Hessisches LSG, Urteil vom 30.03.2006 - L 8 KR 46/05
Fundstelle
openJur 2012, 27351
  • Rkr:

1. Zur ordnungsgemäßen Klageerhebung hat der Kläger die Anschrift seines Wohn- oder Beschäftigungsorts, bzw. in Ermangelung dessen die Anschrift seines Aufenthaltsorts anzugeben.

2. Die allgemeine Angabe des Klägers, im Zeitpunkt der Klageerhebung habe er sich am Ort des angerufenen Sozialgerichts (vorübergehend) aufgehalten, ist für eine ordnungsgemäße Klageerhebung nicht ausreichend.

3. Die Angabe der Anschrift eines Postzustellungsbevollmächtigten ist für eine ordnungsgemäße Klageerhebung nicht ausreichend.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Berufungsverfahren ist die ordnungsgemäße Klageerhebung des Klägers streitig.

Der Kläger, geboren 1958, erhob am 13. März 2003 gegen die Beklagte eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung seiner Mitgliedschaft seit dem 24. Juli 2002 aufgrund verschiedener versicherungspflichtiger Beschäftigungen bei der Firma M. M. in G. Er gab folgende Anschrift an: c/o RA B., A-Straße in A-Stadt und bevollmächtigte Rechtsanwalt B. zur Entgegennahme seiner Post. Weiter gab der Kläger an, zum Zeitpunkt der Klageerhebung habe er seinen Aufenthaltsort in D. gehabt. Die Schreiben vom 12. September 2003 -mit dem er auch einen Anspruch auf Krankengeld geltend machte- und vom 8. Dezember 2003 habe er persönlich in den Fristenbriefkasten des Sozialgerichts eingeworfen. Damit sei sein gewöhnlicher Aufenthalt in D. gewesen. Rechtsanwalt B. habe er zu seinem Postzustellungsbevollmächtigten bestimmt, da er nach wie vor keinen festen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland habe. Des Weiteren verwies der Kläger darauf, dass in der M. für Ausländer kein Melderecht bestehe.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, es habe keine Mitgliedschaft des Klägers bestanden, da er in dem streitigen Zeitraum nicht als Arbeitnehmer abhängig beschäftigt gewesen sei. Eine Versicherungspflicht habe nicht bestanden und sei mit Bescheid vom 13. Juni 2003 abgelehnt worden. Ergänzend verwies sie auf den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. März 2003 – Az.: S 10 KR 139/03 ER, auf den Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 17. Februar 2003 – Az.: S 8 ER-KR 39/02 (mit dem Ziel der Aushändigung von Krankenscheinen und Anerkennung der Mitgliedschaft ab 24. Juli 2002), auf den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 22. Februar 2005 – Az.: S 8 KR 232/02 (mit dem Ziel der Beratung über den Nachweis einer sozialpflichtigen Beschäftigung in der Zeit vom 24. Juli bis zum 20. August 2002), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 21. Februar 2005 – Az.: S 8 KR 235/02 (mit dem Ziel der Einsicht in die Satzung der Beklagten) und den Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 17. Februar 2003 – Az.: S 8 KR 54/ 02 ER (mit dem Ziel u. a. das Beschäftigungsverhältnis des Klägers ab dem 25. November 2002 als sozialversicherungspflichtig anzuerkennen) sowie den Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. April 2003 – Az.: L 5 ER 22/03 KR (Abweisung der Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 17. Februar 2003).

Mit Verfügung vom 12. November 2003 und vom 24. Februar 2004 wies das Sozialgericht Darmstadt den Kläger darauf hin, dass ein Aufenthalt an einem bestimmten Ort für den Nachweis des gewöhnlichen Aufenthalts im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht ausreiche und sich aus den inzwischen vorliegenden Akten der Beklagten ergebe, dass zum gleichen Streitgegenstand bereits mehrere andere sozialgerichtliche Verfahren anhängig waren bzw. noch anhängig seien. Im Übrigen sei eine Entscheidung des Rechtsstreits mit Gerichtsbescheid gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt.

Das Sozialgericht wies mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2004 die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, die Zuständigkeit des Sozialgerichts Darmstadt sei nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 und 3 SGG seien nicht erfüllt. Der Kläger habe im Bezirk des Sozialgerichts Darmstadt weder einen Wohn- noch einen Aufenthaltsort. Als Zustellungsadresse habe der Kläger dem Sozialgericht lediglich eine Adresse eines Rechtsanwalts in A-Stadt angegeben. Soweit der Kläger darauf verwiesen habe, dass er sich am 13. März 2003 in D. aufgehalten habe und seine Klageschrift im Rechtsstreit (Az.: S 10 KR 407/03) beim Sozialgericht persönlich abgegeben habe, begründe dies keinen Aufenthaltsort im Sinne von § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG. Zwar stelle § 57 Abs. 1 SGG auf den Ort der faktischen Anwesenheit ab. Damit sei jedoch der Ort gemeint, an dem sich eine Person gewöhnlich aufhalte. Es solle nicht in das Belieben einer Person gestellt werden, vor welchem Gericht er Klage erheben wolle. Deshalb sei eine Klageerhebung quasi auf der Durchreise nicht zulässig. Eine Klage sei regelmäßig an dem Ort zu erheben an dem die Person zuhause sei. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 18. November 2003, Az.: B 1 KR 1/02 S). Danach sei eine Eingabe bei Gericht ohne Angabe einer Adresse nicht zulässig. Dies sei aus § 90 SGG abzuleiten, nach dem bei Klageerhebung die Anschrift des Rechtsuchenden anzugeben sei. Dies sei auch erforderlich, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 SGG feststellen zu können und ein Tätigwerden des zuständigen gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) zu gewährleisten. Nach § 59 SGG sei die örtliche Zuständigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren nicht disponibel. Eine Ausnahme von der Angabe des Wohn- bzw. Aufenthaltsortes könne nach den Umständen des Einzelfalles anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden, beachtenswerten Gründen unzumutbar sei. Solche Umstände habe der Kläger weder vorgetragen noch seien solche Umstände festzustellen. Die Kammer habe keine andere Möglichkeit als die Klage als unzulässig abzuweisen. Der Kläger werde nicht durch einen Bevollmächtigten vertreten.

Auch eine Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Mainz sei nicht möglich. Der Kläger habe zwar eine Zustellungsadresse eines Rechtsanwalts in A-Stadt angegeben. Dies begründe jedoch nicht die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts in Mainz. Die Kammer habe dahingestellt sein lassen, ob der Rechtsstreit bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig sei.

Eine Zustellung des Gerichtsbescheids am 21. Mai 2004 mit Postzustellungsurkunde unter dem Namen des Klägers mit der Adresse „c/o Rechtsanwalt B., A-Straße A-Stadt“ misslang. In der Postzustellungsurkunde ist vermerkt: „Empf. nicht anzutreffen. Zustellung nicht möglich, da Empf. nicht hier wohnt“. Daraufhin veranlasste das Sozialgericht die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheids (ausgehängt am 25. Mai 2004, abgenommen am 6. Juli 2004).

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt am 10. März 2005 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Gerichtsbescheid habe nicht öffentlich an ihn zugestellt werden dürfen. Der Kläger gibt in seiner Berufungsschrift statt seiner Anschrift die Anschrift eines Postzustellungsbevollmächtigten (Rechtsanwalt B., A-Straße in A-Stadt) an. Dazu führt er weiter aus, er habe seit Jahren keinen festen Wohnsitz und keine zustellungsfähige Adresse. Gleichwohl dürfe ihm der Zugang zu den Gerichten nicht unzumutbar erschwert werden. Er habe einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und ihm sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Mai 2004 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom

1. 13. Juni 2003 rechtswidrig ist und seine Mitgliedschaft bei der Beklagten seit dem 24. Juli 2002 aufgrund einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Zeit vom 24. Juli bis zum 20. August 2002, vom 7. Oktober bis zum 2. November 2002, vom 25. November bis zum 21. Dezember 2002 und vom 1. bis zum

2. 28. Februar 2003 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dazu führt sie ergänzend aus, der Bescheid vom 13. Juni 2003 sei im Verfahren vor dem Sozialgericht Mainz Az.: S 10 KR 139/03 ER bzw. Az.: S 10 KR 407/03 ergangen. In dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Darmstadt -Az.: S 10 KR 139/03 ER am 13. März 2003 sei dem Kläger empfohlen worden, die bisherigen Verfahren zu beenden und gegebenenfalls eine Fortsetzungsfeststellungsklage für die streitigen Zeiträume einzulegen. Gegen den Bescheid vom 13. Juni 2003 sei kein Widerspruch erhoben worden. Eine Änderung oder Ersetzung dieses Bescheides im Sinne des § 96 SGG habe nicht stattgefunden.

Auf Anfrage des Senats mit Verfügung vom 24. März 2005 hat Rechtsanwalt B. mit Schreiben vom 8. April 2005 mitgeteilt, er nehme für den Kläger die Funktion eines Postzustellungsbevollmächtigten wahr. Diese Verfahrensweise sei mit ihm abgesprochen. Die Frage, aus welchen Gründen der Kläger eines Zustellungsbevollmächtigten bedürfe, und wo der Kläger seinen Aufenthaltsort habe bzw. ob der Kläger dauerhaft nicht im Inland wohne, dürfe er wegen seiner Verschwiegenheitspflichten nicht beantworten.

Der Senat hatte die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Streit- und Sachstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Mai 2004 ist zulässig. Die Berufung wurde insbesondere fristgerecht erhoben. Die Berufungsfrist des § 151 SGG begann mit der öffentlichen Zustellung des Gerichtsbescheids nicht zu laufen. Die öffentliche Zustellung ist nicht wirksam, da die Zustellung des Gerichtsbescheids mit Postzustellungsurkunde fehlerhaft war.

Gemäß § 151 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Berufungsfrist ist gemäß § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb dieser Frist bei dem Sozialgericht schriftlich eingelegt wird. Die Frist beginnt gemäß § 64 Abs. 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.

Diese Berufungsfrist begann für den Kläger mit der öffentlichen Zustellung des angefochtenen Gerichtsbescheids nicht zu laufen. Gemäß § 15 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) in der seinerzeit anzuwendenden Fassung vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206) werden öffentliche Bekanntmachungen u.a. zugestellt, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Vorliegend war zwar der Aufenthaltsort des Klägers im Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheids unbekannt, der Kläger hatte jedoch dem Sozialgericht den Namen und die Anschrift seines postzustellungsberechtigten Rechtsanwalts angegeben. Laut Postzustellungsurkunde wurde am 21. Mai 2004 ein Zustellungsversuch unter der Anschrift des Postzustellungsbevollmächtigten an den Kläger und nicht an den Postzustellungsbeauftragten versucht. Dies ist sowohl aus der Adressierung der Postzustellungsurkunde als auch aus dem Vermerk über den misslungenen Zustellungsversuch zu entnehmen. Die Adressierung der Postzustellungsurkunde unter dem Namen des Klägers mit dem Zusatz „c/o Rechtsanwalt B., A-Straße, A-Stadt“ deutet darauf hin, dass der Kläger unter dieser Anschrift wohne bzw. anzutreffen wäre. Dementsprechend ist zu der misslungenen Zustellung vermerkt, der Kläger sei unter der angegebenen Anschrift nicht anzutreffen. Eine Zustellung sei nicht möglich, da der Kläger unter der Anschrift nicht wohne. Dem entsprechen auch die Angaben des Klägers im Verfahren vor dem Sozialgericht, da er keinen ständigen Wohnsitz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland habe, benenne er Rechtsanwalt B. zu seinem Postzustellungsbevollmächtigten. Somit hätte in der Adressierung der Postzustellungsurkunde zum Ausdruck kommen müssen, dass unter der Anschrift „A-Straße, A-Stadt“ der Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2004 dem Rechtsanwalt B. als Postzustellungsbevollmächtigter des Klägers zuzustellen ist. Da dies nicht geschehen ist, hätte vor der öffentlichen Zustellung des Gerichtsbescheids eine erneute Zustellung an den Postzustellungsbevollmächtigten versucht werden müssen. Denn bei der Prüfung der Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung ist zu berücksichtigen, dass die Zustellungsvorschriften unter dem Blickwinkel des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu betrachten sind. Dieser Anspruch soll gewährleisten, dass der Adressat Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Dies besitzt bei einer öffentlichen Zustellung nach § 15 VwZG besondere Bedeutung, weil das öffentlich ausgehängte Schriftstück nach dem Ablauf einer bestimmten Frist als zugestellt „gilt" oder „anzusehen" ist (§ 15 Abs. 3 Satz 1, 2 VwZG), auch wenn dem Empfänger das Schriftstück nicht übergeben und regelmäßig auch inhaltlich nicht bekannt wird. Diese Zustellungsfiktion ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. Die öffentliche Zustellung ist als „letztes Mittel" der Bekanntgabe zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (Bundesverwaltungsgericht – BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, Az.: 8 C 43/95 m.w.N.).

Da die Berufungsfrist mit der öffentlichen Zustellung nicht zu laufen begann, ist die am 10. März 2005 eingegangene Berufung rechtzeitig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist nach § 67 Abs. 1 SGG ist damit nicht erforderlich.

Die Berufung ist jedoch sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klage wegen der fehlenden Angabe eines Wohn- oder Aufenthaltsorts unzulässig ist. Die Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsorts des Rechtsuchenden ist Voraussetzung für eine formal-ordnungsgemäße Klageerhebung vor einem Sozialgericht.

Nach § 90 SGG ist eine Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem zuständigen Gericht zu erheben. Das Ersuchen um Rechtsschutz „soll" gemäß § 92 Satz 1 und 2 SGG u.a. die „Beteiligten" bezeichnen und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein.

Nach der Rechtsprechung des BSG in seinem Beschluss vom 18. November 2003 (Az.: B 1 KR 1/02 S), der sich der Senat anschließt, setzt ein zulässiges Rechtsschutzbegehren im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden (Klägers, Antragstellers, u.s.w.) genannt wird. Dies entspricht überwiegend der in Rechtsprechung und Literatur zu den Parallelvorschriften anderer Prozessordnungen vertretenen Auffassung (siehe dazu: BVerfG, NJW 1996, 1272; BGHZ 102, 332 und 145, 358, 363 f. sämtlich zum Zivilprozessrecht; BVerwG, NJW 1999, 2608, 2609 m.w.N.; OVG Münster NVwZ-RR 1997, 390 und NVwZ-RR 1994, 124; VGH LH. NJW 1990, 138 -zu § 82 Abs. 1 VwGO; aus der Literatur z.B.: Geiger in Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 82 Rdnr. 3; MR./Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 82 Rdnr. 4 m.w.N.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 82 Rdnr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl. 2003, § 253 Rdnr. 23; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 253 Rdnr. 7; Decker, VerwArch 86, 266, 273 ff.; Gusy, JuS 1992, 28, 33; a. A. VGH Baden-Württemberg VBlBW 1996, 373; BayVGH BayVBl 1992, 594; VGH LH. NJW 1990, 140). Dies wird -soweit in den Kommentierungen angesprochen -auch für den Geltungsbereich des sozialgerichtlichen Verfahrens angenommen (so: Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 90 Rdnr. 4 und § 92 Rdnr. 3; Eschner in: Jansen, SGG, 2003, § 92 Rdnr. 8; Bley in: SGB-SozVers-GesKomm, § 92 SGG Anm. 4, Stand August 1992).

Auch wenn sich das sozialgerichtliche Verfahren allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formenstrenge auszeichnet, ist es gleichwohl in mehrfacher Hinsicht geboten, §§ 90, 92 SGG nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass sie den Rechtsuchenden dazu verpflichten, seine Anschrift zu nennen. Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsort des Rechtsuchenden bedarf es hier -ähnlich wie in anderen Gerichtszweigen- bereits, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 Abs. 1 bis 3 SGG (bzw. nach Sonderregelungen in den einzelnen Sozialleistungsbereichen) feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen „gesetzlichen Richters" i. S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu gewährleisten. Da im Sozialgerichtsverfahren die örtliche Zuständigkeit nach den Regelungen des § 59 SGG nicht zur Disposition des Rechtsuchenden steht, liegt das Erfordernis der Offenlegung der Anschrift des Klägers auf der Hand. Dies gilt selbst dann, wenn der Kläger -wie vorliegend zur Vermeidung der Nachteile einer öffentlichen Zustellung einen Postzustellungsbevollmächtigten bestellt hat. Denn die Anschrift des Postzustellungsbevollmächtigten begründet nicht die Zuständigkeit des angerufenen Sozialgerichts, da § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG allein auf den Wohn-, Aufenthalts- oder Beschäftigungsort des Rechtsuchenden abstellt.

Nach den Angaben des Klägers besaß er im Zeitpunkt der Klageerhebung am 31. Januar 2003 keinen Wohnsitz im Bezirk des Sozialgerichts Darmstadt. Die allgemeine Angabe des Klägers in der Klageschrift, sein Aufenthaltsort sei in G. und er arbeite in G., ist vorliegend mangels präziser Angaben nicht ausreichend. Auch wenn in § 57 Abs. 1 SGG anders als in § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) kein „gewöhnlicher“ Aufenthalt zur Begründung der Zuständigkeit eines Sozialgerichts verlangt wird, so ist doch ein Aufenthalt von gewisser Dauer zu fordern. Vorliegend konnte das Sozialgericht trotz seines Hinweises mit Verfügung vom 12. November 2003 und wegen der fehlenden Angaben des Klägers seine Zuständigkeit nicht feststellen. Dies war vorliegend erforderlich, da der Kläger ausweislich des Vortrags der Beklagten auch vor dem Sozialgericht Mainz Verfahren anhängig hatte bzw. hat, wie auch die Anfrage des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. März 2006 zeigt.

Schließlich entspricht für das Erfordernis der Angabe der Anschrift des Klägers das seit dem 2. Januar 2002 geltende Kostenrecht. Das sozialgerichtliche Verfahren ist zwar für eine natürliche Person grundsätzlich kostenfrei und in der Regel auch nicht mit der Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Prozessgegners verbunden (vgl. §§ 183, 184 SGG in der ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 -BGBl. I, S. 214, 6. SGGÄndG). Als Ausnahme von diesem Grundsatz können jedoch nach § 192 SGG einem uneinsichtigen Rechtsuchenden die durch das Betreiben eines aussichtslosen Rechtsstreits entstandenen Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden. Dieses Mittel liefe leer, wenn die Vollstreckung der auf dieser Grundlage festgesetzten Kosten gefährdet wäre, nur weil der Rechtsuchende sich durch bloßes Verschweigen seiner Anschrift der Durchsetzung einer ihn treffenden Kostenlast entziehen könnte.

Damit konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.