LG Stuttgart, Beschluss vom 06.03.2008 - 17 O 68/08
Fundstelle
openJur 2010, 403
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Im Weg der einstweiligen Verfügung suchte der Antragsteller der Antragsgegnerin die Verwendung eines sechsseitigen Dienstleistungsvertrags (Bl. 3 - 8 d.A.) zu verbieten. Der Antragsgegner hatte diesen Vertrag zumindest in vier Fällen bei der Vermittlung von polnischen Seniorenpflegekräften verwendet. Der Vertrag stimmt bis auf kleine sprachliche Abweichungen und die Textformatierung mit dem als Anl. A1 vorgelegten Vertragstext überein, den der Antragsteller nach seiner Behauptung selbst entworfen hat. Dabei stützt sich der Antragsteller auf Urheber- und Wettbewerbsrecht. In der mündlichen Verhandlung gab die Antragsgegnerin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Beide Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II.

Über die Kosten ist gemäß § 91a ZPO nach dem letzten Sach- und Streitstand, der Rechtslage und auch unter Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Dies führt dazu, die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen, weil er in dem Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre.

1. Urheberrechtliche Ansprüche bestehen nicht. Dem als Anl. Ast. 2 vorgelegten Vertrag fehlt die besondere Schöpfungshöhe im Sinn von § 2 Abs. 2 UrhG, die erforderlich ist, um einer bloßen Gebrauchsschrift Werkqualität zuerkennen zu können.

a) Von vornherein ausscheiden muss Urheberschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG, wie ihn etwa das LG Potsdam in der vom Antragsteller vorgelegten Entscheidung vom 12.12.2007 (Az. 2 O 391/07, Anl. Ast 6) angenommen hat. Der Vertrag ist keine „Darstellung“ im Sinn dieser Vorschrift, die sich ausschließlich auf Ausdrucksmittel außerhalb der Sprache bzw. Schrift bezieht (also Grafiken, Zeichnungen, Karten etc.; allgM.; vgl. Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 192). Bei solchen „Darstellungen“ sind die Gestaltungsmöglichkeiten begrenzter mit der Folge, dass auch die sog. kleine Münze Schutz genießt. Anders ist es bei den Sprachwerken der vorliegenden Art.

b) Bei nicht-literarischen Sprachwerken im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG ist weder die alltägliche, handwerklich saubere Gestaltung noch die darüber hinausgehende, besonders gelungene Schöpfung geschützt. Auch gut durchdachte, strukturiert aufgebaute und stilistisch gelungene Vertragswerke genießen keinen Urheberschutz. Dessen Schutzuntergrenze beginnt vielmehr erst, wenn der Vertrag aus der Reihe der vergleichbaren Verträge weit hervorsticht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat jüngst die insoweit geltenden Anforderungen zutreffend wie folgt zusammengefasst und dabei die entsprechende Instanzentscheidung der erkennenden Kammer bestätigt (Beschluss vom 07.02.2008, Az. 4 U 221/07):

„Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei Schriftwerken, die keine literarischen Werke sind, sondern einem praktischen Gebrauchszweck dienen, die Schutzuntergrenze höher anzusetzen ist. Danach liegen die Durchschnittsgestaltung, das rein Handwerksmäßige, Alltägliche und Banale außerhalb jeder Schutzfähigkeit. Aber auch das bloße Überragen des rein Handwerklichen und Alltäglichen genügt nicht, sondern die untere Grenze der Urheberrechtsfähigkeit beginnt erst in einem erheblich weiteren Abstand. Erforderlich ist ein deutliches Überragen der Gestaltungstätigkeit gegenüber der Durchschnittsgestaltung, weil hier ein weiter Bereich von Formen liegt, die jedem zugänglich bleiben müssen (vergleiche nur Loewenheim in Schricker, UrhG, 3. Aufl., 2006, § 2 Rn. 31, 34 mit umfangreichen Nachweisen zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und einer instruktiven Darstellung zur Entwicklung der Rechtsprechung auf Rn. 31 - 36).“

b) Diese Kriterien entsprechen auch dem Stand der führenden Kommentarliteratur, die sich darin einig ist, dass Urheberschutz bei Gebrauchsschriften nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht kommen kann (Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 2 Rn. 26, 27, 93, 95; Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 56, 57, 59; v. Gamm in: Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, Stand Dez. 2007, § 2 Rn. 58; Loewenheim in Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl. § 2 Rn. 31, 34 sowie Rn. 112; Nordemann/Vinck in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl., § 2 Rn. 31, 32; Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Aufl., § 2 Rn. 76). Gerade zutreffend und präzise formulierte Vertragsformulierungen müssen für die Allgemeinheit frei bleiben (Loewenheim aaO. Rn. 112).

c) Die nicht völlig einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung hat jedenfalls im Kern zum Inhalt, dass Standardformulierungen und durchschnittlichen, alltäglichen Schriftstücken auf wissenschaftlichem bzw. juristischem Gebiet die Werkqualität fehlt (BGH v. 10.10.1991, Az. I ZR 147/89, GRUR 1993, 34, 36 - Bedienungsanweisung; BGH v. 17.04.1986, Az. I ZR 213/83, GRUR 1986, 739, 740 - Anwaltsschriftsatz; BGH v. 21.11.1980, Az. I ZR 106/78 - Staatsexamenshausarbeit). Nur besondere Leistungen bei der Zusammenstellung von Inhalten (BGH v. 21.11.1991, Az. I ZR 190/89, GRUR 1992, 382 - Leitsätze), Themen (BGH v. 12.07.1990, Az. I ZR 16/89, GRUR 1981, 130 - Themenkatalog) oder bei der anschaulichen Umsetzung eines komplexen technischen Sachverhalts (BGH v. 11.04.2002, Az. I ZR 231/99, GRUR 2002, 958 - technisches Regelwerk) rechtfertigen es, eine solch herausragende und urheberrechtlich zu schützende Gestaltung anzunehmen. Speziell bei Verträgen haben daher die Gerichte - soweit ersichtlich - jeweils nur dann auf Urheberschutz erkannt, wenn es sich um besonders komplexe, aufwendige und umfangreiche Verträge gehandelt hat wie Anlageverträge in Immobilienanlageprogrammen und Gesellschaftsverträge (LG Hamburg v. 04.06.1986, Az. 74 O 283/85 - Gesellschaftsvertrag; LG Köln v. 21.11.1986, 28 O 291/86, GRUR 1987, 905 - Vertragswerk). Soweit das LG Berlin in der Entscheidung vom 04.08.2005 (Az. 16 O 83/05, ZUM 2005, 842 - Host-Providing-Mustervertrag) möglicherweise einen geringeren Maßstab angelegt hat, handelt es sich um eine vereinzelt gebliebene Sondermeinung.

d) Nach diesen Kriterien ist der vom Antragsteller für sich beanspruchte Vertrag zwar als individuell, zweckmäßig und möglicherweise sogar als gelungen zu bezeichnen, aber nicht als überragend, überdurchschnittlich oder Spitzen- bzw. Ausnahmeprodukt im obigen Sinn. Die Sprache ist ersichtlich angelehnt an typische juristische Vertragsformulierungen, die der Antragsteller als Nichtjurist ohnehin bereits existierenden Verträgen entnommen haben muss. Bei einer großen Zahl von Sätzen handelt es sich um Standardsätze wie „Der Leistungserbringer kann … Dritte beauftragen“, „Der Vertrag kann … mit einer Kündigungsfrist von 14 Tagen vorzeitig gekündigt werden“ oder „Die monatlichen Kosten .. belaufen sich auf ..“. Auch die Gliederung in sieben Paragraphen und der Aufbau von den „Allgemeinen Bestimmungen“ bis zu „Datenschutz und Schweigepflicht“ entsprechen den üblichen Vertragsmustern und sind geprägt von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Das äußere Erscheinungsbild folgt gewohnten Pfaden (und ist im Übrigen auch nicht vom Gegner übernommen worden).

e) Bei seiner abweichenden Beurteilung verkennt der Antragsteller, dass die Regelungsmaterie als solche, nämlich eines speziellen Vertrags zur Vermittlung von polnischen Pflegerinnen an deutsche Senioren, die eventuelle Neuheit der Materie und vor allem die Mühe der Erstellung keine ausreichende Grundlage für die Werkqualität des Produktes sind. Die hinter den Formulierungen eines wissenschaftlichen Werkes stehenden Ideen, die sog. Lehren, und damit auch die in einem Vertrag geregelte rechtliche Materie, sind stets frei und begründen nie urheberrechtlichen Schutz (vgl. etwa BGH v. 12.07.1990 - Themenkatalog, aaO.). Solche „Erfindungen“ begründen trotz möglicher Neuheit keine Ausschließlichkeitsstellung. Der Antragsteller kann beispielsweise weder die Idee, mit Blick auf die Grenzen der Dienstleistungsfreiheit die in § 1 Abs. 2 des Vertrags niedergelegten Regeln in den Vertrag aufzunehmen, noch die Idee, ein Zimmer mit ausreichender Belüftung zum Gegenstand der vertraglichen Verpflichtung zu machen, für sich monopolisieren, sondern allenfalls die Art der Zusammenfassung und Präsentation dieser Inhalte.

f) Es mag sein, dass einzelne Formulierungen wie der vom Antragsteller hervorgehobene „Frischluftzugang“ des Zimmers der Servicekraft (§ 2 Abs. 1) oder die „Dienst- und Freizeitpläne“ (§ 1 Abs. 2 b) ungewöhnlich und originell sind. Selbst wenn insofern ein Urheberrecht an solchen Einzelformulierungen anzuerkennen wäre - was die Kammer ebenfalls für mehr als zweifelhaft hielte - so wäre damit keineswegs das gesamte Vertragswerk geschützt. Selbst wenn den Antragsgegnern daher die Übernahme von zwei oder drei Einzelformulierungen hätte verboten werden können, so wäre der Antragsteller mit seinem Antrag insgesamt daher ganz überwiegend gescheitert, was ebenfalls zur vollen Kostenlast geführt hätte (§ 92 Abs. 2 ZPO).

g) Urheberschutz als Sammelwerk (§ 4 UrhG) oder Datenbankschutz (§ 87a UrhG) kommen zur Begründung eines Verbots ebenfalls nicht in Betracht, weil eine besondere Auswahl-, Sammel- und Ordnungsleistung nicht schon in der Formulierung eines auf sieben Paragraphen verteilten Vertrags liegt. Solches ist auch nicht aufgezeigt.

2. Der Antrag wäre auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten nicht erfolgreich gewesen. Erfüllt eine Handlung nicht den Tatbestand einer Urheberrechtsverletzung, so ist zwar die Anwendung des § 3 i. V. m. § 4 Nr. 9 UWG nicht ausgeschlossen. Es müssen aber besondere, außerhalb der Sondertatbestände des Urheberrechtsgesetzes liegende Umstände hinzutreten, um die Unlauterkeit zu begründen (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl., § 4 Rn. 9.7). Daran fehlt es. Der Antragsteller macht nicht geltend, dass sein Dienstleistungsvertrag so bekannt sei, dass der Verkehr in ihm einen Hinweis auf sein Unternehmen sehe oder ihn als besonders wertig schätze. Das ist angesichts der verhältnismäßig kurzen Zeit der Verwendung seit 2005 auch kaum denkbar. Solche Umstände wären aber Voraussetzung dafür, dass die Antragsgegnerin durch die Verwendung des leicht abgeänderten Vertrags den Verkehr über die Herkunft des Regelungswerks oder den Inhalt ihrer (Vermittlungs-) Leistung täuschen könnte oder dass eine vorhandene Wertschätzung ausgebeutet werden könnte. Unabhängig davon, ob die Antragsgegnerin die Vorlage für ihren Vertrag vom Großvater eines ihrer Geschäftsführer oder - was angesichts des vorgelegten Schriftverkehrs eher anzunehmen ist - von Fa. S… aus Polen erhalten hat, fehlt es am alternativen Merkmal der unredlichen Informationsgewinnung, die regelmäßig strafbares Verhalten oder Täuschung bzw. Vertrauensbruch voraussetzt (Köhler aaO. Rn. 9.61 f.). Denn weil der Antragsteller seinen Vertrag offen im normalen Geschäftsverkehr gegenüber seinen Geschäftspartnern verwendet hat, kann keine Rede davon sein, dass die Antragsgegnerin ihn nur unter Verletzung eines Vertrauensverhältnisses habe erlangen können. Unabhängig von der Schweigepflichtklausel in § 7 Abs. 1, die sich auf im Diffusen bleibende „Daten und Erkenntnisse“ aus der Durchführung des Vertrags bezieht (und nicht auf das Vertragswerk als solches), stellt ein im Geschäftsverkehr gegenüber beliebigen Kunden verwendeter Vertragstext kein Geschäftsgeheimnis dar, das die Antragsgegnerin hätte verletzen können. Auch unter dem weiteren Gesichtspunkt der Behinderung ist wettbewerbswidriges Verhalten der Antragsgegnerin nicht zu erkennen, weil die Antragstellerin durch den nur leicht variierten Vertrag der Konkurrenz nicht an der ungestörten Vermarktung ihrer Vermittlungsleistungen gehindert wurde; solches behauptet der Antragsteller auch nicht.

3. Den Streitwert hat die Kammer unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls an den in vergleichbaren Fällen angenommenen Streitwerten orientiert, so weit neben urheber- auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend gemacht wurden. Immerhin behauptet der Antragsteller eine Marktführerstellung.