StGH des Landes Hessen, Beschluss vom 11.08.2004 - P.St. 1964 e.A.
Fundstelle
openJur 2012, 25373
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wirdzurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kostennicht erstattet.

Gründe

A

I.

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenbach vom 3. Juli 2003 - 390 C 25/03 -, das mit Berufungsurteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 - 6 S 197/03 - rechtskräftig geworden ist.

Dem Verfahren liegt eine mietrechtliche Streitigkeit zugrunde. Die Antragstellerin - die Beklagte des Ausgangsverfahrens - mietete von den Begünstigten - den Klägern des Ausgangsverfahrens - zwei Wohnungen in einer Liegenschaft in Q, eine im 1. Obergeschoss, eine im 2. Obergeschoss. Für beide Wohnungen zahlte die Antragstellerin seit Juni 2002 weder Miete noch Vorauszahlungen auf die Nebenkosten, sondern minderte die Miete wegen behaupteter Mängel und rechnete mit verschiedenen Gegenforderungen auf.

Das Amtsgericht Offenbach verurteilte die Klägerin durch Urteil vom 3. Juli 2003 - 390 C 25/03 - zur Räumung der Wohnung im 2. Obergeschoss - die Wohnung im ersten Obergeschoss hatte die Antragstellerin im Lauf des Rechtsstreits nach eigener fristloser Kündigung des Mietverhältnisses am 30. März 2003 geräumt -. Ferner wurde die Antragstellerin zur Zahlung von 10.669,98 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die Antragstellerin legte Berufung ein. Das Landgericht Darmstadt wies die Berufung der Antragstellerin, mit der sie beanstandete, das erstinstanzliche Gericht hätte das Verfahren wegen Vorgreiflichkeit des Verfahrens vor dem Amtsgericht Offenbach mit dem Az. 350 C 232/02 aussetzen müssen, durch Urteil vom 12. Februar 2004 - 6 S 197/03 - zurück.

Die Antragstellerin erhob am 5. April 2004 gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 Grundrechtsklage - P.St. 1952 -.

Mit Schreiben vom 14. Juli 2004, bei dem Staatsgerichtshof eingegangen am 27. Juli 2004, hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Zur Begründung führt sie aus, in dem Verfahren 350 C 232/02 habe ein Sachverständiger festgestellt, dass die Heizung nicht ordnungsgemäß gearbeitet habe. Sie sei daher berechtigt gewesen, eine Minderung der Miete auf Null vorzunehmen. Die erklärte Aufrechnung gegenüber den Ansprüchen der Begünstigten greife demnach durch, so dass deren Anspruch erloschen sei. Dennoch hätten die Begünstigten eine vollstreckbare Ausfertigung des amtsgerichtlichen Urteils vom 3. Juli 2003 erhalten und sie mit Schreiben vom 24. Juni 2004 unter Fristsetzung zum 5. Juli 2004 zur Zahlung aufgefordert, andernfalls Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet würden. U.a. infolge ihres durch Androhung der Zwangsräumung herbeigeführten Umzugs befinde sie sich in einer äußerst angespannten finanziellen Lage. Sie verfüge nicht über die finanziellen Mittel zum Ausgleich der titulierten Forderung und müsse zum Ausgleich der Forderung Bankkredit in Anspruch nehmen. Die Zahlung sei ihr unter den dargelegten Umständen nicht zumutbar. Der Bankkredit bedeute im Übrigen eine zusätzliche Belastung, die im Rahmen der Abwägung nach § 26 StGHG nicht zumutbar sei, zumal die Begünstigten nicht überwiegende Gegeninteressen darlegten. Gewichtiger sei jedoch das Risiko, dass sie, würde sie im Grundrechtsklageverfahren und dem Ausgangsverfahren nach Zurückverweisung obsiegen, ihre dann bestehenden Ansprüche auf Rückerstattung der vollstreckten Forderung nicht mehr realisieren könne. Denn die Begünstigten als Rentner verfügten nicht über die Finanzmittel, um den Instandhaltungsrückstand vor Neuvermietung reparieren zu lassen und zugleich die Rückerstattung der vollstreckten Forderung ausgleichen zu können.

Die Antragstellerin beantragt,

1. im Wege der einstweiligen Anordnung die Zwangsvollstreckung aus den Urteilen des Amtsgerichts Offenbach vom 3. Juli 2003 - 390 C 25/03 - und des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 - 6 S 197/03 - bis zum Abschluss des Grundrechtsklageverfahrens vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen auf Aufhebung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 einstweilen einzustellen, längstens jedoch für die Dauer von 6 Monaten,

2. hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung die Zwangsvollstreckung aus den Urteilen des Amtsgerichts Offenbach vom 3. Juli 2003 - 390 C 25/03 - und des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 - 6 S 197/03 - bis zum Abschluss des Grundrechtsklageverfahrens vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen auf Aufhebung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 einstweilen, längstens jedoch für die Dauer von 6 Monaten, von der Hinterlegung einer angemessenen, vom Staatsgerichtshof festzusetzenden Sicherheitsleistung durch die Begünstigten abhängig zu machen.

II.

Die Landesregierung, die Landesanwaltschaft und die Begünstigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem sich die Antragstellerin allein gegen die Vollstreckung der titulierten Zahlungsforderung wendet, ist unbegründet.

Nach § 26 Abs. 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG - kann der Staatsgerichtshof, um im Streitfall einen Zustand vorläufig zu regeln, für eine 6 Monate nicht übersteigende Frist eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn es zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist und ein vorrangiges öffentliches Interesse nicht entgegensteht.

Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin jedoch weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

Bei der Prüfung, ob die einstweilige Anordnung dringend geboten ist, ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. StGH, Beschluss vom 02.08.1972 - P.St. 692 und 693 -, StAnz. 1972, S. 1489, 1490). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Grundrechtsklage erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. StGH, Beschluss vom 22.04.1998 - P.St. 1307 e.A. -, StAnz. 1998, S. 1553). Der Staatsgerichtshof muss vielmehr die nachteiligen Folgen gegeneinander abwägen, die einerseits einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Grundrechtsklage aber später Erfolg hätte, bzw. die andererseits entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Grundrechtsklage aber letztlich der Erfolg zu versagen wäre. Bei dieser Abwägung sind nicht nur die Interessen des Antragstellers, sondern alle in Frage kommenden Belange und Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wobei nach § 26 Abs. 1 StGHG entgegenstehenden vorrangigen öffentlichen Interessen ein besonderes Gewicht zukommt (vgl. StGH, Beschluss vom 22.04.1998 - P.St. 1307 e.A. -, a.a.O.).

Die von der Antragstellerin begehrte Maßnahme kommt nicht in Betracht, weil die Nachteile, die im Falle des Ergehens einer solchen Entscheidung bei späterem Misserfolg der Grundrechtsklage einträten, die Nachteile überwiegen, die die Antragstellerin hinnehmen müsste, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Antragstellerin im Grundrechtsklageverfahren aber letztlich obsiegen würde.

Erginge die einstweilige Anordnung, wären die Begünstigten für die Dauer der verfassungsrechtlichen Prüfung unter Umständen für eine längere Zeit gehindert, die Zwangsvollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Darmstadt zu betreiben. Falls die Grundrechtsklage im Ergebnis keinen Erfolg haben sollte, träte für sie also eine zeitliche Verzögerung bei der Vollstreckung ihrer Forderungen ein. Dies wiegt um so schwerer, als die Antragstellerin seit Juni 2002 an die Begünstigten für die gemieteten Wohnungen keinerlei Zahlungen leistete.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, könnten die Begünstigten aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Darmstadt die Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin betreiben. Hätte die Grundrechtsklage letztlich Erfolg und wäre die angefochtene Entscheidung aufzuheben, stünden der Antragstellerin gegen die Begünstigten hinsichtlich des vollstreckten Betrages Bereicherungsansprüche nach §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - zu. Die Antragstellerin hat nicht substantiiert dargetan, dass die Begünstigten im Falle einer Rückabwicklung der Vollstreckung finanziell nicht in der Lage wären, entsprechende Erstattungsansprüche zu befriedigen. Ihre pauschale Behauptung, die Begünstigten als Rentner verfügten nicht über die Finanzmittel, um den Instandhaltungsrückstand vor Neuvermietung reparieren zu lassen und zusätzlich die Rückerstattung der vollstreckten Forderung ausgleichen zu können, genügt den Darlegungsanforderungen nicht.

Die von der Antragstellerin dargelegten Nachteile überwiegen die Interessen der Begünstigten nicht. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich ein Schuldner abfinden. Denn den Interessen der Antragstellerin steht ein durch die Justizgewährleistungspflicht des Staates grundgesetzlich gesicherter Anspruch der Begünstigten auf wirkungsvolle Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegenüber (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.04.1988 - 1 BvR 549/87 -, NJW 1988, S. 3141; Stöber, in: Zöller, ZPO, 24. Aufl., 2004, Vor § 704 Rdnr. 2). Das berechtigte Interesse eines Gläubigers daran, seinen Vollstreckungstitel auszunutzen, liefe leer, würden Nachteile, wie die Antragstellerin sie geltend macht und die mit einer Zwangsvollstreckung nahezu zwangsläufig verbunden sind, zu einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung durch den Staatsgerichtshof führen. Dass die Vollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2004 zu einer Existenzbedrohung auf Seiten der Antragstellerin führen würde, hat sie nicht dargetan.

Im Übrigen würde der Antragstellerin dann auch fachgerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen, auf dessen Inanspruchnahme sie vorrangig zu verweisen wäre (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. etwa Beschlüsse vom 08.10.1997 - P.St. 1283 e.A. -, StAnz. 1997, S. 3334, vom 14.09.2000 - P.St. 1569 e.A. -, und vom 18.10.2000 - P.St. 1570 e.A. -), etwa ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung der vorübergehenden Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 765a Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung - ZPO - i.V.m. § 732 Abs. 2 ZPO). Gleichzeitig konnte in Betracht kommen, dass die Antragstellerin ihre Einwendungen gegen die titulierte Forderung im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO geltend macht. In diesem Fall bestand die Möglichkeit, mit einem Antrag nach § 769 ZPO auf die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung hinzuwirken. Dass die Inanspruchnahme dieses fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes unzumutbar gewesen sein könnte, hat die Antragstellerin nicht dargetan.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.

Hinweis: Der Beschluss ist mit der qualifizierten Mehrheit des § 26 Abs. 3 Satz 2 StGHG ergangen. Widerspruch gegen ihn kann deshalb nicht erhoben werden.