LG Hamburg, Urteil vom 18.01.2008 - 324 O 548/07
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter S. unter voller Namensnennung zu berichten.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 1. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 7.500,-- und hinsichtlich Ziffer 2. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar;

und beschließt: Der Streitwert wird auf € 7.500,-- festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Der Kläger wurde im Jahr 1992 wegen Mordes an dem Geschäftsmann Walter S. festgenommen und im Jahr 1993 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über den Fall, der für erhebliches Aufsehen in Deutschland sorgte, berichteten die Medien bundesweit ausführlich. Inzwischen steht die Haftentlassung des Klägers bevor.

Die Beklagte ist für die österreichische Online-Seite www. ra.....at verantwortlich. Auf dieser Seite hat sie den aus der Anlage K1 ersichtlichen Artikel vom 23. 8. 1999 verbreitet, der sich mit dem Versuch des Klägers, das gegen ihn geführte Strafverfahren wiederaufnehmen zu lassen, befasst und den Kläger mit vollem Namen nennt. Am 18. 6. 2007 hat sie den Artikel aus dem Netz entfernt. Wegen der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf die Anlage K1 verwiesen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass eine ihn identifizierende Berichterstattung unter Nennung seines vollen Namens über die fünfzehn Jahre zurückliegende Tat unzulässig sei und ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze, zumal seine Haftentlassung unmittelbar bevorstehe. Für die Allgemeinheit bestehe kein berechtigtes Informationsbedürfnis mehr, das über allgemeine Informationen über den Fall hinausgehe. Die deutschen Gerichte seien aufgrund der Verordnung EU Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 (der EuGVVO) zuständig. Auch sei deutsches Recht anwendbar, da ein deutschsprachiges Internetangebot vorliege, das sich gerade auch an Leser in der Bundesrepublik Deutschland wende, zumal der Inhalt der Berichterstattung einen Kriminalfall in Deutschland betreffe.

Der Kläger beantragt,

der Beklagten für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu untersagen, bei Vermeidung eines in jedem Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zum Betrag von € 250.000,- ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer,
über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter S. unter voller Namensnennung zu berichten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die deutschen Gerichte seien gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bereits unzuständig. Bei Online-Publikationen seien Erfolgsorte nur Abruforte, die im Gebiet der objektiv bestimmungsgemäßen Ausrichtung der Internetseite lägen. Die bestimmungsgemäße Ausrichtung der von der Beklagten verantworteten Homepage beschränke sich aber ausschließlich auf Österreich, wie sich am Landescode „.at“ und der inhaltlichen Ausrichtung der Homepage auf Österreich (Anlagenkonvolut B 1) zeige. Die Sprache sei zwar ein relevantes Indiz, allerdings sei auch in Österreich die Landessprache Deutsch, so dass weitere Indizien notwendig seien, die hier aber fehlten.

Der Klagantrag sei bereits unzutreffend, da die Beklagte nicht über den Kläger berichtet habe, sondern allenfalls einen Artikel in einem Archiv vorgehalten habe.

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass in der Sache nicht deutsches, sondern österreichisches Recht anzuwenden sei. Bei grenzüberschreitenden Internetangeboten und Handlungen im Internet sei nach der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/ EG vom 8. 6. 2000 nur die Rechtsordnung des Herkunftslandes maßgeblich. Das Bestimmungsland dürfe nicht zusätzliche Regeln aufstellen (Herkunftslandprinzip). Inzwischen (seit 1. 3. 07) ergebe sich das Herkunftslandprinzip aus § 3 Abs. 5 TMG, daher sei nur die Rechtsordnung des Herkunftslandes maßgeblich.

Nach österreichischem Recht bestehe aber kein Unterlassungsanspruch, einschlägig sei insofern § 7a österreichisches Mediengesetz. Durch § 7a österreichisches Mediengesetz werde das (auch verfassungsrechtlich gewährleistete) Recht der Medien nicht beseitigt, über das Geschehen in der Gesellschaft auch unter namentlicher Anführung der Beteiligten zu berichten. Ein allgemeiner Anspruch auf Namensanonymität sei daher auch in dieser Bestimmung nicht angelegt; die Berichterstattung über Straftaten müsse nur dann auf eine Identifikation verzichten, wenn bestimmte „schutzwürdige Interessen“ betroffen seien. Im vorliegenden Fall komme hinsichtlich der „schutzwürdigen Interessen“ allein die Fallgruppe des § 7a österreichisches Mediengesetz in Betracht, wonach eine derartige Verletzung schützwürdiger Interessen vorliege, wenn durch die Veröffentlichung das „Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann“. Für die Beurteilung, ob dies der Fall sei, stelle die österreichische Judikatur auf die konkreten Umstände des jeweiligen Falles ab. Die Zulässigkeit der identifizierenden Berichterstattung im Veröffentlichungsszeitpunkt der ursprünglichen Berichterstattung sei nach österreichischem Recht gegeben gewesen. Wenn aber die Berichterstattung zum Veröffentlichungszeitpunkt zulässig gewesen sei, so sei auch das fortgesetzte Evidenthalten im Archiv nach österreichischem Recht zulässig. Der Kläger habe mit dem Wiederaufnahmebegehren selbst die Medienöffentlichkeit gesucht. Ein Anspruch auf nachträgliche Anonymisierung von Archiven lasse sich weder aus dem Wortlaut des österreichischen Gesetzes noch auf die dazu ergangene Judikatur oder die dazu verfasste Kommentarliteratur stützen.

Auch nach deutschem Recht ergebe sich kein anderes Ergebnis. Insoweit verweist die Beklagte auf die Rechtssprechung zu Online-Archiven durch das Kammergericht und das Oberlandesgericht Frankfurt. Ein Abruf müsse nicht vom Archivbetreiber verhindert werden. Die Abrufbarkeit im Internet führe nicht zwangsläufig zu Schwierigkeiten des Klägers bei der Resozialisierung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 07. 12. 2007 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

1) Die deutschen Gerichte sind zuständig. Die EuGVÜ, auf die sich die Beklagte bezieht wurde im Jahr 2001 von der EuGVVO abgelöst, wobei aber Art 5 Nr. 3 EuGVÜ und Art. 5 Nr. 3 EuGVVO weitgehend identisch sind.

Auch ein österreichischer Ländercode „at.“ als Internetadresse steht der Annahme nicht entgegen, dass der Erfolgsort auch in der Bundesrepublik Deutschland liegt. Bei unerlaubten Handlungen, die durch die Verbreitung von Zeitschriften begangen werden, ist das Verbreitungsgebiet maßgeblich, das der Verleger oder Herausgeber erreichen will oder in dem er mit einer Verbreitung rechnen muss (OLG München, NJW-RR 1994, 190 (190)). Dies muss gleichermaßen für online-Publikationen gelten. Hier liegt die bestimmungsgemäße Verbreitung überall dort, wo der Beitrag abrufbar ist und mit einem Abruf gerechnet werden musste. Die Beklagte musste mit einem Abruf und somit einer Verbreitung auch im Bundesgebiet rechnen, zumal ihr (wie sie selbst vorträgt) bekannt war, dass ihre Homepage über die bekannte deutsche Seite der Suchmaschine Google aufgefunden und deutschen Nutzern angezeigt wird. Im vorliegenden Fall kommt darüber hinaus noch hinzu, dass sich auf der Homepage der Beklagten im Archiv auch Inhalte zu Themen von großem medialem Interesse in Deutschland (nämlich zu dem Mord an dem Geschäftsmann Walter S.) fanden. Wer derartige Pressebeiträge in das Online-Archiv seiner Internetseite einstellt, muss auf jeden Fall mit einer Verbreitung auch in Deutschland rechnen. Nach dem von der Beklagten zitierten OLG München ist der Begriff des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (inzwischen Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) dahin auszulegen, dass ein Kläger die Wahl zwischen Handlungsort und Erfolgsort hat. Sinn der Bestimmung sei es, dem Geschädigten die Rechtsanwendung zu erleichtern und dort Abhilfe zu schaffen, wo Unrecht getan wurde (OLG München, NJW-RR 1994, 190 (190)). Der Kläger konnte damit Klage auch in Deutschland erheben.

2) Die Klage ist auch nicht bereits wegen einer falschen Antragsfassung unbegründet. Der Begriff „berichten“ ist weit zu verstehen und umfasst auch das weitere Bereithalten eines Pressebeitrags in einem Online-Archiv.

3) Hinsichtlich des anzuwendenden Rechts ist eine gestufte Prüfung vorzunehmen. Art. 40 Abs. 1 EGBGB begründet ein Wahlrecht des Verletzten zwischen dem Recht des Handlungsortes und des Erfolgsortes. Diese Vorschrift ist jedoch durch § 3 Abs. 2 TMG modifiziert worden.

So hat das Hanseatische Oberlandesgericht im Urteil vom 24. 7. 2007 (Az: 7 U 98/06) entschieden, dass § 3 Abs. 2 TMG eine direkte Modifikation der deutschen Haftungsnormen darstellt. § 1 Abs. 5 TMG zeige nur, dass es sich bei § 3 TMG um eine Sachnorm und nicht um eine Kollisionsnorm handele. § 3 Abs. 2 TMG modifiziere das deutsche allgemeine Deliktsrecht in der Weise, dass im internationalen Dienstleistungsverkehr der Telemedien eine Haftung nach deutschem allgemeinen Deliktsrecht (außer in den Fällen des § 3 Abs. 5 TMG) ausgeschlossen sei, wenn auch nach nationalem Recht des Herkunftslandes keine Haftung bestehe. Daher sei eine abgestufte Prüfung vorzunehmen und zunächst nach deutschem Recht zu prüfen, ob ein Anspruch bestehe. Sei dies der Fall, müsse weiter geprüft werden, ob nach dem Recht des Handlungsorts ebenfalls ein Anspruch bestehe. Sei dies nicht der Fall, könne durch das deutsche Gericht kein Anspruch zugesprochen werden (vgl. das Hanseatische Oberlandesgericht, Urteil vom 24. 7. 2007, Az: 7 U 98/06, dort S. 3).

Daher kommt es zunächst darauf an, ob nach deutschem Recht ein Anspruch bestünde. Dies ist aber der Fall.

a) deutsches Recht

Dem Kläger, der in dem Beitrag der Beklagten in dem Online-Archiv wegen der vollen Namensnennung unstreitig identifizierbar war, steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, denn die angegriffene Berichterstattung verletzt bei fortbestehender Wiederholungsgefahr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.

Die Kammer hat hierzu im Urteil vom 23.03.2007 (Az.: 324 O 783/06) zu einem anderen, in verschiedenen Aspekten ähnlich gelagerten Sachverhalt folgendes ausgeführt:

„1. Die angegriffenen Artikel verletzen das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Die Berichterstattung bei voller Namensnennung berührt den Schutzbereich seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich "für sich zu sein", "sich selber zu gehören" (so schon Arndt, Bespr. v. BGH, NJW 1966, S. 2353, in NJW 1967, S. 1845 ff., 1846) und ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen (BVerfG, Urt. v. 5. 6. 1973, BVerfGE 35, S. 202 ff., 233 ff. – Lebach I, m.w.N.). Es umfasst damit das Verfügungsrecht über Darstellungen der eigenen Person (BVerfG aaO. – Lebach I), das auch dann beeinträchtigt ist, wenn – und sei es wahrheitsgemäß – öffentlich darüber berichtet wird, dass der Betroffene in der Vergangenheit eine Straftat begangen hat. Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere in Darstellungen, die die Resozialisierung, mithin die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl. BVerfG aaO. – Lebach I; BVerfG, Beschl. v. 25. 11. 1999, NJW 2000, S. 1859 ff., 1860 f. – Lebach II). Gerade bei einer Berichterstattung unter voller Namensnennung, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, liegt diese Gefahr nahe.

Die Beklagte hat den Kläger durch die angegriffenen Artikel in Bezug zu der Tat gesetzt, wegen der er verurteilt worden ist; dies erfolgte zudem öffentlich. Unstreitig hat die Beklagte die in Rede stehenden Artikel, in denen er als Täter des Mordes an …namentlich genannt wird, in ihrem Online-Archiv in der Weise zum Abruf vorgehalten, dass Nutzer diese lesen konnten. Bei einer derartigen „Archivierung“ handelt es gerade nicht um ein lediglich internes Archiv der Beklagten, denn diese Artikel waren für jedermann über das Internet öffentlich zugänglich. Hierdurch wurde die Täterschaft des Klägers für die Öffentlichkeit ständig aktualisiert, indem die Artikel jederzeit abrufbar waren.

Für die Beklagte streitet zwar vorliegend die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht ist schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (BVerfG aaO. – Lebach I, m.w.N.). Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalles hat das Interesse der Öffentlichkeit, etwas über die Person des Klägers zu erfahren, indessen hinter seinem Individualinteresse, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen“ zu werden und so eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen (a.), im Rahmen der erforderlichen Abwägung (b.) zurückzutreten.

a. Die angegriffene Berichterstattung gefährdet die Resozialisierung des Klägers, weil sie ihn mit seiner Tat erneut an das Licht der Öffentlichkeit zerrt und sich so bereits in der Haftsituation schädliche Wirkungen ergeben können, die eine spätere Wiedereingliederung erschweren. (...) Gemäß § 2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) dient der Vollzug der Freiheitsstrafe ausschließlich der Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 Satz 1, 2 StVollzG). Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG).

aa. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Für den … zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Kläger ergibt sich ein Resozialisierungsinteresse aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG, denn auch der verurteilte Mörder muss nach deutschem Recht grundsätzlich die Chance haben, nach Verbüßung einer gewissen Strafzeit – in der Regel nach Verbüßung des gesetzlich angeordneten Mindestmaßes von 15 Jahren, § 57a Abs. 1 StGB – wieder in die Freiheit zu gelangen; bei diesem Grundsatz handelt es sich mithin um ein Gebot mit Verfassungsrang (BVerfG, Beschl. v. 3. 6. 1992, NJW 1992, S. 2947 ff., 2948 – Lebenslange Freiheitsstrafe). Schon nach systematischer Betrachtung des Strafvollzugsgesetzes – und des in § 2 normierten Vollzugszieles für die Freiheitsentziehung – bezieht dieses auch die lebenslange Freiheitsstrafe mit ein. Aber auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften wirkt sich das im Strafvollzugsgesetz gesicherte Resozialisierungsziel für diese Täter aus. Es wird so sichergestellt, dass sie bei einer späteren Entlassung noch lebenstüchtig und wieder eingliederungsfähig sind (BVerfG aaO. – Lebenslange Freiheitsstrafe). Die Vollzugsanstalten sind so auch bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen verpflichtet, auf deren Resozialisierung hinzuwirken und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs und damit auch und vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen entgegenzuwirken (BVerfG aaO. – Lebenslange Freiheitsstrafe, m.w.N.). Der verurteilte Straftäter muss die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen (BVerfG aaO. – Lebach I). Folgerichtig steht auch dem zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder ein Anspruch auf Resozialisierung zu, der stets aktuell ist, mag für den Verurteilten auch erst nach langer Strafverbüßung die Aussicht bestehen, sich auf das Leben in Freiheit einrichten zu dürfen (vgl. BVerfG aaO. – Lebenslange Freiheitsstrafe).

(...)

cc. Auch ohne eine relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung können die möglichen Folgen eines Berichts über die Straftat eines Verurteilten für sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein, indem sie zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung führen (dazu vgl. BVerfG aaO. – Lebach II). Mit dem Anspruch des Betroffenen, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen“ zu werden, gewinnt es mit zeitlicher Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren zunehmende Bedeutung, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben (vgl. jüngst BVerfG, Beschl v. 13. 6. 2006, NJW 2006, S. 2835 f. m.w.N.). Die Grenze zwischen dem Zeitraum, in dem eine den Täter nennende Berichterstattung als aktuelle Berichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse grundsätzlich zulässig ist, und dem Zeitraum, zu dem wegen Zurücktretens des berechtigten öffentlichen Interesses eine spätere Darstellung oder Erörterung unzulässig geworden ist, lässt sich nicht allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach Monaten und Jahren für alle Fälle fest umrissenen Frist fixieren (so schon BVerfG aaO. – Lebach I; nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls kann bereits nach einem Zeitraum von nur sechs Monaten nach Rechtskraft des Strafurteils die Namensnennung unzulässig geworden sein, s. etwa BGH, Urt. v. 9. 6. 1965, NJW 1965, S. 2148 ff. – Spielgefährtin I). Der maßgebende Zeitpunkt für eine die Resozialisierung gefährdende, unzulässige Berichterstattung unter Namensnennung ist aber jedenfalls erheblich früher anzusetzen, als auf das Ende der Strafverbüßung. § 2 StVollzG gebietet es, vom Beginn der Strafzeit an auf das Vollzugsziel der Resozialisierung hinzuarbeiten. Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen (BVerfG aaO. – Lebach I). Eine Gefährdung der Resozialisierung ist durch eine Berichterstattung auch dann zu befürchten, wenn die Tat bereits lange Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart persönlichkeitsbestimmend, dass der Mörder mit der Tat praktisch lebenslang identifiziert wird (BVerfG aaO. – Lebach II). Bezogen auf den Kläger bedeutet dies, dass in der besonderen Situation der Haft, die seine derzeitige Umwelt darstellt, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt schädliche Wirkungen für ihn ergeben können. So ist es jedenfalls nicht a priori auszuschließen, dass sich der Kläger durch eine mediale Reaktualisierung aus Furcht vor Missachtung und Ablehnung isolieren wird. In einer Situation, die ohnehin von Isolation geprägt ist, kann ein innerer und äußerer Rückzug des Betroffenen – z.B. durch Einrichtung von Einzelfreistunde, Aufgabe einer Teilnahme an Gruppenveranstaltungen – dazu führen, dass die Resozialisierung scheitert. Das aber widerspräche den oben dargelegten Vollzugszielen, wonach auch ein Straftäter wie der Kläger ein Recht darauf haben soll, schon während seiner Haftzeit die Erfahrung machen zu können, dass ihn seine Umwelt vorurteilslos wieder aufnimmt.

b. Es besteht auch kein vorrangiges, die Interessen des Klägers überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer Aufrechterhaltung einer Berichterstattung über die nunmehr mehr als zehn Jahre zurückliegende Straftat bzw. die nahezu zehn Jahre zurückliegende Verurteilung unter Nennung des Namens des Klägers.

aa. Die Bereithaltung der streitgegenständlichen Artikel durch die Beklagte auf ihren Internetseiten begründet – wie ausgeführt – die Gefahr der ständigen Reaktualisierung der Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers, die sich durch jeden Abruf der Berichterstattung erneut realisiert. Die Unzulässigkeit einer solchen Berichterstattung beschränkt die Beklagte in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG nur geringfügig. Denn die Tat selbst wird dadurch nicht dem Bereich der Gegenstände, über die öffentlich berichtet werden darf, entzogen. Eingeschränkt wird das Recht, über die spektakuläre Tat des Klägers zu berichten, nur dadurch, dass er den Lesern nicht durch Nennung seines Namens ohne weiteres erkennbar gemacht werden darf. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die Berichterstattungsfreiheit mehr als nur geringfügig begrenzt würde. Auf der anderen Seite ist nicht ersichtlich, weshalb es für den Kläger weniger gravierend sein soll, wenn dem Leser einer Veröffentlichung deutlich wird, dass diese bereits vor vielen Jahren erstmals veröffentlicht worden war; die stigmatisierende Wirkung, die mit einer Verknüpfung seines Namens mit seinen schrecklichen Taten einhergeht, wird durch alte Artikel genauso perpetuiert wie durch solche, die aktuell veröffentlicht wurden. Auch ist der Aufmerksamkeitswert für die Öffentlichkeit zwar zweifellos höher, wenn eine derartige Berichterstattung im aktuellen Teil einer Online-Veröffentlichung erfolgt, denn nur dieser Bereich wird vom Leser ähnlich einer Zeitung „durchgelesen“, während der Zugriff auf ältere Veröffentlichungen regelmäßig ein gezieltes Tätigwerden des Lesers – in der Regel durch Eingabe von Suchbegriffen – erfordert. Damit sind derartige Artikel aber nicht gänzlich aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden, denn durch die heute weit verbreitete Verwendung von Suchmaschinen sind Artikel, die seit Jahren im Internet stehen, in genau der gleichen Weise erreichbar, wie der Artikel vom Vortage, der soeben erst in den „Archivbereich“ verschoben wurde. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass jeder Internetnutzer, der den Namen des Mordopfers … in eine Suchmaschine eingibt, in Bruchteilen von Sekunden Artikel wie die streitgegenständlichen auffinden kann, die den Namen des Klägers mit dieser Tat verknüpfen. Mit anderen Worten: Zwar ist zutreffend, dass „archivierte“ Artikel in der Regel nicht „zufällig“ gelesen werden, die durch den Einsatz hocheffizienter Suchmaschinen ermöglichte einfache und blitzschnelle Auffindbarkeit befördert aber alle älteren Artikel gleichberechtigt auf eine Ebene der Wahrnehmbarkeit und Reichweite, die nur knapp unterhalb der einer Veröffentlichung im „aktuellen“ Teil einer Internetplattform liegt. Demnach stellt es für den Kläger keine Erleichterung dar, dass ihn betreffende Artikel „nur“ über Suchmaschinen auffindbar sind, sondern die Möglichkeit einer derartigen Auffindbarkeit begründet gerade ein gegenüber anderen Formen der Publikation erheblich intensiviertes und ganz eigenes Maß an perpetuierter Beeinträchtigung.

bb. Auch der von der Beklagten angeführte Grundgedanke eines „Archivprivilegs“ vermag zu keiner abweichenden Beurteilung zu führen, jedenfalls soweit es um so genannte „Online-Archive“ der vorliegend streitgegenständlichen Art geht.

(a) Es erscheint schon als zweifelhaft, ob es sich bei dem Bereich des Internetauftritts der Beklagten, an dem sich die beanstandete Veröffentlichung befand, um ein „Archiv“ handelt. Denn für den Internetnutzer handelt es sich bei diesem Bereich letztlich um nichts anderes als einen der Bereiche, unter denen Meldungen aufzufinden sind; der Unterschied zu den Meldungen anderer Bereiche ist lediglich der, dass es sich unter den hier vorgehaltenen Meldungen um solche älteren Datums handelt. Weshalb aber das schlichte Alter einer Meldung als solches ein taugliches Kriterium sein soll, um das Verbreiten der einen Meldung gegenüber dem einer anderen zu privilegieren, ist nicht einzusehen. Aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, erscheint der Archivgedanke nicht als tragfähig:

(b) Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG gestaltet wäre, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann es für die Abwägung der Interessen zwischen der von der Berichterstattung betroffenen Person und dem Verbreiter der Berichterstattung nicht darauf ankommen, ob letzterer der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechtes im Sinne des Urhebergesetzes an den betreffenden Artikeln ist. Gegen eine analoge Anwendung der urheberrechtlichen Archivregelung spricht zudem, dass für eine solche Privilegierung hier bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das Archiv der Beklagten jedermann möglich ist. Die Regelung in § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den „Archivar“ von Ansprüchen des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv fremde Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für jedes Archiv Anwendung. Nach § 53 Abs. 5 UrhG ist das Archivprivileg insbesondere auf solche Datenbanken beschränkt, die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich sind. Diese Ausnahmevorschrift kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer Mehrzahl von Unternehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH, Urt. v. 10. 12. 1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N.). Erst recht findet sie keine Anwendung, wenn außenstehenden Dritten Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH, Urt. v. 16. 1. 1997, GRUR 1997, S. 459 ff., 463 – CB-Infodatenbank I). Das hat seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit der bezweckten Beschränkung auf bloße Bestandssicherung nicht zu vereinbaren ist, weshalb auch eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG nicht angängig ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. 12. 1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N. – elektronische Pressearchive).

Diese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze sind es, die gerade dafür sprechen, dass es ein „Archivprivileg“ für in das Internet eingestellte ehemals aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass jedenfalls ein Medienunternehmen, das sein Archiv gerade durch Gewährung des Zugangs über das Internet auch für dritte Nutzer zugänglich macht, dafür Sorge zu tragen hat, dass Beiträge, deren Verbreitung nicht oder nicht mehr zulässig ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre weitere Verbreitung ausgeschlossen ist. Denn der technische Fortschritt, der die Speicherung und Zugänglichmachung von Daten in immer weiterem Umfang zulässt, darf nicht dazu führen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen eher hinzunehmen sind (BGH, Urt. v. 16. 9. 1966, NJW 1966, S. 2353 ff., 2354; BVerfG, Beschl. v. 9. 10. 2002, NJW 2002, S. 3619 ff., 3621; s. auch BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983, BVerfGE 65, S. 1 ff. = NJW 1984, S. 419 ff., 421 f. – Volkszählung).

(c) Im Übrigen wird auch aus den gesetzlichen Regelungen über die Verwaltung von Archivgut deutlich, dass nach gesetzgeberischer Wertung zeitliche Schutzfristen für archivierte Beiträge zu beachten sind, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen Personen dienen, und dass solche Schutzfristen geradezu zum Wesen des Archivrechts gehören. So darf etwa nach § 5 Abs. 2 BArchG Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, erst 30 Jahre nach dem Tode der betroffenen Person durch Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen. Entsprechende Regelungen enthalten auch die Archivgesetze der Länder (s. z.B. § 5 des Hamburgischen Archivgesetzes v. 21. 1. 1991). Mit derartigen Schutzfristen wird ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der von den Inhalten des zu archivierenden Schrift- oder Bildguts betroffenen Personen und der Notwendigkeit, kulturell bedeutsames Mediengut dauerhaft zu erhalten und der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen, geschaffen. Schon zuvor darf Archivgut genutzt werden, ggf. sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu machen (s. z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5 Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 30 BDSG). Auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber es als durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf. eine nur unter Anonymisierung (§ 3 Abs. 6 BDSG) der betreffenden Person erfolgende Verbreitung von Informationen zugelassen wird.

Einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach die Verbreitung archivierter Materialien gegenüber der von aktuellen Meldungen in weiterem Umfange generell zulässig wäre, solange die von den Inhalten des Materials betroffenen Personen noch am Leben sind, gibt es damit nicht.

c. Damit schuldet die Beklagte als Störerin Unterlassung. Das Eingreifen von Rechtsfertigungsgründen – etwa wegen eines überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Führung gerade des streitgegenständlichen Archivs – ist weder dargelegt noch ersichtlich. Wie ausgeführt, erfüllt die hier praktizierte schlichte öffentliche Bereithaltung älterer Veröffentlichungen bereits nicht die spezifischen Funktionen eines Archivs, das an dem grundsätzlich berechtigten Interesse ausgerichtet ist, publizistische Erzeugnisse „dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln“ (BVerfG, B. v. 14. 7. 1981, NJW 1982, S. 633 ff., 634 – zu Pflichtexemplaren).“

Die Erwägungen aus dieser Entscheidung zur Resozialisierung gelten für den hier zu entscheidenden Sachverhalt in ganz besonderem Maße, weil für den Kläger im vorliegenden Fall, knapp 15 Jahre nach seiner Verurteilung, unstreitig die Haftentlassung auf Bewährung bevorsteht. In dieser konkreten Situation (relativ kurz vor Haftentlassung) kommt dem Resozialisierungsgesichtspunkt im Rahmen der Interessenabwägung ein ganz besonderes Gewicht zu. Angesichts des Umstandes, dass die Tat nunmehr über 15 Jahre zurückliegt, kommt dagegen dem Interesse an weiterem Vorhalten der Berichterstattung unter voller Namensnennung des Klägers in einem „Online-Archiv“ hier (auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um einen spektakulären und die Öffentlichkeit damals besonders interessierenden Mordfall gehandelt hatte) kein derartiges Gewicht zu, dass es das hier besonders stark zu gewichtende Resozialisierungsinteresse des Klägers überwiegen würde.

Hinsichtlich der Pflichten der Betreiber von Online-Archiven wird ergänzend auf das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 09.10.2007 (Az.: 7 U 53/07) verwiesen, wo es ausführt, dass es dem Betreiber eines online gestellten Pressearchivs als Verbreiter obliege, zuvor die Zulässigkeit des Dritten zur Verfügung gestellten archivierten Materials zu prüfen.

Obwohl die Beklagte den vollen Namen nicht mehr in ihrem Online-Archiv verbreitet, haftet sie nach deutschem Recht auf Unterlassung, da sie keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hat und auch sonst nichts getan hat, was der Vermutung der Wiederholungsgefahr bei rechtswidriger Erstbegehung (vgl dazu BGH, NJW 1994, 1281, 1283) entgegenstünde.

b) österreichisches Recht

Nach österreichischem Recht ergibt sich kein anderes Ergebnis.

Das Hanseatische Oberlandesgericht hat in seinem Urteil vom 24. 7. 2007 (Az. 7 U 98/06), in dem es darum ging, ob ein in Österreich niedergelassenes Online-Unternehmen auf seiner Internet-Seite über die Festnahme eines Schauspielers wegen Drogenkonsums und dessen früherer Verurteilung wegen Drogenbesitzes berichteten durfte, Ausführungen zur Rechtslage nach österreichischen Zivilrecht gemacht. Dort hat das Hanseatische Oberlandesgericht unter anderem folgendes ausgeführt:

„Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien haben nach österreichischem Recht Unterlassungsansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und insbesondere des Rechts auf Anonymität ihre Grundlage in § 16 AGBG. Dies ergibt sich ferner beispielhaft aus einer Entscheidung des OGH vom 19. 12. 2005 (Geschäftsnummer 8 Ob 108/05y), in der weiter ausgeführt wird, dass bei einem Eingriff in die Privatsphäre zu prüfen ist, ob dem Eingriff ein berechtigtes Interesse des Eingreifenden gegenübersteht.

In Fällen des Berichts über eine von dem Betroffenen begangene Straftat ist dabei dessen Beeinträchtigung gegen das Informationsinteresse der Allgemeinheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung abzuwägen (vgl. Entscheidung des OLG Innsbruck vom 27. 9. 1999, Geschäftsnummer 1 R 143/99k; Entscheidung des OGH vom 19. 7. 2001, Geschäftsnummer 4 Ob 162/01d).

Ob in die Interessenabwägung auch die in § 7a Mediengesetz getroffene Gewichtung einzubeziehen ist, ist zwischen den Parteien streitig. Nach dieser Norm, die eine Grundlage für Schadensersatzansprüche darstellt, ist u. a. im Regelfall davon auszugehen, dass schutzwürdige Interessen des Betroffenen verletzt werden, wenn über eine von ihm begangene Straftat berichtet wurde, die lediglich ein Vergehen darstellt (§ 7a Abs. 1 und 2 Nr. 2 MedG). Auch wenn diese Norm nicht unmittelbar auf Unterlassungsansprüche übertragen werden kann, so enthält sie doch eine Vorgabe bezüglich der Kriterien, die jeweils in die Abwägung einfließen sollen. Dem entsprechend hat auch der OGH in der oben zitierten Entscheidung vom 10. 7. 2001 die in der Vorschrift genannten Gesichtspunkte in die Abwägung miteinbezogen. Dabei wurde insbesondere auch die Schwere des Delikts, dessen der Betroffene verdächtigt wurde, im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt.

Somit ist davon auszugehen, dass auch nach österreichischem Recht in eine Interessenabwägung einzutreten ist, die ebenso wie im deutschen Recht die Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere das öffentliche Informationsinteresse an der Tat oder der Person des Täters einerseits und das Geheimhaltungs- und Resozialisierungsinteresse andererseits zu berücksichtigen hat (so auch das KG, Urteil vom 1. 9. 2006, Geschäftsnummer 9 U 35/05). Eine derartige Abwägung obliegt dem Gericht und kann insbesondere nicht einem Sachverständigen übertragen werden.“

Es ist nichts dafür ersichtlich und auch nichts von den Parteien dazu vorgetragen, dass sich in jüngster Zeit (seit diesem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. 7. 2007) die Rechtslage oder die Rechtsprechungsmeinung geändert habe.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist nach Auffassung der Beklagten § 7a des österreichischen Mediengesetztes das hier maßgebende Gesetz. Der Kläger hat sich zu dieser Frage nicht geäußert. Eine unmittelbare Anwendung von § 7a Mediengesetz kommt zwar nicht in Frage, da die Vorschrift unmittelbar lediglich Entschädigungsansprüche bei Namens- und Bildveröffentlichungen regelt. Allerdings hat das Hanseatische Oberlandesgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorschrift eine Vorgabe bezüglich der Kriterien enthält, die jeweils in die Abwägung einfließen sollen.

Daher ist auch im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass nach österreichischem Recht (wie auch nach deutschem Recht) in eine Interessenabwägung einzutreten ist, die die Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere das öffentliche Informationsinteresse an der Tat oder der Person des Täters einerseits und das Geheimhaltungs- und Resozialisierungsinteresse andererseits zu berücksichtigen hat, und dass eine derartige Abwägung dem Gericht obliegt und insbesondere nicht einem Sachverständigen übertragen werden kann.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich v.a. in zweifacher Hinsicht von dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht entschiedenen Sachverhalt. Der Berichterstattung zum vorliegenden Fall liegt zum einen kein Vergehen, sondern ein Verbrechen zugrunde. Daher ist hier nicht die Wertung des § 7a Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. Mediengesetz (Tat bezieht sich auf ein Vergehen) heranzuziehen. Zum anderen geht es hier nicht um tagesaktuelle Berichterstattung, sondern um das Vorhalten eines Beitrags in einem Archiv zu einer bereits über 14 Jahre zurückliegenden Verurteilung des Klägers.

Im vorliegenden Fall ist bezüglich der Kriterien, die in die Interessenabwägung einfließen sollen, die Wertung des § 7a Abs. 2 Nr. 2, 3. Alt. Mediengesetz heranzuziehen, wonach schützwürdige Interessen jedenfalls verletzt sind, wenn die Veröffentlichung das Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann.

Die Interessenabwägung ist daher nach dem Österreichischen Recht unter Berücksichtigung derselben Kriterien vorzunehmen, wie nach deutschem Recht. Mit § 7a Abs. 2 Nr. 2, 3. Alt. Mediengesetz ist der Resozialisierungsgedanke im Hinblick auf eine volle Namensnennung wesentlich klarer kodifiziert als nach deutschem Recht. § 7 Mediengesetz beschäftigt sich gerade mit der Namensnennung von Straftätern in den Medien. § 7a Abs. 2 Nr. 2, 3. Alt. Mediengesetz („wenn die Veröffentlichung ... das Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann.“) erfasst auch die Problematik der Resozialisierung. Ein Scheitern der Resozialisierung wäre eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Fortkommens des Klägers.

Da aber die Abwägungskriterien dieselben sind wie nach deutschem Recht, ergibt sich nach dem Österreichischen Recht kein anderes Abwägungsergebnis als nach deutschem Recht. Die Berichterstattung der Beklagten mit voller Namensnennung des Klägers über 15 Jahre nach der Tat und über 14 Jahre nach seiner Verurteilung kann dessen Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigen, da – insbesondere aufgrund der unstreitig bevorstehenden Haftentlassung – dem Resozialisierungsinteresse des Klägers besonderes Gewicht zukommt und auf der anderen Seite die Einschränkung der Pressefreiheit eher gering ist, da ein besonderes aktuelles Interesse an der Berichterstattung nicht besteht.

Aufgrund der Übereinstimmung der Anspruchsvoraussetzungen des Unterlassungsanspruchs nach deutschem und österreichischem Recht ist mithin davon auszugehen, dass nach österreichischem Recht ebenfalls ein Unterlassungsanspruch bestände, so dass § 3 Abs. 2 TMG dem Unterlassungsanspruch des Klägers nicht entgegensteht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 3, 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.