OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2010 - 14 W 85/09
Fundstelle
openJur 2012, 63010
  • Rkr:

1. Vom Schädiger gezahltes Schmerzensgeld kann für die Verfahrenskosten eines Haftpflichtprozesses dann einzusetzen sein, wenn die Kosten relativ gering sind und dem Geschädigten der wesentliche Teil des Schmerzensgeldes verbleibt.

2. Stellt nach den Umständen der weitaus größte Teil des Vergleichsbetrages Schmerzensgeld dar und wurde ein erheblicher Teil der Vergleichssumme für auf den Verkehrsunfall zurückzuführende vermehrte Bedürfnisse ausgegeben, so würde die Funktion des Schmerzensgeldes - mit der Folge, daß es nicht zur Deckung der Verfahrenskosten einzusetzen ist - jedenfalls dann tangiert werden, wenn der Geschädigte Prozesskosten in einer Höhe von 12 % der ihm zu-geflossenen Entschädigung oder nahezu ein Viertel der für seine unfallbedingten vermehrten Bedürfnisse erfolgten Aufwendungen zahlen müsste.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß der Rechtspflegerin des Landgerichts Offenburg vom 28.10.2009 über die Anordnung einer Zahlung aus dem Vermögen aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat nach Gewährung von PKH ohne Ratenzahlung Klage auf Zahlung eines Schmerzensgelds (Streitwert: EUR 24.000), Ersatz materiellen Schadens (Hausfrauenentschädigung; Streitwert: EUR 22.104) und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden aus einem Verkehrsunfall erhoben (Gesamtstreitwert: über 50.001 bis 65.000 EUR). Nach Anhörung mehrerer Sachverständiger, die übereinstimmend eine wesentliche Behinderung der Klägerin bei der Verrichtung von Hausarbeiten verneint haben, haben die Parteien einen Prozeßvergleich geschlossen, in dem sich die Beklagten verpflichtet haben, der Klägerin EUR 30.000 zur Abgeltung sämtlicher Schäden aus dem Unfall zu bezahlen.

Nach Anhörung der Antragstellerin hat die Rechtspflegerin mit dem angefochtenen Beschluß die PKH-Bewilligung dahin geändert, daß hinsichtlich eines Teilbetrags von EUR 3.608,83 die Zahlung aus dem Vermögen angeordnet worden ist. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat. Zur Begründung der Nichtabhilfe ist ausgeführt:

Ein Teil der Entschädigung sei von der Klägerin zur Tilgung von Schulden verwendet worden, die aus der Notsituation resultierten (EUR 7.700). Daneben sei eine Spezial-auflage für das Bett mit 700 EUR zu vermerken, für die Arbeit erleichternde Küchengeräte, Kühlschrank, Arbeitsplatte und Ersatz weiterer Einrichtungsgegenstände seien weitere Beträge einzubeziehen, insgesamt EUR 14.100. Wenn nun Prozeßkosten in Höhe von EUR 3.608,83 aus dem Vermögen aufgebracht werden müßten, werde die Schmerzensgeldfunktion nicht wesentlich beeinträchtigt.

II.

1. Die gegen die Anordnung einer Zahlung aus dem Vermögen (§ 120 Abs. 4 ZPO) gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO; vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 120 Rdn. 29).

2. Das Rechtsmittel ist auch in der Sache begründet; es ist jedenfalls unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht gerechtfertigt, auf das der Klägerin im Vergleich zugestandene Schmerzensgeld für die Tragung von Prozeßkosten zurückzugreifen.

a. Nach der im Schrifttum weit überwiegend vertretenen Ansicht (vgl. etwa Stein-Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl., Rdn. 137; Motzer, in: MünchKomm zur ZPO, 3. Aufl., Rdn. 62; Musielak-Fischer, ZPO, 7. Aufl., Rdn. 49; s. auch Zöller-Geimer, a.a.O. Rdn. 61 - jeweils zu § 115) ist im Hinblick auf die Entscheidung des BVerwG, NJW 1995, 3001, Schmerzensgeld grundsätzlich nicht für die Kosten eines Prozesses einzusetzen (Geimer a.a.O.: analog § 83 Abs. 2 SGB XII). Danach wäre das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin ohne weiteres begründet.

b. Die Rechtspflegerin ist demgegenüber von einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte verbreiteten (s. die N. etwa bei Bork a.a.O. N. 278 und Geimer a.a.O.) Ansicht ausgegangen, wonach auch Schmerzensgeld für Prozeßkosten einzusetzen sein kann, wenn die Kosten verhältnismäßig gering sind und der Partei der wesentliche Teil des Schmerzensgelds verbleibt (OLG Hamm, FamRZ 1987, 1283) bzw. die Funktion des Schmerzensgelds "nicht wesentlich beeinträchtigt" wird (OLG Jena, MDR 2000, 852, 853). Davon kann im Streitfall indes keine Rede sein:

Die Parteien des Prozeßvergleichs haben in ihrem Vergleich zwar keine Bestimmung darüber getroffen, welcher Anteil der Vergleichssumme auf Schmerzensgeld und welcher auf materiellen Schaden bezahlt werden solle. Nach dem Ertrag der Beweisaufnahme war es aber offenkundig so, daß der Anspruch der Klägerin auf Ersatz materiellen Schadens auf vergleichsweise schwachen Füßen stand, während der Bestand des Anspruchs auf Schmerzensgeld schwerlich angezweifelt werden konnte und "nur" dessen Höhe im Streit verblieben war. Die Rechtspflegerin ist sogar davon ausgegangen, daß der gesamte Vergleichsbetrag Schmerzensgeld dargestellt habe; das ist für den weitaus überwiegenden Teil des Vergleichsbetrags sicher zutreffend. Nimmt man mit der Rechtspflegerin weiter an, daß nahezu die Hälfte der Gesamtsumme von der Klägerin für anerkennenswerte Zwecke ausgegeben worden ist, die überwiegend im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall und den auf diesen zurückzuführenden vermehrten Bedürfnissen stehen, läßt sich nicht mehr sagen, daß die Funktion des Schmerzensgelds nicht wesentlich tangiert sei, wenn die Klägerin Prozeßkosten in einer Höhe von über 12 % der ihr zugeflossenen Entschädigung zahlen bzw. nahezu ein Viertel der Summe aufwenden soll, die sich nach Abzug der auch von der Rechtspflegerin "anerkannten" Aufwendungen ergibt. Dies zeigt auch ein Vergleich mit den oben zitierten Entscheidungen: Im Fall des OLG Hamm verblieben dem Schmerzensgeldempfänger nach Tragung der Kosten immerhin noch über 95 % des Schmerzensgelds, im Fall des OLG Jena noch rund 93 %, wobei dort nicht einmal ausgeschlossen war, daß dem Geschädigten noch weitere Zahlungen für künftig entstehende immaterielle Schäden zufließen könnten - was hier wegen der umfassenden Abgeltungsklausel im Vergleich ausgeschlossen ist.

3. Wegen der Nebenentscheidung vgl. § 127 Abs. 4 ZPO.