Hessischer VGH, Urteil vom 03.02.1987 - 2 UE 1717/86
Fundstelle
openJur 2012, 18135
  • Rkr:
Tatbestand

Der Kläger ficht die Gültigkeit der Kommunalwahl vom 10. März 1985 an, soweit die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Lauterbach gewählt wurden. Er war am Wahltag im Wahlkreis Lauterbach wahlberechtigt.

Als endgültiges Wahlergebnis im Wahlkreis Lauterbach hat der Wahlausschuß folgendes festgestellt:

Partei oder WählergruppeStimmenSitzeSozialdemokratische Partei Deutschland4.37119Christlich Demokratische Union Deutschlands3.39415Freie Demokratische Partei7603DIE GRÜNEN4500Freie Wählergemeinschaft Lauterbach3330Dieses Wahlergebnis wurde vom Gemeindewahlleiter am 14. März 1985 öffentlich bekanntgemacht.

Mit Schreiben vom 27. März 1985, bei der Stadtverwaltung Lauterbach am selben Tage eingegangen, legte der Kläger Einspruch gegen die Gültigkeit der Kommunalwahl in Lauterbach ein. Zur Begründung führte er aus, gegen die Gültigkeit der Kommunalwahl bestünden Bedenken. Von der Heimleitung des Altenheimes der Arbeiterwohlfahrt in Lauterbach seien, ohne daß die erforderliche schriftliche Vollmacht der Wahlberechtigten vorgelegen habe, Briefwahlunterlagen bei der Stadtverwaltung in Lauterbach angefordert worden. Die Briefwahlunterlagen seien von nichtbevollmächtigten Personen entgegengenommen worden. In einem Fall habe die Heimleitung auf Befragen nach den Briefwahlunterlagen keine befriedigende Antwort über deren Verbleib geben können.

Darüber hinaus sei bei der öffentlichen Auszählung der Briefwahlunterlagen auffallend gewesen, daß eine Vielzahl der Wahlscheine nicht von den Wahlberechtigten des Altenheimes selbst, sondern von einem Vertrauensmann unterschrieben gewesen seien. Dieser Vertrauensmann sei ehrenamtlicher Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Lauterbach und gleichzeitig Kandidat für das Stadtparlament auf der SPD-Liste. Im übrigen seien bei der Wahl verschiedenartige Wahlumschläge verwandt worden. Nach § 28 Kommunalwahlordnung (KWO) müßten derartige Umschläge von gleicher Größe, Beschaffenheit und Farbe sein.

Schließlich sei in einem Wahlbezirk von einem SPD-Kandidaten für das Stadtparlament Einsicht in das Wählerverzeichnis genommen und danach mit Bürgern, die bis dahin noch nicht ihre Stimme abgegeben hätten, Verbindung aufgenommen worden. Die dargelegten Unregelmäßigkeiten könnten auf die Verteilung der Sitze im Stadtparlament von Einfluß gewesen sein.

In der ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nach der Wahl am 22. April 1985 erklärte die Stadtverordnetenversammlung nach Diskussion über die Einspruchsgründe mit Mehrheit die Wahl vom 10. März 1985 für gültig. Dieses teilte der Gemeindewahlleiter mit Schreiben vom 25. April 1985 dem Kläger mit. Zur Begründung ist in diesem Schreiben ausgeführt, die Anforderung der Briefwahlunterlagen durch die Leitung des Alten- und Pflegeheimes sowie die Aushändigung an eine Person ohne Vollmacht der Wahlberechtigten sei zwar eine Unregelmäßigkeit, die jedoch keinerlei Einfluß auf die Stimmabgabe des einzelnen Wahlberechtigten gehabt habe. In dem Alten- und Pflegeheim hätten 67 % der Heiminsassen von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Soweit darauf abgestellt werde, daß ein Vertrauensmann, der bei der Stimmabgabe zugezogen worden sei, gleichzeitig Wahlbewerber sei, könne hierin eine Unregelmäßigkeit nicht liegen, da das Gesetz Wahlbewerber von der Stellung als Vertrauensmann nicht ausgeschlossen habe. Im übrigen müsse der Wähler oder der Vertrauensmann gegenüber dem Wahlleiter an Eides statt versichern, daß der Stimmzettel persönlich oder gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet worden sei.

Was die abweichenden Wahlumschläge bei der Briefwahl angehe, sehe das Gesetz vor, daß Briefwahlumschläge durch Klebung verschließbar sein müßten (§ 28 Abs. 1 Satz 3 KWO). Von daher seien Wahlumschläge von Briefwählern immer zu individualisieren, so daß es im Ergebnis auf die Farbgestaltung des Umschlages nicht ankomme. Im übrigen lägen keine tatsächlichen Hinweise darauf vor, daß bei der Wahl Farbgestaltungen vorgelegen hätten, die vom Normalfall abgewichen seien.

Soweit gerügt werde, daß unbefugte Personen Einsicht in das Wählerverzeichnis genommen hätten, sei der Einspruch nicht substantiiert. Sowohl der Wahlvorsteher als auch der Schriftführer im Wahlbezirk des Stadtteiles Frischborn hätten erklärt, daß nicht eine Person, die nicht Mitglied des Wahlvorstandes gewesen sei, Einblick in das Wählerverzeichnis genommen habe. Als Tag der Zustellung dieses Schreibens ist auf der Postzustellungsurkunde der 30. April 1985 vermerkt; der dem Kläger übergebene Briefumschlag trägt das vom Zusteller abgezeichnete Datum "30.5.1985".

Am 31. Mai 1985 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Darmstadt Klage erhoben.

Zur Zulässigkeit hat der Kläger ausgeführt, es sei unerheblich, wann der Bescheid vom 25. April 1985 zugestellt worden sei und es komme auch nicht darauf an, ob diesem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung hätte beigefügt werden müssen. Jedenfalls hätte der Bescheid vom Wahlleiter zugestellt werden müssen. Dies sei aber durch den ersten Stadtrat der Stadt Lauterbach geschehen, der weder zur Vertretung des Gemeindewahlleiters bestellt noch sonst berufen gewesen sei.

Zur Begründung hat er teilweise seinen Vortrag im Einspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, für das Alten- und Pflegeheim sei ein Sonderwahlbezirk nicht gebildet worden. Auf den Antrag des Heimleiters hin seien 83, Briefwahlscheine ausgegeben worden. Mindestens 56 der Briefwahlscheine seien mit Stimmzetteln zurückgegeben worden. Bei mehreren Wahlscheinen sei die vorgedruckte Versicherung an Eides statt nicht unterzeichnet gewesen. Die Heimleitung habe nicht dafür Sorge getragen, daß die Stimmzettel unbeobachtet hätten gekennzeichnet und in den Wahlumschlag hätten eingelegt werden können, wie dies § 45 Abs. 3 KWO vorschreibe. Sie sei darauf auch nicht von dem Gemeindewahlleiter hingewiesen worden. Darüber hinaus seien mehrere der stimmberechtigten Bewohner des Alten- und Pflegeheimes, für die die "Vertrauensperson" den Stimmzettel gekennzeichnet und die eidesstattliche Versicherung unterzeichnet habe, am 10. März 1985 nicht mehr in der Lage gewesen, Sinn und Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens zu erfassen. Zwei dieser Bewohner des Alten- und Pflegeheimes seien inzwischen verstorben.

Die Unregelmäßigkeiten hätten auch auf das Wahlergebnis von Einfluß sein können. Wären auf die Liste der "GRÜNEN" 16 Stimmen mehr entfallen, hätte sie die 5 %-Grenze überschritten und an der Sitzverteilung in der Stadtverordnetenversammlung teilgenommen. Der Kläger hat hierzu eine Berechnung zu den Gerichtsakten gereicht, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 16-19 d.A.).

Nach seiner Auffassung erfaßten die Unregelmäßigkeiten die Gültigkeit der Wahl im gesamten Wahlkreis, da ein Sonderwahlbezirk für das Alten- und Pflegeheim nicht gebildet worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Beschluß der Beklagten vom 22. April 1985 über die Gültigkeit der Wahl vom 10. März 1985 zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Lauterbach aufzuheben,

die Wahl vom 10. März 1985 im Wahlkreis Lauterbach zur Wahl der Beklagten für ungültig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei verspätet eingegangen. Im übrigen komme es auf die Frage, ob dem Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen sei, nicht an. In Kommunalwahlsachen beginne der Fristenlauf unabhängig hiervon. Es sei auch unschädlich, daß der 1. Stadtrat den angefochtenen Bescheid unterzeichnet habe. Die Tätigkeit des besonderen Wahlleiters sei auf "die Dauer des Wahlverfahrens" beschränkt. Die Wahlprüfung und Nachwahl gehörten nicht mehr zum eigentlichen Wahlverfahren. Mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses und Benachrichtigung der Gewählten seien die Einwirkungsmöglichkeiten des Wahlleiters aufgrund eigener Entscheidung beendet.

In der Sache hat sich der Beklagte auf den Inhalt des Bescheides vom 25. April 1985 bezogen und vertiefend ausgeführt, es solle mit dem Vortrag, die eidesstattlichen Erklärungen auf den Wahlscheinen seien in einer Vielzahl von Fällen von derselben Person unterzeichnet worden, unterschwellig der Verdacht einer Manipulation erweckt werden. Dieser Verdacht werde jedoch nicht offen ausgesprochen, weil es an konkreten Anhaltspunkten und Beweismitteln fehle. Im übrigen handele es sich bei der betreffenden Person um den Leiter des Pflegedienstes, Herrn M., der nicht Wahlbewerber auf dem Wahlvorschlag der SPD gewesen sei. Soweit der Kläger darauf abstelle, daß mehrere Briefwähler zum Zeitpunkt der Stimmabgabe nicht mehr in der Lage gewesen seien, Sinn und Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens zu erfassen, sei der Vortrag weder substantiiert noch sei er bereits im Einspruchsverfahren vorgebracht worden, weshalb hierüber nicht mehr sachlich zu entscheiden sei.

Das Verwaltungsgericht hat den Pflegedienstleiter L. M. als Zeugen über den Verbleib der Briefwahlunterlagen derjenigen Wahlberechtigten, die keine Briefwahlstimme abgegeben haben, vernommen. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf die in den Gerichtsakten befindliche Niederschrift Bezug genommen (Bl. 47-51 d.A.).

Durch Urteil vom 7. Mai 1986 hat das Verwaltungsgericht Darmstadt den Beschluß der Beklagten über die Gültigkeit der Wahl aufgehoben und die Wahl vom 10. März 1985 zur Wahl der Beklagten für ungültig erklärt. In den Gründen hat das Gericht ausgeführt, die Klage sei zulässig, weil die Zustellung des Bescheides der Beklagten vom 22. April 1985 unter Verletzung zwingender gesetzlicher Formerfordernisse erfolgt sei. Auf der Zustellungsurkunde sei als Zustellungsdatum der 30. April 1985 vermerkt, während der Zusteller auf dem vom Kläger vorgelegten Umschlag das Datum des 30. Mai 1985 eingetragen habe. Bei dem Wahlverfahren seien Unregelmäßigkeiten vorgekommen, die auf die Verteilung der Sitze von Einfluß gewesen sein könnten. Es seien für Bewohner des Heims Wahlscheine ausgestellt worden, ohne daß diese zuvor einen schriftlichen oder mündlichen Antrag selbst oder durch einen bevollmächtigten Vertreter gestellt gehabt hätten. Darin liege ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KWO. Außerdem sei gegen § 18 Abs. 4 KWO verstoßen worden, da Wahlschein und Briefwahlunterlagen an einen anderen als den Wahlberechtigten persönlich nur ausgehändigt werden dürften, wenn dessen Berechtigung zur Empfangnahme durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen worden sei. Ob die Briefwahlunterlagen und Wahlscheine durch Boten oder in einer einzigen Postsendung an die Heimleitung geschickt worden seien, habe nicht geklärt werden können. Im letzteren Falle hätten die Unterlagen gemäß § 18 Abs. 4 KWO nur an den jeweiligen Wahlberechtigten adressiert werden dürfen. Schließlich habe die Leitung des Heims entgegen § 45 Abs. 3 Satz 2 KWO keinen geeigneten Raum zur Durchführung der Briefwahl bestimmt. Außerdem habe die Gemeindebehörde die Heimleitung entgegen § 45 Abs. 4 KWO nicht vor der Wahl auf § 45 Abs. 3 KWO hingewiesen, wonach Vorsorge zu treffen sei, daß der Stimmzettel unbeobachtet gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt werden könne.

Diese Unregelmäßigkeiten hätten Einfluß auf die Sitzverteilung haben können. 27 Heimbewohner hätten nicht gewählt. Bei fünf bis sieben Heimbewohnern stehe fest, daß sie die Wahlunterlagen nicht erhalten hätten. Aber auch für die übrigen Heimbewohner könne nicht ausgeschlossen werden, daß sie die Wahlunterlagen nicht erhalten hätten und sie deshalb nicht zur Wahl gegangen seien.

Diese Unregelmäßigkeiten könnten auch theoretisch auf die Sitzverteilung von Einfluß gewesen sein. Nach dem amtlich festgestellten Wahlergebnis fehlten dem Wahlvorschlag der "GRÜNEN" lediglich 16 Stimmen, um die 5 %Grenze zu überschreiten und bei der Verteilung der Sitze berücksichtigt zu werden. Dabei komme es nicht darauf an, daß die "fehlenden" Stimmen auch tatsächlich für diesen Wahlvorschlag abgegeben worden wären. Da im Wahlkreis Lauterbach die Briefwahlstimmen insgesamt für den gesamten Wahlkreis ausgezählt worden seien, müsse die Ungültigkeitserklärung auf den gesamten Wahlkreis erstreckt werden.

Gegen dieses ihr am 10. Juni 1986 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 25. Juni 1986 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Für die Wahlbezirke I bis IV, in dem das Altenwohn- und Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt liege, sei zusätzlich ein Briefwahlvorstand gebildet worden. Aufgrund der gleichzeitig stattfindenden Ortsbeiratswahlen seien die Wahlbriefe aus den Stadtteilen im jeweiligen Wahlbezirk von dem dort zuständigen Wahlvorstand ausgewertet worden. Auch die Darstellung der Anforderung und Übergabe der Briefwahlunterlagen an die Heiminsassen sei unvollständig. Im Heim bestehe keine Briefkastenanlage. Die Postverteilung werde so gehandhabt, daß für das Heim der Heimleiter oder die in der Verwaltung angestellte Frau H. die Sendung entgegen nähme. Für Einschreibe- und Geldsendungen bestehe darüber hinaus ein besonderes Verfahren, nach dem diese Sendungen nur gegen Quittung an die Betroffenen ausgehändigt würden. Normale Briefsendungen würden den Adressaten entweder auf das Zimmer gebracht oder beim Getränkeverkauf ausgegeben oder beim Mittagessen im Speisesaal ausgehändigt.

Die von dem Zeugen M. ausgefüllten Wahlbenachrichtigungskarten seien zur Anforderung von Briefwahlunterlagen vom Hausmeister des Heimes der Stadtverwaltung überbracht worden. Dieser habe dort wenige Tage später die antragsgemäß ausgestellten Briefwahlunterlagen gebündelt wieder abgeholt. Den gesamten Stapel mit sämtlichen Briefwahlunterlagen habe er im Büro der Heimleitung abgegeben. Die Briefwahlunterlagen seien für jeden einzelnen wahlberechtigten Bewohner des Heimes in einem einzelnen verschlossenen Umschlag mit Sichtfenster für das Adressenfeld enthalten gewesen. Im Umschlag habe sich zum Adressfenster hingewandt das ausgefüllte Wahlscheinformular befunden. Nach Eingang der Briefwahlunterlagen im Heim seien diejenigen Unterlagen ausgesondert worden, die an solche Heimbewohner adressiert gewesen seien, die ihr Mittagessen täglich im Speisesaal eingenommen hätten. Die übrigen Briefe habe der Zeuge M. an die Adressaten in den Zimmern verteilt. Einige Bewohner, deren Anzahl der Zeuge M. auf fünf bis sieben beziffert habe, hätten mit den Unterlagen nichts anzufangen gewußt und sie dem Zeugen wieder zurückgegeben. Daraufhin sei veranlaßt worden, daß diese Unterlagen wieder an das Wahlamt der Stadt Lauterbach zurückgesandt worden seien.

Das angefochtene Urteil sei auch deshalb fehlerhaft, weil das Gericht bei seiner Wahlprüfung über die Einspruchsgründe hinausgegangen sei. Es hätte nur noch überprüfen dürfen das Verfahren bei Beantragung und Aushändigung der Briefwahlunterlagen, die Unterzeichnung der eidesstattlichen Versicherungen derselben "Vertrauensperson" bei einer Vielzahl von Heimbewohnern und daß ein Angehöriger keine befriedigende Antwort über den Verbleib der für seine Mutter bestimmten Briefwahlunterlagen erhalten habe. Der letztere Vortrag sei unsubstantiiert. Was die Aushändigung der Briefwahlunterlagen angehe, so entspreche ihre Verteilung der hausinternen seit Jahren praktizierten Übung bei Postsendungen. Die für jeden einzelnen Wahlberechtigten im Heim bestimmten Briefwahlunterlagen seien in einzelnen verschlossenen Umschlägen enthalten gewesen. Ohne Auswirkung auf die Sitzverteilung bleibe, daß ein spezieller Wahlraum nicht eingerichtet gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Kommunalwahl seien allenfalls zwei Doppelzimmer im Heim belegt gewesen, während die Heiminsassen im übrigen sämtlich in Einzelzimmern untergebracht gewesen seien. Diese Bewohner hätten jederzeit die Möglichkeit zur geheimen Wahl gehabt. Im übrigen seien Unregelmäßigkeiten, soweit es dazu überhaupt gekommen sein sollte, nicht "beim Wahlverfahren" vorgekommen. Das "Wahlverfahren" könne sich nur auf die im dritten und vierten Abschnitt des Kommunalwahlgesetzes geregelten Tatbestände beziehen. Gegen Vorschriften dieser Abschnitte sei jedoch nicht verstoßen worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. Mai 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich im wesentlichen auf den Vortrag vor dem Verwaltungsgericht und führt ergänzend aus, es sei unzutreffend, daß das von dem gesondert gebildeten Briefwahlvorstand festgestellte Ergebnis in das jeweilige Wahlergebnis der Wahlbezirke I bis IV eingeflossen sei. Vielmehr habe der Wahlleiter aufgrund der Wahlniederschriften in den einzelnen Wahlbezirken das endgültige Ergebnis der Wahl im Wahlkreis unter Hinzufügung des Briefwahlergebnisses auf einem Zählbogen zusammengestellt. Das Wahlergebnis der Briefwahl fließe somit in das endgültige Ergebnis der Wahl im Wahlkreis ein. Im übrigen müsse das Ergebnis der Briefwahl insgesamt den Wahlbezirken I bis V zugerechnet werden, da der Wahlbezirk V keine Ortsbeiratswahl vorzunehmen gehabt habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der Ergänzung des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, die vorgelegten Behördenvorgänge sowie die vom Bürgermeister als Gemeindewahlleiter der Stadt Lauterbach mit Schriftsatz vom 18. Dezember 1986 eingereichten Wahlniederschriften sowie die bei der Stadt Lauterbach aufbewahrten Wahlbenachrichtigungskarten und Briefwahlunterlagen der Bewohner des Altenheimes der Arbeiterwohlfahrt, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (§§ 124, 125 VwGO) und begründet.

Der Kläger ist als Wahlberechtigter für die Kommunalwahl am 10. März 1985 zur Erhebung der Wahlanfechtungsklage (§ 27 Hessisches Kommunalwahlgesetz - KWG - in der Fassung vom 1. März 1981, GVBl. I S. 109) klagebefugt. Er hat vor Erhebung der Klage gegen die Gültigkeit der Wahl nach § 25 KWG Einspruch erhoben, über den die neue Stadtverordnetenversammlung gemäß § 26 KWG beschlossen hat (§ 27 Satz 1 Ziff. 1 KWG). Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen (§ 27 Satz 2 KWG).

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß der Kläger die Klage auch rechtzeitig erhoben hat. Nach § 27 Satz 1 KWG ist die Klage innerhalb eines Monats "nach Zustellung oder Verkündung der Entscheidung" zu erheben. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese Frist gewahrt. Dabei kann dahinstehen, ob es für den Fristbeginn auf die Verkündung der Entscheidung ankommt. Jedenfalls konnte der Kläger am 22. April 1985 von der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung keine Kenntnis nehmen, weil er an diesem Tag, wie er in seinem Schriftsatz vom 13. November 1986 substantiiert dargelegt hat - die Beklage hat dem nicht widersprochen -, nicht anwesend war. Dem Verwaltungsgericht ist aber darin beizupflichten, daß die Klagefrist jedenfalls dann erst mit der Zustellung zu laufen beginnt, wenn die Entscheidung entsprechend § 58 Abs. 1 Ziff. 2 Kommunalwahlordnung (- KWO - vom 26. September 1980 in der Fassung von 28. Juni 1984, GVBl. I S. 169) zugestellt worden ist. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck des Zustellungsverfahrens nach dem Hessischen Verwaltungszustellungsgesetz, auf das § 69 KWO verweist, sowie aus dem Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes (- VwZG - vom 3. Juli 1952, BGBl. I S. 379, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 1976, BGBl. I S. 3341), das gemäß § 1 Hessisches Verwaltungszustellungsgesetz (vom 14. Februar 1957, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 1973, GVBl. 1973 I S. 57) anwendbar ist. Danach bewirkt die Zustellung zum einen, daß dem Betroffenen oder einem gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter das zuzustellende Schriftstück auch tatsächlich ausgehändigt wird und der Betroffene deshalb von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Zum anderen bewirkt die Zustellung aber auch, daß mit einer Zustellung der Beginn von Fristen festgelegt wird. Würde man nun in Fällen, in denen eine Entscheidung sowohl verkündet wie auch zugestellt worden ist, noch auf den Zeitpunkt der Verkündung abstellen, träte eine Rechtsunsicherheit ein, die der vom besonders ausgestalteten Wahlprüfungsverfahren beabsichtigten Beschleunigung des Verfahrens (vgl. hierzu Urteil des Hess. VGH vom 3. September 1974 - II DE 23/74 -) widerspräche.

Demnach kommt es für den Beginn der Frist nach § 27 KWG auf die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung an.

Die Zustellung ist jedoch unter Verletzung zwingender Formvorschriften erfolgt, so daß die Klagefrist des § 27 KWG nicht in Gang gesetzt wurde.

Die Zustellung der Entscheidung der Beklagten vom 22. April 1985 erfolgte durch die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG). Bei dieser Zustellungsform ist von dem Postbediensteten eine Zustellungsurkunde aufzunehmen, in der die Übergabe der genau bezeichneten Sendung sowie die Übergabe der Abschrift der Zustellungsurkunde bezeugt werden muß. Die Übergabe der Abschrift einer Zustellungsurkunde kann dadurch ersetzt werden, daß der Postbedienstete den Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt; er hat dies in der Zustellungsurkunde zu bezeugen (§ 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 195 Abs. 2 ZPO). Der Postbedienstete, der hier dem Kläger die Entscheidung zugestellt hat, hat diese Vorschriften nicht eingehalten. Nach der sich in den Behördenakten befindlichen Zustellungsurkunde hat er dort als Tag der Zustellung den 30. April 1985 angegeben, während auf dem vom Kläger vorgelegten Briefumschlag als Tag der Zustellung der 30. Mai 1985 vermerkt ist. Damit hat der Zusteller gegen zwingende Verfahrensvorschriften verstoßen Denn bei § 195 Abs. 1 Satz 2 ZPO handelt es sich nicht um eine reine Ordnungsvorschrift, die lediglich für den Zustellungsempfänger selbst den Zeitpunkt der erfolgten Zustellung fixieren soll. Die Forderung, den Zustellungstag auf dem zuzustellenden Schriftstück zu vermerken, stellt vielmehr ein für die Zustellung notwendiges urkundlich zu bezeugendes Surrogat für die Übergabe der Abschrift der Zustellungsurkunde dar (so das BVerwG, Urteil vom 7. November 1979 - 6 C 47.78 -, NJW 1980, 1482 unter Bezug auf den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 - GmS-OGB 2/75 - BGHZ 67, 355). Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung weiter ausgeführt: "Zum Schutze des Zustellungsempfängers, der die an die Zustellung geknüpften Rechtsfolgen für und gegen sich gelten lassen muß, ist es erforderlich, daß ihm der Tag der Zustellung in Übereinstimmung mit der Zustellungsurkunde bekanntgegeben wird. Diese Beurkundungsfunktion des in § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebenen Datumsvermerks ist nicht nur dann verletzt, wenn es der Postbedienstete überhaupt unterlassen hat, den Tag der Zustellung auf der Sendung zu vermerken, sondern auch dann, wenn der Datumsvermerk auf der Sendung einen anderen Zustellungstag ausweist als die Zustellungsurkunde. Denn auch in diesem Fall vermag der Datumsvermerk auf der Sendung keinen wirksamen Ersatz für die Übergabe einer Abschrift der Zustellungsurkunde zu bilden. Dieser Zustellungsmangel läßt allerdings den sich aus § 9 Abs. 1 VwZG ergebenden Grundsatz unberührt, daß das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugestellte Schriftstück dem Empfänger als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem er es tatsächlich erhalten hat (Urteil vom 29. August 1966 - VIII C 252.63 = BVerwGE 25, 1, 3). Die fehlerhafte Zustellung hat gemäß § 9 Abs. 2 VwZG lediglich zur Folge, daß die Frist für die Erhebung der Klage nicht zu laufen beginnt".

Dem schließt sich der Senat an. Dabei kommt es, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht darauf an, daß eine Vermutung dafür spricht, daß die Zustellung tatsächlich am 30. April 1985 und nicht am 30. Mai 1985 vorgenommen wurde, nachdem die an die Stadtverwaltung Lauterbach zurückgesandte Postzustellungsurkunde den Eingangsstempel des z. Mai 1985 trägt. Die Verletzung der zwingenden Zustellungsvorschriften liegt darin, daß der Postbedienstete den Tag der Zustellung auf dem Umschlag der zuzustellenden Entscheidung und auf der Postzustellungsurkunde unterschiedlich vermerkt hat. Demnach war zwar die Zustellung wirksam, hat aber nicht den Beginn der Klagefrist bewirkt.

Die zulässige Klage ist aber nicht begründet. Die Voraussetzungen, unter denen eine Wahl für ungültig zu erklären ist, liegen hier nicht vor. Nach §§ 27 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG ist die Wiederholung der Wahl anzuordnen, wenn bei dem Wahlverfahren Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die auf die Verteilung der Sitze von Einfluß gewesen sein können. Darüber hinaus müssen die Unregelmäßigkeiten innerhalb der Einspruchsfrist von zwei Wochen nach der Bekanntmachung des Wahlergebnisses (§ 25 Abs. 1 KWG) geltend gemacht worden sein, um im materiellen Wahlprüfungsverfahren berücksichtigt werden zu können.

Eine Unregelmäßigkeit bei dem Wahlverfahren im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG liegt vor, wenn gegen Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes oder der zur Ausführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen verstoßen wird.

Eine Unregelmäßigkeit in dem genannten Sinne ist bei dem Wahlverfahren vorgekommen, weil gegen § 17 Abs. 3 KWO verstoßen wurde. Danach muß derjenige, der für einen anderen die Erteilung eines Wahlscheines beantragt, durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachweisen, daß er dazu berechtigt ist. Dieses ist unstreitig nicht erfolgt. Der damalige Leiter des Pflegedienstes, der Zeuge M., hat ohne Rücksprache mit den wahlberechtigten Heimbewohnern und ohne deren Vollmacht Briefwahlanträge gestellt und die Wahlbenachrichtigungskarten unterschrieben. Darüber hinaus hat die Stadtverwaltung der Stadt Lauterbach gegen § 18 Abs. 4 KWO verstoßen. Danach dürfen Briefwahlunterlagen und Wahlscheine an einen anderen als den Wahlberechtigten nur ausgehändigt werden, wenn die Berechtigung zur Empfangnahme durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen wird. Im vorliegenden Falle wurden, wie im Berufungsverfahren unwidersprochen vorgetragen wurde, die Wahlbenachrichtigungskarten vom Hausmeister des Heimes gebündelt der Stadtverwaltung Lauterbach überbracht; wenige Tage später holte er die ausgestellten Briefwahlunterlagen gebündelt wieder ab und brachte sie in das Büro der Heimleitung. Von dieser wurden die Briefwahlunterlagen an die Wahlberechtigten verteilt. Die Zuordnung der einzelnen Briefsendungen zu den jeweiligen Wahlberechtigten konnte ohne weiteres erfolgen, weil die Briefsendungen an die Wahlberechtigten adressiert waren.

Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, inwieweit diese aufgezeigten Unregelmäßigkeiten Einfluß auf das Wahlergebnis gehabt haben können. Davon ist auszugehen, wenn nach den Umständen den einzelnen Falles eine nach der Lebenserfahrung konkrete und in greifbare Nähe gerückte Möglichkeit besteht, daß die Unregelmäßigkeit auf die Sitzverteilung von Einfluß gewesen sein kann; sie muß nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein, das Wahlergebnis zu beeinflussen Hess VGH, Urteil vom 5 November 1974 - II DE 134/73 -, Hess.VGRspr. 1975,S. 17 ff.; OVG Münster, Urteil vom 4. August 1971 - III A933/70, OVGE 27, 78 ff.). Hierfür kommt es darauf an, daß für den Einfluß auf das Wahlergebnis die Unregelmäßigkeit ursächlich gewesen ist und nicht weitere Ereignisse den Ursachenzusammenhang unterbrochen haben.

Nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen (Wahlbenachrichtigungskarten, Wahlscheinduplikate und abgegebene Wahlscheine) steht fest, daß von 81 wahlberechtigten Heimbewohnern nur 54 gewählt haben, was auch aufgrund des Wahlscheinverzeichnisses (§ 18 Abs. 5 KWO) festgestellt wurde. Warum die restlichen 27 Heimbewohner nicht gewählt haben, ist unbekannt. Die von § 26 Abs. 1 Ziff. 2 KWG geforderte Kausalität zwischen Unregelmäßigkeit und möglichem Einfluß auf die Sitzverteilung wäre hier unter Umständen anzunehmen, wenn das rechtswidrige Verfahren bei Beantragung und Ausgabe der Briefwahlunterlagen Heimbewohner daran gehindert hätte zu wählen. Dies ist jedoch, mit Ausnahme eines Falles, auf den noch eingegangen werden wird, nicht erkennbar.

Der Umstand, daß die Wahlbenachrichtigungskarten, die gemäß § 10 KWO vor Auslegung des Wählerverzeichnisses an die Wahlberechtigten zu übersenden sind, nicht den wahlberechtigten Heimbewohnern ausgehändigt wurden, konnte nicht zum Verlust ihrer Wahlmöglichkeit führen, weil die Vorlage der Wahlbenachrichtigungskarte nicht Voraussetzung für die Stimmabgabe ist. Sie dient vielmehr der Information des Wahlberechtigten über die Einzelheiten der Wahl, des Zeitpunktes, des Ortes und enthält eine Belehrung über die Beantragung eines Wahlscheines und die Übersendung von Briefwahlunterlagen. Vielmehr kann nach § 7 KWG wählen, wer in ein Wählerverzeichnis eingetragen ist oder einen Wahlschein hat. Ist für einen Wahlberechtigten ein Wahlschein ausgestellt, so muß dieser Wahlschein bei der Wahl vorgelegt werden. Dies erfolgt entweder bei der Briefwahl nach § 19 KWG, bei der der Wahlberechtigte den Wahlschein mit seinem in einen verschlossenen Umschlag eingelegten Stimmzettel in einem Wahlbriefumschlag übersendet oder indem er bei der Wahl in einem Wahllokal den Wahlschein vorlegt (§§ 42, 39 Abs. 6 Ziff. 2 KWO). Daraus ergibt sich, daß die Stimmabgabe dann unmöglich wird, wenn dem Wahlberechtigten nach dem Wahlscheinverzeichnis (§ 20 KWO) ein Wahlschein ausgestellt, dies im Wählerverzeichnis eingetragen wurde, der Wahlberechtigte diesen Wahlschein aber nicht erhalten hat und demzufolge auch nicht vorlegen kann.

Es ist jedoch weder vom Kläger noch von sonst jemandem (einen Fall ausgenommen) behauptet worden, daß Heiminsassen von ihrem Wahlrecht hätten Gebrauch machen wollen und dies ihnen deshalb unmöglich gewesen ist, weil die Stadtverwaltung für sie einen Wahlschein ausgestellt und Briefwahlunterlagen an die Heimleitung übersandt, diese die Unterlagen aber nicht weitergeleitet hätte. Es kann dies auf jeden Fall nicht gelten für die fünf bis sieben Personen, für die der in der ersten Instanz als Zeuge vernommene Pflegedienstleiter M. die Briefwahlunterlagen wieder an das Wahlamt zurückgeschickt hat, nachdem diese mit den Briefwahlunterlagen nichts anfangen konnten. Für diese Personen steht fest, daß sie jedenfalls von ihrem Briefwahlrecht keinen Gebrauch machen wollten. Der Senat sieht keinen Anlaß, die Aussage des vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen M. in Frage zu stellen, wonach dieser Personenkreis mit den Wahlunterlagen nichts anzufangen gewußt habe. Es ist weder bekanntgeworden noch sonst ersichtlich, daß diese Personen gegen ihren Willen nicht hätten wählen können.

Bei den übrigen Heimbewohnern ist - mit Ausnahme des nach zu behandelnden Falles - nichts dafür dargetan, daß die Wahlberechtigten die Wahlunterlagen nicht erhalten hätten. Die Substantiierungspflicht lag insoweit beim Kläger, von der ihn auch nicht entbindet, daß ihre Erfüllung nicht ganz einfach ist (BVerfGE 59, 119 ff., 123 f.). Das von dem Zeugen M. in der Beweisaufnahme vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt bekundete und von der Beklagten im gesamten Verfahren beschriebene Vorgehen bei der Verteilung der Briefwahlunterlagen läßt nicht erkennen, daß die Heimleitung die Unterlagen nicht den Betroffenen ausgehändigt hätte. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, daß die Ausgabe einfacher Briefe regelmäßig in der beschriebenen Weise erfolgte, daß entweder die Post den Betroffenen beim Getränkeverkauf übergeben wurde oder bei der Essensausgabe im Speisesaal oder sie ihnen auf ihr Zimmer gebracht wurde. Wenn auch keine Liste darüber mehr existiert, wem im einzelnen Sendungen ausgehändigt wurden, so ist andererseits aber weder vom Kläger vorgetragen noch für den Senat sonst erkennbar daß seitens der Heimleitung Briefwahlunterlagen nicht weitergeleitet worden wären. Es ist kein Grund erkennbar, daß die Wahlbriefe nicht jedem Adressaten ausgehändigt worden sind. Allerdings hat der Zeuge M. bei seiner Vernehmung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, die Briefwahlunterlagen würden dem Heim unadressiert zur Verfügung gestellt. Er konnte sich jedoch nicht genau erinnern Nach den vorgelegten Unterlagen und dem ergänzenden, unwidersprochenen Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, daß die Briefwahlunterlagen an jeden wahlberechtigten Bewohner des Altenheimes adressiert waren. Die von einem Bediensteten des Wahlamtes der Stadt Lauterbach ausgestellten Wahlscheine weisen alle ein ausgefülltes Anschriftenfeld auf das durch das Sichtfenster der verwendeten Briefumschläge erkennbar ist. Da die Bewohner des Heimes dem Personal bekannt waren, konnte auch die Aushändigung der Unterlagen problemlos erfolgen. Für eine ordnungsgemäße Handhabung spricht auch, daß ganz offenbar seitens der Heiminsassen nicht gerügt worden ist, sie seien in ihrem Wahlrecht in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden. Eines darüber hinaus gehenden Nachweises, den das Verwaltungsgericht offenbar für notwendig hält, daß die Wahlberechtigten die Briefwahlunterlagen auch erhalten haben, bedarf es nach Auffassung des Senats nicht. Diese Auffassung wird gestützt durch den § 19 Abs. 1 KWO zu entnehmenden Gedanken, daß die Leitung eines solchen Heimes die ihr übergebenen Unterlagen auch an die Betroffenen weiterleiten wird. Zwar gilt § 19 Abs. 1 KWO nur unmittelbar, wenn für derartige Einrichtungen ein Sonderwahlbezirk (§ 6 KWO) gebildet worden ist, was hier unstreitig nicht der Fall war. Gleichwohl läßt sich dem entnehmen, daß nicht in jedem Fall ein Einzelnachweis darüber erforderlich ist, daß die Wahlberechtigten den Wahlschein und die Briefwahlunterlagen auch erhalten haben. Anders wäre der Sachverhalt vielleicht zu beurteilen, wenn normalerweise das Verfahren beim Posteingang völlig anders gehandhabt würde oder bekannt wäre, daß Post nicht zuverlässig an die Betroffenen weitergeleitet würde. Hierfür ist aber nichts vorgetragen und nichts ersichtlich.

Für einen einzigen Fall hat der Kläger vorgetragen, daß es Unstimmigkeiten über den Verbleib der Briefwahlunterlagen gegeben hat. Aber auch zu diesem Fall ist nicht dargetan, daß die Unklarheit über den Verbleib der Briefwahlunterlagen dazu geführt hat, daß die betroffene Wahlberechtigte von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen konnte. In dem Vortrag bleibt vielmehr offen, weshalb eine Stimmabgabe nicht erfolgte. Der Senat braucht diesen Sachverhalt nicht weiter aufzuklären, weil eine Unregelmäßigkeit, die in einer unbeabsichtigt nicht abgegebenen Stimme sich auswirken würde, keinen Einfluß auf die Sitzverteilung hätte haben können. Wie der Kläger in der der Klageschrift beigefügten Berechnung ausgeführt hat, hätte es hierzu mindestens 16 Stimmen, die theoretisch alle für die Partei "DIE GRÜNEN" hätten abgegeben werden müssen, bedurft.

Soweit der Kläger weiter rügt, daß die eidesstattliche Erklärung, die den Wahlscheinen beizufügen war, in einer Reihe von Fällen bei den Wahlberechtigten des Alten- und Pflegeheimes von ein und derselben Person unterschrieben war, hat der Kläger weder dargetan noch ist es ersichtlich, weshalb hierin eine Unregelmäßigkeit im Sinne des § 26 KWG liegen sollte. § 40 KWO sieht die Hilfe durch Vertrauenspersonen für Wähler vor, die entweder des Lesens unkundig oder durch körperliches Gebrechen behindert sind, den Stimmzettel zu kennzeichnen, in den Wahlumschlag zu legen, diesen selbst in die Wahlurne zu legen oder dem Wahlvorsteher zu übergeben. Weder der Kommunalwahlordnung noch dem Kommunalwahlgesetz ist zu entnehmen, daß diese Vertrauensperson nicht in einer ganzen Reihe von Fällen in Anspruch genommen werden darf. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, weshalb aus anderen, nicht gesetzlichen Gründen ein solches Vorgehen unzulässig gewesen sein sollte. Da es sich offenbar nach dem Vortrag der Beklagten um den damaligen Pflegedienstleiter, den Zeugen M., handelte, liegt die Vermutung nahe, daß die Betroffenen sich an eine Person gewandt haben, die ihnen vom regelmäßigen Umgang her bekannt war. Soweit mit den Einlassungen des Klägers unterschwellig der Vorwurf der "Wahlmanipulation" oder gar falschen eidesstattlichen Versicherung, die der Zeuge M. nach § 18 Abs. 3 Satz 2 KWG zu unterzeichnen hatte, erhoben wird, sind keinerlei Tatsachen dargetan, die einen solchen schwerwiegenden Vorwurf auch nur im Ansatz stützen könnten. Der Senat sieht auch keinerlei Anlaß, dem weiter nachzugehen.

Dies gilt auch für den Vorwurf, die Vertrauensperson habe die Stimmabgabe für solche Personen vorgenommen, die zum Zeitpunkt der Wahl nicht mehr in der Lage gewesen seien, Sinn und Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens zu erfassen. Es kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen, was im Einspruchsverfahren nicht Gegenstand war, überhaupt im Klageverfahren noch zulässigerweise überprüft werden kann. Dafür spricht, daß es sich hierbei um den Gesamtkomplex des Vorwurfes der Unregelmäßigkeit, der sich auf die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und damit eines Verstoßes gegen § 18 Abs. 3 Satz 2 KWG bezieht, handelt. Aber auch dieser Vortrag ist so unsubstantiiert, daß der Senat ebenfalls trotz der ihm auferlegten Amtsermittlungspflicht auch im Wahlprüfungsverfahren (vgl. dazu etwa Seifert, Bundeswahlrecht, Kommentar, 3. Aufl. Rdnr. 1 zu § 2 Wahlprüfungsgesetz) keine Veranlassung sieht, dem weiter nachzugehen.

Soweit der Kläger darauf abstellt, daß eine Unregelmäßigkeit im Sinne des § 26 KWG auch darin zu sehen sei, daß entgegen § 6 KWO ein Sonderwahlbezirk für das Alten- und Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt nicht gebildet wurde, entzieht sich dieser Umstand der Überprüfungsbefugnis des Gerichts. Diese Unregelmäßigkeit war im Einspruchsverfahren innerhalb der Einspruchsfrist des § 25 Abs. 1 KWG nicht geltend gemacht worden. Das Gericht ist ebenfalls gehindert zu überprüfen, inwieweit der Verstoß gegen § 45 Abs. 3 KWO eine Unregelmäßigkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 Ziff. 2 KWG darstellt. Danach hätte in dem Alten- und Pflegeheim Vorsorge getroffen werden müssen, daß der Stimmzettel unbeobachtet gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt werden kann. Die Leitung der Einrichtung hätte einen geeigneten Raum bestimmen, dessen Ausstattung veranlassen und den Wahlberechtigten bekanntgeben müssen, in welcher Zeit der Raum für die Ausübung der Briefwahl zur Verfügung steht. Auf diese Verpflichtung hätte die Gemeindebehörde hinweisen müssen.

Das Gericht ist bei der Überprüfung der Unregelmäßigkeiten nach § 26 KWG gehindert, alle ihm etwa im Laufe des Verfahrens bekanntgewordenen oder erst im Gerichtsverfahren erhobenen Einwendungen gegen die Gültigkeit der Wahl zu überprüfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können in gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren Einwendungen nicht mehr Prüfungsgegenstand sein, die nicht Gegenstand auch des Einspruchsverfahrens waren (vgl. Urteil vom 5. November 1974 - II OE 134/73 - HessVGRspr. 1975, S. 17 ff.). Dies ergibt sich aus der landesgesetzlichen Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens in Hessen. Nach § 25 KWG ist jedem Wahlberechtigten die Möglichkeit eröffnet, durch Einspruch die Gültigkeit der Wahlen überprüfen zu lassen, auch wenn er nicht geltend machen kann, in seinem aktiven oder passiven Wahlrecht verletzt zu sein. Damit dient das Wahlprüfungsverfahren nicht vornehmlich dem Schutz des Individualinteresses sondern es ermöglicht die objektive Überprüfung des Wahlverfahrens. Andererseits unterliegt aber das Wahlprüfungsverfahren dem sogenannten Anfechtungsprinzip. Wahlen werden nicht generell auf die Einhaltung der Wahlvorschriften überprüft, sondern nur dann, wenn Einsprüche erhoben sind und jeweils nur soweit, wie der Einspruch reicht (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, Rdnr. 20 zu Art. 41 GG, Anm. 1 zu § 2 Wahlprüfungsgesetz; Urteil des Senats vom 5. März 1985 - II OE 42/82 -). Die gesetzliche Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens mit kurzen Anfechtungsfristen (Einspruchsfrist zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses, § 25 Abs. 1 KWG) ist darauf ausgelegt, möglichst rasch eine Entscheidung über die Gültigkeit der Wahlen herbeizuführen. Dem würde es widersprechen wenn Sachverhalte, die im Einspruchsverfahren nicht vorgetragen worden sind, im gerichtlichen Verfahren entweder noch vorgebracht werden könnten oder vom Gericht selbst aufgegriffen werden müßten. Dabei kommt es nicht darauf an, daß der Einsprechende den von ihm geltend gemachten Wahlfehler mit allen Einzelheiten darlegt. Er muß aber den Sachverhalt, auf den er den geltend gemachten Wahlfehler stützt, innerhalb der Einspruchsfrist des § 25 Abs. 1 KWG so konkret und nachvollziehbar schildern, daß das mit dem Einspruch befaßte Gremium feststellen kann, ob eine der Tatbestände des § 26 Abs. 1 KWG vorliegt (so der entscheidende Senat im Urteil vom 5. März 1985, a.a.O.). Dies schließt nicht aus, daß der Sachverhalt weiter aufgeklärt und gegebenenfalls Beweis erhoben wird. Auch kann der Vortrag später noch vervollständigt, näher spezifiziert und durch Beweisantritte erhärtet werden.

Die Rüge einzelner Wahlfehler darf danach nicht dazu führen, daß aus Anlaß ihrer Überprüfung weitere sich ergebende Verstöße gegen Wahlrechtsbestimmungen aufgegriffen und ebenfalls überprüft werden, obwohl der zugrunde liegende Sachverhalt nicht im Einspruchsverfahren rechtzeitig geltend gemacht worden war. So liegt der Fall hier. Im Einspruchsverfahren war weder geltend gemacht worden, es hätte für das Alten- und Pflegeheim ein Sonderwahlbezirk gebildet werden müssen noch war das Fehlen eines geeigneten Wahlraumes bemängelt worden. Es handelt sich bei beiden im Klageverfahren geltend gemachten und vom Verwaltungsgericht überprüften Verstößen um eigenständige Wahlfehler. Sie sind nicht von den im Einspruchsverfahren geltend gemachten Gründen mit umfaßt, weil sie auf jeweils andere, von einander abgrenzbare Sachverhalte gestützt werden und auch eigenständig hätten gerügt und überprüft werden können. Wenn auch von dem Einsprechenden nicht zu verlangen ist, daß er bei seinem Einspruch sozusagen schon die gesetzlichen Vorschriften im Auge hat, so muß er doch, wie oben dargelegt, die Punkte, deren ordnungswidrigen Ablauf er rügt, darlegen. Dies hätte bei den hier in Frage stehenden Verstößen ohne weiteres erfolgen können.

Da der Kläger unterlegen ist, hat er die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO)

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht erfüllt.