LG Wiesbaden, Urteil vom 15.04.2010 - 9 O 189/09
Fundstelle
openJur 2012, 32929
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Schmerzensgeld40.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über demBasiszinssatz hieraus jährlich seit dem 03.12.2009 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, demKläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus demAngriff vom 25.07.2006 auf der E. Straße in W. zu ersetzen, soweitentsprechende Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von elfZehnteln des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufigvollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer von diesem vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 40.000,00 EUR in Anspruch; des weiteren begehrt er die Feststellung, daß der Beklagte ihm, dem Kläger, gegenüber zum Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sei.

Der Beklagte, Jahrgang 1972, war zur Tatzeit seit vielen Jahren drogenabhängig. Am 25.07.2006 verletzte er den Kläger, den er zuvor verfolgt hatte, durch einen tiefen, mit großer Wucht geführten Stich mit einem Finn-Messer mit einer Klingenlänge von gut 15 cm in die Rückseite des linken Oberschenkels vorsätzlich. Zudem beleidigte er den Kläger. Tatort war die E. Straße in W. Den Hintergrund der Tat bildete die Eifersucht des Beklagten; dieser ertrug es nicht, daß der Kläger zu seiner, des Beklagten, ehemaligen Lebensgefährtin eine intime Beziehung unterhielt. Die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden verurteilte den Beklagten dieserhalb unter dem 06.12.2007 wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Das Urteil ist rechtskräftig. Nach den Feststellungen der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden war der Beklagte, der unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet und zudem zur Tatzeit unter dem Einfluß hochgradig sedierender Medikamente stand, im Zeitpunkt der Tat vermindert schuldfähig im Sinne von § 21 StGB. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das in Ablichtung zu den Gerichtsakten gelangte Strafurteil vom 06.12.2007 zu 4444 Js 26621/06 verwiesen. Der 1985 geborene Kläger war zur Tatzeit ebenfalls drogenabhängig und ohne festen Wohnsitz. Er litt unter anderem an Hepatitis C. Ebenfalls bereits zur Tatzeit hatte er an der linken Ferse offene entzündliche Stellen, die unter anderem auf Injektionen von Drogen zurückzuführen waren. Durch die Messerattacke erlitt der Kläger erhebliche Verletzungen. Auch verlor er sehr viel Blut. Die notfallmäßige operative Versorgung des Klägers brachte eine vollständige Durchtrennung des Nervus ischiadikus zutage, die von einem Nervenarzt versorgt werden mußte. Der ebenfalls durchtrennte Muskulus bizeps femoris wurde schichtweise rekonstruiert. Der Schutz der Nervennaht machte eine Immobilisierung des Klägers vermittels einer Becken-Bein-Ortthese für die Dauer von drei Wochen erforderlich. Zudem erhielt der Kläger eine Peronaeus-Schiene. Nach dem stationären Krankenhausaufenthalt in der Zeit vom 25.07.2006 bis zum 17.08.2006 begab sich der Kläger in eine sechs Wochen dauernde stationäre Rehabilitationsbehandlung. Diese umfaßte unter anderem Massagen und Elektrostimulation. Dennoch entwickelte sich an der linken Ferse des Klägers ein Dekubitus. Dieser heilte erst im Juni des Jahres 2007 ab. Das linke Bein des Klägers blieb gelähmt. Ab dem Knie abwärts war es taub. In der Folgezeit verschlimmerten sich die ohnehin bestehenden entzündlichen Veränderungen an der linken Ferse des Klägers. Letzteres auch deshalb, weil der Kläger deren Folgen wegen der durch die Stichverletzung bewirkten Gefühllosigkeit nicht wahrnahm. Ab dem 18.10.2007 wurde dieserhalb ein weiterer stationärer Krankenhausaufenthalt des Klägers erforderlich, bei welchem die entzündlichen Wunden des Klägers operativ revidiert wurden. Die dem Kläger im Januar 2007 überlassenen Gehhilfen waren irgendwann „durchgelaufen"; der nicht krankenversicherte Kläger konnte sich indes keine neuen besorgen, so daß er sich seitdem in Socken oder barfuß hinkend fortbewegen mußte. Bei einem weiteren stationären Krankenhausaufenthalt vom 26.06.2009 bis zum 01.07.2009 wurde bei dem Kläger eine persistierende chronische Osteomyelitis Kalkaneus diagnostiziert. Deswegen wurde im Juli 2009 bei dem Kläger linksseitig eine Unterschenkelamputation durchgeführt. Am 17.09.2009 erfolgte eine Nachamputation. Der Kläger beziffert die Höhe des von ihm geforderten Schmerzensgeldes mit 40.000,00 EUR.

Der Kläger behauptet und ist der Auffassung, das von ihm geforderte Schmerzensgeld sei dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt, weil der Beklagte durch die von ihm zu seinen, des Klägers, Lasten begangene vorsätzliche Körperverletzung eine adäquat-kausale Ursache für den Verlust des Unterschenkels gesetzt habe. Deswegen könne er, der Beklagte, auch nicht damit gehört werden, daß sein, des Klägers, Bein bereits vorgeschädigt gewesen sei oder er, der Beklagte, Im Zeitpunkt der Tat nur vermindert schuldfähig gewesen sei. Letzteres betreffe nur die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten, ändere aber nichts an dessen Deliktsfähigkeit im Sinne des Zivilrechts. Da er, der Kläger, infolge der Tat ein Leben lang mit dem Beinstumpf werde leben müssen, sei auch an der Höhe des geforderten Schmerzensgeldes nicht zu zweifeln. Das Feststellungsbegehren rechtfertige sich aber daraus, daß noch nicht alle Folgen der Tat derzeit abzusehen seien

Der Kläger beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 40.000,00 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Angriff vom 25.07.2006 auf der E. Straße in W. zu zahlen, soweit entsprechende Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er behauptet und ist der Ansicht, der Kläger habe seine Gesundheit jahrelang selbst vernachlässigt und ruiniert. Da die Infektionen an der linken Ferse des Klägers jedenfalls nicht auf die Stichverletzung zurückzuführen seien, sei er, der Beklagte, hierfür und für die weiteren Folgen, namentlich die Amputation, nicht verantwortlich zu machen. Auch habe er die Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen, was nicht nur wegen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Bedeutung sei, sondern auch in dem hier interessierenden zivilrechtlichen Zusammenhang berücksichtigt werden müsse. Ohnehin sei er mittellos.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zugehörigen Anlagen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger kann von dem Beklagten wegen der von diesem begangenen unerlaubten Handlung ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 EUR verlangen, ein Anspruch auf die begehrte Feststellung steht dem Kläger ebenfalls zu. Im einzelnen:

Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß den Vorschriften der §§ 823 Abs. 1 und 2, 249, 253 BGB die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von 40.000,00 EUR verlangen. Der Beklagte hat am 25.07.2006 die Gesundheit des Klägers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, indem er mit einer gut 15 cm langen Messerklinge von hinten kommend tief in den linken Oberschenkel des Klägers einstach und dadurch Muskeln und Nervenfasern durchtrennte. Dies stellt nicht nur nach strafrechtlichen, sondern auch nach zivilrechtlichen Maßstäben unzweifelhaft eine tatbestandsmäßige Körperverletzung dar. Der Beklagte kann hier auch nicht damit gehört werden, im Zeitpunkt der Tat vermindert schuldfähig gewesen zu sein, weshalb die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden mit Recht die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht habe. Für die zur Rede stehende zivilrechtliche Einstandspflicht des Beklagten, namentlich seine Deliktsfähigkeit, ist dies ohne Belang. In § 21 StGB findet sich anerkanntermaßen ein Schuldmilderungsgrund und eine Strafbemessungsregel normiert. Dies ist nur von strafrechtlicher Relevanz. Eine dem § 21 StGB vergleichbare Regelung findet sich im Zivilrecht gerade nicht. Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit vermag § 827 BGB zufolge im Falle der verschuldensabhängigen Haftung nur eine Zurechnungsunfähigkeit im Sinne einer Bewußtlosigkeit oder eines Ausschlusses einer freien Willensbestimmung zu beseitigen. Nicht ausreichend ist insoweit eine bloße Minderung der Geistes- und Willenskraft oder der Einsichts- beziehungsweise Hemmfähigkeit. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte vermag indessen nichts vorzutragen, was auf das Vorliegen fehlender Zurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Tat schließen ließe. Der Beklagte haftet auch für alle adäquat-kausalen Folgen der von ihm zu Lasten des Klägers begangenen Körperverletzung. Ausgeschlossen ist seine Haftung nur für diejenigen Folgen, die ihm, dem Beklagten, billigerweise nicht mehr zugerechnet werden können. Zur Abgrenzung ist insoweit darauf abzustellen, ob das Schadensereignis dazu geeignet war, die Möglichkeit eines Erfolges der eingetretenen Art generell nicht unerheblich zu erhöhen. Nicht erforderlich ist hingegen, daß das Schadensereignis die überwiegende oder die wesentliche Ursache darstellt. Ausreichend ist in diesem Zusammenhang bloße Mitursächlichkeit. Hiernach haftet der Beklagte – entgegen seiner Einschätzung – für sämtliche der bei dem Kläger eingetretenen primären Gesundheitsfolgen, als da wären starker Blutverlust, Durchtrennung der Muskel- und Nervenfasern, Notwendigkeit der operativen Versorgung und der Rehabilitation, Todesangst des Klägers und komplikationsbelasteter weiterer Verlauf, Entstehung eines Druckgeschwürs, dauerhafte Teillähmung und Taubheit des linken Beins, Entstehung einer Osteomyelitis und Amputation des linken Unterschenkels. Insoweit vermag den Beklagten auch nicht der bereits zur Tatzeit angegriffene Gesundheitszustand des Klägers, insbesondere die Vorerkrankung an der Ferse des Klägers, zu entlasten. Als Täter einer vorsätzlich begangenen schweren Körperverletzung kann der Beklagte nicht verlangen, so gestellt und behandelt zu werden, als habe er einen völlig gesunden Menschen ohne Vorerkrankungen verletzt. Im übrigen läßt der Beklagte geflissentlich außer acht, daß der unzweifelhaft dem Beklagten anzulastende Nervenschaden bei dem Kläger gerade eine Gefühllosigkeit an dem linken Bein hervorgebracht hat, in deren Folge der Kläger fortdauernde oder sich ausweitende Infektionen an seiner linken Ferse und an dem linken Unterschenkel als solche gar nicht als solche bemerken konnte. Dies alles rechtfertigt es, ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 EUR als angemessen zu erachten. Die verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten als ein besonderes persönliches Merkmal ist hierbei bereits berücksichtigt. Angesichts der für den Kläger gravierenden Folgen der Tat wäre ohne die verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten ein höheres Schmerzensgeld zuzusprechen gewesen. Der Beklagte macht hier auch vergeblich geltend, derzeit und auf absehbare Zeit mittellos zu sein. Als Opfer einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, die in einer schweren Körperverletzung besteht, hat der Kläger ein ohne weiteres nachvollziehbares und billigenswertes Interesse an der Titulierung seines Schadensersatzanspruchs. Als Täter der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wird sich der Beklagte aber selbst durch ein Insolvenzverfahren seiner Verantwortlichkeit für die zu Lasten des Klägers begangene unerlaubte Handlung nicht entziehen können. Fehlende Leistungsfähigkeit des Schädigers darf anerkanntermaßen gerade bei Vorsatztaten nicht dazu führen, daß dem Verletzten keine oder aber nur eine äußerst bescheidene Kompensation zugesprochen wird. Das Gegenteil ist der Fall. Ebenso wie der Kläger für den Rest seines Lebens durch die Amputation entstellt und erheblich beeinträchtigt sein wird, wird sich der Beklagte unter Umständen ebenfalls lebenslänglich um Befriedigung des dem Kläger zustehenden Schadensersatzanspruchs zu bemühen haben. Auswirkungen auf die zuzusprechende Höhe in dem von dem Beklagten geforderten Sinne hat dies nicht.

Das Feststellungsbegehren ist ebenfalls begründet. Wie die Nachamputation eindrucksvoll zeigt, sind die Folgen der von dem Beklagten begangenen Tat alles andere als absehbar abgeschlossen. Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts hat der Kläger ein billigenswertes Interesse daran, den Beklagten wegen derzeit noch nicht bekannter, aber künftig auftretender Folgen in Anspruch nehmen zu können, soweit eine Zurechnung im Sinne einer Adäquanzkausalität nur bejaht werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Als unterlegene Partei hat der Beklagte die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den Vorschriften des § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt. Hiervon entfallen auf den bezifferten Klageantrag 40.000,00 EUR; den Feststellungsantrag taxiert das Gericht gemäß § 3 ZPO auf 10.000,00 EUR.

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