FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2005 - 9 B 6433/04
Fundstelle
openJur 2012, 2551
  • Rkr:
Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsteller als ehemaliger Geschäftsführer der Komplementär-GmbH (xxx) mit Sitz in xxx) einer Fa. xxx xxx, mit Sitz in xxx (künftig: KG) für rückständige Kfz-Steuer der letztgenannten Gesellschaft vom Antragsgegner persönlich in Anspruch genommen werden kann.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 20. September 2004 (StNr.: xxx

xxx) ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der

Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung 2 Bände Haftungs- und Kfz-Steuerakten vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Gründe

II. 1. Der Antrag ist begründet.

Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Finanzgericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind danach zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des Bescheids anhand des Tatbestands, der sich aus den Akten ergibt, neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, Bundessteuerblatt - BStBl - III 1967,182, seitdem ständige Rechtsprechung des BFH).

Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen nach dem derzeitigen Sachstand ernstlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids vom 20. September 2004.

a.) Im Streitfall kommt eine Anfechtbarkeit etwaiger Zahlungen seitens der KG auf die ab dem Zeitpunkt der Bestellung des Antragstellers zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH neu fällig gewordenen oder zu diesem Zeitpunkt bereits rückständigen Kfz-Steuer-Forderungen des Antragsgegners nach § 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung - InsO - in Betracht. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vollständig erfüllt sind, kann nach der derzeitigen Aktenlage nicht abschließend beurteilt werden. Es bedarf dazu noch weiterer Sachverhaltsfeststellungen im Rahmen des anhängigen Einspruchsverfahrens gegen den angefochtenen Haftungsbescheid.

Nach Ansicht mehrerer Finanzgerichte (vgl. FG des Saarlandes, Beschlüsse vom 22. März 1005 2 V 354/04, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005,1091 und vom 20. Dezember 2004 2 V 385/04, veröffentlicht in juris, sowie FG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 28. Juli 2004 1 V 30/04 (rkr,), EFG 2004,1425 und vom 30. August 2004 1 V 49/03, EFG 2005,2; a.A. Sächsisches FG, nicht rkr. Urteil vom 24. Mai 2005 1 K 2361/04, EFG 2005,1238) wirken sich die Anfechtungsvorschriften der InsO anspruchsreduzierend auf die steuerlichen Haftungsvorschriften der Abgabenordnung - AO 1977 - aus. Der BFH hat in einer kürzlich bekannt gegebenen, zur Veröffentlichung in BFHE und im BStBl vorgesehenen Entscheidung insoweit immerhin das Vorliegen von "ernstlichen Zweifeln" an der Rechtmäßigkeit eines einschlägigen Lohnsteuerhaftungsbescheids bejaht (Beschluss vom 11. August 2005 VII B 244/04, bisher nur in juris veröffentlicht).  Der Auffassung des BFH, dass insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der betreffenden Haftungsbescheide besteht, schließt sich das erkennende Gericht an.

Die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO erlaubt es dem Insolvenzverwalter, in einem zeitlichen Rahmen von bis zu zehn Jahren rückwirkend ab Antragstellung Rechtsvorgänge anzufechten (vgl. dazu im Einzelnen Busch/Hilbertz, NWB Nr. 11 v. 14.3. 2005 Fach 2, S. 8665 ff.) . Nach § 133 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, die der Schuldner mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine restlichen Gläubiger zu benachteiligen, wenn der begünstigte Gläubiger den Vorsatz kannte. Die Kenntnis des Antragsgegners wird vermutet, wenn dieser wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die übrigen Gläubiger benachteiligt (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO).

Benachteiligungsvorsatz i. S. von § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte bereits beim Vorhandensein von sog. dolus eventualis (bedingter Vorsatz) gegeben. Ein unlauteres Zusammenwirken zwischen dem begünstigten Gläubiger und dem Schuldner ist nicht erforderlich (vgl. Busch/Hilbertz, a.a.O.). Weiß der Schuldner, dass er nicht alle Gläubiger befriedigen kann, kommt es ihm bei Zahlungen zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen in erster Linie auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers an und nicht auf die Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 17. Juli 2003 IX ZR 215/02, Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - ZIP - 2003,1900).

Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i. S. von § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO seitens des begünstigten Gläubigers setzt voraus, dass der betreffende Gläubiger die Tatsachen erkennt, aus denen sich bei zutreffender rechtlicher Wertung die Zahlungsunfähigkeit ergibt, wobei der Zustand der "Zahlungsunfähigkeit" im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO im Sinne der neueren zivilgerichtlichen Rechtsprechung sehr schnell erreicht sein kann und z. B.  nach Ansicht einiger Instanzgerichte bereits dann gegeben sein soll, wenn der Schuldner mehr als 5 v. H. seiner aktuell fälligen Verbindlichkeiten nicht innerhalb eines Zahlungsziels von 2 Wochen zu tilgen in der Lage ist (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Kind, in: Braun, InsO, 2. Aufl., § 17 Rz. 7 ff.). Kennt der Gläubiger die Tatsachen, aus denen sich die Zahlungsunfähigkeit ergibt, kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er den an sich zwingenden Schluss von den Tatsachen auf die Rechtsfolgen selbst nicht gezogen hat (BGH-Urteil vom 9. Januar 2003 IX ZR 175/02, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport - NJW-RR - 2003,697).

Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i. S. von § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO kann schon dann gegeben sein, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden und diesem den Umständen nach bewusst ist, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt (BGH-Urteil vom 17. Februar 2004 IX ZR 318/01, ZIP 2004,669).

Im Streitfall hatte das Finanzamt xxx bereits am 24. Oktober 2002 eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung gegenüber der KG erlassen. Im Insolvenzantragsgutachten des vorläufigen Insolvenzgutachters (Rechtsanwalt xxx aus xxx) vom 21. November 2003 ist dazu auf Seite 11 ausgeführt, dass der Antragsteller ihm dazu die Auskunft gegeben habe, dass aufgrund von unzutreffenden Lohn- und Umsatzsteueranmeldungen seitens des Vorgängergeschäftsführers xxx im ersten Halbjahr 2001 bei der KG erhebliche Abgabenrückstände aufgelaufen seien, die u.a. auch zu Pfändungen jenes Finanzamtes in die debitorischen Forderungen der Gesellschaft geführt habe. Des weiteren hatte eine wirtschaftlich bedeutsame Kommanditistin der KG, die xxx GmbH , wegen finanzieller Schwierigkeiten bereits seit dem Jahr 1999 keine Kraftfahrzeugsteuern an den Antragsgegner entrichtet, wodurch Verbindlichkeiten an Kfz-Steuern und Nebenleistungen hierzu per 31. Dezember 2002 in Höhe von über 60 000 EUR aufgelaufen waren. Die Verbindlichkeiten an Kfz-Steuern und Nebenleistungen hierzu der KG betrugen per 31. Dezember 2002 ebenfalls über 14 000 EUR. Bei Außerachtlassung der Kfz-Steuer betrugen die Gesamtverbindlichkeiten der KG per 10. Dezember 2002 266 150,90 EUR (vgl. Aufstellung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers).

Schließlich hatten zwischen der KG, vertreten durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten, und dem Antragsgegner im Herbst 2002 Vergleichsverhandlungen betr. die Entrichtung von Kfz-Steuer durch die sog. "xxx" (= mehrere Unternehmen, an deren wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg der Antragsteller partizipiert) stattgefunden, die letztlich scheiterten. In der in diesem Zusammenhang geführten Korrespondenz findet sich in einem Antwortschreiben des Antragsgegners vom 22. November 2002 (Bearbeiter: Herr xxx) folgende Aussage zum dortigen Vorschlag der Zahlung einer Vergleichssumme in Höhe von 25 000 EUR:

" Angesichts dessen, dass sich "xxx" [gemeint ist xxx GmbH & Co. KG] wegen der Steuernachforderungen bereits in Insolvenz befindet, habe ich unter Abwägung der fiskalischen Interessen zur möglichen nachträglichen Abwendung dieser Insolvenz, aber zugleich auch unter Einbeziehung der vorstehend erwähnten vergleichenden Betrachtung für die Anhänger von "xxx" und " xxxt " eine Vergleichssumme von 25 000 EUR angeboten, an der ich festhalte.

Das Weiterbestehen der gesamten "xxx" sehe ich damit nicht als gefährdet an; denn damit sind folgende Zusagen verbunden:

.......

b) Keine Neufestsetzung der Anhängersteuer mehr für die Firmen "xxx" und "xxx", wobei

in diesem Falle die "xxx" und " xxxt " wohl auch Insolvenz anmelden müssten. ......"

Diese schriftliche Äußerung des für die Kfz-Besteuerung des streitgegenständlichen Unternehmens zuständigen Sachgebietsleiters xxx spricht nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand dafür, dass ihm spätestens zum Zeitpunkt der Vergleichsverhandlungen die finanziellen Verhältnisse der KG in einem solchen Umfang im Einzelnen bekannt waren, dass dies eine insolvenzrechtliche Anfechtungsmöglichkeit für nach diesem Zeitpunkt vorgenommene Zahlungen der KG an den Antragsgegner eröffnen würde. Da der Antragsteller erst ab dem 9. September 2002 Geschäftsführer der Komplementärin des streitgegenständlichen Unternehmens war und zu diesem Zeitpunkt bereits die o.g. Vergleichsverhandlungen geführt wurden, bestehen somit vollumfänglich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids.

b.) Falls sich im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens herausstellen sollte, dass eine insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von nach den Vorschriften des Steuerrechts zu erbringenden Zahlungen seitens der KG gar nicht oder nur hinsichtlich eines Teilbetrages der haftungsbegründenden Abgabenforderungen gegeben ist, wäre eine genaue Berechnung der sog. Tilgungsquote erforderlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH beschränkt sich die Haftung eines Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH für rückständige Betriebssteuern sowie die damit zusammenhängenden Nebenforderungen (z.B. Säumniszuschläge) auf den Betrag, mit dem die Gesellschaft (hier: die KG) bei unzureichender Liquidität im Zeitpunkt der (ggf. fiktiven) Fälligkeit der Abgabenverbindlichkeiten das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat ("anteilige Tilgungsquote"). Hierfür müssen Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden sowie der an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen getroffen werden. Hierbei ist das Finanzamt im Rahmen der Amtsermittlungspflicht auf die Mitwirkung der Beteiligten angewiesen (§§ 88 Abs. 1, 90 Abs. 1 AO 1977, § 76 Abs. 1 FGO). Danach ist der Beteiligte verpflichtet, sich über alle tatsächlich bedeutsamen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) und hat dabei dem Finanzamt und ggfs. auch dem Gericht auf Verlangen in seinem Besitz befindliche Urkunden und sonstige Unterlagen zur Einsicht und zur Prüfung vorzulegen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 97 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 AO 1977).  Befinden sich allerdings die maßgeblichen Unterlagen über die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft im sog. Haftungszeitraum mittlerweile im Besitz des Insolvenzverwalters, was der Antragsteller schriftsätzlich vorgetragen hat, können dem ehemaligen Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH Unklarheiten des Sachverhalts hinsichtlich der Ermittlung der sog. Tilgungsquote nicht haftungserhöhend entgegengehalten werden, denn dann muss das Finanzamt die notwendigen Sachverhaltsermittlungen betr. die finanziellen Verhältnisse der KG von Amts wegen unter Einschaltung des Insolvenzverwalters selbst vornehmen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 23. August 1994 VII R 134/92, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1995,570 sowie Rüsken, in: Klein, AO,  § 69 Rz. 110, jeweils m.w.N.).

c.) Weitere Gesichtspunkte, die eine Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit (§ 125 Abs. 1 AO 1977) des streitgegenständlichen Haftungsbescheids begründen könnten, sind nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht ersichtlich.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 52 und 63 des Gerichtskostengesetzes - GKG - n. F. (= 10 v.H. des Wertes eines Hauptsacheverfahrens).