BVerfG, Beschluss vom 13.11.1951 - 1 BvR 213/51
Fundstelle
openJur 2012, 132643
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Gründe

Der Beschwerdeführer hat gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts in München vom 12. September 1951 - AR 30/51 - Verfassungsbeschwerde erhoben. Durch diesen Beschluß, gegen den ein Rechtsmittel nicht zulässig ist, ist die Einwendung des Beschwerdeführers gegen den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl vom 16. August 1951 als unbegründet verworfen worden. Das Oberlandesgericht ist der Ansicht, daß der Beschwerdeführer, nachdem er den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht durch eine besondere Einbürgerungsurkunde nachweisen kann, mindestens als staatenlos zu gelten hat und als Staatenloser ausgeliefert werden kann.

Durch diesen Beschluß fühlt sich der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht gemäß Art. 16 Abs. 2 GG verletzt. Seine Behauptung, deutscher Staatsangehöriger zu sein, begründet er damit, daß er im Jahre 1942 eingebürgert und vom Flüchtlingsamt in R. als deutscher Staatsangehöriger geführt und behandelt worden sei.

Nachdem das Auslieferungsersuchen des österreichischen Bundesministeriums für Justiz eingegangen ist, hat das Oberlandesgericht in München durch Beschluß vom 27. September 1951 die Fortdauer der Auslieferungshaft des Beschwerdeführers angeordnet. Durch den noch nicht zugestellten Beschluß vom 17. Oktober 1951 hat dasselbe Gericht die Auslieferung des Beschwerdeführers an die österreichische Bundesregierung wegen der im Auslieferungshaftbefehl vom 16. August 1951 bezeichneten Straftaten für zulässig zu erklären.

Die Verwaltungspraxis in den Ländern der amerikanischen und der britischen Besatzungszone über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch frühere tschechoslowakische Staatsangehörigkeit durch Volkszugehörigkeit ist unterschiedlich (vgl. SJZ 1948, 396 f.; NJW 1950, 99 und 815; Schätzel, AöR 74, 273 ff.). Nach der glaubhaften Darstellung des Beschwerdeführers könnten diesem im Falle einer Auslieferung nach Österreich schwere Nachteile durch die sowjetische Besatzungsmacht entstehen. Nachdem die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt worden ist und das Bewilligungsverfahren gem § 44 DAG anhängig ist, besteht die Besorgnis, daß die Auslieferung durchgeführt wird. Zur Abwehr der dem Beschwerdeführer drohenden schweren Nachteile ist der Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem § 32 BVerfGG von Amts wegen dringend geboten.

Das Bundesverfassungsgericht trägt keine Bedenken, eine derartige Anordnung auch in dem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde zuzulassen. Das Verfahren über die Verfassungsbeschwerde ist zwar kein Rechtsstreit im herkömmlichen Sinne, in dem zwischen zwei Parteien um geltend gemachtes und bestrittenes Recht gestritten wird. § 32 BVerfGG setzt aber nach seinem Wortlaut und seinem Sinn einen derartigen, beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Rechtsstreit nicht voraus. Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind in den allgemeinen Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht geregelt. Die besonderen Verfahrensvorschriften des Gesetzes enthalten keine Bestimmungen oder Ergänzungen über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Der in § 32 BVerfGG erwähnte Begriff des Streitfalls geht über den der Rechtsstreitigkeit hinaus. Auch erscheint es im allgemeinen öffentlichen Interesse oder zur Abwehr schwerer Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt zweckmäßig, eine vorläufige Regelung auch in anderen Verfahren als in den Rechtsstreitigkeiten im herkömmlichen Sinne zu treffen.