LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.05.2010 - 5 Ta 83/10
Fundstelle
openJur 2012, 63314
  • Rkr:

1. Die Wertung eines Antrags auf Verringerung der Arbeitszeit / Verteilung der verringerten Arbeitszeit auf zusammenhängende Arbeitstage richtet sich als vermögensrechtliche Streitigkeit nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. mit § 3 ZPO.

2. Im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. mit § 3 ZPO nach freiem Ermessen vorzunehmenden Schätzung des Werts ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich das Gericht im Rahmen seiner Ermessenentscheidung von der Bewertungsgröße des Monatsgehalts der klagenden Partei leiten lässt.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 10. März 2010 - 14 Ga 2/10 - abgeändert.

Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert wird auf EUR 8.966,26 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerde der Beschwerdeführer (Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin) richtet sich gegen die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gem. § 63 Abs. 2 GKG.

Im Ausgangsverfahren verfolgte die Verfügungsklägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweilige Verfügung, wodurch die Verfügungsbeklagte verurteilt werden sollte, die Verfügungsklägerin bei einer verringerten Arbeitszeit von 15,6 Stunden wöchentlich, bei einer regelmäßigen täglichen Arbeitszeit an drei zusammenhängenden Arbeitstagen im Zeitraum von 08.30 Uhr bis 14.30 Uhr zu beschäftigen. Die Verfügungsklägerin ist langjährige Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten, Mitglied des Betriebsrats und mit einem GdB von 60 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Sie erzielte bei einer Vollzeittätigkeit zuletzt einen durchschnittlichen Verdienst in Höhe von EUR 4.483,13 brutto. Der Rechtsstreit erster Instanz endete durch abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 27. Januar 2010.

Das Arbeitsgericht hat nach Gewährung rechtlichen Gehörs mit Beschluss vom 10. März 2010 den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf EUR 4.000,00 festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin vom 21. April 2010, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Das Landesarbeitsgericht hat mit Verfügung vom 4. Mai 2010 die Beteiligten auf die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 - JurBüro 2009, 533 hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 20. Mai 2010 gegeben. Hiervon haben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19. Mai 2010 Gebrauch gemacht.II.

Die nach dem Wert der Beschwer (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert war auf EUR 8.968,26 festzusetzen. Die nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO zu treffende Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts ist nach Auffassung der Beschwerdekammer vorliegend zu beanstanden. Dies führt zur Abänderung der arbeitsgerichtlichen Wertfestsetzung und zur Neufestsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts.

1. Die Bewertung eines Antrags auf Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit und Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage nach § 8 Abs. 4 TzBfG erfolgt als vermögensrechtliche Streitigkeit nach § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO.

§ 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO kommt als Maßstab für die nach freiem Ermessen vorzunehmende Schätzung des Gebührenstreitwerts aber nur in vermögensrechtlichen Streitigkeiten in Betracht. Im Falle einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit bemisst sich der Streitwert nach § 48 Abs. 2 GKG. Er orientiert sich dann nicht am Interesse desjenigen, der das Verfahren einleitet, sondern an den in dieser Vorschrift genannten Umständen. Der Anspruch nach § 8 TzBfG ergibt sich aus dem als vermögensrechtlich zu begreifenden Arbeitsverhältnis. Es geht um die Verurteilung zu einer Willenserklärung, mit der dieses vermögensrechtliche Rechtsverhältnis inhaltlich geändert wird. Das Teilzeitverlangen ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung der für Streitwertbeschwerden zuständigen Kammern des Landesarbeitsgerichts als vermögensrechtliche Streitigkeit angesehen worden (statt vieler LAG Baden-Württemberg 15. Februar 2002 - 3 Ta 5/02 - NZA-RR 2002, 325; 4. Januar 2008 - 3 Ta 259/07 - JurBüro 2008, 250; 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 - JurBüro 2009, 533, zu II 1 a der Gründe). Auch bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten können neben rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch immaterielle Interessen (Affektionsinteresse) bei der Bewertung herangezogen werden, wenn gerade diese Anlass für den Rechtsstreit sind und diesem seinen Sinn verleihen (vgl. BGH 16. Januar 1991 - XII ZR 244/90 - FamRZ 1991, 547). Dieses Interesse ist gerade dann kennzeichnend für die angestrebte Verringerung der Arbeitszeit, wenn damit nicht eine anderweitige entgeltliche Verwendung der Arbeitskraft angestrebt wird, sondern familiäre und sonstige ideelle Umstände dieses Bestreben tragen.

2. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen erweist sich die Beschwerde als teilweise begründet. Der vom Arbeitsgericht festgesetzte Streitwert mit EUR 4.000,00 wird den Interessen der Klägerin zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 40 GKG) nicht gerecht. Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist der Streitwert für Anträge, gerichtet auf eine Verringerung der Arbeitszeit nach § 8 TzBfG, in gedanklicher Anknüpfung an das Monatseinkommen der klagenden Partei vorzunehmen, wobei auch die Bewertung mit einem Vielfachen des Monatseinkommens in Betracht kommt. Für eine Ausrichtung der Streitwertfestsetzung am aktuellen Einkommen der Klägerin streiten - im Hinblick auf die in Streitwertsachen erforderliche Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit und damit letztlich der Rechtssicherheit - die besseren Argumente.

a) Die für Streitwertbeschwerden ausschließlich zuständige Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts geht davon aus, dass es im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 GKG i. V m. § 3 ZPO nach freiem Ermessen vorzunehmenden Schätzung des Gebührenstreitwerts nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn das Arbeitsgericht sich im Rahmen seiner Ermessensentscheidung von der Bewertungsgröße des Monatsgehalts der klagenden Partei leiten lässt. Dies hat die erkennende Kammer für zahlreiche aus dem Arbeitsverhältnis abgeleitete Einzelansprüche (LAG Baden-Württemberg 24. Juni 2009 - 5 Ta 12/09 - [Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte]; 22. Juni 2009 - 5 Ta 13/09 - [Zwischenzeugnis]; 20. Juli 2009 - 5 Ta 14/09 - [Zeugnis]; 28. September 2009 - 5 Ta 87/09 - [Klage gegen Versetzung]; 9. November 2009 - 5 Ta 123/09 - [Beschäftigungsantrag]; 18. Dezember 2009 - 5 Ta 131/09 - [Erteilung eines Nachweises nach dem Nachweisgesetz]) und auch für den Antrag nach § 8 TzBfG (LAG Baden-Württemberg 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 - JurBüro 2009, 533; 30. Juli 2009 - 5 Ta 31/09) entschieden. Die hierfür maßgeblichen Gründe hat die Beschwerdekammer in den genannten Entscheidung jeweils dargelegt. Hieran hält sie auch weiterhin fest.

b) Auch die Bewertung des Anspruchs auf Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nach § 8 TzBfG mit einem Vielfachen des Monatseinkommens, der den Anspruch verfolgenden Partei, ist nicht ermessensfehlerhaft. Die Ableitung einer "Obergrenze" mit dem dreifachen Monatsbezug aus § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG unmittelbar oder in analoger Anwendung (so etwa LAG Rheinland-Pfalz 28.April 2008 - 1 Ta 60/08 - AE 2008, 338 = NZA-RR 2009, 39; GK-ArbGG - Schleusener § 12 Rn. 337 m. w. N.) begegnet methodischen Bedenken. Dies hat die Beschwerdekammer ebenfalls bereits mit ausführlicher Begründung entschieden (LAG Baden-Württemberg 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 - JurBüro 2009, 533, zu II 1b bb der Gründe).

c) Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen und dem Umstand, dass das Ausgangsverfahren ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war, lassen die Umstände im Entscheidungsfall eine Wertfestsetzung mit dem doppelten Monatsbezug auf EUR 8.968,26 nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO als angemessen erscheinen.

aa) Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1. Juli 1989 beschäftigt. Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Sohnes am 1. Juni 2006 bis einschließlich 31. Mai 2009 in Elternzeit. Daran schloss sich eine halbjährige tarifliche Elternzeit nach § 9a Nr. 3 MTV Banken bis 30. November 2009 an. Zuvor hatte die Klägerin eine Vergütung von monatlich EUR 4.483,13 brutto erzielt. Der Sohn der Klägerin ist seit Juni 2009 in einem Kindergarten, der eine maximale Betreuungszeit von sieben Stunden wochentäglich gewährleistet. Der Ehemann der Klägerin ist Vollzeit berufstätig. Mangels dauerhafter zumutbarer anderer Betreuungsmöglichkeiten, etwa durch die Großeltern des Sohnes war die Klägerin auf eine Verringerung ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit und eine Verteilung derselben, dringend angewiesen. Die Klägerin hatte - nicht zuletzt auch angesichts ihrer eigenen gesundheitlichen Situation und zum Wohle des Sohnes - keine andere Möglichkeit gehabt, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Verfügungsbeklagten einerseits und ihre Pflichten gegenüber ihrem Sohn andererseits in Einklang zu bringen und jeweils zu erfüllen. Die Klägerin war bereit, erhebliche Vergütungseinbußen von mehr als der Hälfte ihres vormals erzielten Einkommens hinzunehmen, um ihren Sohn betreuen zu können. Die Alternative wäre ein Verzicht auf die Erwerbstätigkeit bei der Beklagten gewesen, der ausweislich des Schriftsatzes der Beschwerdeführer vom 19. Mai 2010 wohl zwischenzeitlich als Ergebnis des zwischen den Parteien geführten Hauptsacheverfahrens eingetreten ist.

bb) Andererseits kann die Bewertung des wirtschaftlichen Interesses am verfolgten Antrag nicht in Anlehnung an die Vergütungseinbuße der Verfügungsklägerin im Falle der Stattgabe ihres Antrags ermittelt werden. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin lag nicht in der Verringerung ihrer Vergütung, sondern im Erhalt des Arbeitsplatzes und Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit. Soweit die Beschwerdeführer in ihren Schriftsätzen ausführen, dass der Antrag einen Wert von mindestens EUR 20 000,00 rechtfertige, erschließt sich dieser Wert für die Beschwerdekammer nicht. Er steht in keinem erkennbaren Verhältnis zu dem von der Klägerin mit ihrer Klage verfolgten Anspruch auf Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit und deren Verteilung auf die einzelnen Arbeitstage und ist ohne jede auf den konkreten Fall bezogene Begründung gegriffen. Die Benennung dieses Betrags beruht vielmehr auf der Rechtsprechung der vormals für Streitwertbeschwerden zuständigen Beschwerdekammer, die jedoch bereits mit dem Beschluss der Beschwerdekammer vom 24. Juni 2009 (LAG Baden-Württemberg 24. Juni 2009 - 5 Ta 10/09 - JurBüro 2009, 533) aufgegeben wurde. Eine Begründung für diesen Betrag ergibt auch nicht der schlichte Hinweis auf die Wertfestsetzung im Berufungsverfahren 6 SaGa 1/10 durch den Beschluss vom 13. April 2010.

cc) Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass es sich bei dem vorliegenden Streitverfahren um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und damit lediglich um ein Verfahren zur vorläufigen Regelung bis zur Entscheidung der Hauptsache handelt. Es ist im Rahmen des § 8 TzBfG anerkannt, dass auch im Falle eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ein Abschlag im Vergleich zur Hauptsache unterbleiben kann (so LAG Nürnberg 12. September 2003 - 9 Ta 127/03 - LAGE TzBfG § 8 Nr. 14 = NZA-RR 2004, 103, zu II 4 der Gründe). Bei der Bewertung des am 5. Januar 2010 eingereichten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zu berücksichtigen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits das Hauptsacheverfahren anhängig und auch ein Kammertermin im Mai 2010 bereits bestimmt worden war. Zwar wird mit der einstweiligen Verfügung in gewissem Umfang die Hauptsache vorweggenommen, gleichwohl handelt es sich nur um eine vorläufige vorübergehende Regelung bis zur Herbeiführung einer rechtskräftigen vollstreckbaren Entscheidung. Im Hinblick hierauf hält es die Beschwerdekammer für angemessen, den Antrag insgesamt mit lediglich zwei, statt drei durchschnittlichen Bruttomonatsvergütungen zu bewerten.III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtmittel nicht gegeben (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG)