Hessischer VGH, Urteil vom 19.09.1991 - 6 UE 2588/89
Fundstelle
openJur 2012, 19558
  • Rkr:
Tatbestand

Die Parteien streiten wegen der von der Beklagten aufgrund der Volkszählung 1987 festgestellten Einwohnerzahl der Klägerin.

Nach Auswertung der Erhebungsunterlagen zur Volkszählung 1987 stellte das Hessische Statistische Landesamt mit Bescheid vom 1. September 1988 fest, daß die Klägerin zum Stichtag 25. Mai 1987 8.575 Einwohner mit alleiniger bzw. Hauptwohnung gehabt habe. Diese festgestellte Einwohnerzahl sei Grundlage für die Bevölkerungsfortschreibung (§ 5 des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes vom 14. März 1980, BGBl. I S. 308) und für die maßgebliche Einwohnerzahl nach § 148 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO). Die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl erging gemäß § 15 Abs. 2 Volkszählungsgesetz vom 8. November 1985, BGBl. I S. 2078 ff. (VZG 1987).

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 9. September 1988 gegen den Feststellungsbescheid Widerspruch ein und begründete diesen in einem weiteren Schreiben vom 20. Oktober 1988 im wesentlichen wie folgt: Die festgestellte Zahl von 8.575 Einwohnern mit alleiniger bzw. Hauptwohnung in Bad Sooden-Allendorf entspreche nicht der tatsächlichen Einwohnerzahl. Wenn man nämlich zu der festgestellten Zahl von 8.575 Einwohnern die von dem Beklagten ermittelte Zahl von 544 Personen mit Nebenwohnung hinzurechne, komme man auf eine Gesamteinwohnerzahl von 9.119 Einwohnern. Der Beklagte selbst habe aber zum 31. Dezember 1986 eine Einwohnerzahl von 9.625 mitgeteilt. Daraus ergebe sich, daß 506 Einwohner bei der Durchführung der Volkszählung nicht erfaßt worden seien. Nach der eigenen Fortschreibung der Klägerin vom 30. Juni 1987 habe sich eine Einwohnerzahl (einschließlich der Nebenwohnsitze) von 9.786 ergeben. Beim KGRZ Kassel seien am 16. Juni 1987 9.762 Einwohner gespeichert gewesen.

Einen weiteren Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der festgestellten Einwohnerzahl sah die Klägerin in der Zahl von 7.134 Wahlberechtigten, wie sie bei der Landtagswahl vom 5. April 1987 maßgebend gewesen sei. Ziehe man diese Zahl von der festgestellten Einwohnerzahl von 8.575 ab, so verbleibe für die nichtwahlberechtigten Einwohner unter 18 Jahren nur ein Rest von 1.441. Diese Zahl erscheine ihr, der Klägerin, zu gering und nicht den Tatsachen entsprechend.

Im Zuge des Widerspruchsverfahrens wurden die von der Erhebungsstelle der Klägerin für die Volkszählung gelieferten Unterlagen von dem Hessischen Statistischen Landesamt - im Beisein von Vertretern der Klägerin - nochmals überprüft, ohne daß hierbei Unrichtigkeiten zu Tage traten. Daraufhin wies das Hessische Statistische Landesamt den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 15. November 1988 zurück. Die Überprüfung habe ergeben, daß die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl rechtmäßig ergangen sei. Laut Gemeindeliste seien von der Klägerin 9.080 Belege von Einwohnern der Stadt abgeliefert worden. Maschinell gelesen worden (weil wirklich vorhanden) seien 9.119 Belege, davon 8.575 Belege von Einwohnern mit alleiniger bzw. Hauptwohnung in Bad Sooden-Allendorf. Auch die nochmalige Überprüfung habe ergeben, daß die Erhebungsstelle der Klägerin alle Gemeindeteile und Straßen ordnungsgemäß erfaßt habe. Es sei auch keineswegs überraschend, daß die Feststellung aufgrund der Volkszählung 1987 häufig nicht mit den Feststellungen der Meldeämter, der kommunalen Gebietsrechenzentren und der auf der Volkszählung 1970 basierenden Fortschreibungen übereinstimme. Hierin liege gerade die Notwendigkeit einer erneuten Volkszählung, deren Hauptzweck die Feststellung der aktuellen Einwohnerzahl sei. Das Verbot eines Melderegisterabgleichs mache es unmöglich, die Abweichungen im Einzelfall aufzuklären. Diese für die einzelne Gemeinde manchmal unbefriedigende Situation beschränke eine Überprüfung der Feststellung allein auf die Unterlagen aus der Volkszählung. Die dementsprechend eingeschränkte Nachprüfbarkeit ergebe sich aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben und könne daher weder im Rahmen eines Widerspruchs- noch eines Verwaltungsstreitverfahrens erweitert werden. Auch bei der Frage 6 des Personenbogens (Haupt- bzw. Nebenwohnsitz) könne die Feststellung nur aufgrund der im jeweiligen Bogen enthaltenen Angaben erfolgen. Falls hier im Einzelfall von Auskunftspflichtigen falsche Antworten gegeben worden seien, seien diese durch Rückfrage der örtlichen Erhebungsstelle zu klären gewesen.

Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 1988 - eingegangen beim Verwaltungsgericht Kassel am 9. Dezember 1988 - hat die Klägerin Klage erhoben und diese wie folgt begründet:

Mit dem Bescheid vom 1. September 1988 sei festgestellt worden, daß zum Stichtag 25. Mai 1987 die Klägerin 8.575 Einwohner mit alleiniger bzw. Hauptwohnung gehabt habe. Nach der von ihr selbst geführten Einwohnerstatistik habe sie zum gleichen Zeitpunkt 9.625 Einwohner gehabt, so daß sich eine Abweichung von 1.046 Einwohnern ergebe. Die vom Statistischen Landesamt festgestellten Einwohnerzahlen seien als Bemessungsgrundlage für den kommunalen Finanzausgleich zugrundegelegt worden, was für die Klägerin erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge habe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Hessischen Statistischen Landesamtes vom 1. September 1988 sowie den Widerspruchsbescheid desselben vom 15. November 1988 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin treffe die volle Verantwortung für die Durchführung der Volkszählung im Bereich der Gemeinde. Ihr hätten die Unterlagen aus dem Meldeamt zur Verfügung gestanden, sie habe die Qualität der Erhebungsstelle durch Auswahl und Anleitung der Mitarbeiter beeinflussen können. Nach der Zusammenstellung und vor der Abgabe der Unterlagen an das Statistische Landesamt habe die Klägerin feststellen können, wo die Differenz zu der bisherigen Fortschreibung aufgetreten und wie diese evtl. zu erklären sei. Das Statistische Landesamt habe seine Feststellung nur aufgrund der von der Erhebungsstelle gelieferten Unterlagen treffen können. Auch die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens durchgeführte Überprüfung habe die Richtigkeit der ersten Auszählung ergeben.

Die mit Bescheid vom 1. September 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1988 getroffene Feststellung sei nur auf eine Bestimmung des statistischen Ergebnisses der Volkszählung 1987 gerichtet. Sie entwickle keine unmittelbare Rechtswirkung wie die Feststellung nach § 148 HGO, sondern bilde die - rechnerische - Grundlage für die weitere Fortschreibung. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Feststellung nach § 15 Abs. 2 VZG und den Zuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs bestehe nicht.

Durch Urteil vom 12. Juli 1989 hat das Verwaltungsgericht Kassel der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt:

Der Bescheid des Hessischen Statistischen Landsamtes vom 1. September 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1988 sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Für den Bescheid, mit dem das Hessische Statistische Landesamt gegenüber der Klägerin die aufgrund der Volkszählung 1987 festgestellte Einwohnerzahl bindend habe festlegen wollen, fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Erforderlichkeit einer derartigen Ermächtigungsgrundlage für einen Verwaltungsakt, der in die Rechtsstellung eines Rechtssubjektes eingreife, ergebe sich aus dem sogenannten Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. Dieser verfassungsrechtliche Grundsatz verlange bei Eingriffen in die Rechte natürlicher oder juristischer Personen, daß die Eingriffe durch oder aufgrund eines formellen Gesetzes erfolgten. Für die Feststellung des Volkszählungsergebnisses enthalte das Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (VZG 1987) vom 8. November 1985 (BGBl. I S. 2078) keine gesetzliche Grundlage. Der Beklagte berufe sich insofern zu Unrecht auf § 15 Abs. 2 Satz 1 VZG 1987. In dem Wortlaut dieser Bestimmung sei eine gesetzliche Regelung für den Erlaß eines Bescheides gegenüber einzelnen Gemeinden, in dem ihre durch die Volkszählung erbrachte Bevölkerungszahl festgestellt werde, nicht zu erkennen. § 15 Abs. 2 Satz 1 VZG 1987 enthalte offensichtlich nur eine Regelung des Vernichtungszeitpunktes für die Erhebungsvordrucke einschließlich der Hilfsmerkmale. Dabei solle der späteste Vernichtungszeitpunkt "zwei Wochen nach Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl des Landes" liegen. Dieser Zeitpunkt solle dabei nicht den Regelzeitpunkt der Vernichtung, sondern den spätesten Zeitpunkt kennzeichnen. Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 1987 (- 1 BvR 970/87-, NJW 1987, S. 2805 f.) seien die Statistischen Landesämter gehalten, für jede der Erhebungsunterlagen den jeweils frühest möglichen Zeitpunkt zu ermitteln und sie zu diesem Zeitpunkt zu vernichten oder zu löschen. Wie die Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl des Landes erfolgen solle, regele § 15 Abs. 2 VZG 1987 dagegen nicht. Auch wenn der Beklagte im Verfahren vorgebracht habe, das Landesergebnis setze sich aus den Ergebnissen der einzelnen Gemeinden zusammen, so möge dies zwar stimmen, eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlaß von entsprechenden feststellenden Bescheiden gegenüber den Gemeinden folge daraus jedoch nicht. Eine sachliche Notwendigkeit, daß die Feststellung durch Bescheid zu erfolgen habe, sei ebenfalls nicht zu erkennen.

Auch die vom Beklagten angeführte Begründung des Volkszählungsgesetzes 1987 in den Drucksachen von Bundestag und Bundesrat ändere an diesem Ergebnis nichts. Dort sei ausgeführt, "die amtliche Bevölkerungszahl liege erst dann vor, wenn der Bescheid bestandskräftig, d. h. durch Rechtsbehelfe nicht mehr angreifbar" sei (Bundestagsdrs. 10/2814, S. 25;Bundesratsdrs. 553/84, S. 70 n.). Zwar sei nicht genau ersichtlich, welcher "Bescheid" dabei gemeint sei. Selbst wenn man aber davon ausgehe, hiermit seien die vom Hessischen Statistischen Landesamt an die Gemeinden versandten Bescheide gemeint, ergebe auch dies keine ausreichende gesetzliche Grundlage. Denn die Auslegung eines Rechtssatzes - hier des § 15 Abs. 2 Satz 1 VZG 1987 - könne nur dort anknüpfen, wo innerhalb der gesetzlichen Norm Ansatzpunkte für eine Auslegung bestünden. Habe der Gesetzgeber aber erkennbar etwas anderes geregelt - wie im vorliegenden Fall den Zeitpunkt der Vernichtung der Erhebungsunterlagen - so könne nicht eine weitere, zusätzliche Regelung im Wege der "Auslegung" hinzugefügt werden. Ein solches Vorgehen sprenge die Grenzen der Auslegung und schaffe einen gesetzlich nicht festgelegten neuen Rechtssatz. Da es insofern bereits an einer gesetzlichen Grundlage für den von der Klägerin angefochtenen Bescheid des Hessischen Statistischen Landesamts fehle, komme es für die Entscheidung nicht mehr auf die Einwendungen der Klägerin gegen das Zählergebnis an.

Gegen das ihm am 27. Juli 1989 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16. August 1989 Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet:

Der Klage fehle bereits das Rechtsschutzinteresse, weil sich die Klägerin entsprechend ihrem Schriftsatz vom 22. Mai 1989 in erster Linie gegen den "ursächlichen Zusammenhang zwischen Volkszählungsergebnis und kommunalem Finanzausgleich" wende. Die Klage sei aber auch sachlich nicht begründet, weil die angefochtene Feststellung auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage beruhe. Die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts erster Instanz gingen fehl. Die Feststellung der Einwohnerzahl gegenüber der betroffenen Gemeinde enthalte ein final regelndes Element, ihre Auswirkungen auf den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung seien beträchtlich, so daß der Gesetzgeber ganz selbstverständlich von einer Bekanntgabe durch Verwaltungsakt ausgegangen sei. Nur in dieser Form sei auch die notwendige Berücksichtigung der gemeindlichen Interessen zu erreichen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der (fehlenden) Ermächtigungsgrundlage stünden im Widerspruch zu Rechtsprechung und Literatur, wobei die Frage offenbleiben könne, ob feststellende Verwaltungsakte überhaupt einer gesetzlichen Grundlage bedürften. Eine solche ergebe sich hier eindeutig aus § 1 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 15 Abs. 2 VZG 1987. Dabei müsse die amtliche Begründung des Gesetzes im Interesse einer verfassungsgemäßen Anwendung der Norm berücksichtigt werden. Es sei äußerst bedenklich, den erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu übergehen, nur weil subjektiv in der Norm kein Auslegungsbedarf gesehen werde. Die juristische Vorgeschichte des § 15 VZG 1987 mit den Folgerungen für die Gemeinde und für den Abschluß des Zählvorganges sei in dem erstinstanzlichen Urteil überhaupt nicht gewürdigt worden. Damit stehe das Urteil auch in Widerspruch zu der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (NJW 1986, S. 1121), der zufolge es einer ausdrücklichen Grundlage für den Erlaß eines Verwaltungsaktes nicht bedürfe, wenn ihr Vorhandensein im Wege der Auslegung ermittelt werden könne.

Der Beklagte hat weiter vorgetragen, daß die durch den angefochtenen Bescheid vom 1. September 1988 festgestellte Einwohnerzahl zugleich die Bezugszahl für die aktuelle Fortschreibung darstelle. Eine nachträgliche Einwirkungsmöglichkeit auf das Volkszählungsergebnis im Rahmen der Fortschreibung oder eines entsprechenden Verfahrens nach § 148 HGO bestehe nicht. Die Fortschreibung erfolge im wesentlichen aufgrund der Angaben der Meldeämter und Standesämter, die wiederum auch vom gesetzmäßigen Verhalten der Einwohner abhängig seien. Gerade um die sich im Laufe der Zeit summierenden Fehler dieses Verfahrens zu korrigieren, würden in gewissen Abständen die Volkszählungen durchgeführt. Dabei komme es dann zum Wegfall sogenannter "Karteileichen", der in Hessen in einzelnen Fällen eine Größenordnung von 8.000 bis 15.000 Einwohnern, das seien Verluste bis zu 14 %, erreicht habe. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang der beträchtliche Zeitabstand zu der vorausgegangenen Volkszählung 1970. Der Grund für die Abweichung könne im vorliegenden Fall auch in den Kurheimen und Ferienwohnungen zu suchen sein.

Der Beklagte weist außerdem noch einmal auf die Überprüfung der die Volkszählung betreffenden Unterlagen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hin. Um dem Spannungsverhältnis zwischen frühzeitiger Anonymisierung der Daten und Darlegungslast gegenüber der Gemeinde sachgerecht Rechnung zu tragen, habe man in einer Art "Beweissicherungsverfahren" die von der Klägerin zugesandten Volkszählungsunterlagen - in Anwesenheit von Vertretern der Klägerin - erneut überprüft. Diese Überprüfung, quasi ein halber Melderegisterabgleich, habe die Richtigkeit sowohl der Erfassungsarbeit seitens der Erhebungsstelle als auch der Festsetzung durch das Hessische Statistische Landesamt ergeben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 12. Juli 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verweist auf ihr Vorbringen erster Instanz und ist im übrigen der Auffassung, daß die Ausführungen des Beklagten in der Berufungsbegründung die zutreffende rechtliche Beurteilung, die das Verwaltungsgericht vorgenommen habe, nicht in Frage stellen könnten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, die erstinstanzliche Entscheidung und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge (2 Hefter), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 124 VwGO). Die Berufung ist auch begründet, weil das Verwaltungsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben hat.

Die Klage ist allerdings als Anfechtungsklage zulässig. Bei dem Bescheid, mit dem das Hessische Statistische Landesamt die amtliche Einwohnerzahl als Ergebnis der Volkszählung 1987 gegenüber der Klägerin festgestellt hat, handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Landesamt sein Schreiben vom 1. September 1988 nicht als einfache Mitteilung, sondern als verbindliche Feststellung ausgestaltet und diesen Charakter noch dadurch unterstrichen hat, daß es dem Schreiben eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt hat.

Der Klägerin und Berufungsbeklagten fehlt es auch nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis für ihre Klage. Sie hat ein rechtliches Interesse daran, sich gegen das Volkszählungsergebnis zu wenden, nach welchem ihre Einwohnerzahl auf 8.575 festgesetzt ist, während sie selbst nach ihrer damaligen Einwohnerstatistik von einer Einwohnerzahl von 9.625 (einschließlich der Nebenwohnsitze) ausgeht. Auch wenn sich die von der Klägerin befürchteten negativen Folgen für ihre finanzielle Ausstattung nicht unmittelbar aus der festgestellten Einwohnerzahl ergeben, so bildet diese doch die rechnerische Grundlage für die zukünftigen Bevölkerungsfortschreibungen sowohl nach § 5 des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes vom 14. März 1980 (BGBl. I, S. 309) als auch nach § 148 HGO. Eine strikte Trennung zwischen der Festsetzung der Bezugszahl nach dem Ergebnis der Volkszählung 1987 und der Feststellung der Fortschreibungszahl nach § 148 HGO läßt sich im Hinblick auf die rechtliche Bewertung ihrer Auswirkungen deshalb nicht vornehmen. Zwar ergeben sich aus dem statistischen Ergebnis der Volkszählung selbst keine unmittelbaren Rechtsfolgen; diese erwachsen vielmehr erst aus der Fortschreibung und Feststellung der Bevölkerungszahl der Gemeinden durch das Hessische Statistische Landesamt (Grundsatz der Maßgeblichkeit der Stichtagseinwohnerzahl für das jeweils folgende Haushaltsjahr; vgl. Schlempp, Komm. zur Hessischen Gemeindeordnung, Stand: März 1990, Erl. I zu § 148 HGO). Das Volkszählungsergebnis wirkt sich aber mittelbar auf die von der Einwohnerzahl abhängige Rechtsstellung der Gemeinde aus, weil es die Grundlage der jeweiligen Fortschreibung bildet. So lassen sich letztlich eine ganze Reihe von Rechtsfolgen, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften an die Einwohnerzahl der Gemeinde anknüpfen, auf das Ergebnis der letzten Volkszählung zurückführen. Als Beispiele seien neben der in § 148 HGO ausdrücklich genannten Zahl der Gemeindevertreter (vgl. § 38 HGO) verschiedene gesetzliche Zuständigkeiten, die Höhe von Amtsbezügen und von finanziellen Zuweisungen des Landes genannt (vgl. dazu Schneider/Jordan, Hessische Gemeindeordnung, Komm., Stand: Februar 1989, Erl. 1 zu § 148).

Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Denn der Bescheid des Hessischen Statistischen Landesamtes vom 1. September 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1988 ist rechtmäßig.

Der angefochtene Bescheid durfte nach dem Volkszählungsgesetz erlassen werden.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, daß der als Verwaltungsakt erlassene Feststellungsbescheid über die durch die Volkszählung ermittelte Einwohnerzahl einer Ermächtigungsgrundlage bedarf. Dies folgt aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, nach welchem Eingriffe in die Rechte natürlicher oder juristischer Personen nur durch oder aufgrund eines formellen Gesetzes erfolgen dürfen. Dieser Grundsatz wird - wie bereits das Verwaltungsgericht dargelegt hat - verfassungsrechtlich auf unterschiedliche Grundlagen gestützt, so etwa auf Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Grundrechten oder auf Verfassungsgewohnheitsrecht (vgl. Schnapp, in: von Münch (Hrsg.), Grundgesetz, Komm., Bd. 1, 3. Aufl. 1985, Art. 20, Rdnrn. 38, 43). Was die Klägerin betrifft, so ergibt sich der Vorbehalt des Gesetzes in Bezug auf Eingriffe in den Selbstverwaltungsbereich einer Gemeinde aus Art. 28 Abs. 2 GG.

Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gilt auch für sogenannte feststellende Verwaltungsakte, soweit diesen eine belastende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 1985 - 8 C 105/83 -, NJW 1986, S. 1120). Was die Feststellung der Einwohnerzahl als Ergebnis der Volkszählung 1987 betrifft, so ergibt sich die belastende Wirkung hier daraus, daß die durch die Volkszählung ermittelte Einwohnerzahl niedriger ist als die bisherige statistisch maßgebliche Einwohnerzahl und daß nunmehr die gemäß § 15 Abs. 2 VZG festgestellte amtliche Einwohnerzahl - wie bereits oben näher dargelegt - die Grundlage für alle zukünftigen Feststellungen und Fortschreibungen bildet. Einem feststellenden Verwaltungsakt kommt auch nicht dadurch eine überwiegend begünstigende Wirkung zu, daß, wie gelegentlich vertreten wird, durch ihn der Weg zu einer richterlichen Überprüfung eröffnet wird und hierin für den Adressaten möglicherweise ein Vorteil liegt oder zumindest ein denkbarer Grund für sein Einverständnis zum Erlaß des Verwaltungsaktes. Eine Beschwer wird dadurch nicht ausgeschlossen.

Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, daß der Bescheid des Hessischen Statistischen Landesamtes in den durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Bereich der Selbstverwaltung eingreift. Denn die Festsetzung der Einwohnerzahl - zugleich Grundlage der Fortschreibung - ist für die Größe des Trägers der Selbstverwaltungsgarantie sowie den Umfang seiner Aufgaben und Befugnisse von Bedeutung. An die Bevölkerungszahl knüpfen sich, wie bereits oben näher dargelegt, Folgen auf verschiedenen Gebieten, die wiederum alle einen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft haben. Durch die bestandskräftige Feststellung der Bevölkerungszahl werden der Klägerin auch für diese Bereiche Einwendungen gegen das Volkszählungsergebnis abgeschnitten.

Die danach für die Feststellung der Einwohnerzahl der Klägerin durch das Hessische Statistische Landesamt notwendige Ermächtigungsgrundlage läßt sich dem Volkszählungsgesetz entnehmen. Sie findet sich ausdrücklich weder in der gesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 2 VZG noch an anderer Stelle, ist aber im Wege der Auslegung aus verschiedenen Normen des Volkszählungsgesetzes zu ermitteln. So bestimmt § 15 Abs. 2 VZG zwar in erster Linie den Zeitpunkt der Vernichtung der Volkszählungsunterlagen. Darüber hinaus kommt dort, ebenso wie in Abs. 3 und in Abs. 6 Satz 2, aber auch eindeutig zum Ausdruck, daß eine Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl des Landes getroffen wird. Aus § 1 Abs. 2 Satz 2 VZG wiederum ergibt sich, daß diese Feststellung sich auch auf die amtliche Bevölkerungszahl der Gemeinden bezieht und daß sie von dem jeweiligen Statistischen Landesamt getroffen wird. Auch in § 15 Abs. 6 Satz 1 VZG wird davon ausgegangen, daß die statistischen Ämter der Länder "die amtliche Bevölkerungszahl der Gemeinden" festzusetzen haben. Dem Hessischen Statistischen Landesamt stand demnach in materiell-rechtlicher Hinsicht unzweifelhaft die Befugnis zu, die amtliche Einwohnerzahl der Gemeinden nach der Volkszählung 1987 festzustellen.

Diese (materiell-rechtliche) Feststellungsbefugnis erstreckte sich auch auf die Form des Verwaltungshandelns. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Im Volkszählungsgesetz 1987 ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, keine ausdrückliche Regelung darüber getroffen worden, daß die Feststellung der amtlichen Gemeindeeinwohnerzahl gerade durch einen Bescheid (Verwaltungsakt) gegenüber der betroffenen Gemeinde zu erfolgen hat. Ob eine solche Regelung unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes erforderlich ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, Komm., 3. Aufl. 1990, § 44 Rdnr. 27 m. w. N.). Ob die Befugnis, in der Form des Verwaltungsaktes zu handeln, der Hoheitsverwaltung gewissermaßen "immanent" ist bzw. zu deren "Hausgut" zählt (vgl. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, B. Aufl. 1989, § 42 Rdnr. 10 m. w. N.; im Ergebnis auch Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 1990, § 10 Rdnr. 5) oder ob der Vorbehalt des Gesetzes auch für die Handlungsform des Verwaltungsaktes gilt (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, a.a.O., § 44 Rdnr. 27 am Ende; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 8. Aufl. 1986, Rdnr. 75), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da sich eine Ermächtigung zu der gewählten Handlungsform im Wege der Auslegung aus dem Volkszählungsgesetz entnehmen läßt.

Bei einer am Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ausgerichteten Auslegung ergibt sich, daß die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl für Bund, Länder und Gemeinden ein zentraler und zugleich auch legitimer Zweck der Volkszählung war (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, BVerfGE 65, 1, 52 ff. = NJW 1984, S. 49; VGH Mannheim, Beschluß vom 7. Dezember 1987, NJW 1988, S. 988, 989). Dieser Zweck kann aber nur dann erreicht werden, wenn die aus den Daten gewonnenen Feststellungen richtig sind bzw. einen hohen Grad an Genauigkeit aufweisen. Der Gesetzgeber hat deshalb zahlreiche Prüfungsmechanismen vorgesehen, mit deren Hilfe auftretende Fehler erkannt und bereinigt werden können. Als einen solchen Mechanismus wollte der Gesetzgeber sich dabei auch die Kontrolle der richtigen Einwohnerzahl durch die jeweilige Gemeinde zunutze machen, die schon aus eigenem Interesse darauf bedacht sein mußte, auf mögliche Fehlerquellen hinzuweisen und Unrichtigkeiten aufzudecken. Der Intention des Gesetzgebers, dieses Element zu nutzen und gleichzeitig den Erfordernissen der frühzeitigen Anonymisierung und Vernichtung der Erhebungsunterlagen gerecht zu werden, entspricht am ehesten eine Festsetzung der Gemeindeeinwohnerzahl durch eine Regelung, die in Bestandskraft erwächst. Es ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber im VZG 1987 - auch ohne ausdrückliche Normierung - die Feststellung der Gemeindeeinwohnerzahl in der Form des Verwaltungsaktes zugrundegelegt und darin eine Regelung im Interesse der Gemeinden gesehen hat, die es diesen erlaubt, für sie nachteilige Fehler oder Unrichtigkeiten notfalls in einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit klären zu lassen (vgl. auch VGH Mannheim, a.a.O., S. 989; Meissner, NVwZ 1989, S. 1 <8>).

Diese Auslegung findet eine weitere Stütze in der Begründung des Volkszählungsgesetzes, wo im Zusammenhang mit § 15 VZG davon die Rede ist, daß die amtliche Bevölkerungszahl erst dann vorliegt, "wenn der Bescheid bestandskräftig, d. h. durch Rechtsbehelfe nicht mehr angreifbar ist" (Bundestagsdrucks. 10/2814, S. 25 = Bundesratsdrucks. 553/84, S. 25). Hieraus wird ebenfalls deutlich, daß der Gesetzgeber von einer Feststellung der Bevölkerungszahl durch Verwaltungsakt ausgegangen ist. Während also statistische Ergebnisse grundsätzlich im Wege des schlicht hoheitlichen Handelns festgestellt werden, sollte der Feststellung der Bevölkerungszahlen der Gemeinden auf der Grundlage der Volkszählung 1987 Verwaltungsaktqualität zukommen (ebenso Dorer/ Mainusch/Tubies, Bundesstatistikgesetz, Komm. 1988, Rdnr. 6 zu § 3).

Auch was die im Bescheid vom 1. September 1988 festgestellte Einwohnerzahl betrifft, ist der Senat zu der Auffassung gelangt, daß das Ergebnis der Volkszählung nach den in diesem Gesetz festgelegten Regeln und nach den Gesetzen der Statistik durch das Hessische Statistische Landesamt korrekt festgestellt worden ist. Dabei ist der Senat davon ausgegangen, daß der Überprüfung objektiver Unrichtigkeiten der Ergebnisse der Volkszählung verfassungsrechtliche Grenzen gezogen sind. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ergibt sich ein Verbot des Melderegisterabgleichs und damit eine Schranke für jene Richtigkeitsgewähr des statistischen Ergebnisses, die nur aufgrund einer solchen Überprüfung gegeben werden könnte (vgl. zum Verbot des Melderegisterabgleichs BVerfG, a.a.O., S. 63 ff.).

Was die tatsächlich festgestellte Einwohnerzahl betrifft, so hat die Klägerin nichts substantiiert dazu vorgetragen, daß die Volkszählung in ihrem Gemeindegebiet und die Feststellung des Ergebnisses fehlerhaft erfolgt sei. Sie hat insbesondere nicht in konkreter Weise dargetan, daß und in welchem Umfang Einwohner bei der Durchführung der Volkszählung nicht erfaßt worden sind oder daß eine der Differenz von 506 entsprechende Zahl von Einwohnern die Auskunft verweigert hat. Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung der genauen Bevölkerungszahl können aber nur solche Unrichtigkeiten sein, die mit einer erneuten Überprüfung der Volkszählungsunterlagen feststellbar sind. Dies kann dadurch geschehen, daß die Erhebungsunterlagen insgesamt noch einmal gelesen, die Regionallisten erneut erfaßt und die maschinellen Arbeitsgänge wiederholt werden (vgl. VGH Mannheim, a.a.O., S. 989). Für die Wahrheitsfindung bedarf es dabei nicht unbedingt einer Vorlage dieser Unterlagen im gerichtlichen Verfahren, sondern das Ergebnis einer erneuten Überprüfung der festgestellten Bevölkerungszahl kann auch mit einer amtlichen Auskunft in das Verfahren eingeführt werden, bei der dem im § 16 BStatG normierten Statistikgeheimnis Rechnung getragen wird (vgl. VGH Mannheim, a.a.O., S. 989).

Die von der Klägerin angestellten Erwägungen zum Verhältnis zwischen der Zahl der Wahlberechtigten für die Landtagswahl 1987 und der Einwohnerzahl vermögen nicht zu überzeugen. Die Zahl der Wahlberechtigten wird auf der Grundlage der bisherigen Bevölkerungsfortschreibung festgestellt. Um deren Unrichtigkeiten geht es aber gerade bei der Volkszählung.

Auch bei der im Zuge des Widerspruchsverfahrens durchgeführten Überprüfung der Volkszählungsunterlagen, die nach Abschluß der Erhebung von der Klägerin übersandt worden waren, sind keine Unrichtigkeiten zu Tage getreten. Bei dieser Überprüfung in Gegenwart von Vertretern der Klägerin hat ein Abgleich zwischen den Listen, die auf der Grundlage der Daten der Meldebehörde erstellt worden sind, und den von den Zählern und Erhebungsstellen gefertigten Listen stattgefunden. Diese Überprüfung hat die Richtigkeit der Feststellung des Beklagten bestätigt (vgl. Aktenvermerk des Hessischen Statistischen Landesamtes, Außenstelle Korbach, vom 14. November 1988).

Die bloße Behauptung der Klägerin, die fortgeschriebenen Melderegisterzahlen gäben die richtige Einwohnerzahl wieder, vermag nicht zu überzeugen. Wie allgemein bekannt ist, entstehen bei der Fortschreibung der Bevölkerungszahl statistische Fehler, die sich im Laufe der Zeit summieren. Eine Primärerhebung, wie sie die Volkszählung 1987 darstellt, versucht gerade, diese Fehler in bestimmten zeitlichen Abständen zu beseitigen. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß Differenzen in der Einwohnerzahl auftreten.

Nach alledem ist der Berufung des Beklagten stattzugeben und die Klage als unbegründet abzuweisen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.