Darlegungslast des Luftfrachtführers
WA Art. 22, 25 Unbeschadet der Beweislast des Anspruchstellers
aus Art. 25 Warschauer Abkommens (WA) hat der Luftfrachtführer eine
Einlassungsobliegenheit dahin, daß er die vom Anspruchsteller nicht
erforschbaren Umstände zum Schadenshergang darzulegen hat, deren
Feststellungen ihm möglich und zumutbar war. Kommt der
Luftfrachtführer dieser prozessualen (Art. 28 Abs. II WA)
Obliegenheit nicht nach, so ist vom Vorbringen des Anspruchstellers
auszugehen und - wenn dieses die Möglichkeit einer leichtfertigen
Schädigung ergibt - der Luftfrachtführer ohne die
Haftungsbeschränkung aus Art. 25 WA zum Ersatz verpflichtet.
ENTSCHEIDUNGSGRÓNDE
Die form- und fristgerecht eingelegte und im übrigen zulässige
Berufung der Beklagten hat nur hinsichtlich der Höhe der
zuerkannten Zinsen Erfolg, im übrigen ist sie unbegründet.
Das Urteil des Landgerichts in der Hauptsache entspricht der
Sach- und Rechtslage, das Vorbringen der Beklagten in der
Berufungsinstanz rechtfertigt keine andere Beurteilung.
I. Der Klägerin steht gegen die Beklagte der geltendgemachte
Schadensersatzanspruch gemäß Art 18, 25 WA, § 67 VVG zu.
Die Voraussetzungen ihrer Haftung nach Art 18 WA, nach dessen
Inhalt der Luftfrachtführer zum Schadensersatz verpflichtet ist,
wenn Güter während der Luftbeförderung zerstört oder beschädigt
werden oder in Verlust geraten, hat die Beklagte nicht bestritten;
auf einen Haftungsausschluß nach Art 20, 21 WA hat sie sich nicht
berufen.
Die Beklagte haftet nicht nur in den Höchstgrenzen des Art 22
WA, sondern vielmehr nach Art 25 WA unbeschränkt.
Nach Art 25 WA gelten die in Art 22 vorgesehenen
Haftungsbeschränkungen nicht, wenn nachgewiesen wird, daß der
Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers
oder seiner Leute herbeigeführt worden ist, die entweder in der
Absicht, Schaden herbeizuführen oder leichtfertig und in dem
Bewußtsein begangen wurde, daß ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit
eintreten werde. Dabei ist leichtfertiges Verhalten ein bewußt grob
fahrlässiges Verhalten, das eine auf der Hand liegende
Sorgfaltspflicht außer acht läßt. Das weiter erforderliche
Bewußtsein ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen
Handeln aufdrängende Erkenntnis, es werde mit Wahrscheinlichkeit
ein Schaden entstehen ( st. Rspr. ; vgl. BGH VersR 1979,. 641,
643).
1. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist grundsätzlich
der Anspruchsteller in vollem Umfang darlegungs- und
beweispflichtig. Weder die hinreichende Darlegung dieser Umstände
noch die entsprechende Beweisführung ist der Klägerin zwar im
vorliegenden Fall gelungen, weil ihr die Einzelheiten der
Schadensverursachung, die sich in der Sphäre der Beklagten ereignet
haben, nicht bekannt sind. In Rechtsprechung und Literatur ist
jedoch anerkannt, daß auch die nicht darlegungs- und
beweisbelastete Partei nach dem auch das Prozeßrecht
durchdringenden Grundsatz von Treu und Glauben eine
Prozeßförderungspflicht im Sinne einer Einlassungsobliegenheit
treffen kann. Wenn nämlich der beweisbelasteten Partei die von ihr
vorzutragenden Umstände nicht bekannt sein können, weil sie
gänzlich außerhalb ihrer Wahrnehmungssphäre in Erscheinung getreten
sind, und die Partei sich die notwendigen Informationen auch nicht
beschaffen kann, muß der Gegner substantiiert den Geschehensablauf
darlegen, soweit ihm die Aufklärung möglich und zumutbar ist (BGH
VersR 1986, 1019; OLG München TranspR 1990, 280, 286; OLG Hamburg
VersR 1989, 1169; MK-Peters ZPO § 138 Rz 21, 22; Zöller-Stephan §
138 Rn 10). Insbesondere im Transportrecht ist anerkannt, daß der
Frachtführer oder Spediteur zur Vermeidung prozessualer Nachteile
gehalten ist, nicht nur zu seiner Organisation im Rahmen der
Vermeidung von Schäden, sondern auch zum Ablauf des
Schadenshergangs im Einzelfall vorzutragen (OLG München a.a.O.; OLG
Hamburg a.a.O.; OLG München TranspR 94, 199; OLG Nürnberg TranspR
1993, 91 ; OLG Stuttgart TranspR 94, 244; OLG Frankfurt VersR 83,
1055; Koller, VersR 1990, 553, 555, 556). Kommt der Frachtführer
dieser Verpflichtung nicht nach, ist das deshalb unsubstantiiert
gebliebene Vorbringen des Auftraggebers als substantiiert
anzusehen, die Folgen der Nichterweislichkeit seines Vorbringens
trägt gleichfalls der Frachtführer.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte ist
ihrer danach bestehenden Darlegungslast nicht hinreichend
nachgekommen. Zudem trägt sie die Folgen der Nichterweislichkeit
des Vorbringens der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der
Beweisvereitelung, weil sie es schuldhaft versäumt hat, die
Personen zu benennen, die den Schaden gemeldet bzw. verursacht
haben und daher von der Klägerin als Beweismittel benannt werden
könnten.
Die Beklagte hat zwar behauptet, daß ihr heute, im Prozeß, die
entsprechende Darlegung nicht mehr möglich sei, weil sie nicht mehr
feststellen könne, wer den Dolly gefahren habe, der nach ihrer
Darstellung über die Packstücke gefahren sein soll. Der Beklagten
ist aber vorzuwerfen, daß sie zeitnah zum Schadensgeschehen keine
Feststellungen hierzu getroffen hat, obwohl ihr dies ohne weiteres
möglich und zumutbar war. Die prozessuale Mitwirkungspflicht einer
Partei ist aber nicht nur dann verletzt, wenn der Partei das
entsprechende Vorbringen während des Prozeßverfahrens ohne weiteres
möglich und zumutbar ist, sondern auch dann, wenn ihr entsprechende
Feststellungen zeitnah zum Schadensgeschehen möglich und zumutbar
waren. Für den Bereich der Beweisvereitelung, die im vorliegenden
Fall auch gegeben ist, ist dies allgemeine Ansicht (vgl.
MKPrütting, ZPO § 286 Rn 77 u. die Beispiele aus der Rechtsprechung
Rn 76). Aus den gleichen Gründen muß dies aber auch für die
prozessuale Mitwirkungspflicht in Form ihrer Darlegungspflicht
jedenfalls dann gelten, wenn die Partei sich zeitnah zum
Schadensereignis die entsprechenden Informationen mühelos hätte
verschaffen können und dies aus Gründen, die in ihrem
Verantwortungsbereich liegen, während des Prozesses nicht mehr
kann. Ob in derartigen Fällen - ebenso wie in den Fällen der
Beweisvereitelung - eine Verleztung der Darlegungspflicht nur
angenommen werden kann, wenn die Partei ein Verschulden an dem
Unterlassen der Einholung bzw. des Festhaltens der entsprechenden
Information trifft, kann dahinstehen. Der Beklagten ist nämlich
hinsichtlich der mangelnden Feststellung der Verursachung des
Schadens und der beteiligten Personen ein grob nachlässiger Verstoß
gegen die Interessen ihres Auftraggebers vorzuwerfen, der es
rechtfertigt, ihr die Nachteile der Darlegungs- und Beweisnot der
Klägerin aufzuerlegen. Die Notwendigkeit, weitere Feststellungen zu
treffen, insbesondere den Namen der den Schadensfall meldenden
Person und des Dolly-Fahrers, der die Packstücke befördert hatte,
festzuhalten, um diese ggflls. näher zu den Einzelheiten befragen
zu können, drängte sich bereits nach dem Schadensbild für die
Beklagte geradezu auf. Dieses Schadensbild sprach nämlich zumindest
für die Möglichkeit einer grob fahrlässigen, leichtfertigen und
sogar vorsätzlichen Schadensverursachung und damit für die
Möglichkeit von Ansprüchen der Auftraggeberin über die von der
Beklagten in Kauf genommenen Haftungsgrenzen des Art 22 WA hinaus.
Bereits die Tatsache, daß die Packstücke ersichtlich von dem Dolly
hinuntergefallen sein mußten, sprach dafür, daß sie während des
Transports nicht hinreichend oder gar überhaupt nicht befestigt
waren. Auch das Óberfahren der Packstücke, die ausweislich der aus
dem Gutachten des HavarieKommissars ersichtlichen Fotos relativ
groß waren, war nicht ohne weiteres als leicht fahrlässiges
Versehen nachvollziehbar. Dies gilt erst recht, weil es mehr als
unwahrscheinlich ist, daß das Óberfahren derart großer Kartons mit
einem Dolly von dem Fahrer nicht bemerkt worden sein soll.
Schließlich war, wie aus dem Gutachten des Havarie- Kommissars
ersichtlich ist, teilweise sogar die Innenverpackung beschädigt
bzw. fehlte, was einen hinreichenden Anhaltspunkt für einen
Diebstahl ergab.
Wenn angesichts dieser Umstände weder weitere Feststellungen
veranlaßt wurden noch der Name des Dolly-Fahrers festgehalten
wurde, verstieß die Beklagte in grob nachlässiger Weise gegen die
Interessen ihres Auftraggebers. Jedenfalls in derartigen Fällen muß
sich der Luftfrachtführer im Prozeß vorhalten lassen, daß er
Informationen, die ihm seine Erfüllungsgehilfen ohne weiteres
hätten geben können, grob fahrlässig nicht festgehalten und
weitergegeben hat. Bestehen und Umfang der Prozeßförderungspflicht
in Fällen wie dem vorliegenden leiten sich - neben dem Gedanken der
Beweisferne der einen bzw. -nähe der anderen Partei - auch aus der
materiellrechtlichen Pflicht des Frachtführers zur Erteilung der
erforderlichen Auskünfte nach §§ 675, 666 BGB ab, die es jedenfalls
bei der vorliegenden Sachlage rechtfertigt, den Nachteil der
mangelnden Aufklärbarkeit der Partei aufzuerlegen, die jedenfalls
zu einem früheren Zeitpunkt zur Ermittlung insoweit ohne weiteres
und zumutbar in der Lage war. Dabei ist der Beklagten nicht etwa
nur das schuldhafte Verhalten des den Schaden aufnehmenden Zeugen
F. zuzurechnen, vielmehr beruht die mangelnde Feststellung auf
mangelnder Organisation der Beklagten selbst. Soweit nämlich, wie
der Zeuge F. ausgesagt und die Beklagte nicht bestritten hat, kein
Gefahrgut betroffen ist und der Schaden keine größeren Ausmaße
annimmt, gibt es keinerlei organisatorische Anordnungen der
Beklagten, wie in derartigen Fällen zu verfahren ist. Insbesondere
gibt es keine Anordnungen, jedenfalls die Namen der Personen
festzuhalten, die über den Schadenshergang nähere Auskunft erteilen
könnten, geschweige denn Anordnungen, Feststellungen zum
Schadenshergang zu treffen.
Die Anwendung der genannten prozessualen Grundsätze verstößt
auch nicht gegen das Haftungssystem des Warschauer Abkommens. Nach
Art 28 II WA richtet sich das Verfahren nach den Gesetzen des
angerufenen Gerichts (vgl auch BGH VersR 79, 641 = BGHZ 74, 163).
Die hierzu gehörenden Grundsätze über die Prozeßförderungspflicht
der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei greifen nicht in
die Beweislastverteilung der Art 17 ff., insbes. des Art 25 WA ein.
Kommt nämlich der Luftfrachtführer seiner dargestellten -
sekundären - Darlegungslast nach, verbleibt das Risiko mangelnder
Darlegung und Beweisführung beim Anspruchsteller. Demgegenüber
liefe die Haftung des Luftfrachtführers aus Art 25 WA ins Leere,
wenn ihn die genannten prozessualen Mitwirkungspflichten nicht
träfen, da der Anspruchsteller selbst in aller Regel keinerlei
Kenntnis vom Schadenshergang haben kann.
2. Darüberhinaus ist der Senat aber auch der Auffassung, daß
aufgrund der unstreitigen Umstände feststeht, daß die Organisation
der Beklagten im Bereich der Schadensfeststellung und
Schadensverhinderung derart mangelhaft ist, daß sie leichtfertiges
und sogar vorsätzliches Verhalten ihrer Mitarbeiter geradezu
provoziert, jedenfalls aber bewußt in Kauf nimmt. Wie bereits
ausgeführt, gibt es im Bereich der Beklagten keinerlei Anweisungen,
wie in derartigen Fällen zu verfahren ist. Die Beklagte stellt
nicht einmal sicher, daß bei Schäden, die bereits ihrem äußeren
Erscheinungsbild nach auf zumindest grobe Fahrlässigkeit hindeuten,
der Schädiger ermittelt und befragt wird. Daß dies die Gefahr von
bewußt fahrlässigen Verstößen von Mitarbeitern geradezu
heraufbeschwört, liegt auf der Hand. Müssen Mitarbeiter bei von
ihnen verursachten Schäden nicht damit rechnen, daß sie zur
Verantwortung gezogen werden, werden sie sich entsprechend sorglos
verhalten. Steht aber fest, daß die Beklagte leichtfertig und in
der sich aufdrängenden Erkenntnis verhalten hat, daß ihren
Auftraggebern hierdurch Schäden der vorliegenden Art entstehen
können, muß sie darlegen und beweisen, daß der konkrete Schaden
nicht durch ihr Verhalten verursacht worden ist (OLG München
TranspR 94, 199; BGH TranspR 89, 327, 328 ;). Dies ist nicht
geschehen.
Die Berufung auf einen groben Organisationsfehler der Beklagten
ist der Klägerin auch nicht deshalb verwehrt, weil ihre
Rechtsvorgängerin die Beklagte weiterhin beauftragt. Anders als in
dem vom OLG Stuttgart (TranspR 94, 244) entschiedenen Fall steht im
vorliegenden Fall fest, daß die Organisation der Beklagten insoweit
erhebliche Mängel aufweist. Davon abgesehen ist der Senat auch der
Auffassung, daß aus dem späteren Verhalten der Rechtsvorgängerin
der Klägerin für den Schadensfall keine Rückschlüsse gezogen werden
können. Eine Würdigung der weiteren Beauftragung in dem vom OLG
Stuttgart angenommenen Sinne ist auch deshalb nicht gerechtfertigt,
weil aufgrund des Eintritts der Versicherung für deren
Rechtsvorgängerin kein wirtschaftlicher Schaden entstanden oder in
Zukunft zu befürchten ist und im übrigen für die weitere
Beauftragung wirtschaftliche Notwendigkeiten maßgeblich sein
können.
3. Der Höhe nach ist der Schaden unbestritten. Erstattungsfähig
sind auch die Kosten des HavarieKommissars. Dessen Einschaltung war
bereits deshalb notwendig, weil die Feststellungen der Beklagten
zum Schaden und zu dessen Umfang bei weitem nicht ausreichend
waren.
II. Der Zinsanspruch ist nur in Höhe von 5 % berechtigt. Die
Beklagte hat in zweiter Instanz den Zinsanspruch nach Grund und
Höhe bestritten. Die Klägerin hat für ihre Behauptung, sie sei in
der Lage, im maßgeblichen Zeitraum 8,8 % Zinsen auf ihrem
Regreßkonto zu erwirtschaften, keinen Beweis angetreten.
III. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 92
IV. Anlaß zur Zulassung der Revision bestand nicht. Der
Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, die Entscheidung
des Senats beruht auf der Rechtsprechung des BGH und einer Vielzahl
vom übereinstimmenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte zur
Prozeßförderungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei.
Besonderheiten insoweit im Hinblick auf das Warschauer Abkommen
bestehen nicht.
Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Wert der
Beschwer für die Beklagte: 28.599,82 DM