ArbG Marburg, Urteil vom 09.07.2010 - 2 Ca 543/09
Fundstelle
openJur 2012, 33296
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.08.2009 nicht beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses als Laborwerker zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.080,96 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen eine Kündigung.

Der Kläger arbeitet bei der Beklagten seit dem 01.09.1993 als Arbeiter, zuletzt als Laborwerker. Der Kläger hat den Beruf des Werkzeugmachers mit der Fachrichtung Stanz- und Umformtechnik erlernt. Er hat seine Prüfung am 29.01.1997 abgelegt.

Der Kläger arbeitete bei der Beklagten nach Absolvierung der Facharbeiterausbildung nach seinem unwidersprochenen Vortrag zunächst ca. 1,5 Jahre als CNC-Dreher und CNC-Fräser. Danach wurde er bei der Beklagten als Laborwerker eingesetzt.

Der Kläger ist 32 Jahre alt und ledig. Er erhält Vergütung nach der Entgeltgruppe 3. Die Vergütung belief sich zuletzt auf 2.246,03 € brutto. Zwischen den Parteien gelten die Tarifverträge der Hessischen Elektro- und Metallindustrie. Der Kläger ist schwerbehindert. Das Integrationsamt hat seiner Kündigung zugestimmt. Der Kläger hat zwar Widerspruch gegen diesen Bescheid eingelegt. Der Widerspruch ist jedoch zurückgewiesen worden.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Zustimmung des Integrationsamtes durch Kündigung vom 07.08.2009 zum 28.02.2010.

Die Beklagte ist Zulieferer der Pkw- und Nutzfahrzeugindustrie. Sie fertigt insbesondere Motorblöcke, Zylinderblöcke, Zylinderköpfe, Bremsschreiben, Bremstrommeln, Schwungräder, Nockenwellen und anderes an.

Die Beklagte unterhält Betriebsstätten in St und L. Sie hat sich in ein Servicecenter und diverse Leistungscenter organisiert. Das Servicecenter umfasst unter anderem den Einkauf, Verkauf, Personal und Recht. Im Rahmen des Servicecenters befindet sich auch die Abteilung Forschung Entwicklung (Werkstoffprüfung). Dort war der Kläger beschäftigt.

Daneben existieren verschiedene Leistungscenter im Bereich der Produktion. Die Beklagte hat die Leistungscenter in verschiedene Funktionsbereiche eingeteilt. Solche Funktionsbereiche sind die Kernmachereien, die Formereien, die Schmelzbetriebe, die Putzereien, die Kontrolle und der zentrale Versand.

Im Rahmen der Wirtschaftskrise erlitt die Beklagte einen erheblichen Umsatzeinbruch. Die Beklagte beschäftigte zunächst mehr als 3.000 Arbeitnehmer. Aufgrund des Auftragseinbruches entschied sich die Beklagte, 533 Arbeitsplätze abzubauen und das Personal auf ca. 2.750 Arbeitnehmer bis 3.000 Arbeitnehmer zu reduzieren.

Die Beklagte schloss zu diesem Zweck mit dem Betriebsrat mehrere Betriebsvereinbarungen. In einer Betriebsvereinbarung wurde der Interessenausgleich vom 28.04.2009 vereinbart, in einer weiteren Betriebsvereinbarung ein Sozialplan. Darüber hinaus schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung gemäß den §§ 1 Abs. 4 KSchG, 95 BetrVG vom 28.04.2009 und eine Betriebsvereinbarung über die Verschiebung der zweiten Stufe der Tariflohn-Erhöhung 2009.

Im Zuge dieser Betriebsvereinbarungen wurden sodann mehr als 200 Kündigungen ausgesprochen, darunter auch die Kündigung des Klägers.

Im Interessenausgleich vom 28.04.2009 ist zur Sozialauswahl in § 3 Abs. 2 Satz 3 geregelt, dass die im Stellenplan dargestellten Funktionsgruppen auch für die im Rahmen der sozialen Auswahl zu definierenden vergleichbaren Personenkreise maßgeblich sein sollten. Eine Namensliste zum Sozialplan nach § 1 Abs. 5 KSchG ist nicht vereinbart worden.

Entsprechend der Vereinbarung in § 3 Abs. 2 des Interessenausgleiches vom 28.04.2009 nahm die Beklagte die Sozialauswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer innerhalb der entsprechenden Funktionsgruppen vor. Der Kläger war im Labor am Spektrometer tätig. Er musste dort Gussproben prüfen. Dazu erhielt er Probetaler aus dem Gussbereich, die er abschleifen musste. Sodann musste eine Analyse im Spektrometer vorgenommen werden. Das Gerät kontrolliert selbsttätig die Werte und vergleicht sie mit den hinterlegten Vorgaben der Kunden.

Vor Ausspruch der Kündigung hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 18.05.2009 nebst Anlagen an. Die Beklagte führte dabei aus, dass die Sozialauswahl aufgrund der Betriebsvereinbarung zum Interessenausgleich nach den einzelnen im Stellenplan ausgewiesenen Funktionsgruppen durchgeführt wurde. Dabei hat die Beklagte die Sozialauswahl des Klägers auf den Funktionsbereich "SC-FE", d. h. auf Servicecenter Forschung und Entwicklung begrenzt.

Die Beklagte hat weiter ausgeführt:

Aufgrund dieser Ausführungen haben wir schließlich die in der Anlage 2 beiliegende Aufstellung zusammengestellt. In dieser sind diejenigen Mitarbeiter des SC-FE, die mit dem hier zur Kündigung anstehenden Mitarbeiter vergleichbar sind, zusammengefasst und nach der Reihenfolge ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit sortiert.

Die Mitarbeiter, die für die wenigsten Sozialpunkte errechnet wurden, sind zu kündigen; sie sind mit der Farbe "grau" besonders gekennzeichnet. Der hier konkret zu kündigende Mitarbeiter ist daneben nochmals besonders hervorgehoben.

In Einzelfällen haben wir gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG schließlich die Mitarbeiter aus der Sozialauswahl herausgenommen, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zu Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Unternehmens im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Sofern dies der Fall ist, haben wir dies entsprechend begründet.

Die aus der Sozialauswahl herausgenommenen Mitarbeiter sind jeweils in der schriftlichen Anhörung des Betriebsrats nicht gesondert benannt und ihre Herausnahme aus der Sozialauswahl nicht gesondert begründet. Als Anlage 2 zu der Betriebsratsanhörung hat die Beklagte die Liste der Mitarbeiter des Servicecenter Forschung und Entwicklung beigelegt. Danach erreichte der Kläger 65,5 Sozialpunkte. Sein Kollege K. 63,5 Sozialpunkte. Beide Mitarbeiter wurden gekündigt. Die Mitarbeiter S., S., R. und B. erreichten zwischen 44,5 und 59 Sozialpunkte. In der Anlage 2 war zu diesen Mitarbeitern unter Spalte "besondere Kenntnisse u. a. nach § 1 Abs. 3 Satz KSchG" aufgeführt "Spektrometer" bzw. "CNC".

Der Betriebsrat widersprach der Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 05.08.2009. Der Betriebsrat bemängelt in seinem Widerspruch zunächst, dass er über die Arbeitsaufgaben des Klägers falsch informiert wurde. Die von der Beklagten gegebene Aufgabenbeschreibung würde, wenn überhaupt, nur einen geringen Teil des Arbeitsvolumens des Klägers abdecken. Der Betriebsrat bemängelt weiter, dass der Kläger noch mit einem Personenkreis außerhalb der vorgenommenen Sozialauswahl verglichen werden müsse. Der Kläger sei gelernter Modellbauer und mit den Mitarbeitern an den CNC-Maschinen sowie mit den Mitarbeitern am Spektrometer zu vergleichen. Bei einem solchen Vergleich wäre der Kläger durch höhere Sozialpunkte geschützt. Aus diesem Grunde forderte der Betriebsrat die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die ausgesprochene Kündigung. Er ist der Ansicht, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei. Insbesondere bestreitet er die Richtigkeit der Sozialauswahl. Der Kläger behauptet, dass sich die Auftragslage mittlerweile gebessert habe. Es seien 20 Leiharbeitnehmer neu eingestellt worden. Der Kläger bestreitet die betrieblichen Erfordernisse für die ausgesprochene Kündigung. Der Auftragsmangel bei der Beklagten sei nicht längerfristig zu sehen.

Im Übrigen bestreitet der Kläger die Richtigkeit der Sozialauswahl. Der Kläger ist der Ansicht, dass er mit Laborwerkern, CNC-Arbeitern und mit den Arbeitnehmern an den diversen Spektrometern im Labor und außerhalb in anderen Abteilungen vergleichbar sei.

Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Labor sei auch deshalb gegeben, weil der Arbeitnehmer W S im Jahre 2010 in Rente gehe. Eine Anlernzeit sei insoweit nicht erforderlich.

Der Kläger weist darauf hin, dass er eine Betriebszugehörigkeit von 16 Jahren aufzuweisen habe, nämlich ab dem 01.09.1993. In der Arbeitnehmerliste zur Sozialauswahl seien ihm nur 15 Jahre zugerechnet worden. Tatsächlich fehlten deshalb 1,5 Punkte. Richtigerweise hätte er 67 Sozialpunkte erreichen müssen. Der Kläger bemängelt auch, dass in der Arbeitnehmerliste der vergleichbaren Mitarbeiter die zwei Leiharbeitnehmer G. und A. fehlen, die durch Verlängerung der Befristung weiterbeschäftigt worden seien.

Der Kläger bestreitet, dass die Mitarbeiter S., S., R. und B. Leistungsträger seien und deshalb von der Sozialauswahl ausgenommen werden dürften. Der Kläger behauptet, dass er die Tätigkeiten, die der Mitarbeiter B. ausführt ebenfalls ausführen könne. Die Sozialauswahl sei auch deshalb falsch, weil die Beklagte die Sozialauswahl nicht betriebsbreit erstreckt habe, sondern auf Funktionsbereiche begrenzt habe.

Schließlich bestreitet der Kläger die Richtigkeit der Betriebsratsanhörung. Diese sei schon deshalb falsch, weil seine Gesamtpunktezahl falsch wiedergegeben sei. Dem Betriebsrat seien auch nicht alle mit ihm vergleichbaren Mitarbeiter genannt worden. Der Kläger bezieht sich auch darauf, dass die tatsächliche Tätigkeit des Klägers dem Betriebsrat falsch mitgeteilt worden sei.

Der Kläger beantragt,

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 06.08.2009 nicht beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Laborgehilfe weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die ausgesprochene Kündigung sozial gerecht fertigt sei.

Sie behauptet, dass durch den massiven Auftragseinbruch von bis zu 42 % ein erheblicher Teil der Arbeit diverse Mitarbeiter, auch des Klägers weggefallen sei. Dadurch, dass bis zum 28. Juli 2009 ein Auftragsrückgang von 41,2 % zu verzeichnen gewesen sei, sei auch die zu fertigende Tonnage entsprechend zurückgegangen. Dadurch sei eine deutlich geringere Tätigkeit im Labor angefallen. Statt der 200 Talerproben pro Schicht seien nur noch 100 bis 120 Talerproben zu prüfen gewesen.

Auch die getroffene Sozialauswahl sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte trägt vor, dass aus der Sozialauswahl zunächst die Mitarbeiter S., S., R. und B. als Leistungsträger herauszunehmen waren. Die Mitarbeiter R. und S. seien Facharbeiter und CNC-Maschinenbediener. Der Mitarbeiter S. sei gelernter Dreher, der Mitarbeiter R. sei gelernter Kfz-Mechaniker. An den CNC-Maschinen seien nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die eine Berufsausbildung absolviert haben. Deshalb werde die Entgeltgruppe 5 gezahlt. Der Kläger besitze eine solche Berufsausbildung nicht.

Die Mitarbeiter B. und S. seien zwar am Spektrometer eingesetzt, wie auch der Kläger. Der Mitarbeiter B. sei gelernter Chemisch-technischer Assistent. Beide Mitarbeiter seien jedoch universeller einsetzbar als der Kläger. Deshalb erhielten sie eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 5.

Die Mitarbeiter G. und A. seien mit dem Kläger nicht vergleichbar, da sie Vergütung nach der Entgeltgruppe 2 erhielten.

Der Mitarbeiter W. S. sei technischer Assistent mit einem Technikerabschluss und deshalb mit dem Kläger ebenfalls nicht vergleichbar.

Insgesamt sei die Sozialauswahl rechtlich nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 04. September 2009 (Bl. 9 d. A.), vom 12. Februar 2010 (Bl. 186 d. A.), vom 16. April 2010 (Bl. 200 d. A.) und vom 09. Juli 2010 (Bl. 222 d. A.) verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Zeugen E. S.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16. April 2010 (Bl. 200 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Klage war deshalb stattzugeben.

A.

An der Zulässigkeit der Kündigungsfeststellungsklage bestehen keine Bedenken. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung darüber, ob sein Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung beendet worden ist oder nicht.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand aufgrund der Beschäftigungsdauer einerseits und der Beschäftigtenzahl andererseits das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.

Der Kläger hat die Kündigungsschutzklage rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG erhoben.

B.

Die Klage ist begründet. Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt. Die ausgesprochene Kündigung verstößt gegen die Grundsätze der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG.

Der Klage war deshalb stattzugeben.

I.

Der Kläger ist zwar anerkannter Schwerbehinderter. Die Beklagte hat jedoch unstreitig die Kündigung erst ausgesprochen, nachdem das Integrationsamt dem Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur Kündigung durch einen entsprechenden Bescheid zugestimmt hat. Der Kläger hat zwar gegen diesen zustimmenden Bescheid Widerspruch eingelegt. Dieser Widerspruch wurde jedoch mittlerweile zurückgewiesen.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass der Widerspruch des Klägers für das vorliegende Kündigungsschutzverfahren keine aufschiebende Wirkung besitzt.

II.

Das Gericht geht davon aus, dass die Beklagte aufgrund des massiven Auftragseinbruches grundsätzlich berechtigt war, Kündigungen in dem von ihr projektierten Umfang aus betriebsbedingten Gründen wegen Wegfalls der Arbeitsplätze auszusprechen.

Nach der Aussage des Zeugen S. waren zwar im Labor zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung noch zwei Leiharbeiter beschäftigt, nämlich die Leiharbeiterin G. und der Leiharbeiter A. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Weiterbeschäftigung dieser Leiharbeitnehmer und deren Vertragsverlängerung schon dazu führt, dass der Arbeitsplatz des Klägers im Servicecenter Forschung und Entwicklung damit nicht weggefallen ist. Es kann vorliegend offen bleiben, ob die Beklagte die Verpflichtung hatte, vor der Kündigung der Stammbelegschaft zunächst die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern abzubauen. Im vorliegenden Fall steht nämlich fest, dass die Leiharbeitnehmer 'G. und A. mit dem Kläger nicht vergleichbar sind. Zum einen erhalten sie nur Vergütung nach der Entgeltgruppe 2. Dies impliziert nach dem Vortrag der Beklagten, dass sie auch eine entsprechende geringwertigere Tätigkeit ausführen.

Zum anderen aber hat auch der Betriebsratsvorsitzende E. S. als Zeuge ausgesagt, dass diese beiden Mitarbeiter eine andere Tätigkeit verrichten, als der Kläger. Auch nach dieser Aussage muss das Gericht davon ausgehen, dass diese beiden Leiharbeitnehmer in ihrer Tätigkeit mit dem Kläger nicht vergleichbar sind.

Ihre Weiterbeschäftigung hindert deshalb nicht den Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers.

Aufgrund der vorgelegten Unterlagen muss das Gericht weiter davon ausgehen, dass die Beklagte Ende 2008, insbesondere aber auch im Jahr 2009 erhebliche Auftragseinbrüche zu verzeichnen hatte. Diese Auftragseinbrüche führten zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen, der noch deutlich über die ausgesprochenen Kündigungen hinausging.

Das Gericht muss auch weiter davon ausgehen, dass die Beklagte die Massenentlassungsanzeige nach den §§ 17, 18 KSchG ordnungsgemäß durchgeführt hat. Die von ihr vorgenommene Massenentlassung war von Seiten der Arbeitsagentur Marburg mit Bescheid vom 04.06.2009 ordnungsgemäß genehmigt worden.

III.

Nach den vorliegenden Unterlagen muss das Gericht davon ausgehen, dass jedoch schon die Betriebsratsanhörung gem. § 102 BetrVG nicht ordnungsgemäß war. Nach § 102 BetrVG ist die Beklagte verpflichtet gewesen, ihren Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß unter Darlegung aller wesentlichen Fakten anzuhören.

Der Kläger rügt zu Recht, dass im Rahmen der Betriebsratsanhörung seine Betriebszugehörigkeit mit einem Jahr zu niedrig angesetzt war. Dadurch war seine Sozialpunktezahl mit 65,5 Punkten zu niedrig. Richtigerweise hätten ihm 67 Punkte zugebilligt werden müssen.

Sowohl der Kläger wie auch der Betriebsrat haben gerügt, dass die Arbeitsaufgabenbeschreibung des Klägers gegenüber dem Betriebsrat falsch bzw. massiv unvollständig war. Trotz dieser Rüge des Betriebsrats hat die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung keine Nachbesserung vorgenommen und die Tätigkeitsbeschreibung des Klägers nicht ergänzt. Vielmehr hat die Beklagte im Rahmen des Prozesses vorgetragen, dass der Betriebsrat die Anhörungsfrist habe verstreichen lassen, ohne Stellung zu beziehen. Dieser Beklagtenvortrag ist falsch.

Die Beklagte hat auch im Prozess nicht dargelegt, dass die Betriebsratsanhörung in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers entgegen der Rüge des Betriebsrats und des Klägers richtig gewesen. Das Gericht muss deshalb davon ausgehen, dass schon insoweit die Betriebsratsanhörung fehlerhaft war. Die Betriebsratsanhörung ist jedoch auch deshalb unvollständig und damit falsch, weil die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat nicht dargelegt hat, warum die Mitarbeiter S., S., R. und B. als besondere Leistungsträger aus der Sozialauswahl herausgenommen worden sind.

Die Beklagte hat zwar in ihrem Anhörungsschreiben (Bl. 129 d. A.) mitgeteilt, dass sie die Mitarbeiter als Leistungsträger aus der Sozialauswahl herausgenommen hat. Sie hat weiter mitgeteilt, dass sie dies entsprechend begründen würde. Eine solche Begründung fehlt jedoch. Weder in der schriftlichen Anhörung noch in der mündlichen Anhörung ist der Betriebsrat über die Leistungsträger noch einmal gesondert informiert worden.

Der Betriebsrat hat in seinem Widerspruch vom 05. August 2009 auch ausdrücklich gerügt, dass der Kläger aus der Sicht des Betriebsrats mit den Mitarbeitern an den CNC-Maschinen und den Mitarbeitern am Spektrometer verglichen werden müsse. Die Beklagte hat bezüglich der Mitarbeiter S. und B. lediglich mitgeteilt: "Spektrometer". Nähere Ausführungen fehlen. Hinsichtlich der Mitarbeiter S. und R. ist lediglich mitgeteilt worden: "CNC".

Dies stellt jedoch keine ausreichende und verständliche Begründung dar. Spätestens nach der Rüge des Betriebsrats im Anhörungsschreiben vom 05. August 2009 hätte die Beklagte Anlass gehabt, insoweit die Betriebsratsanhörung noch einmal nachzubessern und ihre Gründe im Einzelnen darzulegen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Mitarbeiters B.. Der Mitarbeiter B. hatte mit 44,5 Sozialpunkten deutlich weniger Punkte als der Kläger. Er ist ebenfalls wie der Kläger am Spektrometer beschäftigt. In der Betriebsratsanhörung ist die Entgeltgruppe 3 für den Mitarbeiter B. angegeben.

Nach der Mitarbeiterliste in der Anlage 2 zur Betriebsratsanhörung ist nicht ersichtlich, weshalb der Mitarbeiter B. aus der Sozialauswahl herausgenommen worden ist.

Dies war auch für den Betriebsrat offenkundig nicht ersichtlich. Deshalb hat der Betriebsrat ausdrücklich gerügt, dass der Kläger mit allen Mitarbeitern am Spektrometer verglichen werden müsse. Eine solche Nachbesserung der Betriebsratsanhörung ist jedoch nicht erfolgt. Auch aus diesem Grunde ist die Betriebsratsanhörung fehlerhaft.

Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte dann im Prozess gegenüber dem Gericht vorgetragen hat, dass der Mitarbeiter B. in die Entgeltgruppe 5 eingruppiert sei. Auf Nachfrage des Gerichts und Hinweis auf die Widersprüchlichkeit des Vortrags hat die Beklagtenseite dann mündlich korrigiert, dass der Mitarbeiter B. wohl doch noch in der Entgeltgruppe 3 eingruppiert sei, allerdings sei vorgesehen, ihn zukünftig in die Entgeltgruppe 5 einzugruppieren. Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass die Betriebsratsanhörung sich jedenfalls bezüglich des Mitarbeiters B. sich auf die Entgeltgruppe 3 bezieht. Hier fehlen aber jegliche Ausführungen gegenüber dem Betriebsrat, weshalb der deutlich weniger sozial schutzwürdige Mitarbeiter B. aus der Sozialauswahl herausgenommen worden ist.

Nach § 102 BetrVG ist die Kündigung unwirksam, da die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

Der Klage ist schon aus diesem Grunde stattzugeben.

IV.

Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG ist. Auch die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.

1. Die Beklagte hat entsprechend der Vorgabe des § 3 Abs. 2 Satz 2 des Interessenausgleichs vom 28.04.2009 die Sozialauswahl auf Funktionsgruppen bzw. Funktionsbereiche beschränkt. Diese generelle Beschränkung der Sozialauswahl auf Funktionsgruppen bzw. Funktionsbereiche widerspricht den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG.

Nach dem Willen des Gesetzgebers und der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Sozialauswahl generell und grundsätzlich betriebsweit vorzunehmen. Eine Beschränkung der Sozialauswahl auf einzelne Abteilungen des Betriebes oder auf bestimmte Funktionsbereiche ist vom Gesetzgeber nicht gewollt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob in einzelnen Ausnahmefällen die Beschränkung der Sozialauswahl auf Funktionsbereiche oder Abteilungen bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt sein könnte. Vorliegend jedenfalls hat die Beklagte nicht dargelegt, dass besondere Umstände vorliegen, nach denen die Beschränkung der Sozialauswahl auf Funktionsbereiche innerhalb bestimmter Leistungscenter oder eines Servicecenters gerechtfertigt sei.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Beschränkung der Sozialauswahl auf das Servicecenter Forschung und Entwicklung und die geringe Zahl von Mitarbeitern in diesem Servicecenter nicht den gesetzlichen Vorgaben der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG entsprach. Wie bereits der Betriebsrat in seiner Stellungnahme vom 05. August 2009 gerügt hat, war die Sozialauswahl des Klägers unter Berücksichtigung seiner Ausbildung auf Mitarbeiter auch außerhalb des Servicecenters Forschung und Entwicklung zu erstrecken. Die Beklagte hätte zumindest eine betriebsweite Sozialauswahl mit allen Mitarbeitern der Entgeltgruppe 3, die von ihrer Tätigkeit und Ausbildung her dann zudem mit dem Kläger vergleichbar sind, vornehmen müssen.

2. Bei einer solchen Sozialauswahl wäre die Ausbildung des Klägers zum Werkzeugmacher zu berücksichtigen gewesen. Weiter wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger zumindest 1,5 Jahre als CNC-Maschinenbediener gearbeitet hat. Die Beklagte hat zwar im Prozess vorgetragen, dass der Kläger keine Facharbeiterausbildung habe, im Gegensatz zu den Mitarbeitern S. und R.. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass diese Behauptung falsch ist. Der Kläger hat sogar bei der Beklagten die Ausbildung zum Werkzeugmacher durchgeführt. Es wäre insoweit zu prüfen gewesen, inwieweit der Kläger dann nicht auch wieder an einer CNC-Maschine einsetzbar gewesen wäre.

Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass der Klage auch wegen der aus mehreren Gründen fehlerhaften Sozialauswahl stattzugeben war.

C.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist.

Die gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil vorzunehmende Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 42 Abs. 3 GKG und ist an der Höhe von 3 Monatslöhnen orientiert.

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