VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31.01.1997 - 8 S 3167/96
Fundstelle
openJur 2013, 10340
  • Rkr:

1. Ob ein Hotel garni die Merkmale eines kleinen Betriebes des Beherbergungsgewerbes erfüllt, kann maßgeblich nach der vorgehaltenen Bettenanzahl bestimmt werden. Dabei kann als Anhaltspunkt dienen, daß solche Frühstückspensionen in Deutschland im Durchschnitt 15 bis 18 Betten haben.

2. Erfüllt ein Hotel garni die Merkmale eines kleinen Betriebes des Beherbergungsgewerbes, so kann es nicht dennoch wegen seines Umfangs der Eigenart eines reinen Wohngebiets widersprechen.

3. In gleicher Weise wird dadurch die Eigenart des Betriebes derart eng beschrieben, daß er nicht wegen seiner Zweckbestimmung im Einzelfall unzulässig sein kann.

4. Auf die Zulassung eines Vorhabens, das das Anforderungsprofil eines kleinen Betriebes des Beherbergungsgewerbes erfüllt, weder nach seiner Anzahl noch nach seiner Lage der Eigenart des Baugebiets widerspricht und keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen hervorruft, besteht ein Rechtsanspruch, wenn keine sonstigen städtebaulichen Gründe entgegenstehen.

Tatbestand

Die Kläger erstreben die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Hotel garni mit Betreiberwohnung und drei Stellplätzen auf dem Grundstück Flst.Nr. Das 2421 qm große Grundstück liegt zwischen der A-Straße in Nordosten, zu der es eine etwa 25 m lange und 3 m breite Verbindung aufweist, und der S-Straße im Südwesten auf einem von Nord nach Süd abfallenden Hang. Es gehört zum Geltungsbereich des am 17.12.1970 beschlossenen Bebauungsplans, der das Gebiet als reines Wohngebiet ausweist. Das geplante Hotel garni soll im Anschluß an eine vorhandene, 8 x 7,5 m große Garage im nördlichen Grundstücksbereich errichtet werden. Geplant sind im Untergeschoß neben Funktionsräumen Räumlichkeiten mit der Zweckbestimmung "Sauna/Dampfbad", "Bad/Ruhen" und "Fitnessraum/Gymnastik". Im Erdgeschoß sind neben der Empfangshalle, der Lobby und der Küche ein Frühstücks- und ein Besprechungsraum sowie ein mit "Clubecke" und "Fernsehecke" bezeichneter Raum und ein Doppelzimmer mit Naßzelle vorgesehen. Im Obergeschoß sollen zwei Doppelzimmer und drei Einzelzimmer eingerichtet werden. Die Zimmergrößen sind - bis auf ein etwas größeres Einbettzimmer - identisch. Im Dachgeschoß ist eine Fünfzimmerwohnung geplant.

Mit ihrem Bauantrag vom 10.5.1995 reichten die Kläger eine schalltechnische Stellungnahme eines Fachbüros vom 5.5.1995 ein, das zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, daß selbst bei maximaler Belegung des Hotels mit sechs Fahrzeugbewegungen pro Tag weniger zu rechnen sei als bei seiner möglichen Nutzung mit sieben Wohneinheiten. Die Lärmeinwirkungen eines Hotel garni seien im Maximalfall mit 0,7 dB(A) geringfügig, im Regelfall mit 2,6 dB(A) deutlich geringer als bei einem vergleichbaren Wohnhaus. Zudem sei ein derartiges Hotel üblicherweise nur wochentags belegt. Eine relevante Mehrbelastung der A-Straße sei weder durch den Betrieb eines Garni-Hotels noch durch eine Nutzung des Gebäudes als Wohnhaus zu erwarten. Auf entsprechende Hinweise der Beklagten legten die Kläger unter dem 4. und 14.12.1995 detaillierte Berechnungen und Nachweise (bezüglich der Grundflächenzahl, der Geschoßzahl, der Grenzabstände, der Nutzflächen und der erforderlichen Stellplätze) bzw. eine hinsichtlich der westlichen Hausfront etwas reduzierte Planung vor. Mit Bescheid vom 31.1.1996 lehnte die Beklagte den Bauantrag ab. Sie führte zur Begründung aus, das geplante Bauvorhaben verstoße gegen die festgesetzte Art der baulichen Nutzung. Eine ausnahmsweise Zulassung komme nicht in Betracht. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans seien bis heute nur "reine" Wohngebäude verwirklicht worden. In dem sensiblen und ruhigen Innenbereich zwischen den Wohngebäuden würde sich ein Hotel garni störend auswirken. Eine Befreiung könne nicht erteilt werden, da die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorlägen. Das geplante Bauvorhaben reiche mit seinem Vorbau auch in die im Bebauungsplan festgesetzte Fläche für ein Leitungsrecht hinein.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Kläger, die sich im wesentlichen darauf beriefen, ihnen stehe ein Rechtsanspruch auf die Zulassung einer Ausnahme nach § 3 Abs. 3 BauNVO zu, wies das Regierungspräsidium mit Bescheid vom 11.6.1996 zurück. Eine Einstufung des geplanten Hotel garni als kleiner Betrieb des Beherbergungsgewerbes im Sinne des § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO sei zwar auch unter der Annahme nicht ausgeschlossen, daß die drei Einzelzimmer auch als Doppelzimmer genutzt werden könnten. Das geplante Gebäude verstoße jedoch im Hinblick auf den vorgesehenen Hotelbetrieb gegen die Vorschrift des § 15 Abs. 1 BauNVO. Es widerspreche insgesamt nach Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets. Von ihm könnten Störungen ausgehen, die diesem nicht zumutbar seien. Das Baugebiet stelle sich als ruhiger, am Ortsrand von S. gelegener Wohnbereich dar, der nicht von intensiver baulicher Nutzung der Grundstücksflächen gekennzeichnet sei. Ein Hotel garni auf dem inmitten des Baugebiets gelegenen Baugrundstück würde eine Beeinträchtigung der Wohnruhe ermöglichen, die mit diesem Gebietscharakter unvereinbar sei. Das für Hotelbetriebe typische Kommen und Gehen der Gäste in den Abendstunden sei der Wohnruhe in besonderem Maße abträglich. Daran ändere auch das vorgelegte schalltechnische Gutachten nichts, weil es die maximal mögliche Belegung des Hotels mit zwölf Gästen nicht berücksichtige. Die Erteilung einer Baugenehmigung mit einer nutzungsbeschränkenden Nebenbestimmung komme nicht in Betracht, weil deren Einhaltung nicht mit zumutbarem Aufwand überwacht werden könne.

Am 9.7.1996 haben die Kläger Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und zur Begründung ausgeführt: Es liege weder ein Verstoß gegen die Eigenart des Baugebiets im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO vor noch eine unzumutbare Belästigung des baulichen Umfeldes im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO. Dabei dürfe nicht darauf abgestellt werden, daß in dem Gebiet bisher nur Wohnhäuser vorhanden seien. Dem geplanten Gebäude könne auch nicht entgegengehalten werden, daß es gewissermaßen in der zweiten Reihe erstellt werden solle. Denn auch die rechts und links liegenden Grundstücke wiesen eine "drei-staffelige" bzw. sogar "vier-staffelige" Bebauung insbesondere in der Grundstücksmitte auf. Im Vergleich zur Nachbarbebauung könne deshalb von einem Fremdkörper keine Rede sein. Zu Unrecht habe die Widerspruchsbehörde von einer möglichen Doppelbelegung der Einzelzimmer auf zusätzliche Fahrzeugbewegungen geschlossen. Die Annahme widerspreche jeder Lebenserfahrung, daß in einem seriösen Hotel-Garni der gehobenen Klasse Gäste im Doppelzimmer mit zwei verschiedenen Fahrzeugen anführen. Im übrigen haben die Kläger eine ergänzende Stellungnahme des Ing.-Büros vorgelegt, wonach die Berechnungsergebnisse im Gutachten vom 5.5.1995 auch bei den personellen Annahmen des Regierungspräsidiums volle Gültigkeit behielten. Es deute nichts auf eine unzumutbare Belästigung der Umgebung hin. Das in § 3 Abs. 3 BauNVO eingeräumte Ausnahmeermessen sei hier auf Null reduziert, weil keine städtebaulichen Gründe der Zulassung des Hotels entgegenstünden. Die Kläger hätten deshalb einen Rechtsanspruch auf die beantragte Baugenehmigung.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat darauf verwiesen, die Unzulässigkeit des geplanten Gebäudes ergebe sich hier aus einer Zusammenschau der mehreren in § 15 Abs. 1 BauNVO genannten Merkmale. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, daß die Erschließung von der A-Straße aufgrund der geringen Zufahrtsbreite keinen Begegnungsverkehr zulasse und zudem ein Steigungsverhältnis von 14% bestehe.

Mit Urteil vom 9.10.1996 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klagen abgewiesen: Das geplante Vorhaben könne zwar noch als kleiner Beherbergungsbetrieb im Sinne des § 3 Abs. 3 BauNVO gelten, es bestünden aber erhebliche Zweifel, ob es sich in den Wohncharakter des Gebiets einordne. Denn es liege nicht etwa am Rande des reinen Wohngebiets, sondern in zweiter Reihe in dessen Mitte. Jedenfalls habe die Beklagte unter Beachtung des einer Ausnahme wesenseigenen Regel-Ausnahmeverhältnisses den Zwecken des Bebauungsplans und der Wesensart des Baugebiets in nicht zu beanstandender Weise höheres Gewicht beigemessen als den Bauinteressen der Kläger. Aufgrund seiner sensiblen Lage widerspreche ein Hotel garni der Eigenart des hier vorliegenden konkreten reinen Wohngebiets. Auf die Frage, ob und inwieweit von dem geplanten Hotel garni unzumutbare Belästigungen und Störungen ausgehen könnten, komme es deshalb nicht mehr an.

Gegen dieses ihnen am 30.10.1996 zugestellte Urteil haben die Kläger am 18.11.1996 Berufung eingelegt. Sie beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Oktober 1996 - 16 K 2625/96 - zu ändern, die ablehnende Verfügung der Beklagten vom 31. Januar 1996 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums vom 11. Juni 1996 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Hotel garni mit Betreiberwohnung auf dem Grundstück Flst.Nr. in S. nach Maßgabe des Baugesuchs vom 10. Mai 1995 in der Fassung der Deckblattänderungen vom 4. und 14. Dezember 1995 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Sie wiederholen ihre Ausführungen erster Instanz und machen ergänzend geltend: Das geplante Hotel-Garni verstoße in keiner Beziehung gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme auf die Umgebung. Es verursache auf Grund seiner Nutzungsstruktur deutlich weniger Beeinträchtigungen oder Belästigungen der Nachbarschaft als eine Wohnnutzung. Es könne keine Rede davon sein, daß es die vorgegebene städtebauliche Ordnung empfindlich störe. Im gesamten Baugebiet seien nahezu alle Grundstücke entsprechend in mittlerer Lage bebaut. Ebenso sei auf nahezu jedem der benachbarten Grundstücke eine vergleichbare Zufahrt hangaufwärts zur A-Straße vorhanden. Die Zufahrt zu dem geplanten Projekt werde die einzige sein, die vollständig beheizt werde, weshalb bei jeder Wettersituation einwandfreie Fahrmöglichkeiten gegeben seien. Völlig außer acht gelassen habe das Verwaltungsgericht auch den Umstand, daß in einem Hotel garni die besonders ruhebedürftigen Wochenendtage wirkliche Ruhetage ohne wesentlichen Gästebetrieb seien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und führt weiter aus: Soweit im weiteren Umfeld des klägerischen Grundstücks die Grundstücke auch im mittleren Bereich bebaut seien, handle es sich sämtlich um Wohnbebauung. Diese Gebäude könnten daher nicht vergleichsweise für das beabsichtigte Hotel garni herangezogen werden. Entgegen der Behauptung der Kläger sei in der Nachbarschaft keine Arztpraxis eingerichtet. Die "Kann-Vorschrift" des § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO könne nicht in eine "Muß-Vorschrift" umgedeutet werden. Es seien zahlreiche Nachbareinwendungen erhoben worden. Auf einen bloßen Vergleich des zu erwartenden Verkehrsaufkommens bei dem Hotel mit der Verkehrsfrequenz eines entsprechenden Wohnbauvorhabens komme es nicht entscheidungserheblich an, weil der Verordnungsgeber von qualitativen Unterschieden der Vorhaben ausgegangen sei. Schließlich führe gerade die Beheizbarkeit der Zufahrt zu einer Atypik, weil sie auch bei schlechter Witterung befahrbar bleibe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässigen Berufungen der Kläger sind begründet. Das Verwaltungsgericht hätte ihren Klagen überwiegend stattgeben und die Beklagte zur Neubescheidung des Bauantrages vom 10.5.1995 (nach Maßgabe der Deckblattänderungen vom 4. und 14.12.1995) verpflichten müssen. Denn dem Vorhaben stehen keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften entgegen (§ 58 Abs. 1 S. 1 LBO). Die Sache ist lediglich noch nicht spruchreif, weil das Vorhaben der Kläger noch nicht bauordnungsrechtlich überprüft wurde.

In bauplanungsrechtlicher Hinsicht beurteilt sich das Vorhaben - unstreitig - nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des - qualifizierten - Bebauungsplans, gegen dessen Gültigkeit Bedenken weder erhoben noch ersichtlich sind. Der Bebauungsplan setzt als Art der baulichen Nutzung ein reines Wohngebiet (WR) fest. In reinen Wohngebieten sind zwar nur Wohngebäude allgemein zulässig (§ 3 Abs. 2 BauNVO aller Fassungen), ausnahmsweise können aber auch u.a. "kleine Beherbergungsbetriebe" zugelassen werden (§ 3 Abs. 3 BauNVO in der auf den Bebauungsplan im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einleitung des Aufstellungsverfahrens - März 1966 - anzuwendenden Fassung v. 26.6.1962, BGBl. I S. 429; § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in der derzeitigen Fassung v. 23.1.1990, BGBl. I S. 132). Das von den Klägern geplante Hotel garni stellt, wovon das Verwaltungsgericht ausgeht, und was die Widerspruchsbehörde jedenfalls nicht in Abrede stellt, einen kleinen Beherbergungsbetrieb im Sinne dieser Vorschrift dar (1.). Seiner Zulassung stehen auch im Hinblick auf seine von der A-Straße abgerückte Lage "in zweiter Reihe" und auf die von seiner Benutzung zu erwartenden Störungen keine städtebaulich relevanten Gründe entgegen (2.). Ein Verstoß gegen sonstige Festsetzungen des Bebauungsplans ist nicht gegeben (3.).

1. Bei dem Vorhaben der Kläger handelt es sich - was nicht ernsthaft streitig sein kann - um einen Beherbergungsbetrieb, denn es sollen Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne daß diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten könnten (BVerwG, Beschluß v. 8.5.1989 - 4 B 78.89 -, ZfBR 1989, 225 = PBauE § 11 BauNVO Nr. 8; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 3 BauNVO RdNr. 33). Es überschreitet auch den Begriff des Beherbergungsbetriebes nicht dadurch, daß - wie sich z. B. aus der geplanten Einrichtung eines "Frühstückszimmers" ergibt - die Gäste im üblichen Rahmen (Frühstück und Erfrischungsgetränke) bewirtet werden sollen (BVerwG, Beschluß v. 24.11.1967 - 4 B 230.66 -, BRS 18 Nr. 24; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 BauNVO RdNr. 20; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, 3. Aufl. 1995, § 3 RdNr. 10).

Das geplante Hotel garni ist auch ein "kleiner" Beherbergungsbetrieb. Wann dieses weitere Merkmal des § 3 Abs. 3 BauNVO 1962 (bzw. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1990) erfüllt ist, läßt sich zwar nicht allgemein umschreiben, weil sein Bedeutungsgehalt auch von den tatsächlichen Auswirkungen der Baugebietsfestsetzung in der konkreten Örtlichkeit abhängt (BVerwG, Beschluß v. 27.11.1987 - 4 B 230 u. 231.87 -, BRS 47 Nr. 36 = PBauE § 3 BauNVO Nr. 2; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 3 RdNr. 19.3). Es entspricht aber allgemeiner Ansicht, daß die Frage, ob der Betrieb noch als "klein" einzustufen ist, im Einzelfall nach der Bettenzahl als einem dafür maßgeblichen Merkmal beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluß v. 27.11.1987, a.a.O.; OVG Lüneburg, Urt. v. 17.7.1979 - VI A 124/78 -, BRS 35 Nr. 49; Leder, BauNVO, 4. Aufl. 1990, § 3 RdNr. 6; Bielenberg, a.a.O. RdNr. 21 m.w.N.; Fickert/Fieseler, a.a.O.). Als Anhalt kann dabei dienen, daß die durchschnittliche Bettenzahl der Fremdenpensionen in Deutschland zwischen 15 (Leder, a.a.O.) und 17,8 (Fickert/Fieseler, a.a.O.; OVG Lüneburg, a.a.O.) liegt. Hinter diesem Mittelwert bleibt das geplante Hotel garni selbst dann deutlich zurück, wenn mit der Widerspruchsbehörde davon ausgegangen wird, daß die in den Bauvorlagen als Einzelzimmer bezeichneten Räume doppelt belegt werden können, mithin eine Aufnahmekapazität von zwölf Gästen besteht.

2. Die Baurechtsbehörden haben zu Unrecht von ihrem sonach gegebenen Ermessen in versagendem Sinne Gebrauch gemacht. Denn das Hotel garni kann sich nicht in dem von den Behörden und dem Verwaltungsgericht angenommenen Maße störend auf seine Umgebung auswirken. Dabei ist davon auszugehen, daß im Rahmen der bei der Erteilung einer Ausnahme zu treffenden Ermessensentscheidung nur städtebauliche Gründe Berücksichtigung finden dürfen (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 31 RdNr. 26; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 4. Aufl. 1994, § 31 RdNr. 19). Da die Ausnahme (vgl. § 31 Abs. 1 BauGB) - anders als eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB - im Bebauungsplan selbst angelegt ist, beschränkt sie sich nicht nur auf die Zulassung einzelner atypischer Sonderfälle im strengen Sinne (VGH Bad.-Württ., Beschluß v. 18.1.1995 - 3 S 3153/94 - VBlBW 1996, 24; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 RdNr. 16 m.w.N.). Die Ausnahme darf andererseits nicht dazu dienen, den Bebauungsplan in seinen Grundzügen zu verändern und die eigentlichen planerischen Festsetzungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Ausnahmsweise zugelassene Vorhaben müssen quantitativ deutlich hinter der Regelbebauung zurückbleiben. Sie dürfen keine prägende Wirkung auf die Eigenart des Baugebiets entfalten (Dürr, a.a.O., § 31 RdNr. 17). Insbesondere darf der Nutzungscharakter eines Baugebiets durch Ausnahmen nicht in einer seiner gesetzlichen Typik widersprechenden Weise verändert werden. Dies folgt unmittelbar aus § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauNVO, der auch das Ausnahmeermessen begrenzt (VGH Bad.-Württ, Beschluß v. 18.1.1995, a.a.O.; Löhr, a.a.O., § 31 RdNr. 14), sowie aus § 15 BauNVO, der sich nach allgemeiner Meinung sowohl auf die generelle als auch die ausnahmsweise Zulässigkeit von Vorhaben bezieht (BVerwG, Beschluß v. 18.8.1995 - 4 B 183.95 -, ZfBR 1996, 52 = PBauE § 4 BauNVO Nr. 11; Urt. v. 5.8.1993 - 4 C 96.79 -, VBlBW 1984, 111 = PBauE § 15 BauNVO Nr. 1; Bielenberg, a.a.O., § 15 BauNVO RdNr. 7).

Nach diesen Maßstäben kann die Erteilung der erforderlichen Ausnahme nicht verweigert werden. Die Grundzüge der Planung und die festgesetzte Nutzungsart als reines Wohngebiet werden nicht berührt. Ein quantitatives Zurückbleiben hinter der Regelbebauung steht ebenfalls außer Frage. Etwas anderes wird auch von den Behörden und dem Verwaltungsgericht nicht angenommen. Die Behörden und das Verwaltungsgericht berufen sich statt dessen auf § 15 Abs. 1 BauNVO. Auch diese Vorschrift trägt jedoch die Ablehnung des Bauantrags nicht:

a) Nach § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO sind auch die in den Ausnahmekatalogen der jeweiligen Baugebietsvorschriften der §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Allerdings können die Kriterien "Umfang" und "Zweckbestimmung" bei Vorhaben, die den Begriff des kleinen Beherbergungsbetriebs i.S.v. § 3 Abs. 3 BauNVO erfüllen, keine Rolle mehr spielen. Denn durch das Attribut "klein" wird eine Umfangsbegrenzung bereits in § 3 Abs. 3 BauNVO vorweggenommen (Ziegler, a.a.O., § 3 BauNVO RdNr. 42; Bielenberg, a.a.O., § 3 BauNVO RdNr. 21). Ein kleiner Beherbergungsbetrieb kann deshalb nicht - dennoch - wegen seines Umfangs der Eigenart eines reinen Wohngebiets widersprechen. Dasselbe muß für das Merkmal "Zweckbestimmung" gelten, das in der Beschränkung auf reine Beherbergungsbetriebe in § 3 Abs. 3 BauNVO ebenfalls bereits enthalten ist. Die "Anzahl" kann - wie die Kläger zu Recht hervorheben - im vorliegenden Fall keine Bedeutung gewinnen, weil das Hotel garni das erste seiner Art im Plangebiet ist. Schließlich kann auch das vierte in § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO genannte Unzulässigkeitsmerkmal, die Lage, dem Vorhaben der Kläger nicht entgegengehalten werden. Denn der Bebauungsplan läßt offensichtlich bewußt durch die bloße Ausweisung von Baugrenzen entlang der Straßen eine Bebauung auch der gerade im Bereich zwischen der A-Straße und der S.-Straße überwiegend sehr großen Grundstückstiefen zu. Dazu bestand schon bei der Planaufstellung Anlaß. Denn aus der am 28.10.1969 gefertigten Planunterlage geht hervor, daß bereits damals in den rückwärtigen Bereichen der Baugrundstücke bzw. auf "gefangenen" Grundstücken Wohngebäude vorhanden waren. Hinzugekommen sind zwischenzeitlich die Wohnhäuser S. 18 A, C und D sowie 20. Bestätigt wird dieser Planungswille durch die Ausweisung und den Verlauf des Leitungsrechts, das den hier zwischen 80 und 125 m breiten Baustreifen vom Grundstück Flst.Nr. im Osten bis zum Flst.Nr. im Westen etwa in der Mitte durchschneidet und nur den Zweck haben kann, eine Versorgung von in diesen rückwärtigen Zonen zu errichtenden Gebäuden sicherzustellen. Insofern entspricht der geplante Standort des Vorhabens der Kläger durchaus den Bebauungsvorstellungen, die dem Plan zugrunde liegen. Es setzt die planerisch und tatsächlich gegebene Situation fort und kann deshalb nicht wegen seiner "sensiblen Lage", wie das Verwaltungsgericht meint, unzulässig sein. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall ausschlaggebend von dem, ebenfalls einen Beherbergungsbetrieb in einem reinen Wohngebiet betreffenden Fall, der dem Beschluß des BVerwG v. 29.1.1982 (- 4 B 204.81 -, BRS 39 Nr. 45) zugrunde lag. Denn dort war der das Baugrundstück unmittelbar umgebende Teil des reinen Wohngebiets in besonderer Weise durch eine "ruhige Sackgasse" geprägt. Demgegenüber kann vorliegend nicht in gleicher Weise darauf abgestellt werden, wie es im Widerspruchsbescheid geschehen ist, daß das Gebiet seine besondere Prägung durch den Umstand erfahre, daß die in es hineinführenden Straßen nicht der Aufnahme von Durchgangsverkehr dienten. Denn immerhin handelt es sich bei ihnen um großräumige, mehrfach verknüpfte Straßen, die - über die L.straße im Südosten und die C-Straße im Nordwesten - mit dem weiteren Straßennetz verbunden sind.

b) Auch die Annahme des Regierungspräsidiums, das geplante Hotel garni sei nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO unzulässig, weil von ihm unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen könnten, trifft nicht zu. Soweit es hierzu anführt, das für Hotelbetriebe allgemein und auch für solche der hier geplanten Art typische Kommen und Gehen der Gäste in den Abendstunden sei der Wohnruhe in besonderem Maße abträglich, vermag ihm der Senat schon deshalb nicht zu folgen, weil selbst bei einer in der Widerspruchsentscheidung unterstellten Maximalbelegung mit zwölf Gästen allenfalls das Geräuschniveau eines - ohne weiteres zulässigen - Mehrfamilienwohnhauses erreicht wird. Daß der auf der - von der A-Straße stark abschüssigen - Zufahrt zu den Stellplätzen zu erwartende Fahrzeuglärm die Grenze der Zumutbarkeit (vgl. dazu Senatsurt. v. 11.5.1990 - 8 S 220/90 -, VBlBW 1990, 463 = ESVGH 40, 287) auch nicht annähernd erreichen wird, ergibt sich aus den einleuchtenden Ausführungen in der von den Klägern mit dem Baugesuch vorgelegten schalltechnischen Stellungnahme des Ingenieurbüros B.+ S. vom 5.5.1995. Entgegen der Annahme des Regierungspräsidiums kann ihr nicht entnommen werden, daß nach der von den Gutachtern angewandten Berechnungsweise dann eine nicht mehr gebietsverträgliche Beeinträchtigung der Wohnruhe gegeben sei, wenn eine Aufnahmekapazität von zwölf Gästen angenommen werde, wovon nach dem objektiven Inhalt der Bauvorlagen auszugehen sei. Denn der Stellungnahme liegt ausdrücklich die Annahme zugrunde, daß die An- und Abfahrt der Gäste eines Doppelzimmers mit einem Pkw erfolgt. Bedenken gegen diesen Ausgangspunkt sind - wie die Kläger zu Recht anführen - nicht angezeigt. An der angenommenen Fahrzeugfrequenz würde sich deshalb bei einer Umwandlung der Einzel- in Doppelzimmer nichts ändern. Dies haben die Gutachter mit Schreiben vom 10.7.1996 ausdrücklich bestätigt.

c) Da sonstige städtebaulichen Gründe, die der Zulassung des Vorhabens der Kläger im Wege der Ausnahme widersprechen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich sind, bleibt für eine negative Ermessensentscheidung kein Raum mehr. Damit wird das dem Institut der Ausnahme wesenseigene Regel-Ausnahme- Verhältnis (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ., Beschluß v. 18.1.1995, a.a.O.) nicht aufgegeben. Vielmehr entspricht es allgemeiner Meinung und - soweit ersichtlich - durchgängiger Behördenpraxis, daß das an sich durch § 31 Abs. 1 BauGB und § 3 Abs. 3 BauNVO eingeräumte Ermessen auf "Null" reduziert ist, wenn keine sonstigen städtebaulichen Gründe der Ausnahme entgegenstehen (Fickert/Fieseler, a.a.O. § 3 RdNr. 19.6; Ziegler, a.a.O., § 2 BauNVO RdNr. 56; Söfker, a.a.O., § 31 RdNr. 26; Schlichter, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, § 31 RdNr. 15; vgl. auch zu § 4 Abs. 1 LBO: Senatsurt. v. 12.9.1996 - 8 S 1844/96 -, VBlBW 4/1997).

3. Auch im übrigen widerspricht das Vorhaben der Kläger nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die zulässigen Geschoß- und Grundflächenzahlen werden eingehalten. Das ergibt sich im einzelnen aus den auch von der Beklagten nicht beanstandeten Berechnungen des Architekten der Kläger vom 4.12.1995 (/38 und /39 der Akten der Beklagten). Das über das Grundstück der Kläger verlaufende Leitungsrecht wird nicht tangiert. Der Vorbau an der Südwestfassade des geplanten Gebäudes ragt zwar bis maximal 0,7 m in die Leitungsrechtsfläche hinein, er steht aber - wie sich dem Schnitt A-A der Bauvorlagen entnehmen läßt - nicht auf dem Gelände auf und kann deshalb eine Verlegung oder Reparatur von Leitungen nicht behindern.

Im Hinblick auf eventuell mit der Baugenehmigung zu verbindende Auflagen ist die Sache noch nicht spruchreif, weshalb der Senat die Beklagte nur verpflichten kann, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Kläger ist gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO für notwendig zu erklären. Ein verständiger Beteiligter in der Lage der Kläger durfte mit Blick auf die Bedeutung und Schwierigkeit der Sache vernünftigerweise die Einschaltung eines Rechtsanwalts schon im Widerspruchsverfahren für erforderlich halten.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.