KG, Beschluss vom 12.05.2009 - 1 W 532/08
Fundstelle
openJur 2012, 10872
  • Rkr:

1. Haben dem Amtsgericht bei Anordnung der Sicherungshaft die Ausländerakten nicht vorgelegen, so kann dieser Verfahrensmangel im Beschwerdeverfahren geheilt werden.

2. Eine erneute mündliche Anhörung des Betroffenen ist erforderlich, wenn die im Beschwerdeverfahren beigezogenen Ausländerakten hierfür Anhaltspunkte ergeben.

Tenor

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

1. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung auf Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts vom 18. September 2008 und des Landgerichts Berlin vom 10. November 2008 erhobene sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4 FGG; §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 und 2, 13 Abs. 2 FEVG; § 106 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz).Das Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen an der begehrten Feststellung ist durch seine Abschiebung nicht entfallen (BVerfG NJW 2002, 2456; KG, 25. Zivilsenat, OLG-Report 2004, 35 ff; Senat Beschluss vom 22.02.2008 - 1 B 371/07). Auch der Umstand, dass sich durch die Abschiebung und den nunmehr gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von zwischenzeitlich erledigter Abschiebungshaft der Verfahrensgegenstand gegenüber den Tatsacheninstanzen verändert hat, führt nicht zur Unzulässigkeit (OLG München, FG Prax 2006, 44 sowie Beschluss vom 23.08.2006 - 34 Wx 71/06 - bei Juris).

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist nicht begründet.

3a) Dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. September 2008 die Sicherungshaft angeordnet hat, obwohl ihm zum Zeitpunkt der Entscheidung die Ausländerakten des Landkreises Leer nicht vorgelegen haben, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der angeordneten Sicherungshaft. Allerdings trifft es zu, dass bei einer Entscheidung über die Haftanordnung die Akten der Ausländerbehörde „regelmäßig“ beizuziehen sind (BVerfG InfAuslR 2008, 304 ff.; Beichel-Benedetti/Gutmann NJW 2004, 3015, 3017 ff.). Das bedeutet indessen nicht, dass eine Haftanordnung nur dann rechtmäßig ergeht, wenn dem Haftrichter zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die Akten der Ausländerbehörde vorliegen. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung kann eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen (BVerfG a.a.O.). Deshalb kommt - jedenfalls dann, wenn nach der gem. § 5 (1) FEVG erforderlichen Anhörung des Betroffenen für das Gericht nicht der Eindruck unvollständiger Information durch die Ausländerbehörde entsteht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.01.2009 - Wx 121/08 - bei Juris) - eine Anordnung der Haft auch ohne Vorlage der Ausländerakten in Betracht (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; LG Göttingen, InfausIR 2005, 425, 426). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts a.a.O.). Im dortigen Fall bestand für das Gericht aufgrund der konkreten Einlassung des Betroffenen zu einem im Ausland gestellten Asylantrag Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung durch Beiziehung der Ausländerakten. Ein solcher Anlass ergab sich bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen am 18.09.2008 jedoch nicht. Die vom Landgericht beigezogenen Ausländerakten enthalten im Übrigen keine Hinweise auf Umstände, die der angeordneten Abschiebehaft entgegenstehen könnten. Derartiges ist auch vom Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht worden.

4b) Die Haftanordnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht, nach der vom Landgericht im Anschluss an das LG Göttingen (a.a.O.) vertretenen Rechtsansicht, nur eine einstweilige Anordnung (§ 11 FEVG) hätte treffen dürfen, um der Ausländerbehörde Gelegenheit zu geben, innerhalb eines festzusetzenden kurzen Zeitraumes die Ausländerakten vorzulegen. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Ein hierin etwa zu sehender Verfahrensfehler des amtsgerichtlichen Verfahrens wäre jedenfalls durch die Beiziehung der Ausländerakten im Verfahren der sofortigen Beschwerde durch das Landgericht geheilt. Anders als die Verfahrensgarantien des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG betreffende Mängel, wie Fehlen der persönlichen Anhörung des Betroffenen bzw. deren unverzüglicher Nachholung, das der Anordnung der Abschiebehaft den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung aufdrückt, der durch Nachholung der Maßnahme nicht mehr zu tilgen ist (vgl. BVerfG NJW 1982, 691; NJW 1990, 2309, 2310; InfAuslR 2009, 164; Senat, KGR Berlin 2008, 434 ff; BayObLGZ 2002, 304 ff) können sonstige Verfahrensmängel auch rückwirkend geheilt werden (vgl. BGH MDR 2007, 971; BayObLGZ a.a.O.). So hat der Bundesgerichtshof (a.a.O.) zum Mangel der örtlichen Zuständigkeit im Verfahren der ersten Instanz ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob dem Amtsgericht bei der Anordnung Verfahrensfehler unterlaufen sind, sondern darauf, ob das Beschwerdegericht als Tatsacheninstanz die Haftentscheidung hätte aufrechterhalten oder sie aus Rechtsgründen hätte aufheben müssen. Da vorliegend die vom Landgericht beigezogenen Ausländerakten keine Hinweise auf konkrete Umstände enthielten, die der Haftanordnung bzw. der Aufrechterhaltung der Haft entgegenstanden, konnte das Landgericht die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung und ihrer Fortdauer bejahen und die Erstbeschwerde aus den auch im Übrigen zutreffenden Gründen zurückweisen. Insbesondere ergab sich aus den beigezogenen Ausländerakten auch nicht die Notwendigkeit einer erneuten Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht. Nach alledem hat das Landgericht zu Recht den Verfahrensverstoß des Amtsgerichts als geheilt angesehen (vgl. auch OLGR Saarbrücken 2009, 31, 33; Senat Beschluss vom 20.01.2009 - 1 W 21/09 -, LG Göttingen a.a.O.) und seinerseits ohne Verfahrensverstoß in der Sache entschieden.