OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.04.2010 - 6 U 5/10
Tenor

I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 23.12.2009 - 5 O 415/09 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt neu gefasst:

Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, untersagt, im geschäftlichen Verkehr folgende Angabe zu verwenden:

„L. ist der größte Kompletthersteller der Branche“.

Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Verfügungsverfahrens tragen die Verfügungsklägerin 13/14, die Verfügungsbeklagte 1/14.

Tatbestand

Die Parteien sind Unternehmen, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Lasersystemen sowie der Konzeption und Programmierung sogenannter Lasershows beschäftigen.

Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) wendet sich gegen zahlreiche Aussagen der Verfügungsbeklagten (nachfolgend: Beklagte), die sich auf deren Homepage finden. Sie meint, die Beklagte nehme mit diesen Aussagen zu Unrecht eine Spitzenstellung oder die Zugehörigkeit zu einer Spitzengruppe für ihr Unternehmen und für einzelne Produkte in Anspruch.

Die Klägerin hat beim Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, der dort am 06.11.2009 eingegangen ist:

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das LG Karlsruhe sei örtlich zuständig. Die Erhebung einer Widerklage mit den gleichen Anträgen in einem vor dem LG Stuttgart zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit könne die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe nicht in Frage stellen, weil sie zeitlich nach der Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfolgte.

Die Beklagte ist dem Antrag entgegen getreten.

Sie hat gerügt, das Landgericht Karlsruhe sei örtlich nicht zuständig. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass die hiesige Klägerin in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Stuttgart - 17 O 345/09 - mit Schriftsatz vom 13.11.2009 gegen die hiesige Beklagte Widerklage mit einem Unterlassungsantrag erhoben hat, der dem Verfügungsantrag entspricht (Anlage AG 1). Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, damit sei das LG Stuttgart Gericht der Hauptsache i.S. von § 937 ZPO, das LG Karlsruhe mithin unzuständig. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO sei hier nicht einschlägig. Für die Frage der Zuständigkeit komme es vielmehr auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an.

Die Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, es fehle an einem Verfügungsgrund. Im Hinblick darauf, dass es im März 2008 zu rechtlichen Auseinandersetzungen der Parteien gekommen sei, sei es unglaubwürdig, wenn die Klägerin nunmehr behaupte, erst jetzt die Internet-Präsentation der Beklagten zur Kenntnis genommen zu haben. Die überwiegende Anzahl der jetzt angegriffenen Aussagen habe sich schon 2008 auf der Homepage gefunden. Jedenfalls von den angegriffenen Aussagen 2, 3, 4, 5, 8 und 14 habe die Klägerin spätestens am 10.09.2009 Kenntnis erlangt, da ihr zu diesem Zeitpunkt ein entsprechender Internet-Ausdruck im Rahmen des Rechtsstreits vor dem LG Stuttgart als dortige Anlage K 2 mit der Klageschrift zugestellt worden sei.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unzulässig angesehen. Es fehle an der örtlichen Zuständigkeit. Zuständig sei nach § 937 Abs. 1 ZPO das Gericht der Hauptsache. Das sei das LG Stuttgart, nachdem die Beklagte dort Widerklage mit gleichen Anträgen erhoben hat. Abzustellen sei nicht auf den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung, sondern auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über den Verfügungsantrag.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihre Anträge erster Instanz weiter verfolgt. Sie meint, das Landgericht habe seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Hilfsweise beantragt sie Verweisung an das LG Stuttgart.

Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel und dem Verweisungsantrag entgegen. Sie ist der Ansicht, das Landgericht habe seine Zuständigkeit zu Recht verneint. Maßgeblich sei insoweit die Regelung in § 937 Abs. 1 ZPO, der sich entnehmen lasse, dass die Zuständigkeit für die Hauptsache und das Verfahren einstweiliger Verfügung beim gleichen Gericht liegen sollten. Die Regelung in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO habe demgegenüber zurückzutreten. Ohnehin sei das Landgericht Karlsruhe örtlich nicht zuständig gewesen. Auf § 14 Abs. 2 UWG könne sich die Klägerin insoweit nicht stützen, weil nicht dargetan sei, dass sich die beanstandeten Werbeaussagen gerade im Bezirk dieses Gerichts auswirken könnten. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens im ersten Rechtszug vertritt die Beklagte zudem die Ansicht, es fehle an einem Verfügungsgrund.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sie hat jedoch nur zu einem geringen Teil Erfolg.

1. Das Landgericht Karlsruhe hat seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint.

a) Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 14 Abs. 2 UWG. Danach ist für Klagen, mit denen Ansprüche aus dem UWG verfolgt werden, das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Wird, wie hier, eine Werbung im Internet angegriffen, kommt es darauf an, welchem Personenkreis die Werbung bestimmungsgemäß und nicht bloß zufällig zur Kenntnis gebracht wird. Die Internet-Seiten der Beklagten, auf denen sich die angegriffenen Aussagen finden, sind (auch) in deutscher Sprache verfasst und richten sich damit jedenfalls auch an Kunden im Bundesgebiet. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nur Kunden in unmittelbarer räumlicher Nähe ihres Firmensitzes, also etwa nur in Württemberg, ansprechen will, sind nicht ersichtlich. Vielmehr betont die Beklagte, dass sie international tätig ist. Die angegriffenen Werbeaussagen zielen damit - mindestens - auf Kunden im gesamten Bundesgebiet und wirken sich daher auch im Bezirk des Landgerichts Karlsruhe aus.

b) Die örtliche Zuständigkeit ist auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin nach Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch Erhebung einer Widerklage vor dem Landgericht Stuttgart die Hauptsache anhängig gemacht hat.

aa) Nach § 937 Abs. 1 ZPO ist für den Erlass einer einstweiligen Verfügung das Gericht der Hauptsache zuständig. Welches Gericht das ist, hängt zunächst davon ab, ob die Hauptsache bei Einreichung des Verfügungsantrags bereits anhängig ist. Ist eine Hauptsache zu diesem Zeitpunkt noch nicht anhängig, ist für das Verfügungsverfahren jedes Gericht zuständig, bei dem eine Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Auflage, Kap. 54 Rn. 7). Danach war für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - auch - das Landgericht Karlsruhe zuständig, dessen Zuständigkeit sich, wie ausgeführt, aus § 14 Abs. 2 UWG ergab.

bb) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde am 06.11.2009 beim Landgericht Karlsruhe eingereicht. In einem zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vor dem LG Stuttgart hat die hiesige Klägerin mit Schriftsatz vom 13.11.2009 eine Widerklage erhoben, mit der sie die gleichen Anträge verfolgt. Die Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe für das Verfügungsverfahren ist dadurch nicht entfallen (OLG Hamburg, OLGReport Hamburg 2000, 474; LG München I, InstGE 4, 198, Tz. 37; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Auflage, Rn. 114, Büscher, in: Fezer, UWG, 2. Auflage, § 12 Rn. 109; Sosnitza, in: Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Auflage, § 12 Rn. 120; Schlingloff, in: MünchKomm-UWG, § 12 Rn. 362). Das ergibt sich aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, wonach die Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine nachträgliche Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird. Gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung spricht auch, dass sie dem Verfügungskläger die Möglichkeit eröffnete, den Gerichtsstand zu manipulieren. Er könnte dem Gericht, bei dem er einen Verfügungsantrag eingereicht hat, das dann aber beispielsweise eine ihm ungünstige Rechtsauffassung vertritt, die Zuständigkeit entziehen, in dem er andernorts Hauptsacheklage einreichte.

Auch aus der vom Landgericht angeführten Stelle aus der Kommentierung des § 919 ZPO von Huber (in: Musielak, ZPO, 7. Auflage, § 919 Rn. 4) kann nichts anderes geschlossen werden. Danach genügt es für die Zuständigkeit des Amtsgerichts für einen Arrestantrag, wenn sich die mit Arrest zu belegende Sache zwar noch nicht zum Zeitpunkt der Einreichung des Arrestantrags, aber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über diesen Antrag im Bezirk dieses Gerichts befindet. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, es komme für die Zuständigkeit des Gerichts stets auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an. Dem steht § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entgegen. Nach dem Grundsatz der perpetuatio fori wird zwar nicht die bei Antragseinreichung bestehende Unzuständigkeit, wohl aber eine zu diesem Zeitpunkt bestehende Zuständigkeit bewahrt (Greger, in: Zöller, ZPO, 28. Auflage, § 261 Rn. 12).

Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht daraus, dass nach einer verbreiteten Auffassung die Verweisung der Hauptsache an ein anderes Gericht dazu führt, dass dieses zugleich nach § 937 Abs. 1 ZPO für ein Verfügungsverfahren zuständig wird (vgl. etwa Furtner, DRiZ 1955, 109, 110; Teplitzky, a.a.O., Kap. 54 Rn. 5; Drescher, in: MünchKomm-ZPO, 3. Auflage, § 919 Rn. 5; Grunsky, in: Stein-Jonas, ZPO, § 919 Rn. 5). Die Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ist hier ausnahmsweise eingeschränkt. Das rechtfertigt sich jedoch daraus, dass die Zuständigkeit für das Verfügungsverfahren in dieser Konstellation an die Anhängigkeit der Hauptsache gekoppelt ist und daher zunächst nicht geprüft wird (Grunsky a.a.O, Rn. 5). Stellt sich heraus, dass das angerufene Gericht für die Hauptsache nicht zuständig ist, entfällt damit auch die Zuständigkeit für das Verfügungsverfahren (oder das Arrestverfahren). In diesem Falle liegen die Voraussetzungen des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO daher zwar nach dem Wortlaut vor, doch fehlt es an einer inneren Rechtfertigung für die Anwendung dieser Bestimmung. Diese Argumentation kann auf den hier vorliegenden Fall, in dem zunächst eine einstweilige Verfügung bei einem sachlich zuständigen Gericht beantragt und erst später die Hauptsache anhängig gemacht wird, nicht übertragen werden.

2. Ein Verfügungsgrund liegt vor. Nach § 12 Abs. 2 UWG wird die Dringlichkeit vermutet. Die Vermutung ist nicht widerlegt.

a) Dass mit einer baldigen Entscheidung des Landgerichts Stuttgart im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist, stellt die Dringlichkeit nicht in Frage. Teilweise wird in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass es an einem Verfügungsgrund fehlt, wenn ein endgültiger, wenn auch noch nicht rechtskräftiger Titel in der Hauptsache vorliegt (Senat, WRP 1996, 590; Berneke, a.a.O. Rn. 57 m.w.N.). Solange eine solche Entscheidung jedoch noch nicht vorliegt, reicht die bloße Anhängigkeit der Hauptsache nicht aus, um das Bedürfnis für eine Entscheidung im Eilverfahren zu verneinen.

b) Die Dringlichkeitsvermutung ist auch nicht durch zögerliches Verhalten der Klägerin entfallen. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist die Dringlichkeitsvermutung widerlegt, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung längere Zeit wartet, obwohl der Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß und von der Person des Verletzers hatte oder die fehlende Kenntnis dieser Umstände auf grober Fahrlässigkeit beruht (Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Auflage, § 12 Rn. 3.15). Das kann im Streitfall jedoch nicht angenommen werden. Die Beklagte hat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Klägerin schon vor November 2009 Kenntnis von den hier angegriffenen Aussagen auf der Homepage der Beklagten hatte oder hätte haben müssen.

aa) Die Beklagte hat vorgetragen und durch die Anlage AG 40 belegt, dass bis auf die Aussage 9 sämtliche der jetzt angegriffenen Aussagen schon in den Jahren 2007 oder 2008 in das Internet eingestellt worden sind. Damit ist jedoch nicht dargetan, dass die Klägerin hiervon bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis hatte bzw. es auf grober Fahrlässigkeit beruhte, wenn sie keine Kenntnis davon nahm. Eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht und damit eine Verpflichtung, die werbliche Präsentation der Wettbewerber zu prüfen, besteht auch dann nicht, wenn es aus anderen Gründen - hier wegen der Verwendung von Lichtbildern - zu rechtlichen Auseinandersetzungen gekommen ist.

bb) Die Beklagte hat im ersten Rechtszug weiter vorgetragen, es sei bereits im März 2008 zu rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien gekommen, in denen es auch um die Gestaltung der wechselseitigen Internetseiten gegangen sei. Sie hat diesen Vortrag jedoch auch nach dem Hinweis des Gerichts vom 18.03.2010 nicht konkretisiert. Nach der als Anlage AG 39 vorgelegten Unterlassungserklärung stritten die Parteien damals über die Verwendung von Abbildungen durch die Klägerin. In welcher Hinsicht im Zusammenhang mit dieser Streitfrage die Internet-Präsentation der Beklagten Thema der Diskussion war, ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen.

cc) Der Hinweis der Beklagten darauf, dass der Klägerin in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Stuttgart am 10.09.2009 mit der dort eingereichten Klageschrift die dortige Anlage K 2 (hier: Anlage AG 42) übermittelt wurde, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zum damaligen Zeitpunkt waren die hier angegriffenen Aussagen nicht Gegenstand des vor dem LG Stuttgart geführten Rechtsstreit. Die hiesige Klägerin war zwar gehalten, die Anlage zur Kenntnis zu nehmen und im Hinblick auf ihre Relevanz für die gegen sie erhobene Klage zu prüfen. Es kann jedoch nicht als grob fahrlässig angesehen werden, wenn sie den ihr übermittelten Internet-Ausdruck nicht sogleich auf mögliche Wettbewerbsverstöße der Beklagten überprüft hat.

3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist jedoch nur teilweise begründet ( im Folgenden werden vierzehn angegriffene Werbeaussagen abgehandelt ).

4. Nach alledem ist die Berufung der Klägerin nur in Bezug auf die Aussage 14 erfolgreich, im Übrigen ist sie als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.