Hessisches LAG, Urteil vom 27.03.2009 - 10 Sa 1737/08
Fundstelle
openJur 2012, 31518
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 02. September 2008 – 10/8 Ca 2744/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Auskünfte nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes zu erteilen und im Falle nicht fristgerechter Auskunftserteilung eine Entschädigung zu zahlen.

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes. Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in der jeweils geltenden Fassung auf Auskunftserteilung hinsichtlich der gewerblichen Arbeitnehmer für den Zeitraum März bis Mai 2007 und im Falle nicht fristgerechter Auskunftserteilung auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch, wobei die Höhe der begehrten Entschädigung in etwa 80% des Betrages ausmacht, den die Beklagte an Beiträgen nach der Behauptung der Klägerin zu melden hat.

Die Beklagte unterhielt im Klagezeitraum einen Betrieb, dessen Gegenstand im Handelsregister mit "Akustik-, Trocken- und Montagebau" (vgl. Bl. 22 d. A.) und im Gewerberegister der Stadt A mit "Akustik- und Trockenbau" (vgl. Bl. 23 d. A.) angegeben ist. Im Jahr 2007 erhielt die Beklagte den Zuschlag des Kreisausschusses des Landkreises B für die Verrichtung von Trockenbauarbeiten (Bl. 24 – 25 d. A.). Laut Branchenauskunft ist die Beklagte in dem Bereich "Dämmung gegen Kälte, Wärme, Schall und Erschütterung" tätig (Bl. 26 d. A.). Ausweislich des Schreibens des Hauptverbandes der Deutschen Holz- und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V. (im Folgenden: HDH) vom 21. Dezember 2006 bestätigt der Hauptverband der Beklagten, die seinerzeit noch als C GmbH firmierte, nach Prüfung der Voraussetzungen die Mitgliedschaft im HDH (vgl. Bl. 9 d. A.).

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass der Betrieb der Beklagten im Klagezeitraum dem Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifvertrages unterfallen sei. Sie hat behauptet, die Arbeitnehmer der Beklagten hätten im Kalenderjahr 2007 zu mehr als der Hälfte ihrer jeweiligen persönlichen wie auch der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Trocken- und Montagebauarbeiten ausgeführt wie beispielsweise die Montage von vorgefertigt bezogenen Wand- und Deckensystemen nebst Anbringen der Unterkonstruktionen und des Isoliermaterials gemäß den Anforderungen des Wärme-, Kälte- und Schallschutzes, die Montage von Leichtbautrennwänden und die Montage von vorgefertigten Fenstern und Türen einschließlich notwendiger Stemm- und Isolierarbeiten.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. ihr auf dem von ihr zur Verfügung gestellten Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten März bis Mai 2007 in ihrem Betrieb beschäftigt wurden und welche Bruttolohnsummen sowie Sozialkassenbeiträge insgesamt für sie in den genannten Monaten angefallen sind, sowie

2. für den Fall, dass die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an sie einen Entschädigungsbetrag in Höhe von € 5.775,00 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass ihr Betrieb im Klagezeitraum nicht dem Geltungsbereich des VTV unterfallen sei. Sie hat behauptet, in ihrem Betrieb seien in früheren Zeiten arbeitszeitlich überwiegend Akustik- und Trockenbauarbeiten verrichtet worden. Seit Ende 2006 würden die Arbeitnehmer nahezu ausschließlich unter Verwendung von Holz, Kunststoff und anderen Materialien Innenausbauteile sowie speziellen Innenausbau wie Büro- und Ladeneinrichtungen, Industrieeinrichtungen, Regale, Verkleidungen und Vertäfelungen aller Art und sonstige Innenausbauten herstellen, welche sodann selbst oder durch andere Unternehmer montiert würden. Daneben würden Türen, Tore, Elemente, Raumtrennprodukte u. Ä. hergestellt, ausgeliefert und auch montiert bzw. die Montage durch andere Unternehmen veranlasst. Dieser Unternehmensgegenstand – so die Ansicht der Beklagten – unterfalle dem fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie, wobei der Begriff der "Industrie" nicht auf eine bestimmte Größe des Betriebes o. Ä. abstelle, sondern sich allein an der das einschlägige Tarifwerk prägenden Fachlichkeit orientiere. Deshalb werde der Betrieb der Beklagten von der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV nicht erfasst.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 02. September 2008 – 10/8 Ca 2744/07 – der Klage stattgegeben. Es hat u. a. ausgeführt, die Beklagte sei auskunftspflichtig, da die von der Klägerin behaupteten Trocken- und Montagebauarbeiten § 1 Abs. 2 Abschnitt V Ziffer 37 VTV unterfielen. Den Behauptungen der Klägerin sei die Beklagte nicht in rechtlich erheblicher Weise entgegengetreten. Außer den von der Beklagten ebenfalls behaupteten Trocken- und Montagebautätigkeiten würde die von der Beklagten behauptete Erstellung von Fertigbauten und Hallen sowie die Herstellung anschließend selbst montierter Fertigbauteile und Treppen § 1 Abs. 2 Abschnitt I, Abschnitt V Ziffer 13 und 42 VTV unterfallen. Der Betrieb der Beklagten sei nicht gem. § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Ziffer 11 VTV aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages ausgenommen, da die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht dargelegt habe, dass arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten des Schreinerhandwerks angefallen seien. Die Beklagte werde auch von der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV erfasst, ohne sich auf die große Einschränkungsklausel des Abschnitts I berufen zu können. Zwar sei die Beklagte Mitglied im Verband der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V. Neben dieser Verbandsmitgliedschaft müsse der Betrieb der Beklagten jedoch kumulativ dem fachlichen Geltungsbereich des entsprechenden Manteltarifvertrags unterfallen, was nicht der Fall sei, da es sich beim Betrieb der Beklagten nicht um einen Industriebetrieb handele. Die Industrie werde durch Produktionsstufen und -anlagen sowie eine maschinelle Herstellung auf Vorrat gekennzeichnet. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte habe keine Tatsachen genannt, aus denen sich ergeben könnte, dass es sich bei ihrem Betrieb um einen Industriebetrieb handeln könnte. Der bedingte Entschädigungsanspruch ergebe sich aus § 61 Abs. 2 ArbGG.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 01. Oktober 2008 zugestellt worden. Die Berufung der Beklagten ist am 23. Oktober 2008 und die Berufungsbegründung nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02. Januar 2009 am 01. Dezember 2008 bei Gericht eingegangen. Die Beklagte hat in der Folgezeit zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die geforderte Auskunft erteilt.

Die Beklagte wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, die Klage sei unschlüssig, da die Beklagte nicht im Bereich des Trockenbaus tätig und die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer falsch angegeben seien. Im Klagezeitraum sei der Betrieb der Beklagten nicht unter den Geltungsbereich des VTV gefallen, da die Beklagte Innenausbauteile herstelle und Innenausbau betreibe, Regale und Verkleidungen, Türen und Tore herstelle, teilweise selbst montiere und zum Teil auch durch Drittunternehmen montieren lasse. Dabei handele es sich um qualifizierten Innenausbau entsprechend dem fachlichen Geltungsbereich der Mantel- oder Rahmentarifverträge der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie. Die Beklagte stelle aus Werkstoffen Produkte für den Innenausbau her und baue sie ein; diese Tätigkeit unterfalle dem fachlichen Geltungsbereich der von der Allgemeinverbindlicherklärung ausgenommenen Tarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie gemäß dem Anhang I Ziffer 4., 5. und 28. der Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe. Von diesem Tarifvertrag würden nicht nur Industriebetriebe erfasst, wie die ausdrückliche Erwähnung des Serienmöbelhandwerks und der Beispielskatalog belege, in welchem Handwerksbetriebe wie Polsterer, Klavierhersteller, Schnitzereien etc. erwähnt seien. Die Tarifvertragsparteien seien davon ausgegangen, dass zwischen Handwerk und Industrie hinsichtlich des Geltungsbereichs nur insoweit eine Unterscheidung erfolgen solle, als diejenigen Betriebe, die nicht unter die handwerklichen Voraussetzungen wegen eines fehlenden Eintrags in die Handwerksrolle fielen, dem Begriff der "Industrie" unterfallen sollten und es nicht darauf ankomme, dass die Fertigung und Produktion industriell durchgeführt werde. Von daher sei letztlich die Mitgliedschaft im HDH, nicht jedoch die Produktionsweise entscheidend. Mit insgesamt 8 Arbeitnehmern handele es sich im Übrigen bei der Beklagten auch um einen Industriebetrieb. Als Betrieb der holzbe- und -verarbeitenden Industrie unterfalle sie zusätzlich der Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 11 VTV.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 02.09.2008, Az.: 10/8 Ca 2744/07, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, die Beklagte sei darlegungs- und beweispflichtig hinsichtlich der von ihr behaupteten Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung bzw. Einschränkung des Geltungsbereichs. Soweit die Beklagte behaupte, dass in ihrem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Innenausbauarbeiten verrichtet würden, mache die Klägerin sich diese Behauptungen hilfsweise zu Eigen. Die AVE-Einschränkung greife nicht ein, da die Beklagte keinen Industriebetrieb unterhalte. Die Klägerin behauptet weiterhin, dass im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich zu mehr als 50% Trockenbauarbeiten verrichtet würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsschriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 27. März 2009 Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Die Beklagte hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, denn die Beklagte schuldet der Klägerin die geltend gemachten Auskünfte. Das hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Das Berufungsgericht folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung und macht sie sich zu Eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Im Hinblick auf den ergänzenden Vortrag der Parteien im Berufungsrechtszug ist Folgendes hinzuzufügen:

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Auskunftsanspruch ist § 21 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) in der jeweils gültigen Fassung. Danach hat der Arbeitgeber der ZVK auf dem von ihr zur Verfügung gestellten Formblatt monatlich spätestens bis zum 15. des folgenden Monats die tariflich vorgesehenen Angaben zu erteilen. Voraussetzung für die Auskunftspflicht ist, dass der Betrieb der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum unter den Geltungsbereich des VTV fiel.

Gemäß § 1 Abs. 2 VTV fallen Betriebe des Baugewerbes unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind das Betriebe, in denen überwiegend entweder die in § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt oder aber Leistungen im Sinn der Bestimmungen der Abschnitte I – IV erbracht werden(BAG 14. Januar 2004 – 10 AZR 182/03 – AP Nr. 263 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Betrieb der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet wurden, obliegt der Klägerin(BAG 28. Juli 2004 – 10 AZR 580/03 – AP Nr. 268 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Die Klägerin hat die Tarifunterworfenheit der Beklagten anhand der vorgetragenen Indizien entgegen der Ansicht der Beklagten schlüssig dargetan. Wegen des Informationsungleichgewichts zwischen der ZVK und den jeweils verklagten Arbeitgebern darf die ZVK, die keine näheren Einblicke in dem Gegner bekannte Geschehensabläufe hat, auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen. Ein derartiges prozessuales Vorgehen ist erst dann unzulässig, wenn die ZVK ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufstellt und sich deshalb rechtsmissbräuchlich verhält, was in der Regel jedoch nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte angenommen werden kann oder dann, wenn die Partei selbst nicht an die Richtigkeit ihrer Behauptungen glaubt(BAG 28. April 2004 – 10 AZR 370/03 – AP Nr. 264 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Vor dem Hintergrund der Handelsregister- und Gewerberegisterauskunft, des Ergebnisprotokolls über die Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises B sowie der Branchenauskunft durfte die Klägerin vermutet behaupten, dass im Betrieb der Beklagten im Kalenderjahr 2007 arbeitszeitlich überwiegend Trockenbauarbeiten verrichtet wurden.

Demgegenüber sind – wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat – die Behauptungen der Beklagten zum Teil unerheblich und zum Teil unsubstantiiert. Soweit die Beklagte behauptet, Innenausbauteile, Regale, Verkleidungen, Türen und Tore herzustellen, teilweise selbst zu montieren und zum Teil durch Drittunternehmen montieren zu lassen, handelt es sich von der Tätigkeit her um eine baugewerbliche Tätigkeit. Das Herstellen und Montieren von Türen und Toren ist dem Trocken- und Montagebau zuzuordnen. Die Herstellung und Montage von Regalen, Verkleidungen und sonstigen Innenausbauteilen unterfällt § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV, wonach auch Betriebe vom Geltungsbereich des VTV erfasst werden, die Tätigkeiten verrichten, die u. a. der Erstellung, Instandhaltung und Änderung von Bauwerken dienen. Das Gericht geht insoweit davon aus, dass diese Tätigkeiten insgesamt von der Beklagten ausgeführt werden. Die Behauptung der Beklagten, die Montage erfolge teilweise durch Drittunternehmen, ist unsubstantiiert, da kein zeitlicher Anteil angegeben ist.

Entgegen der von ihr vertretenen Ansicht unterfällt der Betrieb der Beklagten nicht § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Ziffer 11 VTV. Danach werden vom Geltungsbereich des Tarifvertrages u. a. Betriebe des Schreinerhandwerks sowie der holzbe- und -verarbeitenden Industrie nicht erfasst. Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit die Beklagte. Die Beklagte hat keine Tatsachen behauptet, aus denen sich ergeben könnte, dass es sich bei ihrem Betrieb um einen solchen des Schreinerhandwerks handeln könnte. Auch die Voraussetzungen eines Betriebes der holzbe- und -verarbeitenden Industrie sind nicht dargelegt. Ein Industriebetrieb unterscheidet sich von einem Handwerksbetrieb aufgrund seiner Betriebsgröße, der Anzahl seiner Beschäftigten sowie eines größeren Kapitalbedarfs infolge der Anlagenintensität. Die Industrie ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durch Produktionsanlagen und Produktionsstufen gekennzeichnet. Bei einem Handwerksbetrieb handelt es sich dagegen um einen kleineren, weniger technisierten Betrieb, in dem die Arbeiten überwiegend mit der Hand nach den Methoden des einschlägigen Handwerks und nicht auf Vorrat, sondern für einen bestimmten Kundenkreis ausgeführt werden(vgl. BAG 20. Juni 2007 – 10 AZR 302/06 – AP Nr. 26 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz). Der Betrieb der Beklagten ist mit insgesamt 8 Arbeitnehmern ein kleinerer Betrieb. Tatsachen, aus denen sich ergeben könnte, dass im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend eine industrielle Fertigung stattfindet, behauptet die Beklagte nicht. Von daher mag dahinstehen, ob nicht ggf. auch die Rückausnahme in Abschnitt VII Ziffer 11 VTV eingreift, was dann der Fall wäre, wenn die Beklagte arbeitszeitlich überwiegend mit der Herstellung und der Montage von Türen und Toren, d. h. mit Trocken- und Montagebauarbeiten im Sinn von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 VTV befasst wäre.

Da die Beklagte jedoch nicht Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien des VTV war, war sie nicht gem. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden. Allerdings war der VTV im streitgegenständlichen Zeitraum für allgemeinverbindlich erklärt worden, weshalb die Rechtsnormen des Tarifvertrages in seinem Geltungsbereich auch die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 4 TVG erfassen. Die Allgemeinverbindlicherklärung war gemäß der Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 24. Januar 2006 – soweit vorliegend relevant – wie folgt eingeschränkt:

"I.

1. Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich nicht auf Betriebe ..., die unter einen der im Anhang I. abgedruckten fachlichen Geltungsbereiche der am 01. Januar 2003 geltenden Mantel- oder Rahmentarifverträge

– der holz- und -kunststoffverarbeitenden Industrie,

– ...

fallen.

Absatz 1. findet nur in Verbindung mit Absatz 2. Anwendung.

2. Für Betriebe ... gilt Absatz 1.,

a) solange diese unmittelbar oder mittelbar Mitglied

– des Hauptverbandes der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V.,

– ...

sind."

Der fachliche Geltungsbereich der Tarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie lautet auszugsweise wie folgt:

"Für Betriebe ... der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie, des Serienmöbelhandwerks, der Sperrholz-, Faser- und Spanplattenindustrie, Kunststoffprodukte herstellende Betriebe sowie Betriebe, die anstelle oder in Verbindung mit Holz andere Werkstoffe oder Kunststoffe verarbeiten wie z. B. Betriebe zur Herstellung nachstehender Erzeugnisse einschließlich Vertrieb und Montage:

...

4. Innenausbau, Wohnungs-, Büro-, Industrie- und Ladeneinrichtungen ... Verkleidungen und Vertäfelungen aller Art ...

5. Türen, Tore, Fenster ...

...

11. Drechsler- und Holzbildhauerarbeiten..., Elfenbein- und Bernstein-Schnitzereien, Devotionalien...

...

28. Verlegung von Parkett und anderen Fußböden ..."

In Abschnitt III. der AVE-Bekanntmachung heißt es u. a.:

"Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich nicht auf Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen ...,

...

5. die unmittelbar oder mittelbar Mitglied des Bundesverbandes Holz und Kunststoff sind, von dem Rahmen- oder Manteltarifvertrag des Bundesverbandes Holz und Kunststoff oder eines seiner Mitgliedsverbände erfasst werden und überwiegend Tätigkeiten ausüben, die im fachlichen Geltungsbereich des am 01. Januar 2003 geltenden Manteltarifvertrages für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk Saar (Anhang 2) genannt sind ..."

Die Beklagte ist hinsichtlich derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Voraussetzungen der Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung ergeben, darlegungs- und beweispflichtig(BAG 21. Februar 2005 – 10 AZR 382/04 – AP Nr. 270 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Der Betrieb der Beklagten unterfällt nicht der Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung gemäß Erster Teil Abschnitt I. Abs. 1. und 2. a) der AVE-Bekanntmachung. Zwar ist die Beklagte unmittelbar Mitglied im Hauptverband der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie. Die AVE-Einschränkung setzt jedoch zusätzlich voraus, dass der Betrieb dem fachlichen Geltungsbereich der am 01. Januar 2003 geltenden Mantel- oder Rahmentarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterfällt. Das ist – wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht der Fall. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass im Beispielskatalog des Tarifvertrages der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie gemäß Anhang I der AVE-Bekanntmachung zahlreiche Tätigkeiten aufgeführt sind, die für sich genommen kaum industriell herstellbar sind, wie etwa die Verlegung von Parkett und anderen Fußböden in Ziffer 28. oder auch die Holz-, Elfenbein- und Bernsteinschnitzereien in Ziffer 11.. Es kann auch durchaus grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie eine jedenfalls begrenzte Tarifzuständigkeit für den Handwerksbereich besitzen(vgl. zur Nichtigkeit eines Tarifvertrages, wenn eine tariffähige Vereinigung einen Tarifvertrag in einem Geltungsbereich abschließt, für den sie nach ihrer Satzung nicht zuständig: BAG 21.01.2009 – 10 AZR 325/08 – n. v./juris). Im fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages ist nämlich das Serienmöbelhandwerk ausdrücklich erwähnt.

Gleichwohl ist davon auszugehen, dass vom fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages, soweit nicht das Serienmöbelhandwerk betroffen ist, ausschließlich Industriebetriebe erfasst werden. Der Tarifvertrag ist insoweit auszulegen. Die Auslegung eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden(BAG 09.04.2008 – 4 AZR 164/07 – EzA § 4 TVG Gaststättengewerbe Nr. 3).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich Folgendes: Außer dem ausdrücklich genannten Serienmöbelhandwerk erstreckt sich der Geltungsbereich des Tarifvertrages auf Betriebe der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie sowie der Sperrholz-, Faser- und Spanplattenindustrie. Diesen Betrieben gleichgestellt werden Betriebe, die Kunststoffprodukte herstellen sowie Betriebe, die anstelle oder in Verbindung mit Holz andere Werkstoffe oder Kunststoffe verarbeiten. Beispielhaft werden sodann diejenigen Betriebe genannt, die die im Beispielskatalog aufgeführten Erzeugnisse herstellen – einschließlich Vertrieb und Montage. Bei den zuletzt genannten Betrieben muss es sich um Industriebetriebe handeln. Das folgt zunächst daraus, dass sie den Betrieben der Sperrholz-, Faser- und Spanplattenindustrie gleichgestellt sind und – anders als beim Serienmöbelhandwerk – von den Tarifvertragsparteien der Handwerksbetrieb in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich genannt wird. Aus dem Beispielskatalog folgt nichts anderes. Der Beispielskatalog nennt lediglich die Erzeugnisse, die in dem Industriebetrieb hergestellt, ggf. auch vertrieben und montiert werden müssen. Der Beispielskatalog setzt mithin voraus, dass die dort aufgeführten Erzeugnisse industriell hergestellt werden, mag die anschließende Montage bzw. Verlegung etwa von Parkett und Fußböden sodann auch handwerklich erfolgen.

Auch aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich, dass sich die AVE-Einschränkung gemäß dem Ersten Teil Abschnitt I. Abs. 1. und 2. bis auf das Serienmöbelhandwerk ausschließlich auf Betriebe der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie bezieht. Die Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung bezüglich des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks ist nämlich ausdrücklich unter Abschnitt III. Abs. 5. AVE-Bekanntmachung geregelt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk in doppelter Hinsicht, nämlich sowohl unter Abschnitt I. wie auch unter Abschnitt III. aus der Allgemeinverbindlicherklärung herausgenommen werden sollte.

Die Beklagte behauptet bereits keine Tatsachen, aus denen sich ergeben könnte, dass sie die Innenausbauteile, Regale, Verkleidungen, Türen und Tore industriell herstellt und anschließend vertreibt und montiert. Die Beklagte unterhält mit 8 Arbeitnehmern einen eher kleinen Betrieb. Sie hat nicht dargelegt, wie und in welchem auch arbeitszeitlichen Umfang in ihrem Betrieb die entsprechenden Teile produziert werden. Von daher kann dahinstehen, was gelten würde, wenn im Betrieb der Beklagten die entsprechenden Teile zwar industriell hergestellt würden, die anschließende handwerkliche Montage, Verlegung etc. aber arbeitszeitlich überwöge. Mit ihrem Betrieb fällt die Beklagte nicht unter die AVE-Einschränkung.

Die Beklagte trägt die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels, § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird gem. § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.