VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 24.01.2003 - 190/01
Fundstelle
openJur 2012, 1034
  • Rkr:
Tenor

Der Einspruch wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I. Die Einsprechende macht geltend, dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 21. Oktober 2001 nicht ordnungsgemäß vorbereitet und durchgeführt worden seien. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Einsprechende wurde am 29. Juni 2001 gegründet und stellte auf einem Wahlparteitag am 18./19. August 2001 eine Landesliste für die Wahl zum Abgeordnetenhaus auf. Am 23. August 2001 erhielt sie vom Landeswahlleiter die amtlichen Vordrucke für die nach dem Landeswahlgesetz vorgesehenen Unterstützungsunterschriften. Am 14. September 2001 stellte der Landeswahlausschuss die Eigenschaft der Einsprechenden als politische Partei fest. Bis zum Ablauf der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge am 17. September 2001 reichte die Einsprechende 790 Unterstützungsunterschriften ein, davon 448 mit Gültigkeitsbescheinigung. Der Landeswahlausschuss beschloss am 21. September 2001, die Landesliste der Einsprechenden nicht zur Wahl zuzulassen, weil das Quorum von 2.200 Unterschriften (§ 10 Abs. 9 Satz 2 LWahlG) nicht erreicht worden war.

Die Einsprechende stützt ihren am 21. Dezember 2001 eingegangenen Einspruch auf § 40 Abs. 2 Nr. 8 VerfGHG und macht geltend: Bei der Vorbereitung der Wahlen vom 21. Oktober 2001 hätten die Beteiligten zu 87. und 88. bezüglich der Festsetzung der Unterschriftsquoren, der Fristen und der Materialvergabe an die „unterschriftspflichtigen“ Parteien willkürlich und ohne rechtsverbindliche Grundlage gehandelt. So habe der Beteiligte zu 88. bereits am 16. Juli 2001 um frühzeitige Einreichung der Wahlvorschläge gebeten und die Fristen der Wahlvorbereitung ebenso wie den Wahltermin festgesetzt. Die Mitbewerber M.. und Ö.. hätten bereits am 3. Juli 2001 die Formblätter für die Sammlung von Unterschriften erhalten. Aus diesen Formblättern habe sich in Widerspruch zu § 10 Abs. 2 Satz 2 LWahlG ergeben, dass die darin bezeichneten Gruppierungen als zugelassene politische Parteien zu verstehen gewesen seien. Das Sammeln der Unterschriften sei durch den Umstand, dass die Einsprechende erst am 14. September 2001 als Partei zugelassen worden sei, schwer beeinträchtigt worden. Die Nichtanpassung der Unterschriftenquoren an die im Fall der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode verkürzten Fristen wie auch die Streichung der Mängelbeseitigungsfrist verletze den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien. Dieser Grundsatz sei auch durch das willkürliche Vorgehen des Beteiligten zu 88. bei der Unterschriftenprüfung verletzt worden, denn der Einsprechenden sei eine Mängelbeseitigung vor dem 14. September 2001 verweigert worden. An der fehlenden Möglichkeit, Unterschriften nach Ablauf der Einreichungsfrist nachzureichen, sei ihr Bewerber für den Wahlkreis Reinickendorf 6 gescheitert. Die Zulassung des Wahlvorschlags, für den am 17. September 2001 insgesamt 45 Unterstützungsunterschriften beim Bezirkswahlamt eingereicht worden seien, sei wegen zweier ungültiger Unterschriften abgelehnt worden. Schließlich verstoße die Verkürzung der Fristen im Fall einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode gegen die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes und gegen Art. 26 VvB.

Den gemäß § 41 VerfGHG zu beteiligenden Personen und Institutionen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Die Beteiligten zu 74. und 88. halten den Einspruch für zulässig aber unbegründet.

Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 24 Abs. 1 VerfGHG einstimmig auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

II. Der zulässige Einspruch ist unbegründet.

 Die Aufrechterhaltung der in § 10 Abs. 8 und 9, § 23 Abs. 4 LWahlG geregelten Unterschriftenquoren im Falle der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses steht mit dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in Einklang.

Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb ist Bestandteil der Landesverfassung. Es folgt - mit Einwirkung auch auf das Landesverfassungsrecht - aus Art. 21 GG und verbietet jede staatliche Maßnahme, die den Anspruch einer Partei auf Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigt (vgl. Beschlüsse vom 21. September 1995 -VerfGH 12/95 - NJ 1996, 140 und vom 17. März 1997 - VerfGH 90/95 - LVerfGE 6, 32 <39>).

Dieses Recht kann nicht nur durch den Erlass von Vorschriften über ein Unterschriftenquorum (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 4, 375 <377 f.>; 5, 77 <80>; 6, 367, <371 ff>; 12, 132 <133>; 67, 65 <69 f.>; 82, 353 <363 ff.>), sondern auch durch Unterlassungen des Gesetz- oder Verordnungsgebers in Bezug auf den Fortbestand eines derartigen Quorums verletzt werden (vgl. BVerfGE 82, 353 <366>; ferner BVerfGE 92, 82 <87>). Das Recht auf Chancengleichheit ergibt sich aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt (vgl. BVerfGE 6, 273 <280>; 47, 198 <225>; 52, 63 <88>; 73, 1 <28 f.>, 40 <88 f.>). Es gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung (vgl. BVerfGE 85, 264 <297>). Der Grundsatz der Chancengleichheit hängt dabei auf das engste mit den in Art. 39 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1 Satz 1 VvB normierten Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zusammen (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92 - LVerfGE 1, 9 <21>), die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren. Deshalb ist in diesem Bereich die Gleichheit strikt und formal. Dementsprechend ist auch der Satz von der Chancengleichheit der Parteien strikt zu handhaben. Insbesondere darf der Gesetzgeber die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen. Der Grundsatz der Chancengleichheit verlangt zwar nicht, vorgegebene Unterschiede auszugleichen mit dem Ziel, eine Wettbewerbsgleichheit herzustellen. Er verwehrt es dem Gesetzgeber jedoch, bestehende faktische Ungleichheiten der Wettbewerbschancen zu verschärfen. Diese in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung (vgl. BVerfGE 85, 264 <297>) entwickelten Grundsätze sind auch in Bezug auf Regelungen über die Zulassung von Wahlvorschlägen der politischen Parteien zu beachten. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien verändern können, sind ihrem Ermessen besonders enge Grenzen gezogen. Eingriffe in den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und in die formale Wahlrechtsgleichheit bedürfen zu ihrer Rechtfertigung eines zwingenden Grundes (vgl. Urteil vom 17. März 1997 - VerfGH 90/95 - LVerfGE 6, 32 <40> m.w.N.).

Das Erfordernis einer gewissen Zahl von Unterschriften für die Einreichung gültiger Wahlvorschläge beschränkt die Möglichkeit der Wähler, ihr aktives und passives Wahlrecht in möglichst gleicher Weise auszuüben(vgl. BVerfGE 13, 243 <246>; 28, 220 <225>; 34, 81 <99>; 36, 139 <141>; 60, 162 <167>). Es bewirkt einerseits, dass sich nicht jeder Wählbare, sondern nur derjenige zur Wahl stellen kann, der für seine Kandidatur die vorherige schriftliche Unterstützung mehrerer anderer Personen findet; insoweit beschränkt es die Allgemeinheit der Wahl bei Durchführung des Wahlaktes. Es führt außerdem zur Nichtberücksichtigung der Wahlvorschläge derjenigen, die nicht die erforderliche Unterschriftenzahl erbracht haben, und beschränkt insoweit die Gleichheit des Wahlvorschlagsrechts. Die stärkere Formalisierung des Gleichheitsgebots im Wahlrecht schließt indes Differenzierungen nicht gänzlich aus. So hat das Bundesverfassungsgericht das Erfordernis einer bestimmten Unterschriftenzahl für Wahlvorschläge als sachlich gerechtfertigt angesehen, weil und soweit es dazu dienen soll, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken (vgl. BVerfGE 82, 353 <364> m.w.N.), dadurch das Stimmgewicht der einzelnen Wählerstimmen zu sichern und so indirekt der Gefahr der Stimmenzersplitterung vorzubeugen (vgl. BVerfGE 12, 135 <137>; 14, 121 <135>; 24, 300 <41>). Die Zahl der Unterschriften dürfe andererseits nur so hoch festgesetzt werden, wie es für die Erreichung dieses Zwecks erforderlich sei. Sie dürfe der Wählerentscheidung möglichst nicht vorgreifen und nicht so hoch sein, dass einem neuen Bewerber die Teilnahme an der Wahl praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werde.

Um hierfür einen Maßstab zu erhalten, kann aus praktischen Gründen sinnvollerweise nur an die Zahl der Wahlberechtigten angeknüpft werden (vgl. Urteil des Wahlprüfungsgerichts bei dem Abgeordnetenhaus von Berlin vom 19. Januar 1979 - WPG 1.79 - OVGE Bln 14, 262 <265>). In seinem Urteil vom 1. August 1953 zum Bundeswahlgesetz von 1953 hat das Bundesverfassungsgericht ein Unterschriftenquorum von 1 Tausendstel für Landeslisten für zulässig gehalten (BVerfGE 3, 19 <30>). In derselben Entscheidung hat es festgestellt, dass das 3,57 Tausendstel entsprechende Erfordernis von 500 Unterschriften für Kreiswahlvorschläge bei durchschnittlich 140.000 Wahlberechtigten im Wahlkreis nicht mehr mit dem Grundsatz der gleichen Wahl vereinbar sei (BVerfGE 3, 19 <28>). Ein vom nordrhein-westfälischen Landeswahlgesetz gefordertes Quorum von 100 Unterschriften - was 1,67 Tausendstel der durchschnittlich 60.000 Wahlberechtigten entspricht - hat das Bundesverfassungsgericht hingegen als unbedenklich bezeichnet (BVerfGE 3, 383 <395>). Nach seinem Urteil vom 6. Februar 1956 zum baden-württembergischen Landeswahlgesetz dürfen von noch nicht im Landtag vertretenen Parteien höchstens 150 Unterschriften bei durchschnittlich 67.000 Wahlberechtigten (= 2,24 Tausendstel) verlangt werden (BVerfGE 4, 375 <386>). Nach dem Urteil vom 25. Januar 1961 zum Landtagswahlgesetz des Saarlandes hält sich ein Unterschriftenquorum in den einzelnen Wahlkreisen zwischen 1,8 und 2,6 Tausendstel im zulässigen Rahmen (BVerfGE 12, 132 <134>). Unter Berücksichtigung dieser bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie der stadtstaatlichen Verhältnisse Berlins hat das Wahlprüfungsgericht bei dem Abgeordnetenhaus von Berlin mit Urteil vom 19. Januar 1979 - WPG 1/79 - OVGE Bln 14, 262 <268 f.>) höchstens ein Quorum von rund 3 Tausendstel für die Zulassung von Wahlkreisvorschlägen für mit dem Grundsatz der Wahlfreiheit für vereinbar gehalten.

Gemessen an diesen Grundsätzen wird die Einsprechende durch die in § 10 Abs. 8 und 9, § 23 Abs. 4 LWahlG geregelten Erfordernisse, für die Zulassung eines Wahlkreisvorschlags 45 Unterschriften, einer Bezirksliste bzw. eines Bezirkswahlvorschlags 185 Unterschriften sowie einer Landesliste 2.200 Unterschriften beizubringen, nicht in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Diese Erfordernisse betreffen lediglich „junge“ oder bislang bei Wahlen „erfolglose“ Parteien. Die Unterschriftenquoren sollen gewährleisten, dass nur solche Wahlvorschläge zugelassen werden, von denen vermutet werden kann, dass hinter ihnen eine ernstzunehmende politische Gruppe steht. Dementsprechend verzichtet der Gesetzgeber hinsichtlich der in der letzten Wahlperiode ununterbrochen im Abgeordnetenhaus oder im Bundestag vertretenen Parteien auf die Beibringung von Unterstützungsunterschriften und verlangt für die Zulassung der von solchen Parteien eingereichten Listen lediglich die Unterschrift des Landes- bzw. Bezirksvorstands (§ 10 Abs. 11 LWahlG). Für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen entfällt das Quorum für Parteien, die entweder im Abgeordnetenhaus oder in der Bezirksverordnetenversammlung seit der letzten Wahl vertreten sind (§ 23 Abs. 4 Satz 2 LWahlG).

Die dem Nachweis der Ernsthaftigkeit der Wahlbewerbung dienenden Unterschriftenquoren des § 10 Abs. 8 und 9, § 23 Abs. 4 LWahlG beschränken die betroffenen Parteien auch nicht in unverhältnismäßiger Weise in ihren Wahlchancen, denn die Zahl der geforderten Unterschriften hält sich innerhalb der Grenzen, die nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Festlegung von Unterschriftenquoren bei Bundes- und Landtagswahlen zu beachten sind. Wie bereits erwähnt, hat das Bundesverfassungsgericht ein Quorum von 2,6 Tausendstel noch für verfassungsgemäß gehalten (BVerfGE 12, 132 <134>). Das Wahlprüfungsgericht bei dem Abgeordnetenhaus hat unter Berücksichtigung der stadtstaatlichen Verhältnisse Berlins sogar ein Quorum von 3 Tausendsteln für zulässig erachtet.

Die hier zu beurteilenden Unterschriftenerfordernisse erreichen diese Grenzwerte nicht. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin am 21. Oktober 2001 gab es 2.417.574 Wahlberechtigte in Berlin (Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5158). Das geforderte Quorum für die Zulassung einer Landesliste betrug damit weniger als ein Tausendstel der Wahlberechtigten. In dem - gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten - kleinsten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg waren für die Wahl zum Abgeordnetenhaus 157.492 Bürger wahlberechtigt (Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5156). Dies ergibt ein Unterschriftenquorum für die Zulassung einer Bezirksliste von ca. 1,17 Tausendstel. Das höchste Quorum für die Zulassung einer Bezirkswahlliste betrug 1,14 Tausendstel (Bezirk Spandau: 162.804 Wahlberechtigte für die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung; vgl. Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5186). Quoren dieser bescheidenen Größenordnung erweisen sich nicht als eine unverhältnismäßige Beschränkung des Rechts auf politische Chancengleichheit. Sie sind einerseits geeignet, von vornherein aussichtlose oder nicht ernst gemeinte Wahlvorschläge vom Wahlakt auszuschließen. Auf der anderen Seite schränken sie das Recht der Parteien, mit eigenen Wahlvorschlägen an Wahlen teilzunehmen, nur im unbedingt notwendigen Maße ein und führen - für sich gesehen - nicht dazu, neuen Parteien diese Teilnahme praktisch unmöglich zu machen oder sie übermäßig zu erschweren. Das Unterschriftenquorum des § 10 Abs. 8 LWahlG für Wahlkreisvorschläge ist - gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten (22.073) des kleinsten Wahlkreises (Marzahn-Hellersdorf 1) - mit 2,04 Tausendsteln (Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5158) zwar deutlich höher als die zuvor genannten Quoren, liegt aber gleichwohl noch im dargelegten zulässigen Bereich.

Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Parteien, die bereits in der letzten Wahlperiode in der Volksvertretung vertreten waren, vom Erfordernis der Vorlage von Unterstützungsunterschriften ausgenommen hat. Damit knüpft er an ein sachliches Kriterium an, denn der sich in der Mitgliedschaft in einem solchen Parlament dokumentierende Wahlerfolg kann regelmäßig als geeigneter und aussagekräftiger Nachweis für die Ernsthaftigkeit der Wahlvorschläge dieser Parteien und für das Vorliegen des erforderlichen Rückhalts unter den Wahlberechtigten angesehen werden (vgl. BVerfGE 3, 19 <27>; 7, 99 <107>;12, 10 <27 f.>; 82, 353 <364 f.>; 89, 266 <270>; 89, 291 <300 f.>).

Der Gesetzgeber hat nicht dadurch gegen das Recht auf politische Chancengleichheit verstoßen, dass er es unterlassen hat, für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode die sich aus § 10 Abs. 8 und 9, § 23 Abs. 4 LWahlG ergebenden Unterschriftenquoren herabzusetzen. Nach Art. 54 Abs. 4 VvB findet die Neuwahl des Abgeordnetenhauses im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode spätestens acht Wochen nach dem Beschluss des Abgeordnetenhauses gemäß Art 54 Abs. 2 VvB statt. Da die Frist für die Einreichung der Wahlvorschläge im Falle der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode nach § 80 Nr. 4 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 LWahlO statt 68 erst 34 Tage vor dem Wahltag endet, dürfen zwischen dem Beschluss über die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode und dem Ablauf der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge höchstens 22 Tage liegen. Im Falle der vorzeitigen Beendigung der 14. Wahlperiode betrug dieser Zeitraum 17 Tage. Hieraus folgt jedoch nicht, dass nur 17 Tage für die Sammlung der erforderlichen Unterstützungsunterschriften zur Verfügung standen. Voraussetzung für die Sammlung von Unterstützungsunterschriften ist zwar, dass die Versammlung zur Aufstellung der Wahlvorschläge vorher stattgefunden hat (§ 30 Abs. 3 LWahlO). Nach § 80 a Nr. 3 Satz 2 LWahlO i.d.F. des Art I Nr. 2 der Siebenten Verordnung zur Änderung der Landeswahlordnung vom 10. Juli 2001 (GVBl. S. 220) ist die Abhaltung derartiger Versammlungen aber schon vor der Beschlussfassung des Abgeordnetenhauses über die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode zulässig. Spätestens mit dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 12. Juli 2001 (vgl. Art. II der Verordnung vom 10. Juli 2001) war bekannt, dass jedenfalls von diesem Zeitpunkt an Versammlungen zur Aufstellung von Wahlvorschlägen stattfinden und im Anschluss hieran Unterstützungsunterschriften gesammelt werden konnten. Der Landeswahlleiter hatte hierauf in seiner Bekanntmachung vom 16. Juli 2001 (Amtsblatt für Berlin, S. 3102) hingewiesen und dabei auf den Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 12. Juli 2001 Bezug genommen, in dem eine Entscheidung über die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode mit dem Ziel einer Neuwahl am 21. Oktober 2001 für den 1. September 2001 angekündigt worden war. Am 12. Juli 2001 konnte der Gesetzgeber mithin davon ausgehen, dass zur Teilnahme an den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus den Parteien mehr als neun Wochen zur Vorbereitung der Wahl und zur Einreichung der Wahlvorschläge zur Verfügung stehen würden. Bei dieser Sachlage durfte er annehmen, dass auch junge und kleine Parteien - sofern sie über einen hinreichenden Rückhalt in der Wählerschaft verfügten - ohne weiteres in der Lage sein würden, die für die Teilnahme an der Wahl erforderlichen Unterschriften zu sammeln.

Zu einer anderen Einschätzung musste ihn insbesondere nicht der Umstand veranlassen, dass die Sommerferien in Berlin (19. Juli - 1. September 2001) in diesen Zeitraum der Wahlvorbereitung fielen. Eine unangemessene und ungleiche Beschränkung der Chancen der betroffenen Parteien lässt sich hieraus nicht ableiten, denn die Parteien sind nicht aus Rechtsgründen gehindert, Versammlungen zur Aufstellung von Wahlvorschlägen in der Ferienzeit abzuhalten. Es dürfte zwar zutreffen, dass damit einem gewissen Teil der Parteimitglieder die Teilnahme an der Aufstellung der Bewerber erschwert war. Diese Folge ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichst breiten demokratischen Legitimation der Wahlvorschläge nicht wünschenswert, sie ist aber jedenfalls im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode hinzunehmen; denn der Verfassungsgeber hat mit Art. 54 Abs. 4 VvB, wonach in diesem Fall die Neuwahl spätestens acht Wochen nach dem Beschluss des Abgeordnetenhauses stattzufinden hat, deutlich gemacht, dass die im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode typischerweise gegebene Unsicherheit über die weitere politische Entwicklung des Gemeinwesens möglichst kurz gehalten werden soll.

Soweit die Einsprechende weiterhin die Auffassung vertritt, sie müsse die Möglichkeit zu einem frühen Wahlparteitag nicht nutzen, weil hieraus keine Verkürzung „rechtsverbindlicher Zeiträume“ folgen könne, kann dem nicht gefolgt werden. Die landeswahlrechtlichen Vorschriften bestimmen nämlich keine besondere Frist für die Beibringung der geforderten Unterschriften, noch legen sie gesondert fest, bis zu welchem Zeitpunkt Wahlvorschläge aufgestellt werden können. Insoweit ist lediglich die allgemeine Regelung des § 28 Abs. 1 i.V.m. § 80 a Nr. 4 LWahlO zu beachten, wonach Wahlvorschläge im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode spätestens bis zum 34. Tag vor dem Wahltag einzureichen sind. Damit bleibt es jeder Partei selbst überlassen, bis zum Ablauf der Einreichungsfrist über den Zeitpunkt der Aufstellungsversammlung und damit auch mittelbar über den für die Sammlung von Unterstützungsunterschriften zur Verfügung stehenden Zeitraum zu entscheiden. Die für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode geltenden verkürzten Fristen (§ 80 a LWahlO) sind im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie verstoßen entgegen der Auffassung der Einsprechenden weder gegen Wahlrechtsgrundsätze noch gegen sonstige verfassungs- oder wahlrechtliche Normen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Verkürzung der Fristen das durch Art. 54 Abs. 4 VvB gebotene Maß übersteigt.

Soweit sich eine Partei - wie hier die Einsprechende - nach den konkreten Umständen dazu gezwungen sieht, die Aufstellung von Wahlvorschlägen in der Ferienzeit durchzuführen, führt dies nicht dazu, dass ihr der Zugang zum Wahlakt dadurch übermäßig erschwert wird, wenn sie einen ausreichenden Rückhalt in der Wählerschaft besitzt. Damit wird eine solche Partei auch nicht im Verhältnis zu Parteien, die von dem Erfordernis der Unterstützungsunterschriften befreit sind, in rechtserheblicher Weise benachteiligt, denn bei diesen „privilegierten“ Parteien kann der Gesetzgeber auf Grund ihrer Wahlerfolge in der Vergangenheit unterstellen, dass sie über die für einen ernstzunehmenden Wahlvorschlag erforderliche Unterstützung der Wahlberechtigten verfügen.

Dass die geforderten Quoren im Fall der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode die Chancen kleiner Parteien auch unter den besonderen Bedingungen einer die Sommerferien umfassenden Wahlvorbereitungszeit nicht übermäßig beeinträchtigen, belegt weiterhin ein Vergleich der Ergebnisse der Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 2001 mit jenen von 1999. Danach ist es auch jungen und kleinen Parteien bei der Wahl am 21. Oktober 2001 in nicht wesentlich geringerem Maße als bei der vorherigen Wahl möglich gewesen, die notwendigen Unterstützungsunterschriften nachzuweisen und an der Wahl teilzunehmen. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus vom 21. Oktober 2001 wurden 1.623.338 gültige Zweitstimmen abgegeben. Davon entfielen 43.617 Stimmen auf insgesamt sieben Parteien, die bisher nicht an Wahlen zum Abgeordnetenhaus teilgenommen hatten oder die bisher noch nie im Abgeordnetenhaus oder im Bundestag vertreten waren (Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5170 f.). Bei den vorherigen Wahlen zum Abgeordnetenhaus vom 10. Oktober 1999 sind 1.563.576 gültige Zweitstimmen abgeben worden. Davon erhielten die zehn Parteien, die damals zum ersten Mal an der Wahl teilnahmen oder die bei früheren Wahlen zum Bundestag oder Abgeordnetenhaus keine Mandate erzielen konnten, 55.211 Stimmen (Amtsblatt für Berlin 1999, S. 4538 f.).

Der Gesetzgeber musste im Rahmen der ihm obliegenden Kontroll- und Überwachungspflichten in Bezug auf die Unterschriftenquoren des § 10 Abs. 8 und 9, § 23 Abs. 4 LWahlG auch nicht deshalb tätig werden, weil erst in der Sitzung des Landeswahlausschusses am 14. September 2001 nach § 27 Abs. 3 Satz 2 LWahlO festgestellt wurde, dass die Einsprechende als politische Partei anzusehen ist. Aus dem Umstand, dass die Parteieigenschaft der Einsprechenden erst drei Tage vor Ablauf der Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge festgestellt wurde, ist keine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Wahlchancen abzuleiten. Die Einsprechende war weder durch § 27 Abs. 3 Satz 2 LWahlO noch durch eine sonstige wahlrechtliche Vorschrift gehindert, zu einem früheren Zeitpunkt mit der Sammlung von Unterschriften zu beginnen. Es trifft zwar zu, dass sie bei dieser Sammlung bis zum 14. September 2001 nicht damit werben konnte, dass sie bereits als Partei anerkannt sei. Diese alle auf Unterstützungsunterschriften angewiesenen Parteien in gleicher Weise treffende Folge der im Fall einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode verkürzten Zeitspanne zwischen dem Ablauf der den Parteien zur Anzeige der Wahlbeteiligung gesetzten Frist und dem Ablauf der Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1, § 80 a Nrn. 3 und 4 LWahlO) war jedoch nicht von so erheblichem Gewicht, dass sie eine Reduzierung der Unterschriftenquoren geboten hätte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragstellerin Unterschriften nur deshalb verweigert wurden, weil sie nicht auf ihren Status als „anerkannte“ Partei verweisen konnte. In Bezug auf die besondere, eine frühzeitige Feststellung der Parteieigenschaft ausschließende Rechtslage bei der Vorbereitung einer vorgezogenen Wahl, bedurfte es zum Zwecke der Aufklärung potentieller Unterstützer lediglich eines kurzen Hinweises auf die besonderen Bedingungen einer vorgezogenen Wahl.

Ferner war eine Reduzierung der Unterschriftenquoren nicht deshalb zur Wahrung der politischen Chancengleichheit erforderlich, weil im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode nach Ablauf der für die Wahlvorschläge geltenden Einreichungsfrist keine Mängelbeseitigung mehr möglich ist (vgl. § 80 a Nr. 5 LWahlO). Auch insoweit gilt, dass diese für den besonderen Fall einer sich an eine vorzeitige Beendigung der Wahlperiode anschließende Wahl geltende Einschränkung, deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung sich aus Art. 54 Abs. 4 VvB ergibt, für alle Parteien gilt und die Parteien hierdurch hinsichtlich des Erfordernisses der Unterschriftenbeibringung nicht übermäßig beschwert werden. Der Ausschluss einer Mängelbeseitigung nach Ablauf der Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge verkürzt weder die für die Sammlung von Unterschriften zur Verfügung stehende Zeitspanne, noch erschwert diese Regelung sonst in übermäßiger Weise die Erfüllung des Unterschriftenerfordernisses.

Weiterhin haben auch die Senatsverwaltung für Inneres und der Landeswahlleiter bei der Vorbereitung der Wahlen nicht gegen das Recht auf politische Chancengleichheit oder sonstige verfassungsrechtliche oder wahlrechtliche Normen verstoßen.

Entgegen der Auffassung der Einsprechenden hat der Landeswahlleiter weder Fristen für die Wahlvorbereitung noch den Wahltermin festgesetzt. In seiner Bekanntmachung vom 16. Juli 2001 (Amtsblatt für Berlin 2001, S. 3102) hat er lediglich die voraussichtlichen Termine und Fristen „benannt“ und dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass erst nach dem Beschluss über die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode durch das Abgeordnetenhaus und nach der Festsetzung des Wahltags durch den Senat „die dann rechtsverbindlichen Fristen und Termine bekannt gemacht“ würden. Die nach Angaben der Einsprechenden frühe Ausgabe der amtlichen Vordrucke für Unterstützungsunterschriften an konkurrierende Parteien wäre allenfalls dann zu beanstanden, wenn diese Parteien im Zeitpunkt der Ausgabe noch nicht die Aufstellungsversammlung durchgeführt hätten. Ein derartiger Sachverhalt hat weder nach den Angaben der Einsprechenden noch nach der Stellungnahme des Landeswahlleiters vom 26. April 2002 vorgelegen.

Die Einsprechende hat auch nicht ihre Behauptung substantiiert, der Landeswahlleiter habe mit der Ausgabe von amtlichen Vordrucken für Unterstützungsunterschriften konkurrierende Wahlvorschlagsträger als Parteien anerkannt. Aus der Gestaltung dieser amtlichen Vordrucke, wie sie sich aus der Anlage 7 zur Landeswahlordnung ergibt, lässt sich ein solcher Schluss jedenfalls nicht ziehen.

Soweit die Einsprechende rügt, ihr sei eine Mängelbeseitigung vor dem Ablauf der Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge jedenfalls bis zum 14. September 2001 verweigert worden, kann der Einspruch ebenfalls keinen Erfolg haben. Nach § 34 Abs. 3 Satz 2 LWahlO kommt die Nachreichung von Unterschriften nur dann in Betracht, wenn Unterstützungsunterschriften in der erforderlichen Anzahl eingereicht wurden. Bis zum Ablauf der Einreichungsfrist am 17. September 2001 hatte die Einsprechende aber nur 790 der erforderlichen 2.200 Unterschriften für die Zulassung der Landesliste eingereicht.

Schließlich ist der Einspruch auch insoweit zurückzuweisen, als die Einsprechende rügt, die Zulassung ihres Wahlkreisvorschlages für den Wahlkreis Reinickendorf 6 sei ihr zu Unrecht versagt worden. Da die Einsprechende nach ihren eigenen Angaben die geforderten 45 Unterschriften erst am Tag des Ablaufs der Einreichungsfrist abgeben hat, kam eine Aufforderung nach § 34 Abs. 3 Satz 1 LWahlO zur Nachreichung zweier gültiger Unterschriften während des Laufs der Einreichungsfrist nicht mehr in Betracht. Eine Aufforderung nach Ablauf der Einreichungsfrist war jedoch durch § 80 a Nr. 5 LWahlO ausgeschlossen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Zitate41
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte