ArbG Marburg, Urteil vom 15.10.2010 - 2 Ca 192/10
Fundstelle
openJur 2012, 33640
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 Eurofestgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung einer unverfallbaren, Betriebsrentenanwartschaft und eines Betriebsrentenanspruches gegen die Beklagte.

Der Kläger war bei der Beklagten von 1963 bis zum 10. Februar 1979 beschäftigt. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Ausscheidens bei der Beklagten 34 Jahre alt.

Der Kläger ist am 07. März 1944 geboren. Seit dem 01. April 2009 bezieht er die gesetzliche Altersrente.

Bei der Beklagten besteht eine betriebliche Altersversorgung.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten die Zahlung von Betriebsrente.

Mit Schreiben vom 16. März 2009 sowie noch einmal mit Schreiben vom 08. Januar 2010 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Betriebsrente an den Kläger ab. Die Beklagte berief sich auf § 1 Betriebsrentengesetz alte Fassung und darauf, dass der Kläger zum Ausscheidenszeitpunkt noch nicht 35 Jahre alt war.

Die Beklagte hat sich weiter darauf berufen, dass auch nach der Änderung des Betriebsrentengesetzes aufgrund der Übergangsvorschrift des § 30 f BetrAVG ein Anspruch nicht bestehe.

Der Kläger ist der Ansicht, dass er gegen die Beklagte mittlerweile einen Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Betriebsrente besitze.

Der Kläger verweist darauf, dass er ihm zum Ausscheidenszeitpunkt nur 25 Tage zur Vollendung des 35. Lebensjahres gefehlt haben.

Auch nach der Übergangsvorschrift des § 30 f. Abs. 1 BetrAVG stehe ihm der Anspruch zu.

Im Übrigen verstoße die Versagung der unverfallbaren Anwartschaft und des Betriebsrentenanspruches gegen die Grundsätze des Art. 14 GG sowie gegen Art. 3 GG.

Schließlich liege eine Benachteiligung wegen des Alters vor.

Eine solche Benachteiligung wegen des Alters sei durch Art. 21 Abs. 1 EU-GR Charta verboten.

Diese Altersdiskriminierung verstoße auch gegen Treu und Glauben und gegen die Grundsätze des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Dieses Gesetz diene der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG. Zweck dieser Richtlinie sei die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung unter anderem wegen Alters. Dem stehe auch die Verweisung in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG nicht entgegen.

Es erscheint im Übrigen treuwidrig, dass sich die Beklagte auf die alte Fassung des § 1 BetrAVG und darauf berufe, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt noch nicht das 35. Lebensjahr erreicht hatte. Es müsse hier von einem Härtefall ausgegangen werden.

Der Kläger beantragt,

es wird festgestellt, dass die Anwartschaft des Klägers auf die seitens der Beklagten erteilte betriebliche Altersvorsorge unverfallbar geworden ist und ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Betriebsrente besteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich darauf, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Ausscheidens im Jahr 1979 zum Erreichen einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft mindestens 35 Jahre alt gewesen sein müsste.

Das sei unstreitig nicht der Fall gewesen.

Die vom Gesetzgeber im Betriebsrentenrecht getroffene Stichtagsregelung bzgl. des Mindestalters bei Ausscheiden sei nicht zu beanstanden. Stichtagsregelungen seien möglich, auch wenn daraus soziale Härten im Einzelfall folgen.

Auch die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs lasse eine Altersdifferenzierung im Betriebsrentengesetz zu.

Eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters liege nicht vor. Im Übrigen gelte das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht für das Betriebsrentengesetz.

Die Beklagte ist auch der Ansicht, dass ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht vorliege.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 22. Juni 2010 (Bl. 25 d. A.) und vom 15. Oktober 2010 (Bl. 40 d. A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Dem Kläger stand bei seinem Ausscheiden am 10. Februar 1979 gegen die Beklagte keine unverfallbare Anwartschaft auf Zahlung einer betrieblichen Altersrente zu. Als der Kläger ausschied, war er unstreitig noch nicht 35 Jahre alt. Nach der damaligen Vorschrift des § 1 Betriebsrentengesetz konnte somit bei dem vorzeitigen Ausscheiden des Klägers eine unverfallbare Betriebsrentenanwartschaft nicht entstehen.

Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers im Jahre 1979 war es völlig unbestritten, dass die geltende Regelung des Betriebsrentengesetzes insoweit rechtswirksam ist und ein Mitarbeiter bei einem vorzeitigen Ausscheiden vor Erreichen des 35. Lebensjahres keine unverfallbare Anwartschaft besaß.

Auch unter Berücksichtigung der heutigen Gesetz- und Rechtslage ist diese Regelung nicht zu beanstanden.

Die Stichtagsregelung des § 1 BetrAVG alte Fassung, die das Erreichen des 35. Lebensjahres bei Ausscheiden fordert, enthält aus heutiger Sicht eine Altersdiskriminierung. Insoweit hat der Kläger recht. Nach den Grundsätzen des europäischen Rechts wie auch nach deutschen Rechtsgrundsätzen ist eine Altersdiskriminierung bei Vorliegen einer entsprechenden sachgerechten Regelung jedoch zulässig. Dies folgt schon aus der Regelung des § 10 Abs. 1 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters auch dann zulässig ist, wenn diese Regelung objektiv und angemessen ist sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

Der Gesetzgeber hat in der Altersbegrenzung des Betriebsrentengesetzes, sowohl in der alten wie auch in der neuen Fassung, deutlich gemacht, dass junge Arbeitnehmer bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis keine unverfallbare Betriebsrentenanwartschaft mitnehmen sollen. Dieser Willensakt des Gesetzgebers ist angemessen und legitim. Er ist deshalb von Seiten des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden.

Der Gesetzgeber hat sowohl mit der Altersgrenzenregelung von 35 Jahren in § 1 Abs. 1 BetrAVG alter Fassung, wie auch mit der Altersgrenzenregelung von 30 Jahren bzw. 25 Jahren in den neuen Fassungen des Betriebsrentengesetzes klargestellt, dass junge Arbeitnehmer bei einem Ausscheiden vor Erreichen der Rentenaltersgrenze keine unverfallbare Anwartschaft erhalten sollen. Der Gesetzgeber hat damit darauf hingewiesen, dass der Zweck der Betriebsrente unter anderem darin besteht, die Betriebstreue eines Mitarbeiters zu belohnen und den Mitarbeiter zu veranlassen, möglichst lange, d. h. möglichst bis zum Erreichen der gesetzlichen Rentenaltersgrenze beim Arbeitgeber seine Dienste zu verrichten.

Dieses Ziel des Arbeitgebers, Mitarbeiter durch das Betriebsrentenversprechen möglichst lange im Betrieb zu halten und möglichst lange von den Diensten der Mitarbeiter zu partizipieren, ist legitim und sachgerecht.

Der Gesetzgeber hat unter Berücksichtigung dieser zu erbringenden Betriebstreue und der Belohnung der Betriebstreue durch die Altersrente in nicht zu beanstandender Weise festgelegt, dass ein junger Mitarbeiter, der weit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, diese Belohnung für seine bis dahin erbrachte Betriebstreue nicht erhalten soll bzw. nicht erhalten muss.

Da die Betriebsrente nicht nur die Existenz des Mitarbeiters im Alter absichern soll, sondern auch dem legitimen Interesse des Arbeitgebers an der Erbringung der treuen Dienste über eine möglichst lange Zeit zum Erreichen der Betriebsrente dient, war es sachgerecht, dass der Gesetzgeber jungen Arbeitnehmern, die weit vor dem Erreichen des Rentenalters aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, die Betriebsrente bzw. eine unverfallbare Anwartschaft nicht zubilligt.

Gerade bei der Betriebsrente hat der Gesetzgeber nicht nur die legitimen Interessen des Arbeitnehmers, sondern auch die legitimen Interessen des Arbeitgebers an einer kontinuierlichen langen Beschäftigung des Mitarbeiters zu berücksichtigen.

Diese Interessenabwägung folgt insbesondere daraus, dass die Betriebsrente zu einem wesentlichen Teil nach ständiger Rechtsprechung eine Belohnung für erbrachte Betriebstreue einerseits darstellt und andererseits einen Anreiz bieten soll, die Dienste dem Arbeitgeber auch für die Zukunft möglichst lange zur Verfügung zu stellen.

Das vom Gesetzgeber für das Entstehen einer unverfallbaren Anwartschaft aufgestellte Mindestalter dient diesem Ziel und ist zur Erreichung dieses Zieles angemessen und verhältnismäßig.

Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass nach § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG für die betriebliche Altersvorsorge des Betriebsrentengesetz und nicht das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt.

Entgegen der Ansicht der Klägerseite liegt in der gesetzlichen Regelung auch kein Verstoß gegen Art. 14 GG. Diese grundsätzliche Vorschrift, die das Eigentum des Bürgers gegen den Staat schützen soll, durch das Betriebsrentengesetz und die entsprechende Instanzenregelung nicht berührt.

Das entsprechende Grundrecht schützt Eigentumsansprüche, zu denen auch unverfallbare Anwartschaften gehören. Im vorliegenden Falle hat der Kläger jedoch gerade keine unverfallbare Anwartschaft erworben und dadurch letztendlich auch kein Eigentumsrecht i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG.

Das Gericht kann auch nicht davon ausgehen, dass die gesetzliche Regelung einen Verstoß gegen Treu und Glauben beinhaltet. Der Kläger hat zwar damit recht, dass die gesetzliche Regelung in seinem Falle zu einem Härtefall führt.

Das Gericht hat jedoch bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass Stichtagsregelungen stets zu Härtefällen führen können. Dem Wesen einer Stichtagsregelung ist es immanent, dass es immer Personen geben kann, die aufgrund der Stichtagsregelung bis zu einem gewissen Grad ungerecht behandelt werden.

Gleichwohl hat der Gesetzgeber im deutschen wie auch im europäischen Rahmen Stichtagsregelungen für erforderlich und für zulässig gehalten. Normative Regelungen sind ohne Einschränkungen durch die Stichtage kaum umzusetzen.

Das Gericht sieht sich deshalb nicht in der Lage, trotz der erkennbaren Härte die vom Gesetzgeber aufgestellte Altersgrenze als Stichtagsregelung für rechtsunwirksam zu erklären.

I.

Auch aus der Übergangsvorschrift des § 30 f BetrAVG folgt kein Anspruch des Klägers. Der Kläger fällt nicht unter diese Übergangsvorschrift.

Wie im § 30 f. Abs. 1 Satz 1 BetrAVG bestimmt ist, hat der Kläger eine Betriebsrentenzusage von der Beklagten vor dem 01. Januar 2001 erhalten. Gleichwohl ist die für den Kläger günstigere Regelung des § 1 b BetrAVG neue Fassung auf den Kläger nicht anzuwenden, wonach schon die Vollendung des 30. Lebensjahres zur Erlangung einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft ausreicht.

Die Übergangsvorschrift des § 30 f. Abs. 1 Satz 1 BetrVAG regelt nämlich im 2. Halbsatz, dass die Anwartschaft erhalten bleibt, wenn die Zusage ab dem 01. Januar 2001 5 Jahre bestanden hat und der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 30. Lebensjahr vollendet hat. Diese Übergangsvorschrift setzt voraus, dass der Arbeitnehmer zum 01. Januar 2001 noch im Arbeitsverhältnis stand und zu diesem Zeitpunkt die Zusage 5 Jahre bestanden hat, der Arbeitnehmer dann nach dem 01. Januar 2001 das Arbeitsverhältnis beendet und zum Zeitpunkt der Beendigung das 30. Lebensjahr vollendet war.

Die Übergangsvorschrift will verhindern, dass ein vor dem 01. Januar 2001 eingetretener Arbeitnehmer bei einem Ausscheiden nach dem 01. Januar 2001 gegenüber einem Arbeitnehmer benachteiligt wird, der erst nach dem 01. Januar 2001 unter Geltung der neuen Stichtagsregelungen in das Arbeitsverhältnis eingetreten ist.

Der Kläger ist davon jedoch nicht erfasst, da er bereits im Jahre 1979 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.

Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass der Kläger gegen die Beklagte bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis keine unverfallbaren Versorgungsanwartschaft besaß. Dem Kläger stehen deshalb nunmehr nach Eintritt in die gesetzliche Altersrente auch keine Betriebsrentenansprüche gegen die Beklagte zu.

Die Klage war deshalb abzuweisen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er unterlegen ist.

Die im Urteil vorzunehmende Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 3 ZPO.

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