VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.11.1992 - 1 S 2727/91
Fundstelle
openJur 2013, 8436
  • Rkr:

1. Das Sinken eines Schiffes begründet für sich genommen keinen öffentlichen Notstand im Sinne des Feuerwehrrechts (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 18.11.1991, NJW 1992, 1470).

2. Durch einen Prozeßkostenhilfeantrag ausgelöste, vernünftige Zweifel an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Handlungsstörers können die Inanspruchnahme des Zustandsstörers rechtfertigen.

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des bei Stromkilometer fest vertäut im Neckar liegenden Schiffes. Am 2.9.1989 verständigte die Wasserschutzpolizei die Berufsfeuerwehr der Beklagten davon, daß das Schiff Schlagseite habe. Die Feuerwehr bewahrte das Schiff mit zwei Greifzügen und einem Seilzug vor dem Umstürzen, zwei Taucher schlossen die bereits unter Wasser befindlichen Fensterluken; außerdem wurde das Schiff mit Hilfe von 10 Tauchpumpen leer gepumpt, ausgelaufenes und teilweise auf dem Wasser schwimmendes Öl mit Ölbindemittel aufgenommen sowie eine Ölsperre gelegt. Das Gutachten des Sachverständigen vom 28.11.1989 kommt zu dem Ergebnis, daß das Sinken des Schiffes wegen des offenen Bullauges im Maschinenraum auf Steuerbordseite erfolgt sei. Unerklärlich bleibe allerdings, wie das Wasser durch das vor Eintritt des Absinkens ca. 10 cm über der Wasseroberfläche befindliche Bullauge in das Schiff habe gelangen können.

Mit Abgabebescheid vom 21.11.1989 (Buchungszeichen: 5.1190.900499.8) setzte die Beklagte die Kosten für den Feuerwehreinsatz auf DM 14.289,50 fest und forderte die Kläger zur Zahlung dieses Betrags bis 8.12.1989 auf.

Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.5.1990, über dessen Zustellung sich kein Nachweis in den Akten befindet, zurück und führte aus, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, die Eigentümer des Schiffes zum Ersatz der Kosten des Feuerwehreinsatzes heranzuziehen. Zwar hätte möglicherweise der damalige Pächter des Schiffes als Verhaltensstörer in Anspruch genommen werden können. Dies sei aber wegen der zunächst ungeklärten Gründe für das Sinken des Schiffes zurückgestellt worden. Auch wenn sich aus dem zwischenzeitlich vorliegenden Gutachten folgern lasse, daß das Sinken des Schiffes durch das Nichtverschließen des Bullauges in grob fahrlässiger Weise bewirkt worden sei, sei die Stadt aus Rechtsgründen nicht gehindert gewesen, die Eigentümer, die auch den überwiegenden Nutzen der Rettungsaktion gehabt hätten, auf Zahlung der entstandenen Einsatzkosten in Anspruch zu nehmen. Das Pachtverhältnis sei aufgelöst. Der frühere Pächter befinde sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten, wie aus dem Umstand deutlich werde, daß er in mehreren zivilgerichtlichen Verfahren Prozeßkostenhilfe beantragt habe.

Am 29.6.1990 haben die Kläger Klage erhoben und beantragt, den Abgabebescheid der Stadt Heidelberg vom 21.11.1989 i.d.F. ihres Widerspruchsbescheids vom 10.5.1990 aufzuheben. Mit Schriftsatz vom 9.8.1990 teilte die Beklagte mit, daß sie den angefochtenen Bescheid insoweit zurückgenommen habe, als mehr als 8.547,25 DM begehrt würden. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Kläger haben vorgetragen, der Einsatz der Feuerwehr sei unentgeltlich gewesen, da es sich um einen durch einen Unglücksfall verursachten öffentlichen Notstand gehandelt habe. Außerdem sei ihre Heranziehung ermessensfehlerhaft, da die Beklagte verkannt habe, daß das Kentern des Schiffes durch grob fahrlässiges Verhalten des damaligen Pächters verursacht worden sei. Es treffe nicht zu, daß dieser zahlungsunfähig sei.

Die Beklagte ist der Klage hinsichtlich des noch streitigen Betrags entgegengetreten und hat vorgetragen, es habe sich nicht um einen unentgeltlichen Einsatz der Feuerwehr gehandelt. Weder habe ein Unglücksfall noch ein öffentlicher Notstand vorgelegen. Die Inanspruchnahme der Kläger sei auch nicht ermessensfehlerhaft, da sich aus dem vorliegenden Gutachten ergebe, daß letztlich ungeklärt sei, wie das Wasser in das Schiff hineingelangt sei. So lange die Verantwortlichkeit des Pächters unklar sei, habe sie auf die Kläger als Eigentümer des Schiffes zurückgreifen dürfen.

Mit Urteil vom 9.8.1991 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen, soweit sie nicht für erledigt erklärt worden war, und ausgeführt, die Notlage des Schiffes sei nicht durch einen Unglücksfall verursacht worden. Die Inanspruchnahme der Kläger sei ermessensfehlerfrei erfolgt.

Gegen dieses Urteil haben die Kläger am 25.10.1991 Berufung eingelegt und vorgetragen, es habe ein öffentlicher Notstand vorgelegen. Die von dem Schiff an diesem Tag ausgehenden Gefahren hätten nicht nur die Eigentümer oder den Pächter des Schiffes, sondern in erheblichem Maße die Allgemeinheit betroffen und bedroht. Beim Eintreffen der Feuerwehr sei bereits Heizöl in den Neckar gelaufen, was die Errichtung einer Ölsperre und das Ausbringen von Ölbindemitteln erforderlich gemacht habe. Darüberhinaus habe die unmittelbar drohende Gefahr bestanden, daß weitere erhebliche Mengen Heizöl sowie an Bord befindliche Lacke, Farben, Lösungs- und Reinigungsmittel und Fäkalien ausliefen und zu einer schweren Gewässerverunreinigung führten. Außerdem habe eine erhebliche Gefahr für die Schiffahrt, die nicht geruht habe, bestanden. Das Schiff habe seine Stabilität verloren und sei mit den üblichen Festhalteeinrichtungen nicht mehr gegen ein Abrutschen in die Fahrrinne gesichert gewesen. Der Neckar sei in diesem Bereich stark befahren, wegen des nahen Schleusenbetriebes herrsche reger Begegnungsverkehr. Hinzu komme eine erhebliche Gefahr, für den in der Nähe angesiedelten Ruderclub und den Tretbootverleih. Dieser Notstand sei durch einen Unglücksfall hervorgerufen worden. Es sei kein Unterschied zu einem Verkehrsunfall erkennbar, der bei erheblicher Behinderung des Verkehrs in der Kommentarliteratur als Unglücksfall angesehen werde. Außerdem sei ihre Inanspruchnahme ermessensfehlerhaft. Da der Pächter das Sinken des Schiffes verursacht habe, sei er nach dem allgemeinen Grundsatz, daß der Verhaltensstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen sei, vorrangig zahlungspflichtig. Es stelle einen Ermessensfehlgebrauch dar, einen einzigen vom Pächter gestellten Prozeßkostenhilfeantrag, der überdies wieder zurückgenommen sei, zum Anlaß zu nehmen, sie - die Kläger - anstelle des Pächters ohne nähere Überprüfung in Anspruch zu nehmen.

Sie beantragen daher,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. August 1991 - 3 K 1590/90 - zu ändern und den Kostenbescheid der Beklagten vom 21.11.1989 i.d.F. ihres Widerspruchsbescheids vom 10.5.1990 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, bei dem Feuerwehreinsatz habe es sich nicht um eine Pflichtaufgabe nach § 2 Abs. 1 Satz 1 FwG gehandelt. Es habe kein durch einen Unglücksfall verursachter öffentlicher Notstand bestanden, vielmehr sei die Feuerwehr - freiwillig - tätig geworden, um in einer anderen Notlage Hilfe zu leisten. Indiz für das Bestehen einer erheblichen Gefahr der Verunreinigung des Grundwassers oder eines oberirdischen Gewässers sei die Auslösung eines Ölalarms. Die Gefahr des Losreißens und Abtreibens des Schiffes habe zum Zeitpunkt des Einschreitens nicht bestanden. Ergänzend beziehe sie sich auf ihre Darlegungen in der 1. Instanz sowie diejenigen im angefochtenen Urteil.

Dem Senat liegen die einschlägigen Verwaltungsakten, die Prozeßakten des Verwaltungsgerichts und die Akten der Staatsanwaltschaft Heidelberg vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Der Kostenersatzbescheid der Beklagten vom 21.11.1989 i.d.F. ihres Widerspruchsbescheids vom 10.5.1990 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 FwG kann der Träger der Gemeindefeuerwehr für die nicht unter § 36 Abs. 1 FwG fallenden Leistungen der Feuerwehr u.a. von dem Eigentümer der Sache, deren Zustand die Leistung erforderlich gemacht hat, Ersatz der Kosten verlangen. Die Kosten werden durch Verwaltungsakt festgesetzt (§ 36 Abs. 5 FwG). Die gesetzlichen Voraussetzungen dieses Ersatzanspruchs liegen vor.

Die Leistungen, für die die Beklagte als Trägerin der Feuerwehr (§ 3 Abs. 1 FwG) von den Klägern Kostenersatz fordert, sind nicht im Rahmen der Pflichtaufgaben erbracht worden, die der Feuerwehr gemäß § 2 Abs. 1 FwG kraft Gesetzes obliegen und grundsätzlich unentgeltlich sind (§ 36 Abs. 1 Satz 1 FwG). Durch den Wassereinbruch und die Krängung des Schiffes am 2.9.1989 ist kein öffentlicher Notstand im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 FwG verursacht worden, bei dem die Feuerwehr kraft Gesetzes Hilfe zu leisten und den Einzelnen sowie das Gemeinwesen vor drohenden Gefahren zu schützen hat. Ein durch einen Unglücksfall verursachter öffentlicher Notstand liegt nur bei einem Gefahren- oder Schadensereignis vor, von dem die Allgemeinheit unmittelbar betroffen ist. Unter Allgemeinheit ist eine unbestimmte und nicht bestimmbare Zahl von Personen zu verstehen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.11.1991 - 1 S 269/91 -, NJW 1992, 1470; Surwald, Feuerwehrgesetz für Bad.-Württ., 6. Aufl., § 2 RdNr. 5). Weder das ausgelaufene Öl noch der Umstand, daß sich an Bord noch mehr Öl sowie Lacke, Farben, Lösungsmittel und Fäkalien befanden, rechtfertigt die Annahme eines öffentlichen Notstandes. Nicht jede Verunreinigung eines Gewässers begründet einen öffentlichen Notstand. Ein solcher kann in diesem Fall nur angenommen werden, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Trinkwasserversorgung oder andere bedeutende Rechtsgüter der Allgemeinheit gegeben ist. Eine unmittelbare Gefahr setzt eine Situation voraus, bei der der Eintritt des Schadens in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerwGE 45, 51, Mußmann, Allgemeines Polizeirecht in Bad.-Württ., 1989, RdNr. 167 m.w.N.;). Abstrakte Möglichkeiten reichen hierfür nicht aus. Im vorliegenden Fall ist kein konkreter Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung einer Gefahr ausgesetzt war.

Weiterhin stellt auch eine durch die Notlage des Schiffes etwa hervorgerufene Gefährdung des Schiffsverkehrs keinen öffentlichen Notstand dar. Wie der Senat in seiner bereits genannten Entscheidung hinsichtlich eines Unfalls im Straßenverkehr ausgeführt hat, reicht für die Annahme eines öffentlichen Notstands eine Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Verkehrsteilnehmern nicht aus. Nichts anderes gilt vorliegend. Eine Gefahr bestand allenfalls für die Schiffe, die in den Morgenstunden das Schiff passierten, wobei nicht unberücksichtigt bleiben kann, daß eine derartige Gefährdung durch eine Sperrung der Berg- und Talfahrt von 7.10 Uhr bis 8.00 Uhr durch die Wasserschutzpolizei erheblich gemindert war. Außerdem führte auch die (vorübergehende) Stillegung des Schiffsverkehrs nicht zu einem öffentlichen Notstand.

Die Heranziehung der Kläger zum Ersatz des Feuerwehreinsatzes ist auch im übrigen rechtmäßig.

Der Feuerwehreinsatz selbst begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Gemäß § 2 Abs. 2 FwG kann die Feuerwehr u.a. auch bei anderen Not-lagen zur Hilfeleistung für Menschen und Tiere und zur Hilfeleistung für Schiffe herangezogen werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor. Einer Übertragung der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 2 Abs. 2 FwG auf die Feuerwehr durch Satzung oder Einzelanordnung des Bürgermeisters als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Einsatzes bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Die Feuerwehr handelte aufgrund einer Gefahrmeldung nach § 31 Abs. 1 FwG, die ihren Einsatz ohne besonderen Auftrag des Bürgermeisters auslöst (Begründung des Gesetzentwurfs zur vergleichbaren Regelung des § 32 FwG in seiner ursprünglichen Fassung v. 6.2.1956, abgedruckt in der Beilage 1055 im Verzeichnis der Beilagen zu den Sitzungsprotokollen des Landtags von Bad.-Württ., 1. Wahlperiode 1952 bis 1956).

Liegen danach die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erhebung der Feuerwehrkosten vor, so ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln. Die Beklagte hat mit der Inanspruchnahme der Kläger von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 114 VwGO). Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, daß die Beklagte die Kläger als Eigentümer und nicht den Pächter des Schiffes als Verhaltensstörer zum Ersatz der Kosten herangezogen hat. Zwar ist grundsätzlich der Verhaltensstörer in Anspruch zu nehmen, wenn der Feuerwehreinsatz durch das Verhalten einer Person verursacht wird (VGH Bad.-Württ., a.a.O.; Surwald, a.a.O., § 36 RdNr. 22). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Verursachung einer Gefahr oder eines Schadens durch den Verhaltensstörer eindeutig geklärt ist. Ein gesetzliches Rangverhältnis zwischen Verursachungsstörer und Zustandsstörer ist § 36 Abs. 2 FwG aber nicht zu entnehmen. Die Behörde ist nicht gehindert, den Gesichtspunkt der finanziellen, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Interesse eines möglichst umfassenden, kostendeckenden und effektiven Kostenersatzes in ihre Auswahlentscheidung einfließen zu lassen. Sie hat ihre Entscheidung insoweit aber auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage zu treffen und darf von der Leistungsunfähigkeit eines Betroffenen nicht ohne nähere Überprüfung ausgehen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.6.1989, VBlBW 1990, 31; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 1.10.1991, NVwZ-RR 1992, 350). Ausweislich der Gründe des Widerspruchsbescheids hat sich die Behörde davon leiten lassen, daß sich der (ehemalige) Pächter des Schiffes in finanziellen Schwierigkeiten befinde, wie sich aus verschiedenen Prozeßkostenhilfeanträgen ergebe. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Behörde danach die Leistungsunfähigkeit des Verhaltensstörers nicht einfach unterstellt, sondern in ausreichendem Umfang Tatsachen ermittelt, aus denen sich wirtschaftliche Schwierigkeiten des Verhaltensstörers ergeben.

Bedenken gegen die Höhe des derzeit noch streitigen Kostenersatzes sind weder ersichtlich noch geltend gemacht worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.