OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2021 - 11 U 169/20
Fundstelle
openJur 2021, 20348
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 O 501/19

Nach § 4 StrReinG NRW kann eine Gemeinde die Verpflichtung zur Reinigung und Winterwartung der Fahrbahnen und Gehwege nur bei einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße auf die Anlieger übertragen.

Tenor

I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 27.10.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

II. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder mitzuteilen, ob die Berufung aus Kostengründen zurückgenommen wird.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus Anlass eines von ihr am 20.01.2016 erlittenen Glätteunfalls aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Außerdem begehrt sie die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten für alle ihr zukünftig noch aus dem Unfall entstehenden immateriellen und materiellen Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Beklagten sind zu je ½ Miteigentümer des Grundstücks A-Weg ... in B. Das Haus war zum Unfallzeitpunkt bereits errichtet, der vor dem Hausgrundstück verlaufende A-Weg selbst aber noch nicht ausgebaut. Er bestand zu diesem Zeitpunkt aus einem asphaltierten Mittelstreifen und sich daran an beiden Seiten bis zu den angrenzenden Grundstücken anschließendem geschotterten Seitenstreifen. Ein links von dem Grundstück der Beklagten verlaufender kombinierter Geh-/Radweg bestand zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nur aus einer geschotterten Fläche.

Nach ihrem erstinstanzlichen Vortrag will die Klägerin auf dem vor dem Grundstück der Beklagten geschotterten Seitenstreifen in Höhe der Mitte der Einmündung des kombinierten Geh-/Radweges wegen einer dort vereisten Pfütze zu Fall gekommen sein und sich dabei erheblich verletzt haben. Die Klägerin hat insoweit die Ansicht vertreten, dass es sich bei dem geschotterten Bereich um den Gehweg gehandelt habe und die Beklagten für diesen aufgrund der seinerzeit gültigen Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt B verkehrssicherungspflichtig und dabei insbesondere zur Beseitigung der vorhandenen Glättestelle verpflichtet gewesen seien.

Das Landgericht hat nach Einholung einer amtlichen Auskunft der Stadt B die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es schon an einer wirksamen Übertragung des Winterdienstes von der Stadt B auf die Beklagten fehle, weshalb letztlich dahinstehen könne, wo sich der Sturz der Klägerin genau ereignet habe. Denn nach § 1 Ziffer 1 und 2 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt B finde die Winterwartung nur im Bereich der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen, Wege und Plätze (öffentlichen Straßen) statt. Öffentliche Straßen seien nach § 2 Abs. 1 S. 1 StrWG NRW aber nur die dem öffentlichen Verkehr "gewidmeten" Flächen. Die Legaldefinition des § 2 StrWG NRW gelte auch für den Begriff der öffentlichen Straße im Sinne von § 1 StrReinG NRW. Vorliegend sei aber eine Widmung nach § 6 StrWG NW nicht erfolgt, so dass keine öffentliche Straße im Sinne des Straßengesetzes vorliege. Bei nicht gewidmeten Flächen, die durch Entscheidung des Eigentümers der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden, obliege diesem die Verkehrssicherungspflicht nach dem BGB.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts einschließlich der erstinstanzlichen Anträge, der vom Landgericht getroffenen Feststellungen sowie der Urteilsbegründung wird auf das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts vom 27.10.2020 Bezug genommen.

Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Sie vertritt die Ansicht, dass das Landgericht rechtsirrig davon ausgegangen sei, dass die Stadt B ihre Verkehrssicherungspflicht nicht auf die Beklagten übertragen habe. Die Stadt B habe mit § 2 Abs. 2 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung von der ihr mit § 4 Abs. 1 S. 1 StrReinG NRW eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, die Reinigungspflicht für die Gehwege auf die Anlieger zu übertragen. Hierfür habe es einer Widmung der Straße bzw. der Gehwege nicht bedurft. Entgegen der Ansicht des Landgerichts gelte die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 StrWG NRW nicht für den Begriff der öffentlichen Straße im Sinne des Straßenreinigungsgesetzes NRW. § 2 Abs. 1 StrWG NRW spreche explizit von Straßen "im Sinne dieses Gesetzes". Diese Angaben fehle im StrReinG NRW, weshalb sich dieses nicht lediglich auf gewidmete, sondern auf alle öffentlich zugänglichen Straßen beziehen. Insoweit sei der Terminus "öffentliche Straße" im Sinne des StrReinG NRW untechnisch zu verstehen. Ebenso sei unschädlich, dass der A-Weg seinerzeit nicht in dem in § 2 Abs. 1 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung genannten Straßenverzeichnis aufgeführt gewesen sei. Denn mit § 2 Ziffer 2 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung sei die Reinigungspflicht für die selbständigen und unselbständigen Gehwege den Anliegern ohne Bezugnahme auf das Straßenverzeichnis übertragen worden. Daher habe die Übertragung des Winterdienstes bezüglich des kombinierten Rad-/Gehweges, auf dem sich der Unfall ereignet habe, wirksam stattfinden können.

Die Klägerin hat angekündigt, zu beantragen,

unter Abänderung des am 27.10.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Paderborn (Az. 2 O 501/19)

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2019 zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von 2.795,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2019 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 20.01.2016 auf dem A-Weg in B zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.590,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben angekündigt, zu beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie haben auf die Berufung bislang nicht erwidert.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber nach einstimmiger Überzeugung des Senats in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Die Rechtssache hat zudem weder grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO); auch eine mündliche Verhandlung vor dem Senat ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1. Nr. 4 ZPO).

Die mit der Berufung gegen das angefochtene Urteil erhobenen Einwände tragen weder im Sinne des § 513 Abs. 1 ZPO die Feststellung, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO), noch, dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagten deshalb nicht für die Unfallfolgen der Klägerin haften, weil keine Übertragung der Winterdienstes auf sie stattgefunden hat.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist mit der zum Unfallzeitpunkt geltenden Regelung des § 2 Abs. 2 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt B keine Übertragung des Winterdienstes für den A-Weg, eines etwaigen diesen schon damals begleitenden Gehweges und/oder des seitlich von dem Grundstück der Beklagten verlaufenden kombinierten Geh-/Radweges auf die Beklagten erfolgt.

Dies gilt schon deshalb, weil die in § 4 StrReinG NRW geregelte Ermächtigung der nach § 1 StrReinG NRW reinigungspflichtigen Gemeinde, die Reinigungspflicht einschließlich der Winterwartung auf die Anlieger zu übertragen, nur so weit reicht wie ihre eigene Reinigungspflicht (Kodal, Handbuch des Straßenrechts, 8. Auflage 2021, Kapitel 42 Rn. 38). Die der Stadt B gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StrReinG NRW obliegende Verpflichtung zur Reinigung und Winterwartung der öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslagen erstreckt sich aber nur auf die öffentlichen Verkehr "gewidmeten" Straßen, Wege und Plätze. Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass in § 1 StrReinG NRW nur von "öffentlichen Straßen" die Rede ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen ist für die Auslegung des Straßenbegriffs im straßenreinigungsrechtlichen Sinne aber auf die straßenrechtlichen Begriffskategorien zurückzugreifen (OVG NRW, Urteil vom 18.03.1996, 9 A 3703/93 - Rz 28 m.w.Nw.; OVG NRW, Urteil vom 12.02.2016, 9 A 2906/12 - Rz. 25 f. juris). Das heißt, dass die Legaldefinitionen des § 2 StrWG NRW auch für das StrReinG NW gelten (so OVG NRW, Urteil vom 18.03.1996, 9 A 3703/93 für § 2 Abs. 2 Nr. 1 b StrWG NRW). Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 StrWG NW gehören zu den "öffentlichen Straßen" aber nur diejenigen Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr "gewidmet" sind. Dabei kommt der Widmung konstitutive Wirkung zu, so dass allein die Benutzung der Verkehrsfläche durch die Allgemeinheit nicht zu deren Einstufung als öffentliche Straße führt (VG Düsseldorf, Urteil vom 02.12.2011, 17 K 3718/10 - Rz. 24; Hengst/ Majchorek, Kommentar zum Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, § 6 Anm. 1). Seit dem Inkrafttreten des StrWG NRW am 01.01.1962 kann eine öffentliche Straße nur noch durch ausdrückliche Widmung i.S.d. § 6 Abs. 1 StrWG entstehen (VG Düsseldorf, a.a.O. - Rz. 53). Eine solche ausdrückliche Widmung hat es aber vorliegend nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts, nämlich der von diesem eingeholten amtlichen Auskunft der Stadt B (Blatt 135 der Akten) bis zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens am 20.01.2016 weder für den A-Weg noch den kombinierten Geh-/Radweg gegeben.

Abgesehen davon wurde auch von der Stadt B folgerichtig mit deren damaliger Straßenreinigungs- und Gebührensatzung allein die Reinigung und Winterwartung der den öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen, Wege und Plätze geregelt. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Satzung heißt es ausdrücklich, dass die Stadt die Reinigung der dem öffentlichen Verkehr "gewidmeten” Straßen, Wege und Plätze (öffentlichen Straße) innerhalb der geschlossenen Ortslage betreibt. Allein in diesem Anwendungsbereich der Satzung wurde von ihr ein Teil der ihr nach § 1 Absatz 1 Satz 1 und Abs. 3 der Satzung obliegenden Aufgaben mit § 2 der Satzung auf die Anlieger übertragen.

Mangels Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten erweist sich damit die Klage und damit auch die Berufung als insgesamt offensichtlich unbegründet.

Die Berufung ist nach Erlass des Hinweisbeschlusses zurückgenommen worden.

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