AG Cottbus, Urteil vom 20.08.2010 - 86 Cs 1220 Js 32267/09 (113/09), 86 Cs 113/09
Fundstelle
openJur 2012, 13602
  • Rkr:
Tenor

Die Angeklagte …. wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die zur Tatzeit 30-jährige Angeklagte kam im Frühherbst 2008 nach Deutschland und beantragte Asyl. Von der Zentralen Ausländerbehörde Eisenhüttenstadt wurde sie zum 28.10.2008 dem Asylbewerberheim …. zugewiesen, wo sie seitdem wohnhaft ist.

Die erteilte Aufenthaltsgestattung wurde regelmäßig verlängert. Im Mai 2010 wurde ihre Klage auf Asyl abgelehnt. Seitdem ist sie vollziehbar ausreisepflichtig und ihr Aufenthalt in Deutschland geduldet bzw. die Abschiebung ausgesetzt.

Zurzeit läuft noch ein weiteres Asylverfahren hinsichtlich des am 09.11.2009 geborenen Sohnes der Angeklagten …. Das Kind soll einen deutschen Vater haben. Es läuft ein Vaterschaftsanerkennungsverfahren.

Die Aussetzung der Abschiebung bzw. Duldung gemäß § 60 a Abs.2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz wurde verfügt vom 01.07.2010. Das Aufenthaltsrecht der Angeklagten ist weiterhin auf das Gebiet des Landkreises …. und der Stadt …. beschränkt.

Die Angeklagte möchte gerne mit ihrem Kind in Deutschland bleiben und die Aufhebung der räumlichen Beschränkung beantragen.

Die Angeklagte ist bereits einmal wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz verurteilt worden durch den Strafbefehl des Amtsgerichts …. vom …. (Az ….), wobei sie sich entgegen der Anordnung der räumlichen Beschränkung auf das Gebiet des Landkreises …. und der Stadt …. auf der Bundesautobahn 9 in …. aufgehalten hatte.

Es wurde gegen sie eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 10,- € festgesetzt.

II.

Entgegen der für sie geltend gemachten Aufenthaltsgestattung, die räumlich auf das Gebiet des Landkreises …. und der Stadt …. beschränkt ist, hielt sich die Angeklagte am 29.07.2009 in dem Regionalexpress 38139 zwischen Königs Wusterhausen und Cottbus auf.

Bereits am 30.12.2008 hatte sie in gleicher Weise gegen die Beschränkung verstoßen, was der Angeklagten bekannt war, da dieser Verstoß durch Bußgeldbescheid des Landkreises ….. vom 17.02.2009 geahndet worden war.

Des Weiteren war ihr der Umstand der Verletzung der räumlichen Beschränkung aus der oben genannten Vorstrafe, begangen am 07.04.2009, bekannt.

Mit am 29.07.2010 in Kraft getretener Verordnung der Landesregierung des Landes Brandenburg, ergangen auf der Grundlage des § 58 Abs. 6 des Asylverfahrensgesetzes, lockerte die Landesregierung die Aufenthaltsbeschränkung dergestalt auf, dass sie in § 1 Abs.1 der Verordnung folgendes festlegte:

„Asylbegehrende, die nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 44 Abs.1 des Asylverfahrensgesetzes zu wohnen, dürfen sich ohne Erlaubnis vorübergehend im gesamten Gebiet des Landes Brandenburg aufhalten.“

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung war die Angeklagte nach Mitteilung des für sie zuständigen Landkreises …. nicht mehr Asylbewerberin, sondern vollziehbar ausreisepflichtig, wobei wie oben unter I. benannte die Abschiebung ausgesetzt und eine Duldung gemäß § 60 a Abs.2 Satz1 Aufenthaltsgesetz mit Wirkung bis zum 07.09.2010 bestand.

Ob die Angeklagte die oben geschilderte Bahnreise aus Berlin antrat, konnte nicht geklärt werden. Die Angeklagte wurde daher zwar nicht in der Stadt …. bzw. dem Landkreis …., jedoch im Land Brandenburg zum Tatzeitpunkt angetroffen.

III.

Die Feststellungen zu I. und II. beruhen auf der geständigen Einlassung der Angeklagten und dem Vorhalt der Auskunft des für sie zuständigen Landkreises ….. mit den entsprechenden ausländerrechtlichen Daten der Angeklagten, die bestätigt wurden.

IV.

Die Angeklagte war vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz gemäß den §§ 85 Nr.2, 56 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Nach der genannten Vorschrift ist zu bestrafen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, wer nach § 85 Nr. 2 Asylverfahrensgesetz wiederholt einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs.1 zuwiderhandelt.

Dies heißt konkret auf den hiesigen Fall, wer gegen die Aufenthaltsbeschränkung der Aufenthaltsgestattung, hier beschränkt auf den Landkreis und die Stadt …. verstößt.

Dies hat zwar die Angeklagte getan und auch zugegeben. Der Angeklagten kommt aber aus rechtlichen Gründen zu Gute, dass diese Aufenthaltsbeschränkung durch die Landesregierung mit Wirkung zum 29.07.2010 aufgehoben wurde.

Dieses Straflosstellen der Verletzung der Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs.1 Asylverfahrensgesetz erfährt durch § 2 Abs.3 des Strafgesetzbuches eine Rückwirkung zu Gunsten der Angeklagten zur Tatzeit.

Denn in der genannten Vorschrift des Strafgesetzbuches heißt es:

„Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“

Zur Ermittlung des mildesten Gesetzes ist hierbei der gesamte Rechtszustand im Bereich des materiellen Rechts heranzuziehen, vgl. Thomas Fischer, Strafgesetzbuch, 57. Auflage 2010, RN 8 § 2.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Strafnorm selbst geändert hat, vielmehr ist der gesamte Rechtszustand im Bereich des materiellen Rechts hinsichtlich des in Betracht kommenden Tatbestandes zur Ermittlung des mildesten Gesetzes heranzuziehen, vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.1990 (5 Ss 299/90-118/09 I), abgedruckt in NJW 1991 Seite 710 bzw. NStZ 1991, Seite 133.

Danach wirkt sich die nachträgliche Aufhebung der räumlichen Beschränkung zu Gunsten der Angeklagten aus mit dem Ergebnis eines Freispruchs aus rechtlichen Gründen, weil nunmehr das mildeste Gesetz angewendet werden muss. Das denkbar mildeste Gesetz ist ein Gesetz, das ein vorher strafbares Verhalten nunmehr straflos stellt. So liegt der Fall hier.

Das erkennende Gericht teilt ausdrücklich die von der Staatsanwaltschaft im Plädoyer angeführte Rechtsansicht nicht, das dieses mildere Gesetz zu Gunsten der Angeklagten deshalb keine Anwendung finden soll, weil zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung über das vorübergehende Verlassen des Bereiches der Aufenthaltsgestattung vom 23.07.2010, verkündet am 28.07.2010 und nach § 2 der Verordnung am Tag nach der Verkündung in Kraft tretend, deshalb keine Anwendung auf die Angeklagte finden soll, weil am Tag des Inkrafttretens die Angeklagte keine Asylbegehrende im Sinne des § 1 Abs.1 der genannten Verordnung mehr gewesen ist.

Diese Tatsache ist zwar zutreffend, weil inzwischen das Asylbegehren der Angeklagten abgewiesen wurde und die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt wie auch momentan nur noch geduldet war bzw. ist.

Nach Auffassung des Gerichts kann es jedoch im Sinne der eindeutigen Bestimmtheit von Straftatbeständen nur auf den Rechtszustand am Tattag, somit am 28.07.2009, ankommen, wo die Angeklagte unstreitig noch Asylbegehrende gewesen war.

Auch der § 1 des Strafgesetzbuches stellt auf den Zeitpunkt kurz vor Begehung der Tat ab, wenn er formuliert, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Somit ist die Rückwirkung des § 2 Abs.3 des Strafgesetzbuches eine Rückwirkung zum Tatzeitpunkt. Der Status der Angeklagten bei Inkrafttreten des milderen Gesetzes im Sinne der vorgenannten Vorschrift, ist daher aus Sicht des Gerichts nicht beachtlich.

Dies muss auch schon deshalb gelten, weil sonst die Regelung des § 2 Abs.3 des Strafgesetzbuches hier im konkret vorliegenden Fall davon abhängen würde, wann es zu einer strafrechtlichen Hauptverhandlung, oder wie in diesem Fall einer Einspruchsverhandlung, kommt. Es hinge dann was diese Dinge angeht, von Zufälligkeiten der Terminierung ab. Dies kann vom Gesetzgeber nicht gemeint sein.

Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass es naturgemäß auch Zufälligkeiten sind, ob an dem Tag der Hauptverhandlung bereits das mildere Gesetz bereits in Kraft getreten ist. Dies liegt jedoch in der Natur der Sache und kann zur Begründung auf den von der Staatsanwaltschaft abgestellten Zeitpunkt nicht ernsthaft angeführt werden, zumal die Möglichkeit besteht, sollte z.B. eine politische Diskussion oder gar schon die Vorbereitung zu einem milderen Gesetz bereits laufen, mit der Einlegung entsprechender Rechtsmittel eine erneute Verhandlung zur Sache oder eine sonstige Überprüfung des Urteils zu erreichen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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