LG Hamburg, Urteil vom 29.02.2008 - 324 O 998/07
Fundstelle
openJur 2009, 1265
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen, zu verbreiten und/ oder verbreiten zu lassen:

„Heute wird offen gelogen (...) Das „F...“-Interview, das Kläger mit Ernst J. geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der B... erschienen.“

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 1. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 25.000,-- und hinsichtlich Ziffer 2. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar;

und beschließt: Der Streitwert wird auf € 25.000,-- festgesetzt.

Tatbestand

Kläger ist Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „F...“. In der von der Beklagten verlegten S.. Zeitung vom 14. 9. 2007 veröffentlichte die Beklagte ein Interview mit Roger W. anlässlich dessen neuen Bühnenprogramms gemeinsam mit Dieter H. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“, in dem diese sich mit Lügen aller Arten auseinandersetzen (Anlage K 1 und Anlage B 1). Auf den Inhalt der Anlage K 1 wird Bezug genommen. Das Interview trägt die Überschrift „Heute wird offen gelogen“ und darunter als kleinere Zwischenüberschrift: „Roger W. über sein gemeinsames Lügen-Programm mit Dieter H.“. Die Überschrift selbst ist in Anführungszeichen gesetzt. In dem Interview finden sich die Aussagen von Roger W.: „Heute wird offen gelogen“ sowie an späterer Stelle: „Das „F...“-Interview, das Kläger mit Ernst J. geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der B... erschienen.

Tatsächlich hatte der Kläger dieses Interview nicht geführt, er war jedoch auch zur Zeit der Veröffentlichung des Interviews in F... Chefredakteur des „F...“.

Die beiden Interviews, auf die sich Roger W. in dem Interview mit der Beklagten bezieht, sind im „F...“ Nr. 37 aus dem Jahr 1993 (Anlage K 2) – dort eingearbeitet in ein Portrait über Ernst J. – und in der Zeitschrift „B...“ im Jahr 1991 (Anlage K 3) erschienen.

Diese beiden Interviews enthalten zum Teil exakt wortgleiche Passagen, zum Teil sehr ähnliche Passagen, die im Wortlaut mehr oder weniger voneinander abweichen, inhaltlich aber weitgehend übereinstimmen. Auf der anderen Seite enthält das Interview in der „B...“ auch eine Frage, die nicht Teil des „F...“-Interviews ist und umgekehrt das „F...“-Interview diverse Fragen, die in der „B...“ nicht auftauchen. Die Reihenfolge der Fragen stimmt nicht überein. Insoweit wird auf die Anlagen K 2 und K 3 Bezug genommen.

Dem Kläger war bei Veröffentlichung des Interviews in „F...“ die Existenz des Interviews in der „B...“ nicht bekannt.

Der Kläger behauptet, Roger W. habe sich in dem Interview mit der Beklagten überhaupt nicht entsprechend geäußert, das Zitat sei ihm vielmehr von dieser „in den Mund“ gelegt worden, was sich aus der Reaktion von Roger W. (Anlage K 9) auf seine Abmahnung (Anlage K 8) ergebe.

Der Kläger ist der Ansicht, dass aber für den Inhalt des Interviews jedenfalls die Verbreiterhaftung eingreife, da es an jeglicher ernsthafter Distanzierung fehle. Vielmehr identifiziere sich die Beklagte durch die blickfangmäßig angeordnete Überschrift „Heute wird offen gelogen“ mit dem Inhalt des Interviews.

Hinsichtlich der beiden Interviews in „B...“ und „F...“ ist der Kläger der Ansicht, dass diese Interviews nicht identisch seien.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an der Geschäftsführung der Beklagten, es zu unterlassen zu verbreiten und/ oder verbreiten zu lassen:

„Heute wird offen gelogen (...) Das ‚F...’-Interview, das Kläger mit Ernst J. geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der B... erschienen.“

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die streitgegenständliche Aussage sei Roger W. gerade nicht „in den Mund gelegt worden“ und legt ihrerseits eine e-mail von Roger W. vom 12. 5. 2007 vor (Anlage B 4), in der dieser das Interview genehmigt, ohne auf die entsprechende Passage einzugehen. Im Übrigen existiere ein Mitschnitt des Interviews, der in einer Verhandlung vorgelegt werden könne und aus dem sich ergebe, dass sich Roger W. jedenfalls sinngemäß wie zitiert geäußert habe. Auch bietet die Beklagte Zeugenbeweis für eine entsprechende Interviewäußerung Roger W.s an.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass es sich bei dem Interview mit Ernst J. aus dem „F...“ um eine „Dublette“ des zuvor in der „B...“ veröffentlichten Interviews gehandelt habe, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Chefredakteur des „F...“ auch zu verantworten gehabt habe, so habe Roger W. seine Interviewäußerung auch gemeint.

Sie ist weiter der Ansicht, dass sie nicht nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung für die Inhalte der von Roger W. im Rahmen des Interviews getätigten Aussagen hafte.

Da das Interview im Feuilleton veröffentlicht worden sei, müsse hinsichtlich der Rezipienten beachtet werden, dass Feuilletonleser über entsprechende Vorbildung verfügten, so dass deren Verständnis zugrunde zu legen sei. Bei der Überschrift „Heute wird offen gelogen“ handele es sich nicht, wie bei Überschriften üblich, um eine von der Redaktion aus dem Inhalt der Meldung abgeleitete, eigenformulierte Aussage, sondern sie gebe einen Satz von Roger W. wieder und sei somit nur eine „Individualisierung“ des Inhalts. Auch aus der Unterzeile „Roger W. über sein gemeinsames Lüge-Programm mit Dieter H.“ sowie den weiteren Inhalten des Interviews ergebe sich aus dem Kontext für den unbefangenen (Feuilleton-) Leser, dass es sich bei den im Interview gegebenen Antworten um Aussagen von Roger W. handele, welche sich die Redaktion nicht zu eigen mache.

Aufgrund Formulierungen in dem Interviewvorspann wie „...in ihrem Hörbuch und dem gleichnamigen Bühnenprogramm“ oder „... durchleuchten die beiden...“ oder „...Sie kommen zu erstaunlichen Ergebnissen“ sowie der Wiedergabe des Untertitels zum Programm „Die Weltgeschichte der Lüge“ werde für einen unbefangenen (Feuilleton-) Leser erkennbar, dass sich die Beklagte die Inhalte des Bühnenprogramms/ Hörbuchs bzw. die Aussagen von Roger W. nicht zu eigen mache.

Bei Veröffentlichung in Interviewform treffe den Verlag beziehungsweise die Redaktion aber nach der Rechtsprechung nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht im Hinblick auf die vom Interviewpartner gemachten Aussagen. Lediglich grobe und offenkundige Rechtsverletzungen dürften nicht verbreitet werden. Eine Überprüfung müsse nur bei besonders schwerer Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten vorgenommen werden. Eine derartig schwere Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehe hier aber nicht. Bereits in der Veröffentlichung im Rahmen eines Interviews liege eine ausreichende Distanzierung des verbreitenden Presseorgans.

Der Antrag sei im Übrigen zu weit gefasst: „Heute wird offen gelogen“ sei eine generelle Aussage von Roger W. und stehe im Kontext zum gesamten Bühnenprogramm.

Die Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, auf die sich der Kläger berufe, betreffe einen ganz anderen Sachverhalt. Dort sei es lediglich um ein Zitat gegangen, hier liege ein Interview vor, bei dem eine Distanzierung über den Gesamteindruck der Veröffentlichung erfolgt sei. Auch habe man aufgrund des Umstandes, dass das Bühnenprogramm ein Hörbuch betreffe, das bereits auf dem Markt gewesen sei, auch davon ausgehen dürfen, dass die Verfasser im Vorfeld hinreichend recherchiert hatten.

Es fehle auch an einer Erstbegehungsgefahr oder Wiederholungsgefahr, da Interviews zu aktuellen Themen (wie hier der bevorstehenden Aufführung des Bühnenprogramms) erfahrungsgemäß nur einmal veröffentlicht würden und es bei der Beklagten auch nicht vorgesehen sei, dieses Interview ganz oder in Teilen erneut zu veröffentlichen bzw. veröffentlichen zu lassen, was der Kläger auch nicht bestreite.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 8. 2. 2008 Bezug genommen.

Gründe

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, denn die angegriffene Berichterstattung verletzt bei fortbestehender Wiederholungsgefahr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Die angegriffenen Passagen stellen unwahre Tatsachenbehauptungen dar. Die Beklagte haftet für diese Äußerungen nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung.

1) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger das Interview nicht geführt hat. Die Interviewäußerung „Das F...´´-Interview, das Kläger mit Ernst J. geführt haben will“ stellt aber gerade diese falsche Tatsachenbehauptung auf. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für den Durchschnittsleser das Verständnis fern liegend, dass der Kläger das Interview lediglich in seiner Eigenschaft als Chefredakteur verantwortet habe. Hierfür ergeben sich keine Anhaltspunkte, vielmehr geht es unmittelbar um das „Führen“ des Interviews als Tätigkeit.

2) Auch trifft es nicht zu, dass das „F...“-Interview „schon zwei Jahre zuvor in der B... erschienen“ wäre. Der Beklagten ist zuzugeben, dass mehrere Passagen der beiden Interviews wortgleich sind und andere Passagen lediglich (zum teil geringfügig) unterschiedliche Formulierungen enthalten, inhaltlich aber dieselben oder nahezu dieselben Aussagen treffen. Auf der anderen Seite ist das Interview im „F...“ in einen Portrait-Beitrag eingebettet, die Reihenfolge der Fragen stimmt nicht überein und das Interview in der „B...“ enthält eine Frage, die nicht Teil des „F...“-Interviews ist und umgekehrt das „F...“-Interview diverse Fragen und Antworten, die in der „B...“ nicht auftauchen.

Die beiden Texte stimmen damit nicht derart weitgehend überein, dass es sich um denselben Text handeln würde. Die Behauptung von Roger W. in seinem Interview geht aber dahin, dass das „F...“-Interview zwei Jahre zuvor in der „B...“ erschienen sei, also dass es sich um dasselbe Interview gehandelt habe. Es wird eine Vollidentität der beiden Beiträge und die Vornahme eines „Zweitabdrucks“ suggeriert. Aufgrund der aufgezeigten Unterschiede ist eine derartige pauschale Gleichstellung aber nicht zutreffend. Es wurden offenkundig lediglich Teile des ersten Interviews in einen neuen Beitrag (der auch neue eigene Bestandteile enthält) eingearbeitet – zum Teil identisch, zum Teil in abgewandelter Form.

Der ebenfalls vom Verbotstenor erfasste Satz „Heute wird offen gelogen“ steht zwar an anderer Stelle im Interview und bezieht sich an dieser Stelle nicht unmittelbar auf den Kläger. Der weitere Zusammenhang des Interviews schafft allerdings einen Bezug zum Kläger. Zum einen schließt sich in der abgedruckten Interviewvariante an die Aussage „Heute wird offen gelogen“ die Frage unmittelbar an, ob er in seinem Programm auch neue Lügen ans Tageslicht bringe. Der durch die Aussage „heute wird offen gelogen“ geschaffene Bezug auf aktuelle Fälle wird in der daran anschließenden Frage mithin aufgegriffen. Einer der Fälle der „neuen Lügen“ ist in der Antwort von Roger W. der hier streitgegenständliche Fall. In noch stärkerem Maße wird eine Beziehung der Aussage „Heute wird offen gelogen“ auf den Kläger jedoch durch die Heraushebung dieser Aussage als Überschrift des gesamten Interviews geschaffen. Damit bekommt dieser Satz Bedeutung über die einzelne Textstelle hinaus und es wird ein Bezug zu den weiteren genannten Fällen von Lügen in der Gegenwart (in Abgrenzung zu den ebenfalls im Interview geschilderten historischen Fällen von Lügen) geschaffen.

Letztendlich ist bei alledem zu berücksichtigen, dass der Kläger die Veröffentlichung aus der „B...“ unstreitig gar nicht kannte, so dass schon von daher dem Vorwurf der Lüge – also die bewusste Mitteilung der Unwahrheit – die Grundlage entzogen ist.

3) Die Beklagte haftet für die von Roger W. getätigten Aussagen in dem von ihr verbreiteten Interview nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung.

Intellektueller Verbreiter ist, wer zu der verbreiteten Behauptung eine eigene gedankliche Beziehung hat. Insbesondere gehören dazu diejenigen, die Fremdbehauptungen zitieren, sei es mündlich, sei es schriftlich, zB in einem Aufsatz oder Kommentar. Ein solches intellektuelles Verbreiten erfolgt, wenn eine Fremdbehauptung, als von anderer Seite gehört, als Äußerung eines Dritten wiedergegeben wird (Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 4. Kap. Rn 100 mit weiteren Nachweisen).

Die Beklagte hat hier die Interviewantworten von Roger W. als dessen Äußerung wiedergegeben und ist damit intellektueller Verbreiter.

Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass sie sich die Interviewäußerungen von Roger W. nicht zu eigen gemacht habe. Zwar zitierte sie Roger W. mit einer Äußerung in der Überschrift. Ein „Zu-eigen-Machen“ ist dadurch aber nicht gegeben, da sie diese Überschrift mittels Anführungszeichen als Zitat kennzeichnete.

Auf der anderen Seite distanziert sich die Beklagte aber nicht von den Äußerungen von Roger W.. Eine inhaltliche Distanzierung durch kritische redaktionelle Anmerkungen oder ähnliches erfolgt nicht. Auch aus dem „Gesamtzusammenhang“ des Interviews ergibt sich keine Distanzierung von den Äußerungen Roger W.s. Hiergegen sprechen bereits die in dem Interview gestellten konkreten Fragen, denn diese thematisieren nicht, ob von Roger W. überhaupt fundiert Lügen festgestellt werden konnten und wie er dies ermittelt habe, sondern sie setzen voraus, dass Roger W. zutreffend Lügen nachweisen konnte. Gefragt wird nur nach der Art der von ihm festgestellten Lüge, wie heute gelogen werde und ob er auch neue Lügen ans Tageslicht bringe. Aufgrund dieser Fragestellungen besteht zwischen dem Interviewer und Roger W. Übereinkunft über das Bestehen der von Roger W. festgestellten Lügen. Auch wenn hierin kein „Zu-eigen-Machen“ liegt, so ist jedenfalls nach dem Gesamtzusammenhang des Interviews eine Distanzierung nicht gegeben.

Die Voraussetzungen für das Eingreifen einer Verbreiterhaftung werden in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt.

In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass im Rahmen von Interviews lediglich bei einem Zu-eigen-Machen von einer Verbreiterhaftung auszugehen ist (so Burkhardt in Wenzel aaO 4. Kapitel Rn 103). Nach dem Ansatz des Landgerichts Düsseldorf beinhaltet bereits die Wiedergabe in einem Interview als solches eine Distanzierung (Landgericht Düsseldorf, AfP 1999, 518 (518/519)). Das OLG München vertritt die Ansicht, dass hinsichtlich der von einem Interviewpartner aufgestellten Behauptungen – wie auch beim Abdruck von Leserbriefen – eine Überprüfung nur vorgenommen werden müsse, wenn die aufgestellten Behauptungen eine besonders schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts enthielten (OLG München, AfP 2007, 229 (230)).

Auf der anderen Seite wird vertreten, dass bei Printmedien eine Haftung nach den Grundsätzen über die Verbreiterhaftung besteht, auch wenn sich der Interviewer die Thesen des anderen nicht zu eigen gemacht hat, es sei denn es liegt tatsächlich eine Distanzierung vor, was damit begründet wird, dass der Journalist die Antworten kennt, die er veröffentlicht (Prinz/Peters, Medienrecht 1999, 1. Kapitel Rn 38)). Nach dem Hanseatischen Oberlandesgericht ist eine Zurechenbarkeit von Interviewäußerungen nicht möglich, wenn der Zitierende sich das Zitat ersichtlich nicht zueigen gemacht hat und er unter Distanzierung von dessen Inhalt lediglich seiner Veröffentlichungspflicht nachgekommen ist (Hans OLG AfP 83, 412 (412)).

Nach Auffassung der Kammer ist es für das Eingreifen einer Verbreiterhaftung bei der Veröffentlichung eines Interviews nicht erforderlich, dass der intellektuelle Verbreiter sich die Formulierungen des Interviewten zu eigen macht. Vielmehr ist jedenfalls eine Distanzierung erforderlich, damit ein Entfallen der Verbreiterhaftung in Betracht kommt. An einer derartigen Distanzierung fehlt es aber hier.

Insoweit folgt die Kammer nicht der Ansicht, wonach ein „Zu-eigen-Machen“ Voraussetzung für eine Verbreiterhaftung ist oder bereits die Veröffentlichung in Interviewform eine hinreichende Distanzierung beinhalte. Auch der Ansicht, wonach die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur eingeschränkten Haftung für die Inhalte von Leserbriefen auf Interviews zu übertragen sei, folgt die Kammer nicht.

Diese Ansichten begegnen erheblichen Bedenken. Insbesondere spricht gegen diese Ansätze, dass es sich aus der Perspektive des Lesers bei Interviews um originär redaktionelle Beiträge handeln dürfte. Im Unterschied zu Leserbriefen ist es im Rahmen von Interviews eine redaktionelle Frage, welche Fragen dem Interviewten gestellt werden und welche Fragen und Antworten in welcher Reihenfolge in die Druckversion des Interviews aufgenommen werden. Allenfalls ist eine Autorisierung des Interviewten erforderlich. Der Einfluss der Redaktion auf den Inhalt des abgedruckten Interviews ist nicht unerheblich.

Würde man ein „Zu-eigen-Machen“ als Voraussetzung der Verbreiterhaftung bei Interviews fordern, so würde man insoweit die Verbreiterhaftung weitestgehend aushöhlen, da in dem Fall, in dem sich der intellektuelle Verbreiter die Äußerung tatsächlich zu eigen macht, bereits eine Haftung wegen Behauptens in Betracht kommt (vgl. Hans OLG Urteil vom 6. 2. 2007, Az. 7 U 151/06, ZUM-RD 2007, S. 476 f, zitiert nach Juris, Juris Ziffer 17), so dass es auf eine Verbreiterhaftung in derartigen Fällen bereits nicht mehr ankommt.

Würde man allein die Interviewform als hinreichende Distanzierung ausreichen lassen oder eine Prüfpflicht auf besonders schwere Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts reduzieren, dürften Äußerungen von Presseunternehmen in Interviewform (ohne inhaltliche Distanzierung) verbreitet werden, die bei Verbreitung durch andere journalistische Textformen unzulässig wären. Dies würde dazu führen, dass Presseunternehmen allein durch die Wahl der Form des Interviews unwahre Tatsachenbehauptungen (bis zur Schwelle besonders schwerer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts sanktionslos verbreiten könnten. Es würde das Risiko geschaffen, dass allein durch die Wahl der Interviewform einem Betroffenen die Möglichkeit genommen würde, ein Verbot der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptung durchzusetzen.

Das Hanseatische Oberlandesgericht hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verbreitung von Zitaten zu einer Verbreiterhaftung führt, auch ohne dass sich der Verbreiter die Tatsachenbehauptung inhaltlich zu eigen machen müsste (vgl. Hans OLG Urteil vom 6. 2. 2007, Az. 7 U 151/06, ZUM-RD 2007, S. 476 f, zitiert nach Juris, Juris Ziffern 18, 19). Da es sich bei einem Interview um einen originär redaktionellen Beitrag handelt, gilt für die Verbreitung von Zitaten in Interviewform nichts anderes.

Da die Beklagte damit bereits nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung für die streitgegenständlichen Interviewpassagen haftet, kommt es auf die Frage, ob Roger W. von der Beklagten etwas „in den Mund gelegt wurde“, nicht an.

4) Auch besteht im vorliegenden Fall Wiederholungsgefahr.

Das Oberlandesgericht München ist der Ansicht, dass bei Abdruck eines zu einem aktuellen Thema geführten Interviews einer Zeitung der Abdruck gewöhnlich nur einmal erfolgt, so dass es an der Erstbegehungsgefahr fehle (OLG München AfP 2007, 229 (230)). In der Literatur wird vertreten, dass die Vermutung für das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, die ansonsten bei Medienäußerungen in der Regel bestehe, bei Interviewveröffentlichungen nicht eingreife, wenn sich das Medium die Äußerung nicht zu eigen mache, sondern die Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang des Interviews ausschließlich dem Interviewten zuzurechnen sei und diese Äußerung situationsgebunden sei. In diesem Fall sei eine Wiederholungsgefahr so fern liegend, dass diese nicht vermutet werde, sondern vom Verletzten konkret dargelegt werden müsse (Soehring, Presserecht, 2000, Rn 16.22).

Dieser Ansicht folgt die Kammer nicht. Da es sich bei Interviews um originär redaktionelle Beiträge handelt, sind sie auch im Hinblick auf die Frage, wann eine Wiederholungsgefahr entfällt, nicht anders als sonstige redaktionelle Beiträge zu behandeln. Die Beklagte hat zwar unwidersprochen vorgetragen, dass sie eine erneute – auch teilweise – Veröffentlichung dieses Interviews nicht beabsichtige. Damit stellt sie aber lediglich ihre aktuelle Absicht dar, die sich in der Zukunft ändern kann. Auch erscheint die Möglichkeit einer Wiederholung der Verbreitung der konkreten Behauptung nicht gänzlich fern liegend, sondern durchaus möglich, etwa bei einer etwaigen Wiederaufnahme des Programms von Roger W. oder im Rahmen einer Berichterstattung über das Nachrichtenmagazin „F...“ selbst.

Die Erstbegehung durch Verbreiten der Interviewäußerung begründet damit auch hier Wiederholungsgefahr. Eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung wurde nicht abgegeben und auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, aus denen sich der Wegfall der Wiederholungsgefahr ergeben würde.

Die Nebenentscheidungen sowie der Streitwertbeschluss beruhen auf §§ 3, 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.