LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2010 - 10 TaBV 1058/10
Fundstelle
openJur 2012, 13090
  • Rkr:

Ein unpräzise bezeichneter Regelungsgegenstand ist auch im Verfahren nach § 98 ArbGG anhand der Antragsschrift und des sonstigen Prozessvorbringens auszulegen. Hinsichtlich der Person des Einigungsstellenvorsitzenden gilt das "Müllerprinzip", wer zuerst kommt mahlt zuerst.

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss desArbeitsgerichts Berlin vom 04.05.2010 - 36 BV 6336/10 - wirdzurückgewiesen und der Gegenstand der Einigungsstelle klarstellendwie folgt neu gefasst:

Verhandlung und Abschluss einer Betriebsvereinbarung über Zeit,Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle, insbesondere hinsichtlich deren Regelungsgegenstands und dabei deren offensichtlicher Unzuständigkeit.

Die Arbeitgeberin betreibt eine Einrichtung der Altenpflege und zur Behandlung psychisch kranker Menschen in Berlin und ist Teil eines bundesweit tätigen Konzerns bzw. Unternehmensverbundes. Zwischen der Muttergesellschaft der hiesigen Arbeitgeberin, der P. S. C. und C. für Senioreneinrichtungen AG, und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wurden am 24. September 2004 verschiedene Tarifverträge vereinbart, denen auch die hiesige Arbeitgeberin unterfiel. Dazu gehörte auch ein Manteltarifvertrag, der in § 13a vorsah, dass die Arbeitgeberin den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Entgeltzahlung bis zum 5. Werktag des Folgemonats zu leisten habe. Diesen Tarifvertrag hat die Muttergesellschaft der hiesigen Arbeitgeberin zum 31. Dezember 2006 gekündigt und befindet sich seither nur noch in der Nachwirkung. Ein Nachfolgetarifvertrag wurde nicht vereinbart.

Nachdem die Anfechtung eines Einigungsstellenspruchs vom 25. November 2008 in einem Berliner Schwesterunternehmen betreffend eine Regelung zur Auszahlung der Arbeitsentgelte entsprechend § 614 BGB am 1. des Folgemonats letztlich durch Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Januar 2010 im Rahmen eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens erfolglos war, wandte sich der hiesige aus fünf Personen bestehende Betriebsrat mit einem Schreiben vom 23. März 2010 an die Arbeitgeberin mit dem Begehren, eine Betriebsvereinbarung über die bargeldlose Entgeltabrechnung und -auszahlung entsprechend § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG abzuschließen. Diesem Schreiben war der Entwurf einer Betriebsvereinbarung beigefügt. Mit Schreiben vom 13. April 2010 widersprach die Arbeitgeberin einerseits grundsätzlich, aber auch inhaltlich dem Begehren des Betriebsrates, übersandte einen anderen Betriebsvereinbarungsentwurf und teilte mit, dass sie für den Fall, dass eine Einigung mit dem Betriebsrat nicht zustande komme und die Verhandlungen scheitern würden, die Einrichtung einer Einigungsstelle beantragt werde. Als Vorsitzende für die Einigungsstelle schlug die Arbeitgeberin in diesem Schreiben bereits Frau Prof. Dr. Ch. B., Professorin für Arbeitsrecht an der Universität O. sowie einen Beisitzer je Seite vor.

Auf eine Einladung vom 15. April 2010 nebst beigefügter Tagesordnung, die unter anderem einen TOP 6 mit dem Thema „Beratung und Beschluss über das Scheitern der Verhandlungen zum eingereichten Entwurf der von Frau Wi. (Geschäftsführung) eingereichten BV bargeldlose Entgeltabrechnung und Auszahlung“ sowie die gerichtliche Einsetzung der Einigungsstelle mit Herrn K. W., Richter am Arbeitsgericht Berlin und drei Beisitzern je Seite einzuleiten und Beauftragung der Verfahrensbevollmächtigten mit der Einleitung eines entsprechenden gerichtlichen Verfahrens enthielt, beschloss der Betriebsrat am 20. April 2010 in Anwesenheit von 4 Betriebsratsmitgliedern einstimmig entsprechend den in der Tagesordnung angekündigten Anträgen.

In einer Betriebsratssitzung am 28. Mai 2010, zu der am 12. Mai 2010 unter Mitteilung der Tagesordnung, die einen Tagesordnungspunkt 5 betreffend dieses Beschwerdeverfahren beinhaltete, eingeladen wurde, hat der Betriebsrat vorsorglich den Beschluss erneuert und präzisiert.

Am 21. April 2010 ging der Antrag des Betriebsrates per Telefax beim Arbeitsgericht Berlin ein. Er war wie folgt formuliert:

Herr Dr. K. W., Richter am Arbeitsgericht Berlin, wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Verhandlung einer Betriebsvereinbarung über die bargeldlose Entgeltabrechnung und Auszahlung bestellt.

Es wurden drei Beisitzer je Seite beantragt.

Am 22. April 2010 ging beim Arbeitsgericht Berlin ein ähnlicher Antrag der Arbeitgeberin zum Regelungsgegenstand „Fälligkeit der Vergütung nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG“ ein, der in einem anderen Verfahren behandelt wurde.

Mit Beschluss vom 4. Mai 2010 hat das Arbeitsgericht dem Antrag des Betriebsrates hinsichtlich des Vorsitzenden und des Regelungsgegenstandes der Einigungsstelle entsprochen. Die Zahl der Beisitzer wurde mit zwei je Seite bestimmt.

Gegen diesen der Arbeitgeberin am 6. Mai 2010 zugestellten Beschluss legt diese am 10. Mai 2010 Beschwerde ein und begründete diese sogleich.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es nach der Antragstellung lediglich um die „Verhandlung“ einer Betriebsvereinbarung gehen solle und die Einigungsstelle deshalb keine Abschlusskompetenz besitze. Insoweit handele es sich nicht um einen erzwingbaren Regelungsgegenstand. Die Einigungsstelle sei deshalb nicht einzusetzen und offensichtlich unzuständig.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. Mai 2010 zum Aktenzeichen 36 BV 6336/10 aufzuheben und die Anträge des Betriebsrates zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen und den Gegenstand der Einigungsstelle klarstellend dahin zu präzisieren, dass es um eine Einigungsstelle zur Verhandlung und zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung über Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte gehe.

Dass es um diesen präzisierten Regelungsgegenstand gehe, habe sich bereits aus dem am 23. März 2010 an die Arbeitgeberin übersandten Regelungsentwurf ergeben. Selbstverständlich habe darüber nicht nur freiwillig verhandelt werden sollen. Der Betriebsrat habe die Geschäftsführerin bereits in diesem Schreiben zum Abschluss einer Regelung aufgefordert. Dass der Beschluss des Betriebsrates vielleicht nicht ganz eindeutig formuliert worden sei, sei unerheblich, weil das Begehren des Betriebsrates jedenfalls zweifelsfrei ausgelegt werden könne.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin vom 10. Mai 2010 sowie ihren Schriftsatz vom 2. Juni 2010 und auf die Beschwerdebeantwortung des Betriebsrates vom 1. Juni 2010 sowie das Sitzungsprotokoll vom 3. Juni 2010 nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 8 Abs. 4 und 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 98 Abs. 2, 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.

1. Der erstinstanzliche Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung zur Durchführung dieses Verfahrens.

Ein solcher Beschluss ist allerdings sowohl zur Verfahrenseinleitung als auch zur wirksamen Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich. Fehlt es daran, ist der Betriebsrat gerichtlich nicht wirksam vertreten und kommt ein Prozessrechtsverhältnis nicht zustande; für den Betriebsrat gestellte Anträge sind in einem solchen Fall bereits als unzulässig abzuweisen (BAG, Beschluss vom 16. November 2005 - 7 ABR 12/05).

Hier hat der Betriebsrat am 20. April 2010, soweit für dieses Verfahren relevant, das Scheitern der Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung bargeldlose Entgeltabrechnung und -auszahlung beschlossen. Weiter hat er beschlossen, dass die Einigungsstelle mit drei Beisitzern je Seite und dem Vorsitzenden Dr. K. W., Richter am Arbeitsgericht Berlin, gerichtlich eingesetzt werden solle. Schließlich wurde beschlossen, Frau Rechtsanwältin Dr. P. als Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrates mit der gerichtlichen Einsetzung eine Einigungsstelle zu beauftragen.

Damit hat der Betriebsrat formell alles getan, was ein Betriebsrat tun muss, um ein gerichtliches Verfahren nach § 98 ArbGG ordnungsgemäß einzuleiten. Es wurde zunächst das innerbetriebliche Gespräch gesucht. Nach Darstellung der Position der Arbeitgeberin hat der Betriebsrat die weiteren innerbetrieblichen Erörterungen für aussichtslos gehalten und die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Einsetzung der Einigungsstelle beschlossen. Weiter hat er die Beauftragung seiner Verfahrensbevollmächtigten zur Einleitung eines entsprechenden Verfahrens beschlossen. Der erneuten Beschlussfassung vom 28. Mai 2010 bedurfte es nicht, doch entspricht es der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein zunächst fehlender, unzureichender oder unwirksamer Betriebsratsbeschluss nachträglich noch geheilt werden kann (BAG, Beschluss vom 16. November 2005 - 7 ABR 12/05). Das gilt sowohl hinsichtlich der Beauftragung einer Rechtsanwältin zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens (BAG, Beschluss vom 16. November 2005 - 7 ABR 12/05), als auch bei sonstigen wesentlichen Beschlüssen (LAG Nürnberg, Beschluss vom 24. August 2009 - 5 TaBV 32/06), sofern nicht die vom Beschluss umfasste Maßnahme bereits abgeschlossen ist (BAG, Beschluss vom 8. März 2000 - 7 ABR 11/98 für die nachträgliche Genehmigung der Schulungsteilnahme eines Betriebsratsmitgliedes). Der durch die nicht ordnungsgemäße Beschlussfassung vermittelte Mangel kann grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens geheilt werden (BAG, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 7 ABR 24/04). Die Genehmigung durch eine nachträgliche Beschlussfassung ist bis zum Ergehen einer Prozessentscheidung, durch die der Antrag wegen eines Vertretungsmangels als unzulässig abgewiesen wird, möglich (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 17. April 1984 - GmS-OGB 2/83).

2. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zwar zulässig, aber unbegründet. Denn die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

2.1 Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist ein Antrag auf Errichtung einer Einigungsstelle wegen fehlender Zuständigkeit dann zurückzuweisen, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebsparteien, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfalle beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Zielsetzung erfordert ein unkompliziertes Bestellungsverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen (BAG, Beschluss vom 24. November 1981 - 1 ABR 42/79). Dem entspricht das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (BAG, Beschluss vom 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89). Die Entscheidung des Arbeitsgerichts bindet die Einigungsstelle insoweit nicht. Sie kann ungeachtet ihrer Errichtung im Bestellungsverfahren ihre Zuständigkeit verneinen und damit eine Regelung ablehnen.

Der Begriff der offensichtlichen Unzuständigkeit ist im Gesetz nicht näher definiert. Dabei kann dahinstehen, ob eine offensichtliche Unzuständigkeit im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nur dann anzunehmen ist, wenn sich dies bereits aus dem eigenen Tatsachenvorbringen des Antragstellers auf der Grundlage einer gefestigten Rechtsmeinung ergibt, zu der eine Gegenmeinung nicht existiert oder nicht ernsthaft vertretbar erscheint (LAG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 7 TaBV 71/01).

Es kann auch dahinstehen, ob die Einigungsstelle nicht schon offensichtlich unzuständig ist, wenn im konkreten Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach Auffassung des Gerichts nicht besteht, sondern nur dann, wenn es nicht bestehen kann (so GK-ArbGG/Dörner § 98 Rn. 24).oder ob sie jedenfalls gegeben ist, wenn die zuständigkeitsbegründende Tatsachengrundlage zwar streitig ist, die Richtigkeit der für die Unzuständigkeit der Einigungsstelle sprechenden Tatsachen dem Gericht im Sinne von § 291 ZPO jedoch offenkundig ist oder gemacht wird (LAG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 7 TaBV 71/01; ähnlich auch LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. Dezember 2003 - 10 TaBV 2/03 und LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. August 2008 – 26 TaBV 1264/08). Zwar ist es übertrieben, eine offensichtliche Unzuständigkeit bereits dann abzulehnen, wenn der Richter, der die Einigungsstelle bestellen soll, länger als fünf Minuten über die Unzuständigkeit nachdenken muss (Pünnel/Wenning-Morgenthaler, Die Einigungsstelle, Rd-Nr. 68), im Zweifelsfall ist aber die Einigungsstelle jedenfalls einzusetzen.

Eine offensichtliche Unzuständigkeit mit der Folge der Ablehnung der Einsetzung der Einigungsstelle ist nur anzunehmen, wenn sich die beizulegende Meinungsverschiedenheit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei fachkundiger Beurteilung sofort und erkennbar keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand zuordnen lässt (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2006 - 13 TaBV 15/05). Entscheidend ist die fachkundige Beurteilung durch das erkennende Gericht. Maßstab ist dabei das Gesetz, die Rechtsprechung und gegebenenfalls der Stand der (Rechts-)Wissenschaft.

2.2 Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig. Diese ist letztlich zwischen den Betriebsparteien auch nicht streitig, wie das parallele geführte Verfahren zur Einsetzung der Einigungsstelle auf Antrag der Arbeitgeberin zeigt.

Zwar ist der Arbeitgeberin zuzustimmen, dass der Wortlaut des ursprünglichen Antrags des Betriebsrates vor dem Arbeitsgericht nicht ganz präzise beschrieb, was sein Begehren war. Aber in der Zusammenschau des Antrags, seiner Begründung und der Anlagen zur Antragsbegründung hatte das Beschwerdegericht keinerlei Zweifel, dass die Einigungsstelle mit dem jetzt im Tenor präzisierten Regelungsgegenstand angestrebt wurde.

32Wie das Bundesarbeitsgericht regelmäßig in ständiger Rechtsprechung ausführt, kommt es bei der Antragstellung nicht allein auf den Wortlaut des Antrages an. Maßgeblich ist vielmehr der durch den Antrag verkörperte, einem objektiven Empfänger erkennbare, Wille. Dementsprechend ist die dem Antrag beigegebene Begründung sowie das sonstige Prozessvorbringen zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 14. Oktober 2003 - 9 AZR 636/02 m.w.N.). Ergeben sich Widersprüche oder Unklarheiten, hat das Gericht den Parteiwillen durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BAG, Urteil vom 11. Dezember 2001 - 9 AZR 435/00). Die Auslegung hat möglichst dahin zu erfolgen, dass sie die erstrebte Sachentscheidung zulässt (BAG, Beschluss vom 9. Dezember 2009 - 7 ABR 46/08). Dazu genügt es, wenn der Antrag aufgrund aller in der Antragsschrift und im weiteren Vorbringen einschließlich der Anlagen enthaltenen Anhaltspunkte in einer dem Bestimmtheitserfordernis genügenden Weise ausgelegt werden kann. Das Gericht ist dann gehalten, eine entsprechende Auslegung des Antrags vorzunehmen, dass eine vom Antragsteller erstrebte Sachentscheidung ermöglicht wird (BAG, Beschluss vom 12. August 2009 - 7 ABR 15/08).

Insofern handelte es sich bei der Antragsfassung des Betriebsrates vom 1. Juni 2010 nicht um eine Antragsänderung, sondern nur um eine Präzisierung des bereits erstinstanzlich gestellten Antrags, der im Tenor zu entsprechen war. Denn mit dem der Antragsschrift beigefügten Schriftwechsel der Betriebsparteien war klar, dass der Betriebsrat eine umfassende Regelung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG einschließlich einer etwaigen Annexkompetenz (vgl. dazu LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2008 - 10 TaBV 303/08, aber auch schon BAG, Beschluss vom 8. März 1977 - 1 ABR 33/75) anstrebte.

4. Zwar hat die Arbeitgeberin in der Beschwerdeverhandlung darauf hingewiesen, dass sie nach wie vor Frau Prof. Dr. B. als Einigungsstellenvorsitzende wünsche und Herr Dr. W. von der Arbeitgeberin abgelehnt werde, weil sie einen Vorsitz der Einigungsstelle wünsche, der möglichst nicht mit der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit verbunden sei, doch war, abgesehen von der fehlenden förmlichen Antragsstellung, auch hinsichtlich der Person des Einigungsstellenvorsitzenden keine Änderung des angefochtenen Beschlusses geboten.

4.1 Umstritten ist, ob das Arbeitsgericht im Bestellungsverfahren hinsichtlich der Person für den Vorsitz der Einigungsstelle an die Anträge bzw. Vorschläge des Antragstellers oder im Falle von dessen Ablehnung an die des Antragsgegners gebunden ist. Während – soweit veröffentlicht – die Landesarbeitsgerichte in Bremen und Hamburg bisher meinen, dass es konkreter Hinweise bedürfe, weshalb der vorgeschlagene Vorsitzende nicht in Betracht komme (LAG Bremen, Beschluss vom 1. Juli 1988 – 4 TaBV 15/88; LAG Hamburg, Beschluss vom 8. Mai 1995 – 7 TaBV 2/95; LAG Hamburg, Beschluss vom 27. Oktober 1997 – 4 TaBV 6/97), gehen die Landesarbeitsgerichte in Baden-Württemberg, Berlin und Schleswig-Holstein bisher davon aus, dass keine Bindung an die Anträge bestehe (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 9 TaBV 3/02; LAG Berlin, Beschluss vom 12. September 2001 – 4 TaBV 1436/01; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. September 2002 – 4 TaBV 8/02).

Zunächst ist klar, dass das Gericht einen von beiden Seiten vorgeschlagenen oder akzeptierten Vorsitzenden zu bestellen hat. Denn die Aufgabe des Gerichts im Verfahren nach § 98 ArbGG ist es nur, die fehlende Einigung der Betriebsparteien zu ersetzen (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Oktober 1991 – 12 TaBV 10/91). Haben sich die Betriebsparteien aber - wie hier - nicht auf einen Vorsitzenden verständigt, ist davon auszugehen, dass bei einer streitigen Entscheidung der im Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle genannte Vorsitzende bestellt wird, sofern nicht durch Tatsachen begründete Bedenken oder „verifizierbare Bedenken“ (so Franzen, NZA 2008, 750; Tschöpe, NZA 2004, 945, 947) gegen dessen Geeignetheit für den Vorsitz dieser speziellen Einigungsstelle vorgetragen sind. Das gilt auch im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht hinsichtlich des erstinstanzlich eingesetzten Vorsitzenden (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2010 - 10 TaBV 2829/09).

37Zwar beinhaltet diese Verfahrensweise die Gefahr, dass voreilig von einer Seite die Einsetzung einer Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht beantragt wird, um nach dem Müllerprinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ „seinen“ Einigungsstellenvorsitzenden durchzusetzen (teilweise wird dies Prinzip auch „Windhundprinzip“ genannt – so HK-ArbR/Henssen § 98 ArbGG Rn. 12), aber dieser Nachteil ist im Hinblick auf die Berechenbarkeit des Verfahrens nach § 98 ArbGG hinzunehmen. Wenn es nämlich keine Bedenken gibt, gibt es auch keinen Grund, den vorgeschlagenen Vorsitzenden nicht zu bestellen (so auch GK-ArbGG/Dörner § 98 Rn. 29). Die notwendige Vertrauensbasis zur unparteiischen Durchführung des Einigungsstellenverfahrens schafft das Arbeitsgericht dadurch, dass es den Betriebsparteien den Vorsitzenden für die Einigungsstelle bestellt, der nach Ansicht des Gerichts mit hinreichender Sachkunde ausgestattet die Gewähr dafür bietet, eine Einigung zwischen den Betriebsparteien herbeizuführen. Unsachliche Bedenken sind damit aus dem Weg geräumt. Auch dem latenten Vorwurf der Pfründenwirtschaft innerhalb der Richterschaft nach dem Motto: „Ich gebe Dir eine Einigungsstelle, damit Du mir auch eine gibst“ (in diesem Sinne Bauer, NZA 1992, 433, 434) wäre damit ausreichend begegnet (so auch Pünnel/Wenning-Morgenthaler, Die Einigungsstelle Rd.Nr. 101).

Der Hinweis der Arbeitgeberin, dass sie aber - innerbetrieblich - zuerst Frau Prof. Dr. B. ins Gespräch gebracht habe, bevor der Betriebsrat beschlossen habe, Herrn Dr. W. zu benennen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Da es bei der Anwendung des Müllerprinzips um die Berechenbarkeit des Verfahrens geht, kann es auch nur um die erstmalige Benennung nach objektiven Kriterien gehen. Dieses ist mit der Benennung in einem gerichtlichen Verfahren gegeben. Das erfolgt in der Regel mit der Einreichung einer Antragsschrift bei Gericht. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt eine Konkretisierung des - bei Unklarheiten auszulegenden - Regelungsgegenstandes, zu dem die Einigungsstelle eingerichtet werden soll. Erst damit ist ein hinreichend konkret bestimmter Zeitpunkt und Inhalt gegeben.

4.2 Da gegen die Person des Richters am Arbeitsgericht Dr. K. W. keine konkreten Bedenken erhoben worden sind, war eine Änderung in der Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle nicht vorzunehmen. Die Arbeitgeberin hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, dass Herr Dr. W. die Einigungsstelle nicht nach Gesetz und Recht aufgrund der konkreten Fallgestaltung leiten wird. Dass Herr Dr. W. aufgrund seiner großen Erfahrung als Einigungsstellenvorsitzender die Einigungsstelle auch sachleitend und zielführend durchführen wird, steht für das Beschwerdegericht außer Zweifel.

5. Da die vom Arbeitsgericht mit zwei je Seite bestimmte Anzahl der Beisitzer für die Einigungsstelle zwischen den Betriebsparteien nicht (mehr) streitig war, war darüber auch nicht mehr gesondert zu entscheiden.

III.

Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.

IV.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht vorgesehen, § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG.