VG Berlin, Urteil vom 10.08.2007 - 14 A 106.05
Fundstelle
openJur 2012, 6777
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten desBeklagten werden der Klägerin und der Beigeladenen je zur Hälfteauferlegt. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen dieKlägerin und die Beigeladene jeweils selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin und dieBeigeladene können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung inHöhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagtevor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin - ein Unternehmen, das Erotikartikel vertreibt - das Erzeugnis „Penis-Steifungscreme“ in Verkehr bringen darf oder ob es ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ist.

Am 10. März 2005 entnahm der Beklagte in der Filiale der Klägerin B. Straße ... Berlin eine „Verdachtsprobe“ des dort angebotenen Produkts „Penis-Steifungscreme“ (Art. Nr. 0701065, Preis pro Packung: 13,25 Euro) und ließ dieses vom Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen Berlin (ILAT) zur Prüfung der Verkehrsfähigkeit beurteilen.

Das streitgegenständliche Erzeugnis wird in einer kleinen Metalltube mit Schraubverschluss (Inhalt: 26 g) vertrieben, Hersteller ist die Beigeladene. Am 4. Dezember 2001 hatte der Landkreis G. - Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt - der Beigeladenen bescheinigt, dass es sich bei dem Erzeugnis um ein kosmetisches Mittel gem. § 4 Abs. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) handele und es daher als solches in den Verkehr gebracht werden dürfe. Ausweislich einer von der Beigeladenen veranlassten, im Dezember 2005 erfolgten Sicherheitsbewertung des streitgegenständlichen Produkts gem. § 5b Kosmetik-Verordnung hat die „Penis-Steifungscreme“ folgende Zusammensetzung: 89,2% weiße Vaseline, 10,3% Paraffinöl, 0,2% Zimtöl, 0,3% Benzylnicotinat, 0,05% Cayennepfeffer. Die Creme hatte sich in der Vergangenheit mit demselben Markennamen und identischer Zusammensetzung der Wirkstoffe als fiktiv zugelassenes (Alt-)Arzneimittel auf dem Markt befunden; die Beigeladene hat Anfang 2001 gegenüber dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf die Zulassung verzichtet.

Auf der Faltschachtel finden sich folgende Angaben:

„Erektions-Pflegecreme - Creme zum Einreiben

Penis Steifungscreme bewirkt eine angenehme, pflegende, wohltuende und sofortige Durchblutung des männlichen Gliedes. Durch diese Spontanwirkung unmittelbar vor der sexuellen Vereinigung kann der Mann eine ausreichende Gliedsteife für den Liebesakt erzielen. Penis-Steifungscreme wird äußerlich angewendet und bei Bedarf wird eine erbsgroße Menge vor dem Akt auf das Glied (Penis) aufgetragen und einmassiert.“

Die Packungsbeilage wiederholt diese Angaben in mehreren Sprachen.

Auf der Faltschachtel sind die vorstehend erwähnten Bestandteile ohne Mengenangaben aufgelistet.

Das ILAT erstattete dem Beklagten seinen Bericht am 1. April 2005. Dort wird ausgeführt:

„ … Farbloser, etwas trüber Salbenstrang mit einem deutlich wahrnehmbaren Geruch nach Zimt. …

Die Probe wurde vom zuständigen Bezirksamt gezogen und dem … ILAT mit der Bitte um Prüfung der Verkehrsfähigkeit übergeben.

Die Sachverständigen vertreten die Auffassung, dass es sich bei dem Erzeugnis um ein Arzneimittel handelt … Gemäß Ergebnisprotokoll der Besprechung vom … wird diese Probe nicht substantiell untersucht. Es wird lediglich eine Beurteilung erstellt, in der die Zuordnung zu den Arzneimitteln begründet wird. …

Benzylnicotinat (Nicotinsäurebenzylester) ist eine Arzneimittelbuchsubstanz (DAB 2004), die aufgrund ihrer Lipidlöslichkeit rasch in die Haut eindringt (M. Neubeck, Kommentar zum DAB). Nach Spaltung des Esters liegt die für die Wirkung entscheidende Nicotinsäure vor. Die intensiv lokal durchblutungsfördernde Wirkung tritt etwa 15-30 Minuten nach der Anwendung auf. Es kommt zu einer lokalen Erweiterung der Arteriolen und Kapillaren, die auch die arteriovenösen Shunts und das venöse Gebiet umfasst.

Die Datenbank AMIS-BL des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) weist 78 zugelassene Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Benzylnicotinat aus. Fertigarzneimittel mit Benzylnicotinat unterstehen der Apothekenpflicht.

Capsicum frutescens (Cayennepfeffer) enthält Scharfstoffe (Capsaicinoide), die ebenfalls stark hyperämisierend wirken. Es wird innerlich und äußerlich eingesetzt, u. a. in Rezepturen zur Förderung der Durchblutung und Reizempfindlichkeit im Genitalbereich (Jänicke, Grünwald, Brendler: Handbuch Phytotherapie, 2003).

Die Probe ist aufgrund ihrer Auslobung und der Wirkungsweise ihrer Inhaltsstoffe dazu bestimmt, die Durchblutung des Penis zu erhöhen und damit eine Ersteifung zu erzielen. Sie ist u. E. nach § 2 Abs. (1) Nr. 5 Arzneimittelgesetz (AMG) zu beurteilen. … Ohne Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde ist das Präparat nach § 21 Abs. (1) AMG in Verbindung mit § 4 Abs. (1) AMG nicht verkehrsfähig.“

Aufgrund dieses Berichts wurde der im Geschäft der Klägerin noch befindliche Restbestand des Präparats (zwei Packungen) am 18. April 2005 sichergestellt. Ein entsprechender Bescheid erging am selben Tage.

Mit Schreiben vom 10. Mai 2005 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. April 2005 ein. Bei dem streitgegenständlichen Erzeugnis handele es sich um ein kosmetisches Mittel gem. § 4 Abs. 1 LMBG, wie bereits vom Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt Goslar im Jahre 2001 festgestellt. Die Beschlagnahme sei wegen falscher Begründung rechtswidrig. Sollte inzwischen eine Vernichtung erfolgt sein, sei Schadenersatz zu leisten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Das ILAT sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Creme aufgrund der Auslobung und der Wirkungsweise ihrer Inhaltsstoffe als Arzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG einzustufen sei. Wie sich aus § 4 Abs. 3 LMBG ergebe, liege kein Kosmetikum vor, denn hiernach würden Stoffe nicht als kosmetisches Mittel gelten, welche zur Beeinflussung der Körperformen bestimmt seien. Eine solche Beeinflussung liege vor, wenn die räumliche Ausdehnung des Körpers oder von Körperteilen verändert werde; auf welche Weise dies erfolge, sei gleichgültig. Die Penis-Steifungscreme habe eine derartige beeinflussende Wirkung auf die Form des Penis. Auch die - rechtsfehlerhaft ergangene - Bescheinigung des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes des Landkreises G. ändere hieran nichts. Diese Behörde sei gem. §§ 21 Abs. 1, 4 Abs. 1 AMG auch nicht für die Zulassung als Arzneimittel zuständig; die Zulassung sei gem. § 77 AMG vielmehr beim BfArM zu beantragen. Die Klägerin habe die Creme fahrlässig in den Verkehr gebracht, da sie zuvor nicht geprüft habe, ob ein zulassungspflichtiges Arzneimittel vorliege.

Bereits am 20. April 2005 hatte der Beklagte gegen die Klägerin Anzeige wegen des Verdachts einer Straftat nach § 21 i. V. m. § 4 Abs. 1 und § 96 Nr. 5 AMG erstattet. Die für den Firmensitz der Klägerin zuständige Staatsanwaltschaft F. bat zunächst das Gewerbeaufsichtsamt B. um Stellungnahme. Dieses teilte Anfang Juni 2005 mit, dass es den Vorgang zuständigkeitshalber an den Landkreis G. weitergeleitet habe, der ein Gutachten des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) angefordert habe. In der Vergangenheit sei „Penis-Steifungscreme“ als Arzneimittel in den Verkehr gebracht worden; durch Erlöschen der Verkehrsfähigkeit im Rahmen der Nachzulassung sei das Produkt nunmehr als Kosmetikum in Verkehr gebracht worden. Aus Sicht der Arzneimittelaufsicht bestünden zumindest erhebliche Bedenken gegen eine Verkehrsfähigkeit als Kosmetikum. Auf Anfrage der Staatsanwaltschaft äußerte sich das LAVES unter dem 28. Oktober 2005 wie folgt: Eine kosmetische Zweckbestimmung im Sinne einer Hautpflege werde nicht gesehen. Neuere Erkenntnisse, inwieweit das Erzeugnis unter anderer Kenntlichmachung als kosmetisches Mittel verkehrsfähig sei, lägen nicht vor. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass die eingesetzten wirksamen Bestandteile wie Benzylnicotinat und ätherische Öle durchaus in kosmetischen Mitteln Verwendung fänden.

Hieraus folgerte die Staatsanwaltschaft F., dass das LAVES die Arzneimittel-Eigenschaft verneint habe, und stellte daraufhin das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO ein.

Die Klägerin hat am 19. August 2005 Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen geltend: Bei der sichergestellten Creme handele es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Kosmetikum i. S. von § 4 LMBG/§ 2 Abs. 5 LFGB. Das ergebe sich aus ihrer an objektiven Merkmalen anknüpfenden überwiegenden Bestimmung, so wie sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung für einen Durchschnittsverbraucher darstelle. Der durchschnittliche Verbraucher verwende solche Cremes wegen ihrer pflegenden und belebenden Wirkung; sie seien nicht mit medizinischen Vorstellungen besetzt. Die Creme sei dazu bestimmt, den Körpergeruch zu beeinflussen. Es fehle eine pharmakologische Wirkung, eine eventuelle Durchblutungsförderung werde durch das Einreiben bewirkt. Auch nach ihrer Gesamtaufmachung stelle sich die Creme nicht als Arzneimittel dar. Es fehlten Wirkangaben und ein Beipackzettel mit Angabe von Anwendung, Dosierung, Warnhinweisen, Nebenwirkungen, Gegenanzeigen o. ä. Auch der zimtartige Duft erwecke eher den Eindruck „pflegend“, ebenso Bezeichnung und Beschreibung auf der Umverpackung. Die Creme sei auch nicht überwiegend dazu bestimmt, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu lindern oder zu beseitigen. Sie beeinflusse auch keine Körperformen i. S. v. § 4 Abs. 3 LMBG; dies sei nur der Fall, wenn die Wirkung in der Verminderung des Fettgewebes, der Verlagerung von Fettpolstern, der Umwandlung von Fett- in Muskelgewebe u. ä. bestehe. Vorliegend veränderten sich Körperformen nur vorübergehend; außerdem müsse es bei einer Erektion nicht zwingend zu einer Veränderung der Größe des Gliedes kommen.

Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,

festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin das Inverkehrbringen des von der Beigeladenen produzierten Erzeugnisses Penis-Steifungscreme zu untersagen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei dem streitgegenständlichen Mittel handele es sich um ein Arzneimittel. Der Hauptzweck - nämlich eine Versteifung des männlichen Gliedes vor dem Geschlechtsakt zu erzeugen und damit Körperformen zu beeinflussen - stelle keine kosmetische Zweckbestimmung dar; dies folge auch nicht schon aus der Verwendung des Wortes „pflegend“. Vielmehr solle eine Beeinflussung der Körperfunktionen erfolgen. Die Einschätzung der Staatsanwaltschaft F. könne daher nicht nachvollzogen werden, zumal sich das LAVES zur Einstufung als Arzneimittel nicht geäußert habe.

Der Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die Akte der Staatsanwaltschaft F. haben vorgelegen und waren, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die beigezogenen Akten sowie auf den Inhalt der Streitakte Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist als allgemeine Feststellungsklage zulässig. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Eine solche Feststellungsklage ist nur zur Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses, d. h. nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Ein hinreichend konkretisiertes Rechtsverhältnis besteht insoweit, als sich der Beklagte gegenüber der Klägerin darauf beruft, bei der streitgegenständlichen Creme handele es sich um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an einer baldigen Feststellung ist bei Zugrundelegung der sogenannten „Damokles-Rechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts anzuerkennen. Danach ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn die Behörde durch die Drohung mit einer Strafanzeige Druck ausüben wollte, um ein bestimmtes verwaltungsrechtlich relevantes Verhalten zu erzielen (BVerwG, Urt. v. 23. Januar 1992, 3 C 50/98, BVerwGE 89, 327, juris Rn. 33, m. w. N. Rn. 29). Damit wird ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen daran anerkannt, die Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe „in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren und nicht auf der Anklagebank zu erleben“. Die fehlende Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung für den Strafrichter ist danach unerheblich. Schon der Einfluss, den eine für den Betroffenen günstige Entscheidung auf die Beurteilung der strafrechtlichen Schuldfrage ausüben könne, rechtfertigt das Feststellungsbegehren (vgl. BVerwG, Urt. v. 13. Januar 1969, I C 36.64, BVerwGE 31, 177 = Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 1, LS). Nach diesen Grundsätzen steht der Annahme eines berechtigten Feststellungsinteresses auch nicht entgegen, dass es auf die Anzeige des Beklagten bereits zur Einleitung eines Strafverfahrens gekommen ist, und dass dieses Verfahren inzwischen eingestellt wurde. Entscheidend ist nämlich zum einen die Wiederholungsgefahr, die sich daraus ergibt, dass die Klägerin weiter beabsichtigt, das vom Beklagten beanstandete Produkt in den Verkehr zu bringen. Außerdem würde durch ein damit erneut drohendes Strafverfahren gegen den für die Klägerin Verantwortlichen letztlich auf ihre wirtschaftliche Betätigung Einfluss genommen (vgl. auch § 30 OWiG zur Möglichkeit der Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person).

Die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 VwGO greift nicht, da vorliegend nur im Wege der allgemeinen Feststellungsklage effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden, d. h. die Klägerin nur so die Klärung erreichen kann, ob sie die Creme künftig in Verkehr bringen darf (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 43 Rn. 28 m.w.N.).

II.

Die Feststellungsklage ist unbegründet. Der Beklagte ist berechtigt, der Klägerin das Inverkehrbringen des Erzeugnisses „Penis-Steifungscreme“ zu untersagen. Eine dahingehende Maßnahme wäre auf der Grundlage von § 69 des Arzneimittelgesetzes - AMG - in der Fassung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 14. Juni 2007 (BGBl. I S. 1066), gerechtfertigt, weil es sich bei dem streitigen Erzeugnis um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel handelt.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AMG treffen die zuständigen (Landes-)Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen; sie können insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung fehlt.

Diese Voraussetzung liegt vor, denn die Penis-Steifungscreme ist gem. §§ 4 Abs. 1, 21 Abs. 1 AMG als zulassungspflichtiges (Fertig-)Arzneimittel zu qualifizieren, womit ihr weiterer Vertrieb eine Straftat gem. § 96 Nr. 5 AMG darstellen würde.

Der Begriff des Arzneimittels ist in § 2 AMG definiert. § 2 Abs. 3 Nr. 2 AMG, wonach kosmetische Mittel i. S. des § 2 Abs. 5 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB -) vom 1. September 2005 in der Bekanntmachung der Neufassung vom 26. April 2006 (BGBl I S. 945) keine Arzneimittel sind, greift nicht, denn die Creme erfüllt die Definitionsmerkmale des § 2 Abs. 5 LFGB nicht. (Dazu nachfolgend unter 1.) Die Penis-Steifungscreme unterfällt § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG. Danach sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Die Auslegung dieser Vorschrift hat sich an der europarechtlichen Arzneimittel-Definition zu orientieren, wie sie in Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 enthalten ist (richtlinienkonforme Auslegung, vgl. im Einzelnen Urteil der erkennenden Kammer vom 19. Juli 2006, VG 14 A 135.97, juris, s. ferner Beschluss der Kammer vom 28. Februar 2007, VG 14 A 270.99). Danach kommt es darauf an, menschliche physiologische Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Das trifft auf die Penis-Steifungscreme zu. (Dazu nachfolgend unter 2.)

1. Gem. § 2 Abs. 5 LFGB sind kosmetische Mittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die ausschließlich oder überwiegend dazu bestimmt sind, äußerlich am Körper des Menschen oder in seiner Mundhöhle zur Reinigung, zum Schutz, zur Erhaltung eines guten Zustandes, zur Parfümierung, zur Veränderung des Aussehens oder dazu angewendet zu werden, den Körpergeruch zu beeinflussen (Satz 1); als kosmetische Mittel gelten nicht Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Beeinflussung der Körperformen bestimmt sind (Satz 2).

Mit dieser Definition hat der Gesetzgeber die europarechtliche Definition des kosmetischen Mittels so, wie sich aus der Richtlinie des Rates 76/768/EWG (ABl. EG Nr. L 262 S. 169) i. d. F. der Richtlinie 93/35/EWG vom 14. Juni 1993 (ABl. EG Nr. L 151 S. 32) ergibt, nunmehr in das deutsche Recht umgesetzt. Die bis zum Inkrafttreten des LFGB geltende und von § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG a. F. noch in Bezug genommene Begriffsbestimmung des § 4 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG), nach der einer kosmetischen Zweckbestimmung nur überwiegende Zwecke der Linderung oder Beseitigung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden entgegenstanden, ist damit abgelöst worden (vgl. BT-Drs. 15/3657, S. 59; BVerwGE 106, 90; VG Karlsruhe, Beschl. v. 2. Februar 2007, 11 K 1924/06; Reinhart, in: Meyer/Streinz, LFGB BasisVO, § 2 LFGB Rn. 113; VG Freiburg, Urt. v. 27. Juli 2006, 3 K 1409/04, Juris). Ob die frühere - nicht europarechtskonforme - Rechtslage vom Beklagten oder aber vom Landkreis Goslar in seinem Schreiben vom 4. Dezember 2001 zutreffend auf das Präparat „Penis-Steifungscreme“ angewandt worden ist, bedarf hier keiner näheren Betrachtung, da sich das Feststellungsbegehren der Klägerin auf die aktuelle Rechtslage bezieht.

a) Die Penis-Steifungscreme dient nicht ausschließlich oder überwiegend, sondern - wenn überhaupt - nur nebenbei einem der in § 2 Abs. 5 Satz 1 LFGB genannten Zwecke.

Die Creme bezweckt evidenterweise nicht die Reinigung oder den Schutz der Haut. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist sie auch sonst nicht zu kosmetischen Zwecken bestimmt. Es kann keine Rede davon sein, dass sie - überwiegend - dazu gedacht wäre, „zur Erhaltung eines guten Zustandes“ oder zur Parfümierung angewendet zu werden. Dagegen sprechen schon die Bezeichnung (Penis- Steifungscreme) sowie die Auslobung auf der Faltschachtel, wo zentral auf die durchblutungsfördernde Wirkung und die dadurch bewirkte Gliedsteife hingewiesen wird. Es geht also ersichtlich in erster Linie („überwiegend“) um eine positive Beeinflussung der Erektion, entweder um eine Verstärkung und Ausdehnung einer bereits erzielten Erektion oder um eine Behebung von Erektionsproblemen. Auch für die Erwerber der Creme wird dies ganz im Vordergrund stehen. Dass die Creme primär dazu dienen soll, den Körpergeruch zu beeinflussen, wie der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, ist angesichts dessen in keiner Weise nachvollziehbar, zumal es hierfür weitaus einfachere und preiswertere Möglichkeiten gibt. Für eine überwiegend hautpflegende Wirkung der Creme spricht schon wegen der Bestandteile Benzylnicotinat und Cayennepfeffer nichts, denen eine solche Wirkung nicht nur nicht zukommt, sondern die im Gegenteil sogar Hautrötungen (s. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, Stichwort „Nicotinsäure“) und Hautreizungen (s. u. d.) hervorrufen können. Auch die Alternative „Veränderung des Aussehens“ ist nicht einschlägig, weil die durch die Creme (möglicherweise) bewirkte stärkere Erektion und die damit verbundene Veränderung des Aussehens des Penis nur vorübergehender Natur sind und zudem ausgelobter Zweck der Creme nicht diese Veränderung ist, sondern die Ermöglichung oder Verbesserung des Geschlechtsakts (Text auf der Schachtel: „… Gliedsteife für den Liebesakt …“).

b) Da somit § 2 Abs. 5 Satz 1 LFGB nicht greift, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob der Ausnahmetatbestand des Satzes 2 einschlägig ist, denn dieser kann nur dann zum Tragen kommen, wenn grundsätzlich eine Einstufung als Kosmetikum i. S. des Satzes 1 in Betracht kommt, was wie dargelegt hier nicht der Fall ist.

2. Die Penis-Steifungscreme dient dazu, i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG i. V. m. der europarechtlichen Arzneimittel-Definition eine menschliche Körperfunktion durch eine pharmakologische Wirkung zu beeinflussen.

a) Die u. a. vom Durchblutungssystem des Körpers abhängige Erektionsfähigkeit ist zweifellos eine menschliche physiologische Funktion i. S. von Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 (vgl.

a. VG Minden, Urt. v. 24. Jan. 2002, 7 K 2323/01). Diese Funktion wird durch eine von der Creme ausgehende pharmakologische Wirkung beeinflusst; der ausgelobte lokal durchblutungsfördernde Effekt der Penis-Steifungscreme tritt nicht etwa, wie die Klägerin meint, allein durch das „mechanische“ Einreiben der Salbe, sondern - 15 bis 30 Minuten später - durch die spezifische Wirkweise insbesondere des Benzylnicotinats im menschlichen Körper ein:

Benzylnicotinat ist eine typische Arzneibuch-Substanz. Es ist in zahlreichen Arzneimitteln, insbesondere Rheumamitteln enthalten (s. exemplarisch unter http://www.schoeningberlin.de/de/praeparate.php?pid=4; s. zudem das Urteil der erkennenden Kammer vom 17. Februar 2000, VG 14 A 176.98, S. 2 f. des Urteilsumdrucks). Unter der Bezeichnung Nicotinsäurebenzylester findet sich ein Eintrag im Pharmazeutischen Wörterbuch von Hunnius (9. Aufl. 1997); der Anwendungsbereich wird dort als „medizinisch“ bezeichnet und wie folgt beschrieben: „Hyperämie erzeugendes Mittel bei rheumatischen Beschwerden, Durchblutungsstörungen (Frostschäden) …“ Für den Bestandteil Benzylnicotinat existiert zudem eine Monographie der Kommission B 8 des Bundesgesundheitsamtes/Bun-desinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) betr. Nikotinsäurebenzylester-Bäder (BAnz Nr. 212 vom 10. Nov. 1989, S. 5276, 5277). Hinsichtlich der pharmakologischen Eigenschaften wird dort ausgeführt: „Lokal hyperämisierend durch Nikotinsäure nach Spaltung des in hohem Maße perkutan transportierbaren Esters … die Nikotinsäure und die aus Benzylalkohol durch Oxidation entstehende Benzoesäure werden in der Leber mit Glycin zu Nikotinsäure bzw. Hippursäure mit einer Halbwertszeit von etwa einer Stunde konjugiert und renal ausgeschieden.“

Benzylnicotinat entfaltet also seine Wirkung, indem es unter die Haut in den Körper eindringt, wo der eigentlich wirksame Bestandteil Nikotinsäure abgespalten wird und lokal seine gefäßerweiternden (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, Stichwort „Nicotinsäure“) und damit durchblutungsverstärkenden Effekte erzeugt. Es findet damit eine gezielte Steuerung einer Körperfunktion von außen (BVerwG, Urt. v. 14.12. 2006, NVwZ 2007, 591) bzw. eine molekulare Wechselwirkung zwischen Arzneistoff und Körper (VG Köln, Urt. v. 25.8.2006, 18 K 12323/06; OVG Münster, Beschl. v. 11. Juni 2007, 13 A 3903/06, Juris), Kennzeichen der pharmakologischen Wirkung, statt.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei einer Benzylnicotinat-haltigen Salbe um eine sog. ambivalente Substanz handeln würde, also eine Substanz, die neben arzneilichen auch kosmetischen Zwecken dienen kann. Benzylnicotinat bewirkt allein eine Durchblutungsförderung; irgendeine daneben bestehende pflegende, parfümierende o. ä. Wirkung ist nicht ersichtlich. Die Recherchen der Kammer haben zudem ergeben, dass Benzylnicotinat in Kosmetika wenn überhaupt allenfalls - in der Haarpflege - zur Erzielung antistatischer Wirkung verwendet wird (http://www.inhaltsstoffe-kosmetik.de/benzyl-nicotinate.html).

Dass Benzylnicotinat nicht zu den Stoffen gehört, die gemäß der sog. „Negativliste“ - Anlage 1 zur Verordnung über kosmetische Mittel (Kosmetik-Verordnung, in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1997, BGBl. I S. 2410, zuletzt geändert durch Art. 1 der VO vom 15. März 2007, BGBl. I S. 348) - in Kosmetika nicht enthalten sein dürfen, ist entgegen der in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht des Beigeladenenvertreters hier ohne Bedeutung. In dieser Anlage 1 wird aus Gründen des Gesundheitsschutzes (s. § 1 Kosmetik-Verordnung) die Verwendung zahlreicher Stoffe in Kosmetika von vorneherein - gleich in welcher Menge und in welcher Kombination - verboten. Für die Abgrenzung zu Arzneimitteln gibt die Liste aber nichts her, denn sie setzt die Qualifikation eines Erzeugnisses als Kosmetikum voraus (s. auch § 1 Kosmetik-Verordnung). Es wäre aus der Luft gegriffen anzunehmen, dass Produkte mit Bestandteilen, welche in der Liste enthalten sind, allein deshalb Arzneimittel sind, und umgekehrt, Erzeugnisse ohne solche Bestandteile nur Kosmetika, aber keine Arzneimittel sein können.

b) Ein Gehalt an Benzylnicotinat von 0,3% ist nicht etwa so gering, dass die Beimischung „pharmakologisch“ überhaupt nicht ins Gewicht fallen kann, die Nennung auf der Umverpackung also quasi nur zum Zwecke der Hervorrufung einer „Placebo“-Wirkung zu verstehen wäre, ohne dass der Stoff reale Wirkungen entfalten könnte. Benzylnicotinathaltige Rheumamittel weisen die Substanz in Anteilen auf, die zwischen 0,2% und 3% schwanken. Die erwähnte „Bäder-Monographie“ des BfArM empfiehlt wesentlich geringere Dosierungen, nämlich von lediglich 0,002 g bis maximal 0,15 g Substanz pro Liter Wasser. Damit bleibt der Benzylnicotinat-Gehalt des Badewassers noch unterhalb des Promille-Bereichs. Hinzu kommt, dass der zusätzlich enthaltene Cayennepfeffer-Extrakt, wie vom ILAT dargelegt, wegen seiner durchblutungsfördernden Wirkungen ebenfalls in Arzneimitteln Anwendung findet und die Effizienz des Benzylnicotinats ersichtlich (additiv) verstärken soll. Die pharmakologische Relevanz der Gehalte beider Stoffe wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass das Mittel in früherer Zeit in genau dieser Zusammensetzung der „arzneilich wirksamen Bestandteile“ als Arzneimittel auf dem Markt war.

d) Neben der Berücksichtigung der pharmakologischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaften feststellen lassen, sind - als Hilfskriterien - auch alle sonstigen Merkmale des jeweiligen Erzeugnisses, neben seiner Zusammensetzung insbesondere die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 9. Juni 2005, „Lactobact“, Samml. 2005 I-05141, Randziffern 30 und 53; Urteil der erkennenden Kammer vom 19. Juli 2006). Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem von Bedeutung, dass Benzylnicotinat ganz offensichtlich nicht nebenwirkungsfrei ist. Insbesondere kann es zu Hautreizungen führen (s. etwa die toxikologischen Angaben in Anlage 5 zum klägerischen Schriftsatz vom 18. Juli 2007; s. ferner die Internet-Informationen des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart http://www.xn--untersuchungsmter-bw-nzb.de/pub/beitrag_druck.asp?subid=1&ID=493). Ferner sind sonstige, im Einzelnen noch nicht erforschte Gesundheitsschäden bei der Aufnahme durch die Haut und beim Einatmen möglich (toxikologische Angaben, a.a.O.). Die hautreizende Wirkung dürfte durch die Kombination mit Cayennepfeffer, auf dessen entsprechende Wirkungen allenthalben hingewiesen wird (z. B. http://www.dr-gumpert.de/html/cayenne_pfeffer.html), noch verstärkt werden. Die geschilderten Nebenwirkungen erscheinen auch deshalb als besonders problematisch, weil die Penis-Steifungscreme auf empfindliche Körperstellen appliziert wird und je nach Sexualpraktik noch weitere - nicht weniger empfindliche - Körperstellen von Partner oder Partnerin mit der Salbe in Berührung kommen können. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass nicht von der Verwendung von Kondomen ausgegangen werden kann. Denn „Safer Sex“ ist ohnehin nicht möglich, wenn die Creme verwendet wird, weil die Creme einen nicht unerheblichen Anteil an Paraffin enthält; dieser Stoff kann Latex-Kondome durchlässig machen (vgl. http://www.oekotest.de, Testbericht Gleitgele). Der Beigeladenenvertreter hat dies in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt.

Nach den Monographie-Angaben stellen zudem schwere diabetische Mikroangiopathien Gegenanzeigen dar; gerade Diabetiker leiden aber nicht selten unter erektiler Dysfunktion und können daher versucht sein, die Penis-Steifungscreme zu verwenden - selbst wenn der Vertreter der Beigeladenen insoweit eine Wirksamkeit des Präparats verneint. Völlig offen ist des Weiteren die Wirkung der Penis-Steifungscreme im Falle einer Schwangerschaft der Partnerin sowie ihr Einfluss auf die Befruchtungsfähigkeit der Spermien.

Da diese Risiken und Nebenwirkungen der Penis-Steifungscreme keineswegs fern liegen, ist es auch nicht unverhältnismäßig, vor einer Vermarktung die Unbedenklichkeit des Mittels in einer geordneten Prüfung nach §§ 22 ff. AMG im Einzelnen zu untersuchen, damit die Creme ggf. nur in Verbindung mit einer Packungsbeilage in den Verkehr gebracht wird, in der entsprechende Gegenanzeigen, Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen aufgeführt werden (§ 11 Abs. 1 Nr. 7 ff. AMG).

3. Da das streitgegenständliche Erzeugnis wie dargelegt eindeutig als Arzneimittel einzustufen ist, bedarf es keines Rückgriffs auf die Zweifelsregelung in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der seit 2004 geltenden Fassung.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.