinaus kann nach § 2 Nr. 2 ThUG eine Einrichtung aber nur dann als geeignet angesehen werden, wenn eine Abwägung ergibt, dass die Einrichtung unter Berücksichtigung therapeutischer Gesichtspunkte und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine den Betroffenen so wenig wie möglich belastende Unterbringung zulässt. Dies stellt eine Anforderung dar, die nur für den konkreten Fall beurteilt werden kann. Angesichts der Erheblichkeit des Eingriffs in das grundrechtlich geschützte Freiheitsrecht des Betroffenen muss diese Abwägung bereits im Anordnungsverfahren nach § 1 ThUG vorgenommen werden. Der Betroffene kann nicht darauf verwiesen werden, die Geeignetheit der Einrichtung nach § 2 ThUG nachträglich, d.h. nach Beginn der Unterbringung, im Rahmen eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 3 ThUG, 327 FamFG klären zu lassen, da es sich nicht um eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten handelt.

Darüber hinaus darf das Gericht gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ThUG eine Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung nur dann anordnen, wenn dies zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll dieses Tatbestandsmerkmal den Vorgaben sowohl des Grundgesetzes also auch der EMRK Rechnung tragen, die eine Prüfung verlangen, ob nicht weniger belastende Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit in Betracht kommen und ausreichen (Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/3403, S. 54).

Eine Prüfung dieser Voraussetzungen ist der Kammer nicht möglich. Derzeit ist völlig offen, an welchem Ort und unter welchen Bedingungen die Unterbringung vollzogen werden soll. Für den Vollzug einer Therapieunterbringung und damit für die Auswahl der konkreten Einrichtung ist gem. § 11 Abs. 1 ThUG die Antragstellerin zuständig. Auch auf den ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis in der Verfügung vom 11.02.2011 (unter Ziffer 6, As. I 465) hat die Antragstellerin keine von ihr im Rahmen des Vollzugs in Betracht gezogene geeignete Einrichtung aufgezeigt. Sie hat insoweit lediglich auf die Mitteilung des Sozialministeriums Baden-Württemberg vom 04.03.2011 verwiesen, in der allgemein darauf hingewiesen wurde, dass das Land bei Vorliegen eines Einweisungsbeschlusses in der Lage sei, kurzfristig eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit bereitzustellen. In der Mitteilung wurde aber auch ausdrücklich auf die originäre Vollzugszuständigkeit der Antragstellerin verwiesen. Es ist im Rahmen eines Antragsverfahrens nicht Teil der nach §§ 3 ThUG, 26 FamFG notwendigen Amtsermittlung, dass das Gericht selbst nach geeigneten Einrichtungen im Sinn des § 2 ThUG sucht und diese der Antragstellerin vorschlägt. Insoweit sind keine Anhaltspunkte für eine weitere gerichtliche Sachverhaltsaufklärung ersichtlich.

Eine Unterbringung kann darüber hinaus deshalb nicht angeordnet werden, weil eine solche Anordnung derzeit nicht gem. § 11 Abs. 1 ThUG vollzogen werden kann. Die für den Vollzug zuständige Antragstellerin hat auf die Nachfrage des Gerichts lediglich mitgeteilt, eine solche Einrichtung werde nach Auskunft des Sozialministeriums kurzfristig bereit gestellt, ohne im Einzelnen darzulegen, welcher Zeitraum damit gemeint ist. Die Anordnung einer geschlossenen Unterbringung auf Vorrat für den Fall, dass später eine solche Einrichtung bereit steht, wäre angesichts des erheblichen Eingriffs in das grundrechtlich geschützte Freiheitsrecht des Betroffenen aber rechtswidrig (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2010 - XII ZB 135/10 - zitiert nach Juris, Rn. 11; Beschluss vom 23.01.2008 - XII ZB 185/07 - zitiert nach Juris, Rn. 29).IV.

Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

Aus den dargestellten Gründen bestehen gem. § 14 Abs. 1 ThUG keine Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Therapieunterbringung nach § 1 ThUG gegeben sind.V.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts gem. § 7 Abs. 1 S. 1 ThUG ist nicht geboten.

Zwar ist nach dem Wortlaut dieser Regelung eine Beiordnung vorzunehmen, ohne dass insoweit Ausnahmen vorgesehen sind. Nach der Gesetzesbegründung ist der Zweck der Beiordnung aber lediglich die Sicherstellung einer ausreichenden Rechtsverteidigung des Betroffenen. Dies soll durch die Beiordnung eines vertretungsbefugten Rechtsanwalts geschehen, der die Beistandschaft übernehmen muss, da die Bestellung eines Verfahrenspflegers, der nicht im Namen des Betroffenen auftreten kann, als nicht ausreichend erachtet wird. Der Betroffene soll dem beigeordneten Rechtsanwalt aber auch eine Verfahrensvollmacht erteilen können, die dann zu einer umfassenden Vertretungsmacht des Rechtsanwalts führen würde (BT-Drucks. 17/3403, S. 56).

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene für das Verfahren bereits eine Rechtsanwältin mit seiner umfassenden Vertretung beauftragt. Die Beiordnung eines weiteren Rechtsanwalts ist nach dem Zweck der Vorschrift des § 7 ThUG in diesem Fall nicht mehr erforderlich. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken der Regelung in §§ 3 ThUG, 317 Abs. 4 FamFG, nach der die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben oder aufgehoben werden soll, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt vertreten werden. Gegen die Beiordnung eines weiteren Rechtsanwalts spricht weiter, dass der beigeordnete Rechtsanwalt - anders als ein Verfahrenspfleger - Vertreter des Betroffenen ist. Die Bestellung eines zweiten Verfahrensbevollmächtigten gegen den Willen des Betroffenen kann mit Blick auf die Möglichkeit widersprechender Erklärungen nicht gewollt sein.VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 3 ThUG, 81, 337 Abs. 1 FamFG, wobei Gerichtskosten nach § 19 ThUG nicht erhoben werden.

Die Festsetzung des jeweiligen Gegenstandswertes beruht auf §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 2 S. 1 KostO.

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