Niedersächsisches OVG, Urteil vom 30.09.2004 - 12 LC 144/04
Fundstelle
openJur 2012, 41975
  • Rkr:

Auf die einem behinderten volljährigen Kind, das mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, nach dem Grundsicherungsgesetz gewährten Leistungen ist das den Eltern nach §§ 31, 62 ff. EStG gezahlte Kindergeld grundsätzlich nicht anzurechnen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung des an die Eltern der Klägerin gezahlten Kindergeldes auf die ihr gewährten Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz.

Die am 8. Dezember 1973 geborene Klägerin ist aufgrund eines frühkindlichen Gehirnschadens dauerhaft erwerbsunfähig. Sie lebt im Haushalt ihrer Eltern. Ihre Mutter ist durch Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 10. Februar 1995 zu ihrer Betreuerin bestellt.

Der Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheiden vom 5. Juni und 24. Juni 2003 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz für die Zeiträume vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2003 in Höhe von monatlich 165,95 € bzw. vom 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2004 in Höhe von 146,17 €. In beiden Bescheiden berücksichtigte der Beklagte Kindergeld in Höhe von 154,00 € als Einkommen der Klägerin.

Gegen die Bescheide vom 5. Juni und 24. Juni 2003 legte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Juni und 4. Juli 2003 - jeweils unter Verwendung des Vordrucks „Musterwiderspruch Anrechnung Kindergeld bei der Grundsicherung“ - Widerspruch ein. Zur Begründung heißt es in dem Vordruck, Kindergeldberechtigte seien nach § 31 Einkommensteuergesetz - EStG - ihre Eltern. Ihr selbst werde das Kindergeld nicht zugewendet. Auf den Hinweis der für den Beklagten handelnden Stadt G., dass das Kindergeld bisher auch im Rahmen der Bewilligung von Sozialhilfe auf ihren Bedarf angerechnet worden sei, erwiderte die Klägerin mit Schreiben vom 16. Juli 2003. Darin führte sie aus, das Kindergeld werde für die Befriedigung von Bedürfnissen wie Kleidergeld, Verhütungsmittel, Freizeitaktivitäten, Urlaub, Arzneien und Therapien eingesetzt, die nicht von der Krankenkasse übernommen würden, sowie zur Bestreitung der erhöhten Fahrtkosten für Besuche u.a. verwendet, wofür es nicht mehr - wie in der Vergangenheit - einmalige Leistungen gebe. Dass sie gegen die Anrechnung des Kindergeldes im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt keinen Widerspruch eingelegt habe, sei in Unwissenheit über die Rechtslage begründet gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2003 wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück. Zur Begründung führte er aus, zum Einkommen im Sinne von § 3 Abs. 2 Grundsicherungsgesetz - GSiG - in Verbindung mit § 76 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - gehörten auch Einkünfte aus Kindergeld. Einem höheren Anspruch auf Grundsicherung stehe bereits entgegen, dass das Kindergeld von Seiten der Betreuerin weiterhin der Klägerin zugewendet werde. Das ergebe sich aus deren Vorbringen im Widerspruchsverfahren, wonach es für den über den Lebensunterhalt hinausgehenden Bedarf verwendet werde. Mit welcher Zwecksetzung das Kindergeld zugewendet werde, sei indes letztendlich belanglos, da maßgeblich ausschließlich die Tatsache sei, dass eine Zuwendung erfolge. Im übrigen könne auch davon ausgegangen werden, dass die Zuwendung des Kindergeldes von Seiten der Eltern der Abdeckung des notwendigen Lebensunterhaltes diene. Zwar sei Kindergeld nicht unmittelbar Einkommen der Kinder, weil gemäß §§ 62 ff. EStG die Eltern anspruchsberechtigt seien. Für den Bereich der Sozialhilfe habe das Bundesverwaltungsgericht jedoch entschieden, dass Kindergeld grundsätzlich auf den Bedarf der Kinder anzurechnen und nur deren Bedarf übersteigende Beträge für die Eltern frei verfügbar seien. Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe sei auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz übertragbar. Die Vermutung, dass Kindergeld dem Kind zugewendet werde, entspreche im übrigen auch dem Zweck der Kindergeldgewährung. Dieser bestehe gemäß § 31 EStG darin, bei Familien die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes zu bewirken. Dieser Zweck könne aber nur dadurch erfüllt werden, dass das Kindergeld tatsächlich an das Kind weitergeleitet werde, was auch den Vorstellungen des Gesetzgebers entspreche. So ergebe sich aus den Unterlagen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages bei der Beratung des Gesetzes zur Familienförderung, dass die Bundestagsmehrheit davon ausgegangen sei, dass das Kindergeld den Kindern zugewendet werde (BT-Drs. 14/2022, S. 30). Nicht zutreffend sei auch die Auffassung der Klägerin, dass die Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz einmalige Beihilfen ausschließe. Zwar enthalte der Grundsicherungsbedarf auch eine Pauschale in Höhe von 15 % des Regelsatzes, um einmaligen Bedarf von Grundsicherungsempfängern abzudecken, hierdurch werde die Leistung ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt jedoch nicht ausgeschlossen.

Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin, am 2. September 2003 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, Kindergeld sei grundsätzlich Einkommen der Kindergeldberechtigten. Es könne nur dann zu anrechenbarem Einkommen des Kindes werden, wenn es diesem durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben werde. Dafür genüge es nicht, dass das Geld in einen „gemeinsamen Topf“ fließe, aus dem der Aufwand für die gesamte Haushaltsgemeinschaft bestritten werde. Ein derartiger Zuwendungsakt liege in ihrem Falle nicht vor. Vielmehr werde das Kindergeld von ihren Eltern ebenso wie das sonstige Einkommen zur Bestreitung des Familienunterhaltes einschließlich ihres Unterhaltes verwendet. Damit lasse sich nicht die Feststellung treffen, dass aus dem gezahlten Kindergeld gerade ihr Bedarf bestritten werde. § 16 BSHG finde keine entsprechende Anwendung. Die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene Verweisung auf diese Vorschrift sei im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen worden. Damit habe die Bereitschaft der Eltern gefördert werden sollen, ihr behindertes Kind weiterhin im eigenen Haushalt zu betreuen, statt es in einer Einrichtung unterzubringen. Denn in diesem letzteren Falle verbleibe den Eltern das Kindergeld, was auch im Hinblick auf Art. 3 GG berücksichtigt werden müsse. Im übrigen diene das Kindergeld neben der Sicherung des Existenzminimums des Kindes auch der Förderung der gesamten Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Daneben bestehe für sie ein weiterer notwendiger Lebensbedarf, der durch die ihr gewährten Grundsicherungsleistungen nicht abgedeckt werde. Hierbei handele es sich um Medikamente wie Vitamintabletten und Verhütungsmittel, Kosten für Fahrten zu Ärzten wie Orthopäden und Neurologen, zu den regelmäßigen Terminen in der orthopädischen Fachklinik in H., zur Krankengymnastik sowie für andere Fahrten, etwa zu Konzerten oder Veranstaltungen. Hinzu kämen zusätzliche Aufwendungen für orthopädische Schuhe, Spezialeinlagen und Bekleidung, da sie seit der Umstellung der Leistungen auf Grundsicherung kein Bekleidungsgeld mehr erhalte und der Regelsatz nach § 22 BSHG lediglich Hausrat von geringem Anschaffungswert abdecke. Aufgrund ihrer Behinderung sei auch die Wohnung häufiger zu renovieren. Es gebe einen höheren Verschleiß an Haushaltsgeräten, die sie mitbenutze bzw. versuche mitzubenutzen, und einen Mehraufwand für Wäsche, die gewaschen werden müsse. Weitere Kosten entstünden durch Freizeiten mit der Lebenshilfe, der Kirchengemeinde, der Werkstatt für Behinderte, sowie für Clubnachmittage und Discoabende mit den Freizeitpädagogen der Lebenshilfe sowie für Kino, Konzerte, Feste und Ausflüge mit dem Gospelchor, in dem sie mitwirke. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang, dass die Kosten für die Begleitperson und der erforderliche doppelte Eintritt teilweise selbst gezahlt werden müssten. Bei diesen Kosten handele es sich nicht um Luxusaufwendungen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Bescheide der Stadt G. vom 5. und 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30. Juli 2003 aufzuheben und diesen zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2003 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,- € zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er ausgeführt, die Kindergeldanrechnung in den angegriffenen Bescheiden sei rechtmäßig. Sie entspreche der bisherigen Praxis im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Diese sei auf die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz zu übertragen. Dem könne die Klägerin nicht entgegenhalten, dass das Kindergeld zur Deckung anderer Bedarfe als des notwendigen Lebensunterhalts verwendet werde. In § 76 Abs. 2 und 2 a BSHG sei ausdrücklich geregelt, in welchen Fällen Beträge vom Einkommen abzusetzen seien. Für die von der Klägerin genannten Bedarfe bestehe kein Anspruch auf Absetzung entsprechender Beträge, schon gar nicht in pauschaler Form. Hierfür sei sie vielmehr auf das ihr gewährte Pflegegeld sowie auf die Pauschale nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG in Höhe von 15 % des Regelsatzes und gegebenenfalls auf ergänzende Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz, insbesondere die Hilfe in besonderen Lebenslagen, zu verweisen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Sozialhilferecht sei Kindergeld stets auf den Bedarf anzurechnen - wenn nicht bei dem Kind, für das es gewährt werde, dann bei dem kindergeldberechtigten Elternteil. Dass dies auch der Auffassung des Gesetzgebers entspreche, ergebe sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs zum 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sog. „Hartz IV-Gesetz“), der davon ausgehe, dass Kindergeld zusammen mit weiteren Sozialleistungen den Bedarf von Kindern abdecke. Dem Einwand der Klägerin, der Gleichheitssatz verbiete die Anrechnung von Kindergeld, weil es bei einer stationären Unterbringung von Behinderten in einer Einrichtung nicht als Einkommen berücksichtigt werde, sei nicht zu folgen. Insoweit lägen unterschiedliche Sachverhalte vor. Die entsprechende Regelung in § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG sei im übrigen gerade im Hinblick auf den Vorrang offener Hilfen (§ 3 a BSHG) unbefriedigend.

Im übrigen halte er die Regelung des § 4 Abs. 1 GSiG, worin Landkreise und kreisfreie Städte als Träger der Grundsicherung durch das Bundesgesetz benannt worden seien, mit Art. 84 Abs. 1 GG für nicht vereinbar. Die hiermit verbundene finanzielle Belastung der betroffenen Kommunen verbiete es, die betreffende Regelung als bloße „punktuelle Annexregelung“ zu begreifen, die der Bundesgesetzgeber noch treffen dürfe. Er rege insoweit eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG an.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 11. März 2004 stattgegeben und zur Begründung unter Berufung auf sein Urteil vom 6. November 2003 im Verfahren 3 A 292/03 ausgeführt, dass das gezahlte Kindergeld Einkommen der Eltern und nicht des Kindes sei, für das es gezahlt werde. Das ergebe sich sowohl aus den gesetzlichen Regelungen des Einkommensteuergesetzes wie auch aus der Rechtsprechung der Finanzgerichte. Der Bundesfinanzhof habe in seinem Urteil vom 16. April 2002 (Az: 8 R 50/01) zwar einen unmittelbaren Auszahlungsanspruch des Kindes analog § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG in einem Fall bejaht, in dem die - leistungsfähigen - Eltern dem Kind zivilrechtlich nicht mehr zum Unterhalt verpflichtet gewesen seien. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, in dem die Eltern der Klägerin ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nachkämen. Im übrigen bleibe es auch bei der Auszahlung des Kindergeldes an das Kind selbst dabei, dass das Kind in diesem Fall nicht selbst kindergeldberechtigt sei und eine Verrechnung mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag des Kindergeldberechtigten erfolge. Kindergeld könne nur dann zu anrechenbarem Einkommen des Kindes werden, wenn es von den Eltern durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben werde. Eine solche Zuwendung von Kindergeld liege nicht schon dann vor, wenn es dem Kind im Rahmen des ihm im Haushalt gewährten Familienunterhaltes als Naturalleistung, wie z. B. durch Unterkunft, Kost oder Bekleidung, zugute komme. Es genüge nicht, dass das Kindergeld in einen gemeinsamen Topf fließe, aus dem der Aufwand für den Lebensunterhalt des Kindes gerade mittels eines zweckorientierten und mit Rücksicht auf das Kind gewährten Kindergeldes bestritten werde, wie das Oberverwaltungsgericht Hamburg in dessen Beschluss vom 3. April 2002 (Az: 4 Bs 20/02, NVwZ-RR 2002, 756 ff.) ausgeführt habe. Diese - für Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz entwickelte - Beurteilung sei nach Auffassung der Kammer auch auf das Grundsicherungsgesetz zu übertragen, zumal § 3 Abs. 2 GSiG für den Einsatz von Einkommen und Vermögen auf die Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes verweise. In diesem Zusammenhang sei auch von Bedeutung, dass das Grundsicherungsgesetz eine entsprechende Anwendung von § 16 BSHG, der die Vermutung finanzieller Unterstützung innerhalb der Haushaltsgemeinschaft enthalte, nicht vorsehe. Im übrigen spreche die Absicht des Gesetzgebers, eine „Abschiebung“ behinderter volljähriger Kinder in eine Einrichtung zu verhindern, gegen eine Anrechnung des Kindergeldes, worauf das Verwaltungsgericht Ansbach in seinem Urteil vom 10. Juli 2003 (Az: AN 4 K 03.00575) hingewiesen habe. Der Gesetzgeber habe darüber hinaus den Übergang von Unterhaltsansprüchen in § 2 Abs. 1 bis 3 GSiG von einer Einkommensgrenze von 100.000,- € bei den Eltern abhängig gemacht, was weiter dafür spreche, das ihnen gezahlte Kindergeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung, zu deren Begründung er ausführt, das Verwaltungsgericht habe ihn zu Unrecht zu einer Erhöhung der bewilligten Grundsicherungsleistungen um 154,- € verpflichtet. Es sei allerdings unstrittig, dass Kindergeld Einkommen der Kindergeldberechtigten sei. Das Kindergeld werde der Klägerin vom Kindergeldberechtigten jedoch zugewendet, wobei bedeutungslos sei, für welche Zwecke es verbraucht werde. Das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend gewürdigt, dass das Kindergeld nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 9.4.2003 - 1 BvR 1/01 - u.a.) der Sicherung des Existenzminimums des Kindes diene, was auch Aufgabe der Sozialhilfe und der Grundsicherung sei. Zwar hätten diese Leistungen vom Umfang her einen über das Existenzminimum hinausgehenden Bedarf abzudecken, in Höhe des Existenzminimums liege jedoch Zweckgleichheit mit dem Kindergeld vor. Das entspreche - wie er gegenüber dem Verwaltungsgericht ausgeführt habe - offensichtlich auch der Auffassung des Gesetzgebers, der entsprechendes im 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drs. 15/1516) ausgeführt habe. In § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II n.F. sei zwar nur eine Anrechnung auf den Bedarf minderjähriger Kinder festgeschrieben, dies schließe die Anrechnung auf den Bedarf volljähriger Kinder jedoch nicht aus, zumal auch volljährige behinderte Menschen häufig im Haushalt der Eltern lebten, also im Grunde dieselben Voraussetzungen vorlägen wie bei Minderjährigen. Im übrigen müsse nach der Lebenswirklichkeit regelmäßig davon ausgegangen werden, dass das Kindergeld dem den Anspruch auslösenden Kind zumindest teilweise aus der Haushaltskasse, d. h. in Form von Kosten, Unterkunft und Bekleidung usw., zugewendet werde. Das rechtfertige es, pauschal zumindest 50 % des monatlichen Betrages von 154,- €, also 77,- €, in Anrechnung zu bringen. Von dieser Vermutung könne nur dann eine Ausnahme anerkannt werden, wenn der Kindergeldberechtigte glaubhaft darlege, dass er das Kindergeld ausschließlich für seinen eigenen Bedarf verwende. Zwar unterliege die Grundsicherung nicht dem Bedarfsdeckungsprinzip, sondern sei „bedarfsorientiert“; zum Einkommen des Leistungsempfängers gehörten aber gemäß § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. § 76 Abs. 1 BSHG alle ihm zufließenden Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Im übrigen handele es sich bei dem Kindergeld, auch wenn man es nicht als Einkommen des Kindes im Sinne von § 76 BSHG betrachte, um eine Zuwendung im Sinne von § 78 Abs. 2 BSHG, die von den Eltern aufgrund ihrer fortbestehenden sittlichen Unterhaltsverpflichtung gewährt werde.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer - vom 11. März 2004 zu ändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, das genannte Urteil dahingehend abzuändern, dass er lediglich verpflichtet werde, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 77,- € zu gewähren.

Die Klägerin hat keinen Sachantrag gestellt und sich zum Berufungsvorbringen des Beklagten inhaltlich nicht geäußert.

Den auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag der Klägerin vom 29. September 2004 hat der Senat mit Beschluss vom 30. September 2004 mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin ihre Prozesskostenarmut nicht nachgewiesen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat Anspruch auf zusätzliche Leistungen nach den §§ 2, 3 des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - GSiG - in der Fassung von Art. 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1310, 1335), geändert durch Gesetz zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1462), über die ihr durch die Bescheide der Stadt G. vom 5. und 24. Juni 2003 bewilligten Leistungen hinaus in Höhe von zusätzlich 154,- € monatlich (§ 113 Abs. 5 VwGO).

23Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin sind die §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 und 2 GSiG i. V. m. §§ 76 ff. BSHG. Nach diesen Rechtsvorschriften haben Behinderte i. S. v. § 1 Nr. 2 GSiG Anspruch auf Leistungen, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können, wobei zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert zählen, die dem Hilfesuchenden im Bedarfszeitraum zufließen (vgl. BVerwG, Urt. v.18.2.1999 - 5 C 35/97 -, BVerwGE 108, 296 ff.).

I. Das nach § 31 EStG und §§ 62 ff. EStG gezahlte Kindergeld ist nicht Einkommen des Kindes, für das es gezahlt wird; vielmehr handelt es sich grundsätzlich um Einkünfte der Kindergeldberechtigten, d.h. regelmäßig der Eltern (vgl. BFH, Urt. v. 16.4.2002 - XIII R 50/01 -, BFHE 199, 105 ff. sowie BVerwG, Urt. v. 21.6.2001 - 5 C 7/00 -, BVerwGE 114, 339, 340; Urt. v. 11.10.1985 - 5 B 80/85 -, NVwZ 1986, 382, 383; Urt. v. 7.2.1980 - 5 C 73/79 -, BVerwGE 60, 6 ff.; VGH München, Urteile v. 9.2.2004 - 12 B 03.2299 - u. v. 5.2.2004 - 12 BV 03.3282 -, juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 3.4.2002 - 4 Bs 20/02 -, NVwZ-RR 2002, 756 f.; OVG Koblenz, Urt. v. 23.5.2002 - 12 A 10375/02 -, NVwZ-RR 2003, 44 ff.). Hiervon gehen auch die niedersächsischen Hinweise zur Ausführung des Grundsicherungsgesetzes aus (vgl. Ziff. 1.4 des RdErl. d. MfAS v. 23.12.2002 - Voris 21148 -, MBl. 2003, 159). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich auch unter der geltenden Gesetzeslage aus den Regelungen des Einkommensteuergesetzes (vgl. BFH, Urt. v. 15.10.1999 - VI R 40/98 -, BFHE 189, 449 ff.). Anspruchsberechtigt ist nach § 62 EStG, wer im Inland Kinder hat. Kindergeld wird gemäß § 31 EStG auf den Kinderfreibetrag des Kindergeldberechtigten angerechnet. Es dient der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowie, soweit es hierfür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Einen unmittelbaren Auszahlungsanspruch hat das Kind selbst nur dann, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt oder mangels Leistungsfähigkeit nicht mindestens in Höhe des Kindergeldbetrages leistungsfähig ist oder die Unterhaltspflicht erloschen ist (vgl. § 74 Abs. 1 Sätze 1 u. 3 EStG sowie BFH, Urt. v. 16.4.2002, a.a.O.).

Die Bezeichnung „Kindergeld“ ist zweckneutral. Es dient dazu, die wirtschaftliche Lage von Familien mit Kindern im Verhältnis zu solchen ohne Kinder zu verbessern und die wirtschaftlichen Nachteile, die mit der Kindererziehung zwangsläufig verbunden sind, auszugleichen (BVerwG, Beschl. v. 11.10.1985 - 5 B 80/85 -, FEVS 35, 1 f.). Das Kindergeld ist insbesondere keine zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährte Leistung im Sinne von § 77 Abs. 1 BSHG und muss nicht notwendig dem Kind unmittelbar zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs zugewendet werden (BVerwG, a.a.O., Urt. v. 22.12.1998 - 5 C 25/97 -, BVerwGE 108, 222 ff.).

26Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängt die Möglichkeit, Kindergeld - bzw. einen ihm entsprechenden Betrag - als Einkommen des Kindes auf die gewährte Sozialleistung anrechnen zu können, davon ab, ob im Einzelfall die zweckorientierte, mit Rücksicht auf das Kind dem jeweils Anspruchsberechtigten gewährte Sozialleistung an das Kind weitergereicht, ihm also zugewendet wird (BVerwG, Urte. v. 7.2.1980, a.a.O., u. v. 8.2.1980 - 5 C 61/78 -, BVerwGE 60, 18 ff.; zustimmend VGH München, a.a.O., u. OVG Hamburg, a.a.O.). Diese Feststellung lässt sich nicht durch eine „Vermutung der Vorteilszuwendung“ ersetzen (BVerwG, Urt. v. 7.2.1980, a.a.O.). Voraussetzung für eine Anrechnung ist daher die unverzichtbare Feststellung, dass die zweckorientierte Leistung dem Kind zugewendet wird. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn das Kindergeld dem Kind im Rahmen des ihm im Haushalt gewährten Familienunterhalts als Naturalleistung, wie z. B. Unterkunft, Kost oder Bekleidung, zugute kommt (vgl. BVerwG, a.a.O., OVG Hamburg, a.a.O.). Es genügt deshalb nicht, dass das Kindergeld in einen „gemeinsamen Topf“ fließt, aus dem der Aufwand für den Lebensunterhalt der Haushaltsgemeinschaft insgesamt bestritten wird. Erforderlich ist vielmehr, dass der Lebensunterhalt des Kindes gerade mittels des zweckorientierten und mit Rücksicht auf das Kind gewährten Kindergeld, d. h. gerade aus dem Kindergeld, bestritten wird (BVerwG, Urt. v. 8.2.1980, a.a.O.).

Diese - zur Berücksichtigung von Kindergeld bei Sozialhilfeleistungen ergangene - verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hält der Senat auf die Einkommensanrechnung nach dem Grundsicherungsgesetz für übertragbar. Dafür spricht die in § 3 Abs. 2 GSiG enthaltene Verweisung auf die §§ 76 ff BSHG, die mit dem Ziel erfolgt ist, die hierzu bestehende Praxis auch im Grundsicherungsrecht zur Anwendung gelangen zu lassen (vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drs. 14/5150, S. 50, wo es heißt, „ ... Das Gesetz verzichtet auf eine eigenständige Definition von Einkommen und Vermögen und verweist insoweit auf die Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes ...“, und weiter ausgeführt wird, dass es sich „... bei der Ermittlung von Einkommen und Vermögen nach dem Bundessozialhilfegesetz um ein zwar nicht einfaches, aber in der kommunalen Praxis bekanntes und angewandtes System (handele), dessen Zweifelsfragen auch in der Rechtsprechung und Literatur weitgehend abgeklärt (seien).“). Darüber hinaus erscheint die Übertragung der zur Einkommensanrechnung im Sozialhilferecht entwickelten Grundsätze aufgrund der systematischen Nähe des Grundsicherungsrechts zum Sozialhilferecht, die nicht zuletzt in der gemeinsamen Einfügung beider Sozialleistungssysteme in das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - zum Ausdruck kommt, sinnvoll (OVG Magdeburg, Urt. v. 25.2.2004 - 3 L 386/03 -, V.n.b.).

28Ausgehend von den oben genannten Grundsätzen der Kindergeldanrechnung ist das für die Klägerin gezahlte Kindergeld nicht als ihr Einkommen im Rahmen der Berechnung der Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz zu berücksichtigen. Weder kommt eine Anrechnung des Kindergeldes nach der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Weiterreichung des Kindergeldes (1.) noch auf der Grundlage der §§ 3 Abs. 2 GSiG, 76 Abs. 1, 78 Abs. 2 BSHG in Betracht (2.), noch sind die Voraussetzungen für eine unmittelbare Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin selbst nach den §§ 74 EStG, 48 SGB I erfüllt (3.).

1. Der Senat entnimmt den Ausführungen der Klägerin zur Verwendung des für sie gezahlten Kindergeldes, dass dieses nicht gesondert behandelt und zur Bestreitung ihres speziellen Bedarfs verwendet wird, sondern - wie andere Einkünfte der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft auch - in die Haushaltskasse - den „großen Topf“ - fließt, aus dem sämtliche Aufwendungen für den gemeinsamen Haushalt der Familie bestritten werden. Hierbei ist nicht abgrenzbar, in welchem Umfang das Kindergeld oder Teile hiervon für die Klägerin verwendet oder von ihrer Mutter, die als Betreuerin eingesetzt ist, für andere Zwecke der Förderung des familiären Zusammenlebens (§ 31 EStG) verwendet werden.

Damit fehlt aber für die vom Beklagten vertretene Auffassung, es spreche eine Vermutung dafür, dass das Kindergeld dem Kind, für das es gewährt werde, in Form von Geldleistungen oder Leistungen in Geldeswert zugewendet werde, die tatsächliche und rechtliche Grundlage. Das gilt auch für die Annahme, pauschal könne jedenfalls - wie der Beklagte zur Begründung seines Hilfsantrages vorträgt - davon ausgegangen werden, dass mindestens 50 % des Kindergeldes für das Kind verwendet würden. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner vom Beklagten angeführten Entscheidung vom 8. Februar 1980 (a.a.O.) ausgeführt hat, spricht für eine solche Annahme keine „Vermutung der Vorteilszuwendung“. Eine derartige Vermutung kann im Rahmen des Grundsicherungsgesetzes auch nicht auf eine entsprechende Anwendung von § 16 BSHG gestützt werden. Denn die im Gesetzentwurf noch vorgesehene Verweisung auf diese Rechtsvorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren gestrichen worden (VGH München, Urt. v. 9.2.2004, a.a.O.; VG Ansbach, Urt. v. 10.7.2003 - An 4 K 03.00575 -; juris).

Aus der von ihm angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2003 (BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 - 1 BvR 1/04 u. a., BVerfGE 108, 52 ff.) kann der Beklagte nichts herleiten. Diese Entscheidung ist zur Verfassungsmäßigkeit der Nichtanrechnung von Kindergeld auf den Kindesunterhalt nach § 1612 b Abs. 5 BGB ergangen. Sie befasst sich mit der Frage, inwieweit die Nichtanrechnung von Kindergeld den barunterhaltspflichtigen Elternteil, zumal Unterhaltspflichtige aus einkommensschwachen Schichten, in unzumutbarer Weise belastet. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts können nicht aus diesem Kontext gelöst und zur Begründung einer Auffassung herangezogen werden, die darauf hinaus läuft, den Eltern eines behinderten volljährigen Kindes das ihnen gewährte Kindergeld faktisch zu entziehen, indem es auf dem Kind gewährte Grundsicherungsleistungen angerechnet wird.

32Auch auf die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 des am 1. Januar 2005 in Kraft tretenden Sozialgesetzbuches Zweites Buch - SGB II - i. d. F. des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I 2954, 2958 f.) - sog. „Hartz IV“-Gesetz - beruft der Beklagte sich für seine Auffassung zu Unrecht. Gegenstand des SGB II ist die Gewährung von Sozialleistungen an erwerbsfähige Arbeitslose. Die - künftig einschlägige - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist demgegenüber in den §§ 41 ff SGB XII geregelt. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, auf den § 41 Abs. 2 SGB XII verweist, sieht jedoch eine Anrechnung von Kindergeld bei der Gewährung an die - volljährigen - Empfänger von Leistungen der Grundsicherung nicht vor.

2. Die Anrechnung des an die Eltern der Klägerin gewährten Kindergeldes als Einkommen des Kindes findet auch keine Grundlage in § 3 Abs. 2 GSiG i. V. m. §§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 2 BSHG. Nach diesen Vorschriften sollen Zuwendungen, die gewährt werden, ohne dass den Zuwendenden eine rechtliche oder sittliche Pflicht hierzu trifft, als Einkommen (nur) außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für den Empfänger eine besondere Härte bedeuten würde.

Vorliegend ist - wie oben dargelegt (s. I 1) - bereits der Tatbestand einer Zuwendung im Sinne von § 78 Abs. 2 BSHG, die als zweckgleich angesehen werden kann, nicht belegt. Das den Eltern der Klägerin gezahlte Kindergeld (bzw. ein dem Kindergeld entsprechender Betrag der Einkünfte der Eltern) wird nach den von ihnen gemachten Angaben für einen anderen Unterhaltsbedarf als den durch Grundsicherungsleistungen gedeckten Bedarf verwendet (Verhütungsmittel, Bestreitung von Fahrtkosten und Aufwand aufgrund der Mehrfachbehinderung der Klägerin). Soweit der Beklagte gegenüber diesem Vorbringen der Klägerin darauf verweist, dass für den genannten Bedarf einmalige Leistungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden könnten und es zu seiner Finanzierung des Kindergeldes daher nicht bedürfe, übersieht er, dass der Klägerin nicht für ihren Lebensunterhalt benötigte Einkünfte zunächst entzogen werden dürfen, um sie anschließend auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.1998 - 5 C 37/97 - BVerwGE 108, 36, 38; Senat, Urt. v. heutigen Tage - 12 LB 259/04 -; VG Hamburg, Urt. 17.2.2003 - 2 VG 42/99 -, V.n.b.). Die Ausführungen des Senats in seinem von dem Beklagten angeführten Beschluss vom 15. Dezember 2003 (Az. 12 ME 518/03) betreffen nicht die Frage der Kindergeldanrechnung und sind hierauf auch nicht übertragbar.

Darüber hinaus hält der Senat es nicht für zulässig, die Entscheidung des Gesetzgebers, Unterhaltsansprüche behinderter Kinder gegenüber ihren Eltern in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG nicht zu berücksichtigen, dadurch zu unterlaufen, dass Teile des Elterneinkommens - etwa Kindergeld oder mit Rücksicht auf Kinder gewährte Leistungen, wie z.B. Ortszuschläge - unabhängig von der Einkommenshöhe auf der Grundlage der §§ 3 Abs. 2 GSiG, 78 Abs. 2 BSHG auf die nach dem Grundsicherungsgesetz gewährten Leistungen angerechnet werden.

3. Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin selbst gem. §§ 74 EStG, 48 SGB I sind nicht erfüllt. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann Kindergeld in angemessener Höhe (u. a.) an Kinder des Kindergeldberechtigten ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihnen gegenüber seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht nachkommt. Dieser Tatbestand setzt das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus (BFH, Urt. v. 16.4.2002 - VIII R 50/01 -, BFHE 199, 105 ff.). Ob eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht, richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (BFH, a.a.O.). Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern der Klägerin den Unterhaltsverpflichtungen ihr gegenüber nicht nachkommen. Sie gewähren der Klägerin u.a. kostenlose Unterkunft in der familiären Wohnung (die Klägerin trägt lediglich die anteiligen Nebenkosten) und stellen den durch Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz nicht gedeckten Lebensbedarf sicher.

4. Für eine Nichtanrechnung des Kindergeldes spricht im übrigen auch der Vergleich zu stationär untergebrachten Behinderten.

38Zutreffend weist das Verwaltungsgericht Ansbach in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2003 (a.a.O.) darauf hin, dass eine Anrechnung von Kindergeld auf den Grundsicherungsanspruch von in Gemeinschaft mit ihren Eltern lebenden volljährigen Behinderten diese Personengruppe im Vergleich zu stationär untergebrachten erwachsenen Behinderten benachteiligen würde. Denn den Eltern erwachsener Behinderter verbleibt regelmäßig der Kindergeldanspruch (vgl. § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG) auch bei einer stationären Unterbringung (BFH, Urt. v. 15.10.1999 - VI R 40/98 -, BFHE 189, 499 ff.). Der Übergang von Unterhaltsansprüchen auf den Sozialhilfeträger ist in diesem Fall nach § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG auf monatlich 26,- € beschränkt. Im Vergleich hierzu wären erwachsene Behinderte, die von ihren Eltern zu Hause betreut werden, in finanzieller Hinsicht benachteiligt, wenn bei ihnen - wie der Beklagte es vertritt - das an die Eltern gezahlte Kindergeld als Einkommen des Kindes im Rahmen der Gewährung von Grundsicherungsleistungen anspruchsmindernd berücksichtigt würde. Dies könnte nicht zuletzt auch einen ökonomischen Anreiz zur stationären Unterbringung eines bedürftigen behinderten Kindes im Sinne einer „Abschiebung in ein Heim“ bilden, den der Gesetzgeber verhindern wollte (BR-Drs. 764/00, S. 169; VG Ansbach, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich, ob die entsprechenden gesetzlichen Regelungen, die beide Fallgruppen unterschiedlich behandeln, in ihren Auswirkungen gegen Art. 3 GG verstoßen. Vorliegend steht allein die Frage der Auslegung der Bestimmungen der §§ 2, 3 GSiG in Rede. Hierfür ist zu ermitteln, ob die vom Beklagten vertretene Anrechnung gezahlten Kindergeldes und die damit verbundene ökonomische Schlechterstellung der häuslichen Betreuung von behinderten Volljährigen im Vergleich zu einer stationären Unterbringung mit den erkennbaren Absichten des Gesetzgebers harmoniert. Das ist für die vom Beklagten vertretene Auslegungsalternative zu verneinen.

II. Die vom Senat demnach für zutreffend erachtete Auffassung, das an die Eltern von Grundsicherungsberechtigten gezahlte Kindergeld nicht auf die nach dem Grundsicherungsgesetz gewährten Leistungen anzurechnen, wird von der deutlich überwiegenden Rechtsprechung geteilt (VGH München, Urteile v. 9.2.2004, a.a.O., u. v. 5.2.2004, a.a.O., beide juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 8.1.2004 - 2 MB 168/03 -, SAR 2004, 76; OVG Magdeburg, Urt. v. 25.2.2004, a.a.O.; VG Ansbach, Urt. v. 10.7.2003, a.a.O.; VG Augsburg, Urt. v. 28.10.2003 - Au 3 K 03.1029 -, juris; VG Braunschweig, Urte. v. 11.3.2003 - 3 A 406/03 - u. v. 21.1.2004 - 3 356/03 -, beide BeckRS; VG Köln, Beschl. v. 26.6.2003 - 21 L 1134/03 -, V.n.b.; VG Schleswig, Urte. v. 11.12.2003 - 13 A 135/03 u. 13 A 151/03 -, V.n.b.; a.A. OVG Münster, Beschl. v. 2.4.2004 - 12 B 1577/03 -, juris; VG Hannover, Urt. v. 26.4.2004 - 7 A 6881/03 -, BeckRS für einen Sonderfall).

41Die abweichende Ansicht des Nordrhein-Westfälischen Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.), das gezahlte Kindergeld sei zwar nicht als Einkommen, wohl aber bedarfsmindernd zu berücksichtigen, vermag nicht zu überzeugen. Die nicht näher belegte Annahme, bei „lebensnaher Betrachtung“ liege eine tatsächliche Unterhaltsgewährung in Höhe (gerade) des Kindergeldes von Seiten der Kindergeldberechtigten an das Kind vor, begründet faktisch eine „unwiderlegbare Vermutung der Vorteilszuwendung“, was mit der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 7.2.1980 - 5 C 73/79 -, BVerwGE 60, 6 ff.) nicht vereinbar ist. Sie kann sich nach Auffassung des Senats auch nicht auf das vom Nordrhein-Westfälischen Oberverwaltungsgericht in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 1998 (a.a.O.) stützen. Zu berücksichtigen ist, dass das Kindergeld von den Eltern der Klägerin nicht für denselben Bedarf verwendet wird, für den der Klägerin Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz gewährt werden, so dass es an der erforderlichen Zweckgleichheit fehlt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 22. Dezember 1998 (a.a.O.) für den Fall der Erziehung eines Kindes in einer betreuten Wohnform gerade die Auffassung zurückgewiesen, dass für die Ausgleichsfunktion des Kindergeldes - neben der aus öffentlichen Mitteln getragenen Heimunterbringung - kein Raum mehr bleibe und praktisch eine doppelte Unterstützung zu demselben Zuwendungszweck vorliege. Im Rahmen der fortbestehenden Eltern-/Kindkontakte lasse auch eine Heimunterbringung Raum für die besondere Zweckbestimmung des Kindergeldes, zur wirtschaftlichen Entlastung von kindbedingten Mehrkosten der allgemeinen Lebensführung beizutragen (BVerwG, a.a.O.). Dies muss in gleicher Weise gelten, wenn ein behindertes Kind nicht stationär untergebracht ist, sondern mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt. Denn in diesem Fall sind die von den Eltern zu tragenden Aufwendungen (z.B. für gemeinsame Unternehmungen, die Teilnahme an behindertengerechten kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen sowie erhöhte Haushaltskosten, etwa für Wäsche, elektrische Geräte und Renovierung, Kosten für Fahrten zu Ärzten und Therapien) regelmäßig erheblich höher als bei einer Heimunterbringung, wobei im vorliegenden Fall noch hinzu kommt, dass die Eltern der Klägerin dieser Naturalunterhalt auch durch kostenlose Zurverfügungstellung von Unterkunft gewähren.

Die Anrechnung von Kindergeld ist auch nicht geboten, um eine nicht gerechtfertigte Besserstellung gegenüber Grundsicherungsberechtigten zu vermeiden, an die das Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG unmittelbar ausgezahlt wird (a.A. OVG Münster, a.a.O.). Die Anrechnung von Kindergeld auf die gewährten Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz stellt sich bei der Direktauszahlung nicht anders dar als die Anrechnung anderer Einkünfte des Grundsicherungsberechtigten, wie etwa von Waisenrenten oder anderen Zuflüssen. Maßgeblich ist, dass in beiden Fällen für den von § 3 Abs. 1 GSiG erfassten Bedarf im Ergebnis gleich hohe Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen. Dass behinderte volljährige Kinder, deren Eltern ihrer Unterhaltspflicht nachkommen, häufig materiell besser gestellt sein mögen, weil die Eltern sich auch persönlich um ihre Betreuung kümmern und ihnen bei dieser Gelegenheit Zuwendungen in Höhe des Kindergeldes oder jedenfalls von Teilen davon - in welcher Gestalt auch immer - zugute kommen lassen, mag zwar zutreffen. Derartige Unterschiede wurzeln jedoch ausschließlich im familiären Bereich. Dies zu nivellieren, ist nicht Aufgabe des Grundsicherungsgesetzes.

III. Eine Verfassungswidrigkeit des Grundsicherungsgesetzes aufgrund der Regelungen des § 4 GSiG, wie der Beklagte es im erstinstanzlichen Verfahren vertreten hat, vermag der Senat im Hinblick auf die bundesgesetzliche Regelung der verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen nicht festzustellen. Er verweist insoweit auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtsgerichtshofs in dessen Urteil vom 9. Februar 2004 (a.a.O.), wonach es sich bei der Zuständigkeitsbestimmung des § 4 GSiG um eine punktuelle Annexregelung handelt, die mit Art. 84 Abs. 1 GG vereinbar ist. Im Übrigen ist die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit des § 4 GSiG im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, da auch das Land Niedersachsen in § 1 des Ausführungsgesetzes zum Grundsicherungsgesetz - Nds AG-GSiG - vom 20. November 2002 (GVBl. S. 728 f.) die Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz den Landkreisen, kreisfreien Städte und der Region Hannover zugewiesen hat, was die Zuständigkeitszuweisung durch § 4 GSiG jedenfalls landesrechtlich überlagert.

Die lediglich pauschalen Ausführungen des Beklagten zu den finanziellen Folgen der Aufgabenzuweisung und den mit der Ausführung des Grundsicherungsgesetzes einhergehenden Belastungen der Niedersächsischen Kommunen geben dem Senat keinen Anlass, dieser Frage im vorliegenden Verfahren nachzugehen. Bereits das Verwaltungsgericht hat in seinem angefochtenen Urteil vom 11. März 2004 in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das Land seiner Finanzierungsverantwortung insoweit bei der Durchführung des kommunalen Finanzausgleichs Rechnung trägt (vgl. § 2 Nds AG-GSiG).

IV. Der Hilfsantrag des Beklagten mit dem Ziel, das Kindergeld (pauschal) jedenfalls zur Hälfte anzurechnen und ihn lediglich zu verpflichten, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 77,- € zu gewähren, kann nach den obigen Ausführungen unter I. und II., auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, ebenfalls keinen Erfolg haben.