VG Berlin, Beschluss vom 14.06.2011 - 3 L 350.11
Fundstelle
openJur 2012, 15362
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der 13jährige Antragsteller, der die 7. Klassenstufe des Gymnasiums besucht, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine durch sofort vollziehbar erklärten Bescheid seiner Schule vom 1. Juni 2011 verfügte Ordnungsmaßnahme, mit der er von einer am Freitag, dem 17. Juni 2011, beginnenden einwöchigen Klassenfahrt nach Amrum ausgeschlossen wurde.

II.

Soweit der anwaltlich vertretene Antragsteller Rechtsschutz durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrt, ist der Antrag unzulässig. Mit der Ordnungsmaßnahme wurde der Antragsteller von einer schulischen Veranstaltung ausgeschlossen, an der er ansonsten teilzunehmen berechtigt und verpflichtet wäre. Gegen einen belastenden Verwaltungsakt wie diesen ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig.

Unzulässig ist der Antrag auch, soweit der Antragsteller hilfsweise begehrt, die aufschiebende Wirkung einer mit Schriftsatz vom 10. Juni 2011 angekündigten, gegen den Bescheid vom 1. Juni 2011 zu erhebenden Klage wiederherzustellen; denn die Klage ist gemäß § 68 Abs. 1 VwGO ohne die vorherige Durchführung eines Vorverfahrens offensichtlich unzulässig.

Im Falle der Einlegung eines Widerspruchs hätte ein auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestütztes Rechtsschutzbegehren nach § 80 Abs. 5 VwGO jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

Das Gericht hätte bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das Interesse des Antragstellers auf vorläufigen Nichtvollzug der verhängten Ordnungsmaßnahme und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung dieser Maßnahme gegeneinander abzuwägen und hierbei auch die Erfolgsaussichten des Widerspruchs zu berücksichtigen. Alles spricht dafür, dass dabei das Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Gegen die den Eltern des Antragstellers durch Bescheid des Schulleiters des Gymnasiums vom 1. Juni 2011 mitgeteilte, aufgrund von § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchulG getroffene Entscheidung der Klassenkonferenz vom 25. Mai 2011 bestehen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so dass der Widerspruch des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg bliebe. Aufgrund der aus den beigezogenen Verwaltungsvorgängen ersichtlichen Erkenntnisse ist der angegriffene Verwaltungsakt im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist fehlerfrei ergangen, insbesondere ist dem Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprochen worden. Der Antragsgegner hat dazu ausgeführt, dass die beschlossene pädagogische Maßnahme im Interesse der Mitschüler und der Schule erforderlich sei, um den Erfolg der unmittelbar bevorstehenden Klassenfahrt sicherzustellen. Auch hat der Antragsgegner zu erkennen gegeben, dass ihm der Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war.

Die in Anwesenheit des Antragstellers und seiner Eltern tagende Klassenkonferenz der Klasse 7 a des Gymnasiums hat am 25. Mai 2011 entschieden, dass der Antragsteller - zusammen mit zwei weiteren Schülern seiner Klasse - von der am Freitag, dem 17. Juni 2011, beginnenden Klassenfahrt ausgeschlossen wird. Die Zuständigkeit der Klassenkonferenz für die hier getroffene Ordnungsmaßnahme, die gemäß § 63 Abs. 6 SchulG in dringenden Fällen auch allein vom Schulleiter verfügt werden kann, ergibt sich aus den §§ 63 Abs. 5, 81 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 SchulG.

Die nach § 63 Abs. 4 SchulG erforderliche Anhörung des Antragstellers sowie seiner Erziehungsberechtigten ist erfolgt. Der Antragsteller und seine Eltern nahmen auf der Klassenkonferenz die Gelegenheit wahr, sich zu dem der Ordnungsmaßnahme zugrunde liegenden Vorwurf und der beabsichtigten Maßnahme zu äußern.

An der materiellen Rechtmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme bestehen nach der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im Ergebnis keine durchgreifenden Bedenken. Der mit Bescheid vom 1. Juni 2011 ausgesprochene, auf dem Beschluss der Klassenkonferenz vom 25. Mai 2011 beruhende Ausschluss von der schulischen Veranstaltung der Klassenfahrt richtet sich nach § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchulG, wonach ein solcher Ausschluss bis zu zehn Schultage umfassen darf.

Ordnungsmaßnahmen können nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SchulG unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen werden, wenn ein Schüler die ordnungsgemäße Unterrichts- oder Erziehungsarbeit beeinträchtigt oder andere am Schulleben Beteiligte gefährdet, soweit Erziehungsmaßnahmen nach § 62 SchulG nicht zu einer Konfliktlösung geführt haben oder keine Aussicht auf Erfolg versprechen. Ordnungsmaßnahmen haben keinen Strafcharakter, sondern sind pädagogische Maßnahmen, die der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Schule, insbesondere des Schulunterrichts und anderer schulischer Veranstaltungen dienen. Voraussetzung sind objektive Pflichtverletzungen des betreffenden Schülers (vgl. Krzyweck/Duveneck, Das Schulrecht in Berlin, Kommentar zum Schulgesetz, 11.63, S. 3). Eine Ordnungsmaßnahme nach § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchulG setzt - anders als Maßnahmen nach Nr. 4 und 5 - kein schweres oder wiederholtes Fehlverhalten des Schülers und keine vorherige schriftliche Androhung voraus. Bei der Verhängung einer Ordnungsmaßnahme kommt der Schule ein pädagogischer Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BayerVGH, Beschluss vom 20. Oktober 1998 – 7 ZB 98.2535 -, zitiert nach juris).

Die Entscheidung stützt sich auf einen Sachverhalt, der es rechtfertigt, über bloße Erziehungsmaßnahmen nach § 62 SchulG hinauszugehen: Nach den Feststellungen der Schule gehörte der Antragsteller zu einer Gruppe von mehr oder weniger gleichaltrigen Schülern, die in einer Pause am späten Vormittag des 13. Mai 2011 auf dem Schulgelände zunächst einen Mitschüler (Luka D.) in ein Rondell schubsten, das aus ringförmig angeordneten Bänken bestand, die mit den Lehnen einen inneren Kreis mit etwa eineinhalb Meter Durchmesser und mit den Sitzflächen einen äußeren Kreis bildeten, ihn mit Gewalt (nach dessen Schilderung durch Zurückschubsen und durch Tritte auf seine Hände) am Verlassen des inneren Kreises hinderten, dann einen weiteren Schüler (Paul R.) in das Rondell stießen und sich nur unter der Bedingung zur „Freilassung“ bereit zeigten, dass einer den anderen in einem „Kampf“ körperlich überwältigte, entgegen dieser „Zusage“ dann aber erst nach Einschreiten einer Lehrkraft von den beiden abließen. Bis dahin hatten sich nach Schilderung der Betroffenen zahlreiche weitere Schüler durch Schreien und Schubsen der auf den Sitzflächen der Bänke stehenden Gruppe des Antragstellers angeschlossen. Ein Mitschüler, der einem der Eingeschlossenen hatte helfen wollen (Nils N.), wurde nach seiner Darstellung durch Drohungen seitens der Gruppe des Antragstellers daran gehindert und veranlasst, sich ihr anzuschließen. Nach Schilderung eines der Betroffenen wurde auch ein weiterer Schüler (Alexander F.) daran gehindert, ihm zu helfen. Einer der beiden eingeschlossenen Schüler schilderte, dass er sich wie in einer Gladiatoren-Arena gefühlt und die ihm widerfahrene körperliche Misshandlung sowie die Tatsache, dass er nicht habe fliehen können, als sehr gefährlich empfunden habe. Dessen Eltern kündigten an, ihn wegen der Gefahr von Repressalien und weiterer Übergriffe seitens der Gruppe des Antragstellers nicht an der bevorstehenden Klassenreise teilnehmen zu lassen.

Da es bei der Ordnungsmaßnahme nicht um eine Strafsanktion geht, sind an die Sachverhaltsermittlung auch keine den Regelungen der Strafprozessordnung vergleichbare Anforderungen zu stellen. Abgesehen davon, dass eine Schule dies mit den ihr gegebenen Möglichkeiten nicht leisten könnte, würde eine dahingehende Forderung auch nicht mit der im Vordergrund stehenden Aufgabe der Schule zu vereinbaren sein, in Konfliktsituationen, die die ordnungsgemäße Unterrichts- und Erziehungsarbeit und/oder die schutzwürdigen Belange anderer Schüler beeinträchtigen oder gefährden, eine möglichst zügige und wirksame Lösung herbeizuführen. Gemessen an diesen Anforderungen hat die Klassenkonferenz den entscheidungserheblichen Sachverhalt mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln und unter Beachtung der im Hinblick auf das Gewicht der in Rede stehenden Ordnungsmaßnahme erforderlichen Sorgfalt ermittelt. Zu dem Vorfall vom 13. Mai 2011 traf zeitnah der Klassenlehrer des Antragstellers durch Befragung der beteiligten Schüler, von denen sich einige auch schriftlich äußerten, die gebotenen ersten Feststellungen, und in der immerhin von 17.00 bis 20.20 Uhr dauernden Klassenkonferenz erhielten der Antragsteller und vier weitere Schüler (sowie deren Eltern) Gelegenheit, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Die von der Klassenkonferenz beschlossene Maßnahme ist ermessensfehlerfrei ergangen und hält den Anforderungen stand, die sich aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ergeben. Die für die beiden eingeschlossenen Schüler – aus deren Sicht nachvollziehbar – sehr bedrohliche Formen annehmende, von dem Antragsteller und seinen Mitschülern gezielt herbeigeführte Eskalation der von ihnen angeblich zunächst nur als „Spiel“ angesehenen, nach Schilderung eines der Betroffenen mindestens zehn Minuten dauernde „Einkesselung“ stellt sich als ein aggressives Fehlverhalten gegenüber Mitschülern dar, das dadurch besonderes Gewicht erhielt, dass die Gruppe des Antragstellers sogar andere Schüler, denen die Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit der Eingeschlossenen offenbar unerträglich erschien, daran hinderte, diese zu befreien.

Die durch ein solches Verhalten offenbarte Bereitschaft des Antragstellers zu grundloser gemeinschaftlicher Gewaltausübung gegenüber Mitschülern offenbar allein zu dem Zweck, sich an der ihnen zugefügten Erniedrigung zu belustigen, lässt die gegen ihn verhängte Ordnungsmaßnahme in keiner Weise unverhältnismäßig erscheinen. Daher verbietet sich schon vom Ansatz her der Einwand, dass die Schule es hier bei bloßen erzieherischen Maßnahmen hätte bewenden lassen müssen. Die ordnungsgemäße Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Schule setzt voraus, dass die Schülerinnen und Schüler die in § 3 SchulG beschriebenen elementaren Bildungs- und Erziehungsziele nicht nur akzeptieren, sondern dass sie auch bereit sind, an deren Umsetzung mitzuwirken (vgl. auch § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG). Hierzu gehört insbesondere zu lernen, aktives soziales Handeln zu entwickeln, aufrichtig und selbstkritisch zu sein und das als richtig und notwendig Erkannte selbstbewusst zu tun, Konflikte zu erkennen, vernünftig und gewaltfrei zu lösen, sie aber auch zu ertragen, die Beziehung zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten, Fairness, Toleranz, Teamgeist und Leistungsbereitschaft zu entwickeln. Dass eine auf die Verwirklichung dieser Ziele ausgerichtete Unterrichts- und Erziehungsarbeit erheblich beeinträchtigt wird, wenn Schüler in der „Schulöffentlichkeit“ eine Bereitschaft zu gewalttätigem und erniedrigendem Vorgehen gegen Mitschüler demonstrieren, wie sie hier zutage getreten ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Damit geben diese erkennen, dass sie der auf Gewaltlosigkeit und verantwortungsbewusstes, soziales Handeln ausgerichteten Unterrichts- und Erziehungsarbeit gegenüber nicht aufgeschlossen sind, sondern dass sie auch deren Verwirklichung im Bezug auf ihre Mitschüler erschweren; denn bliebe derartiges Fehlverhalten sanktionslos, würde die Schule die zur Vermittlung der genannten Ziele erforderliche Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit einbüßen.

Die Behauptung, der Antragsteller habe „die Angelegenheit“ mit den Betroffenen besprochen, es seien „gegenseitige (?) Entschuldigungen“ erfolgt und der freundschaftliche Kontakt unter allen Beteiligten habe hierunter folglich nicht gelitten, ist nicht nur unplausibel, weil der Antragsteller jede Beteiligung an einem tadelnswerten Verhalten bestreitet und daher fraglich ist, wofür er sich entschuldigt haben will und weil nicht ersichtlich ist, für welches Verhalten sich die Betroffenen zu entschuldigen gehabt hätten. Es fehlt auch jede Konkretisierung und Glaubhaftmachung. Entschuldigende oder bedauernde Äußerungen des Antragstellers ergeben sich (anders als etwa bezüglich des Mitschülers Paul R.) weder aus dem Protokoll der Klassenkonferenz noch aus der Darstellung der betroffenen Mitschüler.

Hinzu kommt, dass der Antragsteller, dem erst im März 2011 eine schriftliche Missbilligung erteilt worden war und der auch noch unmittelbar nach der Klassenkonferenz vom 25. Mai 2011 Anlass zu einer weiteren schriftlichen Missbilligung gab, gezeigt hat, dass er durch weniger empfindliche Maßnahmen offenbar nicht sonderlich zu beeindrucken ist. Seine Uneinsichtigkeit zeigt sich eindrucksvoll auch darin, dass er den Vorfall so darstellen lässt, dass es trotz allem nur um ein Spiel gegangen sei und dass es „nicht der Sinn des Spiels“ gewesen sei, die beiden eingeschlossenen Mitschüler auseinander zu bringen und ihnen die Möglichkeit zum Verlassen des Kreises zu geben.

Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob es in jeder Hinsicht zu billigen sei, dass die Schule nur ihn und zwei weitere, wie er maßgeblich an dem Geschehen beteiligte Mitschüler (Niklas W. und Christoph J.) von der Klassenreise ausgeschlossen und es bei zwei anderen bei einer schriftlichen Missbilligung bzw. bei der Auflage, auf der Klassenreise eine Veranstaltung zu organisieren, hat bewenden lassen, unterliegt nicht der uneingeschränkten Überprüfung des Gerichts. Die Schule hat das auf diese Weise differenzierte Vorgehen nachvollziehbar mit dem unterschiedlichen Grad der Beteiligung an dem Geschehen und mit dem sehr unterschiedlichen nachträglichen Verhalten gegenüber dem besonders betroffenen Mitschüler begründet. Diese Entscheidung fällt in ihren pädagogischen Beurteilungsspielraum. Eine willkürliche Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich.

Zutreffend ist die Klassenkonferenz davon ausgegangen, dass das im Schulalltag zu Tage getretene Verhalten des Antragstellers geeignet ist, angesichts der bevorstehenden Klassenfahrt die schulische Ordnung zu gefährden. Eine mehrtägige Klassenfahrt verlangt von den Schülern besondere Disziplin und stellt an die begleitenden Lehrkräfte erhöhte pädagogische Anforderungen (vgl. BayerVGH a.a.O.). Es liegt auch aus Sicht des Gerichts auf der Hand, dass es bei einer solchen schulischen Veranstaltung in ganz besonderem Maße darauf ankommt, dass in der ungewohnten Umgebung und angesichts der besonderen Nähe, der die Schüler dort „rund um die Uhr“ untereinander ausgesetzt sind, undiszipliniertes und zu Gewalttätigkeit neigendes Verhalten der mitreisenden Schüler unterbleibt, das den erzieherischen Zweck und damit den Erfolg der Klassenreise gefährden kann.

Dies rechtfertigt es auch, das Interesse des Antragstellers an der Suspendierung der Ordnungsmaßnahme gegenüber dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung zurücktreten zu lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 39 ff., 52 f. GKG.