KG, Beschluss vom 15.01.2007 - 12 U 205/06
Fundstelle
openJur 2014, 17513
  • Rkr:

Die sog. Lückenrechtsprechung gilt nicht für das Abbiegen nach links durch eine Kolonnenlücke in eine Grundstückseinfahrt.

Bei Kollision mit einem Fahrzeug, das die Kolonne rechts überholt, haftet der Linksabbieger, der dem Unfallgegner keine unfallursächliche Sorgfaltspflichtverletzung nachweist, allein.

Macht der Wartepflichtige eine Mithaftung des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers geltend, so muss er darlegen und beweisen, dass der andere sich infolge überhöhter Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder genügend Zeit hatte, sich auf das Verhalten des Linksabbiegers oder Wendenden einzustellen.

Für den Beweis einer bestimmten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist der Zeugenbeweis ein ungeeignetes Beweismittel, wenn nicht die besondere Sachkunde des Zeugen dargelegt oder Bezugstatsachen erläutert werden.

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Kläger durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 ZPO).

2. Die Kläger erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.

Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:

1.Die Kläger rügen mit ihrer Berufung, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, Beweis zu erheben über ihre Behauptung, der Erstbeklagte sei am Unfallort mit einer überhöhten Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren, durch Vernehmung der von ihnen benannten Mitfahrerin im klägerischen Renault, Melanie V. sowie von Marian V. (vgl. Schriftsatz vom 12. Mai 2006, S. 3);durch die überhöhte Geschwindigkeit sei der Erstbeklagte ca. 4 - 5 Sekunden früher am Unfallort gewesen, so dass die behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung kausal für den Unfall gewesen sei, daher sei zumindest eine Schadensteilung angemessen (vgl. S. 2 der Berufungsbegründung, unter 1.).

Dies verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.

8Zutreffend hat das Landgericht jede (Mit-) Haftung der Beklagten für Folgen des streitgegenständlichen Unfalls verneint.

9a.Richtig hat das Landgericht auf S. 8 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass der von den Klägern angebotene Zeugenbeweis - ohne nähere Darlegung zu der Sachkunde der Beifahrerin Vogt oder Erläuterung von Bezugstatsachen - ein ungeeignetes Beweismittel zum Nachweis einer bestimmten Geschwindigkeit ist. Die entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. auch Senat, Urteil vom 13. August 1998 - 12 U 1760/97 -).Es kommt hinzu, dass die Beifahrerin im klägerischen Pkw, Melanie V., unter den 23. November 2005 gegenüber der Polizeibehörde zum streitgegenständlichen Unfall vom 10. November 2005 u. a. erklärt hat, das gegnerische Taxi vor der Kollision nicht gesehen zu haben („Die 3te Spur war frei. Dann fuhren wir langsam an und plötzlich fuhr er uns mit überhöhter Geschwindigkeit in die Seite“); woraus Melanie V. ihre Wertung abgeleitet hat, der Unfallgegner sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren, ist nicht plausibel, da sie das Fahrzeug zuvor nicht hat beobachten können. Dass sie aber das Taxi vorher nicht gesehen hat, leuchtet ein; so hat der Kläger zu 2. - ausweislich des Protokolls der polizeilichen Unfallaufnahme vom 10. November 2005 - u. a. am Unfallort erklärt: “Den Fahrstreifen, wo das Taxi kam, konnte ich den Fahrstreifen nicht einsehen“.

Weshalb „Marian V.“ zum Unfallhergang welche Beobachtungen gemacht haben soll, ist nicht dargelegt worden und erschließt sich nicht, zumal ein solcher Zeuge auch nicht erwähnt ist in dem gesamten gegen den Kläger zu 2. geführten Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten, Amtsgericht Tiergarten - Jugendgericht - (424 OWi) 134 PLs 5848/05 (120/05) Jug -.

b.Zutreffend hat das Landgericht auf S. 9 des angefochtenen Urteils ferner darauf hingewiesen, dass - unterstellt der Erstbeklagte wäre zu schnell gefahren - die Kläger keine Tatsachen dafür dargelegt und unter Beweis gestellt haben, dass der Erstbeklagte - ohne die behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung - den Unfall durch rechtzeitige Reaktion hätte verhindern können.Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG dürfen nur unfallursächliche Tatsachen berücksichtigt werden; dies gilt auch für eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (vgl. BGH NJW 2003, 1929; Senat, Urteil vom 17. Januar 2000 - 12 U 6678/98 - NZV 2000, 377 = DAR 2000, 260; Urteil vom 21. Juni 2001 - 12 U 1147/00 - NZV 2002, 79 = DAR 2002, 66 = KGR 2002, 2).

14Macht der Wartepflichtige eine Mithaftung des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers geltend, so muss er darlegen und beweisen, dass der andere sich infolge überhöhter Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder genügend Zeit hatte, sich auf das Verhalten des Wendenden einzustellen (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 2001 - 12 U 2139/00 - a.a.O.; Urteil vom 23. Oktober 2003 - 12 U 46/02 - ; Urteil vom 22. Juli 2002 - 12 U 9923/00 - NZV 2003, 378 = KGR 2003, 20 = VM 2003,26 Nr. 28). Das hat das Landgericht auf S. 9 seines Urteils richtig betont.

Die Darlegungen der Kläger zu einer unfallursächlich überhöhten Geschwindigkeit des Erstbeklagten geben keine Veranlassung, die Sache anders zu beurteilen als das Landgericht.

Den Beklagten wäre eine Mithaftung nur anzulasten, wenn der Erstbeklagte sich durch überhöhte Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hätte, unfallvermeidend zu reagieren.

Dies ließe sich nur klären, wenn Anknüpfungstatsachen zu den unfallrelevanten Abständen zu bestimmten Zeitpunkten festständen, insbesondere, wann das Fahrverhalten des wartepflichtigen Klägers zu 2. erstmals für den Erstbeklagten so erkennbar war, dass er Veranlassung hatte, darauf zu reagieren.

Hierzu können die Kläger offenbar nichts vortragen, weil der Kläger zu 2. und seine Beifahrerin das Taxi der Beklagten vor der Kollision nicht bemerkt hat.

Auch darauf hat das Landgericht zutreffend hingewiesen (UA 9 f.).

Das Landgericht hat auch richtig ausgeführt, dass es für die Ursächlichkeit nicht darauf ankommt, dass der Bevorrechtigte bei Einhaltung einer geringeren Geschwindigkeit erst später am Unfallort gewesen wäre (st. Rspr., vgl. nur BGH NJW 1988, 58).

Die Berechnungen und Erwägungen der Kläger auf S. 2 der Berufungsbegründung unter 2. gehen also an der Sache vorbei.

2.Die Ausführungen der Kläger auf S. 2 unten der Berufungsbegründung unter 3. beruhen offenbar auf Mißverständnissen.23Das Landgericht hat auf S. 7 des angefochtenen Urteils richtigerweise gerade verneint , dass eine Mithaftung der Beklagten nach den Grundsätzen der sogenannten Lückenrechtsprechung besteht; denn diese Grundsätze gelten nicht für das Abbiegen nach links, um in eine Grundstückseinfahrt (st. Rspr, vgl. zuletzt Senat, Urteil vom 25. November 2002 - 12 U 110/01 - KGR 2003, 81 = NZV 2003, 182 = VM 2003, 35 Nr. 36 = MDR 2003, 626 = VRS 104, 349 = VersR 2004, 254 zu einem entsprechenden Fall).

Auch betrifft § 9 Abs. 5 StVO nicht - wie die Kläger offenbar meinen Geschwindigkeitsverstöße, sondern die Pflichten „beim Abbiegen in ein Grundstück“, also die Pflichten des Klägers zu 2. (vgl. Urteil S. 7 oben).

3.Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Haftpflichtversicherer des Klägers zu 1. den Fahrzeugschaden der Beklagten zu 2. voll reguliert hat.Auch die Polizeibehörde ist von einen alleinigen Verschulden des Klägers zu 2. am streitgegenständlichen Unfall ausgegangen und hat allein gegen ihn ein Bußgeldverfahren eingeleitet, das zu einer rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten (vgl. oben) geführt hat wegen Verstoßes gegen die Pflichten des Linksabbiegers, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren zu lassen, § 9 Abs. 3 StVO.

Im übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.

Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.