OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 27.05.2008 - 1 Ss 362/07
Fundstelle
openJur 2012, 30122
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch überdie Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des AmtsgerichtsFrankfurt am Main zurückverwiesen.

Gründe

Mit Urteil vom 6.8.2007 hat das Amtsgericht Frankfurt am Main den Angeklagten wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG (wiederholte Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 8 Euro verurteilt.

Hiergegen richtet sich die statthafte (§ 335 StPO), form- und fristgerecht, zunächst als unbestimmtes Rechtsmittel eingelegte, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist formgerecht als Revision bezeichnete mit der allgemeinen Sachrüge begründete Sprungrevision des Angeklagten.

Sie führt zur Aufhebung des Urteils, da die Urteilsfeststellungen den Schuldspruch nicht tragen.

Dem Schuldspruch liegen folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

„Der Angeklagte ist vollziehbar ausreisepflichtig, denn er ist in Deutschland nur geduldet. Das heißt, dass seine Abschiebung ausgesetzt ist. Abschiebbar ist ein Ausländer jedoch nur, wenn seine Ausreisepflicht vollziehbar ist. Sein Aufenthalt ist zusammen mit der ihm zuletzt am 6.7.2007 mit Gültigkeit bis zum 5.10.2007 erteilten Duldung auf den Landkreis A beschränkt. Dies wusste der Angeklagte seit Ausstellung der Duldung. Am 17.9.2006 war er in O1 gewesen. Bereits zu diesem Zeitpunkt war sein Aufenthalt durch Duldung auf den Landkreis A beschränkt gewesen. Er kehrte zurück in den Landkreis A, weil er dort seine Duldung fortlaufend ausgestellt bekommt, wurde aber am 19.7.2007 in O1 angetroffen und festgenommen.“

Diese Feststellungen vermögen den Schuldspruch wegen einer wiederholten Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz nicht zu tragen. Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in ihrer Stellungnahme vom 14.11.2007 insoweit ausgeführt:

„Entgegen der Ansicht des Verteidigers war die nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zulässige Beschränkung des Aufenthalts, bei der es sich um eine Nebenbestimmung i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG in Form einer Auflage gehandelt hat, als belastender Verwaltungsakt allerdings vollziehbar.

Zwar wird in der Verwaltungsrechtslehre die Auffassung vertreten, dass für die Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes nicht genüge, dass dieser wirksam sei. Vielmehr wird weiterhin gefordert, dass er entweder unanfechtbar oder sein sofortiger Vollzug angeordnet oder einem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist (vgl. Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl., Rdnr. 15 zu § 21; Rdnr. 19 zu § 38). Diese Ansicht wird allerdings von der Rechtsprechung nicht geteilt. Nach der Entscheidung des OVG Münster (vgl. VerwRspr. 25, 277) ist ein Verwaltungsakt bis zur Einlegung des Widerspruchs durch den Antragsteller vollziehbar, weil die bloße Möglichkeit von Rechtsbehelfen noch nicht zur aufschiebenden Wirkung führe und dessen Vollziehung bis zu seiner Unanfechtbarkeit nicht zurückgestellt werden müsse. Diese Auffassung wird von Redeker/von Oertzen geteilt (VwGO, 13. Aufl., Rdnr. 7 zu § 80). Auch nach Knack (VwVfG, 8. Aufl., Rdnr. 5 zu § 43) ist die Vollziehbarkeit bei Verwaltungsakten eine regelmäßige Folge der Wirksamkeit, die nach § 43 Abs. 1 VwVfG gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffenen wird, in dem Zeitpunkt eintritt, in dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben wird. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung steht der Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts nicht entgegen. Das Unterbleiben der Belehrung führt nach § 58 Abs. 2 VwGO vielmehr nur dazu, dass die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs auf 1 Jahr verlängert wird.

Ungeachtet der Vollziehbarkeit der in der Auflage enthaltenen Anordnung verwirklicht das Verhalten des Angeklagten jedoch nicht den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.

Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers, bei dem die Abschiebung - wie hier - durch § 60 a AufenthG vorübergehend ausgesetzt ist (Duldung), ist in § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geregelt. Danach ist der Aufenthalt des Ausländers auf das Gebiet des Bundeslandes, hier des Landes Hessen, beschränkt. Gegen diese kraft gesetzlicher Bestimmung angeordnete räumliche Beschränkung hat der Angeklagte durch den Aufenthalt in O1 am 19.07.2007 nicht verstoßen.

Die weitergehende Beschränkung des Aufenthalts des Angeklagten auf das Gebiet des Landkreises A erfolgte im Zusammenhang mit der ausgesprochenen Duldung im Rahmen einer Anordnung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Durch diese Anordnung wurde der Aufenthalt des Angeklagten über die gesetzliche Beschränkung hinaus weiter beschränkt.

Unter den Rechtsbegriff der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts, wie er in den §§ 61 Abs. 1 Satz 1 und 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG verwendet wird, kann diese weitergehende behördliche Beschränkung des Aufenthalts aber nicht eingeordnet werden (vgl. OLG Karlsruhe StV 2007, 136; Brandenburgisches OLG NJ 2007, 425; OLG Jena ThürVBl. 2007, 190). Dies ergibt sich aus der Gesetzessystematik, wonach erstmalig begangene Zuwiderhandlungen gegen die räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG i. d. Fassung vom 19.08.2007 (§ 98 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG a. F.), jedoch solche gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nach der Bußgeldvorschrift des § 98 Abs. 3 Nr. 4 AufenthG (§ 98 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG a. F.) geahndet werden. Da nur die wiederholte Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG den Straftatbestand erfüllt, Verstöße gegen vollziehbare Auflagen dort aber nicht gleichermaßen aufgeführt sind, werden die letztgenannten von der Strafnorm nicht erfasst (vgl. Heilbronner, Ausländerrecht, Rdnr. 48 zu § 95 AufenthG; Rdnr. 22 zu § 98 AufenthG; OLG Karlsruhe a. a. O.; Brandenburgisches OLG a. a. O.; OLG Jena a. a. O.). Hinzu kommt, dass auch im Asylverfahrensgesetz nur der Verstoß gegen die im Gesetz selbst statuierte räumliche Beschränkung (§ 56 Abs. 1 und 2 AsylVfG), nicht aber der Verstoß gegen eine durch die Verwaltungsbehörde erlassene weitergehende Beschränkungsanordnung (§ 60 AsylVfG) unter die Strafdrohung des § 85 Nr. 2 AsylVfG gestellt ist (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.).

Das Verhalten des Angeklagten ist auch nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 6 a 2. Hs AufenthG strafbar. Diese Regelung steht nämlich ersichtlich in ausschließlichem Zusammenhang mit § 54 a AufenthG und bezieht sich hinsichtlich der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts auf § 54 a Abs. 2 AufenthG (vgl. OLG Nürnberg StraFo 2007, 37, 38; OLG Jena a. a. O.).“

Dem tritt der Senat bei.

Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main (§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht kam eine Schuldspruchberichtigung und die Verhängung einer Geldbuße durch den Senat in entsprechender Anwendung der §§ 83 Abs. 3, 79 Abs. 6 OWiG nicht in Betracht.

Die Tat ist zwar noch nicht verjährt, da die Verjährungsfrist gem. § 98 Abs. 5 AufenthG i.V.m. § 31 Abs.2 Nr. 4 OWiG 6 Monate beträgt und damit bis zum Erlass des angefochtenen Urteils am 6.8.2007 Verfolgungsverjährung nicht eingetreten war.

Einer Schuldspruchberichtigung hinsichtlich dieser Tat steht aber entgegen, dass eine Verurteilung des Angeklagten wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 4 AufenthG, die eine bewusste Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung voraussetzt, nach den unzureichenden Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht möglich ist. Die Schuldspruchberichtigung setzt voraus, dass die Urteilsfeststellungen vollständig und tragfähig vorliegen (vgl. BGHSt 32, 357; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 354 Rdziff. 15 m.w.N.), die Möglichkeit ihrer Ergänzung in einer neuen Verhandlung muss ausgeschlossen sein (BGHSt 3, 62; 6, 241; MDR 1977, 282). Das ist hier nicht der Fall. Die Urteilsfeststellungen sind unvollständig und bedürfen der Ergänzung. So ist zu beanstanden, dass der Wortlaut der dem Angeklagten im Zusammenhang mit der Duldung erteilten Auflage nicht mitgeteilt ist, so dass die Einzelheiten der Aufenthaltsbeschränkung für den Senat nicht nachvollziehbar sind. Vor allem fehlt aber die Angabe, wann und in welcher Form dem Angeklagten die erteilte Auflage und damit die Aufenthaltsbeschränkung bekannt gegeben wurde. Insbesondere angesichts des kurzen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Erteilung der Auflage am 6.7.2007 und der Tat am 19.7.2007 hätte es der Mitteilung des Zeitpunktes der Bekanntgabe der Auflage bedurft, da – wie bereits ausgeführt – erst mit Bekanntgabe der Auflage ihre Vollziehbarkeit gegenüber dem Angeklagten eintrat.

Der Antrag in dem Schriftsatz vom 20.11.2007, Rechtsanwalt RA1 als Pflichtverteidiger im Revisionsverfahren beizuordnen, ist durch den Vorsitzenden des letzten Tatgerichts zu bescheiden. Zuständig für die Entscheidung über die Verteidigerbestellung ist der Vorsitzende des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts oder des Gerichts, bei dem die Sache anhängig ist, des letzten Tatgerichts auch für die Beiordnung eines Verteidigers für die Revisionsbegründung oder sonst für das Revisionsverfahren (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 260;OLG Stuttgart StV 2000, 413; LR-Lüderssen, StPO, 24. Aufl., § 141 Rz 33; Meyer-Goßner, a.a.O., § 141 Rdziff. 6 m.w.N.). Das Revisionsgericht ist grundsätzlich nur für die Verteidigerbestellung für die Mitwirkung an der Revisionsverhandlung zuständig (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., § 140 Rdziff. 9). Eine Revisionsverhandlung findet vorliegend nicht statt.