OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1974 - 4 Ss OWi 199/74
Fundstelle
openJur 2012, 132755
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 a OWi 556/73
Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 1, 8 StVO ein Bußgeld in Höhe von 40,- DM festgesetzt.

Es hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Betroffene beabsichtigte, am 16. August 1973 gegen 11.55 Uhr auf dem Parkplatz ... in ... seinen Pkw zu parken. Als er den Parkplatz auf dem zu diesem führenden Zufahrtsweg gerade erreicht hatte, näherte sich auf dem in diesen einmündenden Abfahrtsweg von rechts ein Pkw. Als dessen Fahrerin, die nach Parken auf dem Parkplatz diesen verlassen wollte, nach links in den Zufahrtsweg einbog, kam es zu einem Zusammenstoß beider Kraftwagen. Der Pkw des Betroffenen stieß mit dem vorderen Aufbau gegen den linken Scheinwerfer des anderen Pkw's, wodurch nicht unerheblicher Sachschaden entstand.

Die Rechtsbeschwerde, die mit näheren Ausführungen die Verletzung sachlichen Rechts rügt und die der Senat zur Fortbildung des Rechts zugelassen hat, konnte keinen Erfolg haben. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung nach §§ 1, 8 StVO. Die Frage - derentwegen der Senat die Rechtsbeschwerde allein zugelassen hat - ob die Vorfahrtregel "rechts vor links" auch auf Fahrspuren öffentlicher Parkplätze Anwendung findet, ist zu bejahen.

Die Straßenverkehrsordnung wendet sich an den Fahrverkehr außerhalb der eigentlichen Straßen ausdrücklich in § 10 StVO; die Bestimmung betrifft das Verhalten beim Ausfahren aus Grundstücken, betrifft also den Übergang von Verkehrsnebenflächen in den eigentlichen Straßenverkehrsraum, nicht aber das Verkehrsverhalten auf solchen Nebenflächen selbst. Die Vorfahrtsregeln des § 8 StVO betreffen Kreuzungen und Einmündungen - im Wortsinne die Schnittflächen mindestens zweier Fahrbahnen verschiedener sich kreuzender oder aufeinander zulaufender Straßen (vgl. OLG Hamm vom 18.11.1968 in DAR 69, 279). Der Begriff der Straße setzt regelmäßig eine besondere öffentliche Widmung voraus. An solcher besonderen öffentlichen Widmung mag es bei innerstädtischen, der Allgemeinheit zugänglichen Parkplätzen häufig fehlen. Das steht nach Auffassung des Senats aber der unmittelbaren Anwendung der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 StVO auf solchen Verkehrsnebenflächen nicht entgegen. Auf die äußerlich selten erkennbare öffentliche Widmung (vgl. Cramer, Straßenverkehrsrecht, Frankfurt 1971, zu § 8 Rz. 35 u. 65 ff,) kann es nicht entscheidend ankommen für die Frage, ob die Grundregel unmittelbar oder nur analog anzuwenden ist. Bei den hohen Frequenzen heutigen innerstädtischen Fahrzeugverkehrs kommt den der Allgemeinheit zugänglichen Parkflächen - ob es sich dabei um Parkhäuser oder Parkplätze handelt, kann dabei keinen Unterschied machen - eine solche Bedeutung zu, daß aus Gründen der Verkehrssicherheit gebeten ist, sie als Verkehrsraum anzusehen, der von den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts umfaßt wird (vgl. OLG Düsseldorf vom 27. 11. 1969 in VRS 39, 204 m.w.N.). Ihre immer wichtiger werdende Aufgabe ist es, die Innenstädte vom ruhenden Verkehr zu entlasten, wenn nicht gar vollends zu befreien. Ist der Kraftfahrer aber zunehmend auf diese Parkflächen angewiesen, vermehrt sich auch das verkehrssicherheitsbedingte Bedürfnis, sie den Verhaltensvorschriften des Gesamtverkehrs, und zwar auch über § 1 StVO hinausgehend zu unterwerfen. Aus diesem, den Gegebenheiten des Verkehrs resultierenden Zwang muß ihre faktische Öffentlichkeit als genügend angesehen werden; das ist unter anderen Gesichtspunkten von obergerichtlicher Rechtsprechung seit längerem bejaht worden (BGHSt 16, 7 = VHS 20, 453; im Anschluß an BGHZ vom 2. 4. 1957 in VRS 12, 414; OLH Düsseldorf a.a.O. zur Geltung des § 316 StGB auf Verkehrswegen eines Parkhauses; KG v. 2. 5. 1968 in VRS 35, 458 bei der - privaten - Zufahrtsstraße zu einem Industriegelände; vgl. auch zu Bahnhofsvorplätzen OLG Hamm v. 7. 8. 1973 (Leitsatz in NJW 73, 2117) - 3 Ss 56/73 - in VRS 45, 349). In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob das Parken für den Kraftfahrer gebührenpflichtig ist, ob es sich hierbei um eine kommunale Einrichtung oder eine solche privater Art handelt; entscheidend, ist, daß sie der Allgemeinheit offensteht (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

Zum Begriff der Straße gehört - zumindest im innerstädtischen Bereich - ferner, daß es sich um eine Wegeführung handelt, die durch ihre technische Konstruktion und Beschaffenheit geeignet ist, Fahrverkehr aufzunehmen und unmißverständlich zu leiten. An besonders ausgebauten oder markierten Wegführungen in diesem technischen Sinne fehlt es wiederum nicht selten bei innerstädtischen, der Allgemeinheit zugänglichen Parkplätzen. Soll die Regel "rechts vor links" auf einem Parkplatz gelten, so werden - entsprechend der Bezogenheit von § 8 Abs. 1 StVO auf Kreuzungen und Einmündungen im oben erörterten Sinne jedoch bestimmte Mindestanforderungen im Hinblick auf das Vorhandensein von Fahrspuren zu stellen sein. Fahrspuren auf Parkplätzen (ebenso wie in Parkhäuser und Tiefgaragen) haben den Sinn, den ein- und abfließenden Verkehr einerseits vom ruhenden Verkehr auf den Einstellplätzen zu trennen, beide Verkehrsarten leicht und übersichtlich zu ordnen; andererseits dienen sie dazu, daranliegende Einstellplätze schnell erreichen und verlassen zu können. Im besonderen hierdurch werden öffentliche Parkflächen ihrer besonderen Verkehrsbedeutung, innerstädtische Straßen zu entlasten, gerecht. Nach Auffassung des Senats macht dabei keinen Unterschied, ob die Kennzeichnung der verschiedenen Funktionsflächen - nämlich Wege und Einstellplätze - durch Farblinien, Pflasterstreifen, unterschiedliche Oberflächengestaltung, durch Kettenführung, Pflanzstreifen oder ähnliche Mittel vorgenommen ist. Wesentlich ist nur, daß die Kennzeichnung eine unmißverständliche Wegeführung, gleich der Fahrbahn einer Straße, ergibt. Den Gründen des angefochtenen Urteils kann entnommen werden, daß der hier in Frage stehende Parkplatz solcherlei Kennzeichnung aufweist.

Überschneiden sich solche Fahrspuren, entsteht eine kreuzungsgleiche Lage. Je nach Besetzung der Parkflächen oder nach der technischen Ausgestaltung der Gesamtanlage kann der Einblick in die kreuzende oder einmündende Fahrspur von einer anderen für den Kraftfahrer schwierig sein. Bei solcher Lage es dabei bewenden zu lassen, daß einander "begegnende" Kraftfahrer sich verständigen (vgl. Jagusch, 20. Aufl. zu § 8 StVO, Rz. 32) erscheint unzureichend. Nach Ansicht des Senats ist es ein unabweisbares Bedürfnis der Verkehrssicherheit, die Grundregel "rechts vor links" eingreifen zu lassen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich bereits stark in Bewußtsein und Fahrverkehrsgewohnheit der Bevölkerung eingeprägt hat (vgl. Cramer a.a.O. zu § 8 Rz. 65). Zwar wird man davon ausgehen können, daß auf solchen Fahrspuren nicht besonders schnell gefahren wird; dennoch bringt die spezielle Verkehrssituation mit sich, daß die Aufmerksamkeit des Kraftfahrers von der Suche nach einem freien und geeigneten Einstellplatz gefangengenommen sein kann. Gerade dies nötigt aber dazu, ihm lediglich die Beachtung der eingeschliffenen Grundregel abzuverlangen. - Daß sich dies nur auf kreuzende Fahrspuren beziehen, nicht aber im Verhältnis der Fahrspur zu einem Einstellplatz und umgekehrt gelten kann, sei nur zur Klarstellung erwähnt; derjenige, der einen Einstellplatz auf die Fahrspur hin verlassen, die Situation ruhenden Verkehrs aufgeben will, hat bei solcher Lage dem fahrenden Verkehr auf dessen Spuren besondere Sorgfalt zuzuwenden, ihm Vorrang zu gewähren, auch dann, wenn dies der Grundregel des § 8 Abs. 1 StVO nicht entspricht. -

Mit dieser hier vertretenen Ansicht weicht der Senat auch richt von der Entscheidung des OLG Stuttgart vom 17. 4. 1973 - 1 Ss 201/73 - in VRS 45, 313 ab, die hervorhebt, daß "die unmittelbare und entsprechende Anwendung der Vorfahrtsregel "rechts vor links" dem fließenden Verkehr" auf markierten Fahrspuren größerer Plätze dienlich sei.

Da auch die Höhe des Bußgeldausspruches keinen Bedenken unterliegt, war die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 StPO, § 46 OWiG zu verwerfen.