ArbG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2021 - 14 Ca 7516/20
Fundstelle
openJur 2021, 19792
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 11.11.2020 unter Einhaltung der sozialen Auslauffrist nicht aufgelöst wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Der Streitwert beträgt 10.521,54 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

Die Beklagte betreibt ein internationales Luftfahrtunternehmen mit Drehkreuzen (sogenannte HUBs) in Frankfurt und München, sowie acht dezentralen Stationen, unter anderem in Düsseldorf. Für die dezentrale Station und weitere Teilbereiche des Unternehmens der Beklagten in Düsseldorf ist ein einheitlicher Betriebsrat gebildet. Bei der Beklagten handelt es sich um die Konzernobergesellschaft der M. Gruppe mit Sitz in Frankfurt. Die Beklagte ist tarifgebunden. In Düsseldorf werden regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. An den dezentralen Stationen - so auch in Düsseldorf - führt die Beklagte flugvorbereitende Abfertigungstätigkeiten aus. In der dezentralen Station in Düsseldorf wird ein "(...)" beschäftigt.

Die Klägerin ist seit dem 02.04.1997 als "(...)" am Flughafen Düsseldorf beschäftigt. Die Bruttomonatsvergütung der Klägerin belief sich zuletzt auf 3.507,18 Euro. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80. Ferner ist sie Mitglied des bei der Beklagten für den Betrieb in Düsseldorf gebildeten Betriebsrates sowie Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.

Bei der Beklagten kommen - soweit für den vorliegenden Rechtsstreit relevant - unter anderem folgende kollektivrechtliche Regelungen zur Anwendung:

- Manteltarifvertrag für das Bodenpersonal Nr. 14 vom 01.10.2015 - MTV Nr.14 - (Anlage B1)

- Tarifvertrag Schutzabkommen Boden vom 18.04.1980 idF vom 01.10.1995 - TV-S Boden - (Anlage B2)

- Konzernbetriebsvereinbarung Interessenausgleich und Sozialplan vom 20.11.1992 idF vom 01.01.2001 - KBV IA SP - (Anlage B4)

- Betriebsvereinbarung Konzern-Vermittlungsprozess (Clearingverfahren) vom 27.09.2012 - KBV Clearing - (Anlage B5)

- Betriebsvereinbarung Soziale Auswahlrichtlinien vom 20.11.1992 (Anlage B6)

- Interessenausgleich und Sozialplan vom 23.10.2015 (Anlagen B9 und B10)

Nach § 41 Abs. 3 MTV Nr.14 ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren ordentlich unkündbar. Der TV-S Boden beinhaltet soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung folgende Regelungen:

"§ 2 Zielsetzung

Die Tarifvertragsparteien stimmen überein, dass die Sicherung der Beschäftigungsverhältnisse eine vorrangige Bedeutung hat. Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses mit einem von einer Maßnahme nach §§ 3 und 4 betroffenen Mitarbeiter zu geänderten angemessenen Bedingungen im E.-Konzern ist daher vornehmliches Ziel der nachfolgenden Vorschriften.

§ 3 Betriebliche Veränderungen für erhebliche Teile der Belegschaft

Als Maßnahme im Sinne des Tarifvertrages gelten Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können.

[...]

§ 6 Einschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts

(1) Bewirkt eine Maßnahme nach § 3, dass die bisherige Tätigkeit eines Mitarbeiters in Quantität und/oder Qualität ganz oder überwiegend entfällt, ist eine Kündigung durch den Arbeitgeber gleichwohl nicht zulässig, wenn die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters unter geänderten angemessenen Vertragsbedingungen auf einem anderen zumutbaren Arbeitsplatz im Konzern (E.) möglich ist und der Mitarbeiter dazu sein Einverständnis erklärt hat, insbesondere

a) wenn der Mitarbeiter auf einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb innerhalb des Konzerns am gleichen oder einem anderen Ort in seiner bisherigen Tätigkeit oder in einer anderen zumutbaren Tätigkeit weiterbeschäftigt werden kann,

b) wenn eine Weiterbeschäftigung im Sinne des Buchstaben a) nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen möglich ist und ein Mitarbeiter sein Einverständnis zu Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen erklärt hat.

[...]

(3) Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit im Sinne der Vorschriften der Absätze (1) und (2) sind neben beruflichen und wirtschaftlichen Umständen auch die sozialen Belange des Betroffenen im Verhältnis zu den sozialen Belangen anderer Beteiligter ausreichend zu berücksichtigen. Die Zumutbarkeit des Einsatzes auf einem anderen Arbeitsplatz wird für jeden Fall unterstellt, wenn sie nach den Maßstäben des Arbeitsförderungsgesetzes (einschließlich ergänzender Regelungen) bzw. der Reichsversicherungsordnung (Verweisungsberufe) gegeben ist.

[...]

(5) Bewirkt eine Maßnahme nach §§ 3 und 4, dass der bisherige Arbeitsplatz eines Mitarbeiters, der eine Beschäftigungszeit von 15 Jahren vollendet hat, entfällt, bleibt dessen Kündigung gleichwohl ausgeschlossen. E. sind zur Übertragung anderer angemessener Aufgaben verpflichtet.

[...]

§ 11 Wiedereinstellung

(1) Werden für Arbeitsplätze im Konzern Einstellungen vorgenommen, sind ehemalige Mitarbeiter des Konzerns, die aufgrund einer Maßnahme im Sinne des § 3 entlassen worden sind, anderen (externen) Bewerbern bei gleicher Qualifikation und Eignung vorzuziehen, wenn seit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als 36 Monate vergangen sind."

Die Regelungen im TV-S Boden werden durch die KBV IA SP konkretisiert. Gemäß § 3 KBV IA SP werden durch Personalabbau freiwerdende Stellen nur dann neu besetzt, wenn dies zur Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Betriebs unerlässlich ist. § 4 KBV IA SP lautet auszugsweise:

"§ 4 Vermittlung freier Arbeitsplätze

Gemäß § 3 zu besetzende, freie Arbeitsplätze werden auf der Grundlage der BetrVbgen "Stellenausschreibung” und "Auswahlrichtlinien” ausgeschrieben, sofern sie nicht durch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter besetzt werden können, deren Arbeitsplatz entfallen ist. Vorrangig sollen Arbeitsplätze am gleichen Ort, im selben Betrieb, einem anderen Unternehmensbetrieb oder bei anderen Konzerngesellschaften, nachrangig überörtlich im Unternehmens- und Konzernbereich angeboten und vermittelt werden."

Die Beklagte fasste am 07.07.2015 den Beschluss, alle dezentralen Stationen und damit auch die Station in Düsseldorf zu schließen. Hierzu schloss die Beklagte am 08.07.2015 mit allen lokalen Betriebsräten eine Rahmenvereinbarung (Anlage B8). Zur Umsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung und Betriebsänderung schloss die Beklagte mit dem lokalen Betriebsrat in Düsseldorf unter dem 23.10.2015 einen Interessenausgleich (Anlage B9) und einen Sozialplan (Anlage B10). Die Betriebsparteien einigten sich auf den 31.05.2021 als Termin für die Schließung der Station in Düsseldorf.

Soweit für den hiesigen Rechtsstreit relevant enthält der Sozialplan unter anderem folgende Regelungen:

"2. Geltung der Konzernbetriebsvereinbarung "Interessenausgleich und Sozialplan"

Die Konzernbetriebsvereinbarung Interessenausgleich und Sozialplan vom 20.11.1992 in der Fassung vom 01.01.2001 findet grundsätzlich Anwendung, soweit in diesem Sozialplan keine abweichenden Regelungen und Vereinbarungen getroffen worden

3. Sozialverträgliche HR-Maßnahmen zur Unterstützung der Fluktuation:

Die Betriebspartner sind sich einig, dass dieser Sozialplan das Ziel hat, betriebsbedingte Beendigungskündigung zu vermeiden und den notwendigen Personalabbau möglichst sozial verträglich zu gestalten.

a) HR-Maßnahmen

(6) HUB Wechsel

E. bietet allen Mitarbeitern der Station DUS ST im Rahmen ihrer betrieblichen Möglichkeiten gleichwertige Arbeitsplätze an den HUBs Frankfurt und München an und unterstützt sie bei einem Wechselwunsch.

Mitarbeiter, die bis zum 31.05.2016 verbindlich ihren Wechselwunsch gegenüber dem zuständigen Personalmanagement anzeigen und bis zum 30.06.2016 den Wechsel nach München oder Frankfurt vollziehen haben einen Anspruch auf den Wechsel in eine vergleichbare Funktion. [...]

[...]

(7) Boden-Bord Wechsel

Den Mitarbeitern der Station Düsseldorf wird außerdem ein Wechsel in die Kabine zu den dort geltenden Tarifbedingungen angeboten. Ein Wechsel in die Kabine kann nur dann erfolgen, wenn der Mitarbeiter die erforderlichen Einstellungsvoraussetzungen der Kabine (...) erfüllt.

[...]

4. Clearing

Das Mitarbeiterclearing wird zum 01.06.2020 eröffnet. Dem Clearingverfahren unterliegen alle Mitarbeiter, die keine zum Zeitpunkt der Schließung der Station das aktive Arbeitsverhältnis beendende HR-Maßnahme gemäß Ziffer 3 a) [...] in Anspruch genommen haben und die damit aufgrund des Entfalls des Arbeitsplatzes zum Schließungszeitpunkt von einer betriebsbedingten Kündigung bedroht sind. Dem Clearingverfahren unterliegen außerdem alle Mitarbeiter, die nicht zum Schließungszeitpunkt aus dem Unternehmen ausscheiden werden oder bereits ausgeschieden sind.

Die Umsetzung des Clearingverfahrens erfolgt gemäß der Betriebsvereinbarung Konzern-Vermittlungsprozess (Clearingverfahren) vom 27.09.2012.

Ziel des Clearingverfahrens ist es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und Mitarbeitern alternative Beschäftigungsangebote innerhalb des Konzerns zu unterbreiten.

[...]

Sollte eine Vermittlung im Rahmen des Clearingverfahrens auf einen zumutbaren Arbeitsplatz nicht möglich sein oder ein Mitarbeiter einen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnen, so kann E. als Ultima Ratio das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigen."

Bis zum 31.05.2016 zeigten insgesamt 11 Mitarbeiter der Station Düsseldorf einen Wechselwunsch bei der Beklagten an (Anlage B12). Die Klägerin zeigte bis zum 31.05.2016 keinen Wechselwunsch an.

Die in Ziffer 4 des Sozialplans in Bezug genommene KBV Clearing bestimmt u.a.:

"§ 3 Ablauf des Vermittlungsprozesses

Als Vorbereitung des Vermittlungsprozesses ist für den konkret vom Arbeitsplatzverlust bedrohten Mitarbeiterkreis der von der Betriebsänderung betroffenen Gesellschaft mit dem Betriebspartner abgestimmte, anonymisierte Qualifikationsliste zu erstellen. Hierin sind Informationen über dessen Qualifikationsprofil einzutragen:

1. Mitarbeiterclearing

Sobald der konkrete vom Arbeitsplatzverlust bedrohten Mitarbeiterkreis feststeht und die Qualifikationsliste vorliegt, wird durch Eröffnung des Mitarbeiterclearings die Vermittlungstätigkeit aufgenommen. Die zentrale Clearingstelle stellt dem Personalnetzwerk der Konzerngesellschaften konkrete Informationen über den zu vermittelnden Mitarbeiterkreis (Informationsliste) sowie Kontaktdaten der lokalen Vermittlungsstelle zur Verfügung. Ab sofort sind die betroffenen Mitarbeiter bevorzugt auf geeignete und zumutbare freie Stellen in den Konzerngesellschaften zu vermitteln. Mit Beginn des Mitarbeiterclearing werden alle freien Stellen der Konzerngesellschaften vor Ausschreibung oder Besetzung unter Ausschreibungsverzicht der ZZCS und LVS zur Überprüfung auf Besetzbarkeit zur Verfügung gestellt. Dies gilt für intern und/oder extern auszuschreiben Stellen.

Die LVS hat max. 5 Arbeitstage (Mo-Fr) Zeit, die Stelle auf Besitzzeit mit einem am Vermittlungsverfahren teilnehmenden Mitarbeiter zu überprüfen. Besteht die Möglichkeit einer Besetzung, benennt die LVS dem Mitarbeiter die Stelle. Kann für die Stelle kein Besetzungsvorschlag gemacht werden, gibt die LVS die Stelle für den Stellenausschreibung bzw. Besetzungsprozess wieder frei. Näheres zum Arbeitsplatzangebot regelt § 4 dieser Vereinbarung.

2. Notarielles Clearing

Vor Beendigung des Vermittlungsprozesses erfolgt bei den vorgenannten Konzerngesellschaften eine durch die ZCS initiierte letztmalige unverbindliche Abfrage geeigneter Beschäftigungsmöglichkeiten für die nicht vermittelten Mitarbeiter. Kann nach Abschluss des notariellen Clearings keine geeignete und zumutbare Weiterbeschäftigung angeboten werden, wird der Vermittlungsprozess beendet.

Bezüglich der am Clearingverfahren teilnehmenden Konzerngesellschaften wird auf die Ausführungen der Beklagten in ihrer Klageerwiderung vom 08.03.2021, dort auf Seite 16 ff. nebst Anlagen (B14 bis B27) verwiesen.

Am 22.05.2020 erhielten die Mitarbeiter postalisch eine Information über die Eröffnung des Clearings und der damit verbundenen Rechte und Pflichten. Mit Schreiben vom 06.07.2020 teilte die Beklagte dann mit, dass das Clearingverfahren gescheitert sei und für die betroffenen Arbeitnehmer nur die Option des Ausscheidens gegen Zahlung einer Abfindung und als letztes Mittel der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen bestehe (Anlagenkonvolut BA).

Zuvor hatte die Beklagte das Clearingverfahren vorbereitet, indem sie mit Schreiben vom 06.02.2020 die betroffenen Arbeitnehmer zur Aktualisierung ihrer Qualifikationsdaten aufgefordert hatte (Anlage B28) und das Clearingverfahren zum 01.06.2020 formell eröffnete. Das abschließende sogenannte "notarielle Clearing" eröffnete die Beklagte durch E-Mailabfrage vom 27.08.2020 (Anlage B29). Hierzu wurde mit E-Mail vom 28.08.2020 eine aktualisierte Qualifikationsliste übersendet (Anlage B29). Nach Rückmeldung der Konzerngesellschaften (Anlage B31) wurde das Clearingverfahren durch die Beklagte am 10.09.2020 abgeschlossen (Anlage B32).

Gleichzeitig mit dem Clearing nach der KBV Clearing führte die Beklagte das Clearing nach § 6 TV-S Boden durch. Hiernach ist vor Kündigungsausspruch zu prüfen, ob bei diversen Konzerngesellschaften eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zumindest in Form einer zumutbaren Tätigkeit besteht. Da der TV-S Boden keine Vorschriften über das Procedere des Clearings enthält, führte die Beklagte das Clearing nach Maßgabe von § 6 TV-S Boden gemeinsam mit dem Clearing nach Maßgabe der KBV Clearing durch.

Am 10.09.2020 leitete die Beklagte gegenüber dem Gesamtbetriebsrat das Konsultationsverfahren gemäß § 17 KSchG ein (Anlage B68). Eine erste Beratung mit dem Gesamtbetriebsrat und Vertretern der Beklagten fand am 15.09.2020 statt. Am 16.09.2020 übersandte der Gesamtbetriebsrat eine Fragenliste an die Beklagte (Anlage B71), welche die Beklagte mit E-Mail vom 22.09.2020 beantwortete (Anlage B72). Mit E-Mail vom 24.09.2020 (Anlage B74) schrieb der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats an die Beklagte:

"Folgende konkrete Vorschläge zur Verhinderung von Kündigungen bzw. Abmilderung durch soziale Maßnahmen haben wir ihnen bereits vor und auch im Rahmen des Konsultationsverfahren § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG unterbreitet:

1. An Ihrer Zusage festzuhalten und die betroffenen Mitarbeiter an die HUBs zu versetzen und sie dort - wie viele andere Mitarbeiter - in Kurzarbeit zu entsenden. Dies haben sie nach eigenen Aussagen im Vorfeld bereits mit der Bundesagentur für Arbeit geprüft und es ist ihnen positiv beschieden worden."

Mit E-Mail vom gleichen Tage antwortete Herr I. für die Beklagte an den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats folgendes:

"Wir haben geprüft, ob eine Versetzung der Mitarbeiter an die HUBs stattfinden kann, sehen hierzu aber keine Möglichkeiten. Unzutreffend ist, dass wir eine Bestätigung der Bundesagentur für Arbeit haben, dass genau dieses konkrete Vorhaben, das Kurzarbeitergeld nicht gefährden würde und auch für die versetzten Mitarbeiter ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld bestünde."

Nach diversen weiteren Vorschlägen und Beratungen (Anlagen B74 bis B76) gab der Gesamtbetriebsrat noch am 24.09.2020 eine als "abschließende Stellungnahme" bezeichnete Stellungnahme zu den geplanten Kündigungen ab.

Am 25.09.2020 erstattete die Beklagte die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit in Düsseldorf für die dezentrale Station in Düsseldorf (Anlage B78). Die Agentur für Düsseldorf bestätigte den Eingang der Massenentlassungsanzeige noch am 25.09.2020 (Anlage B 79). Vorsorglich erstattete die Beklagte eine weitere Massenentlassungsanzeige für die dezentrale Station in Düsseldorf unter Einbeziehung der Unternehmenseinheiten vor Ort.

Mit Schreiben vom 07.10.2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung des mit der Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 12.10.2020. Ebenfalls mit Schreiben vom 07.10.2020 hörte die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin an. Die Schwerbehindertenvertretung widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 23.10.2020 beantragte die Beklagte die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt. Bis zum Ablauf der Zweiwochenfrist am 07.11.2020 traf das Integrationsamt keine Entscheidung über den Antrag, was der Beklagten mit Bescheid vom 09.11.2020, der den Eintritt der Fiktionswirkung feststellt, mitgeteilt wurde.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 11.11.2020 außerordentlich mit Auslauffrist zum 30.06.2021 (Anlage K2).

Die Beklagte sprach in Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung insgesamt mindestens 144 Kündigungen aus. In Düsseldorf wurden 27 Kündigungen ausgesprochen. In ca. 140 Fällen wurde Kündigungsschutzklage erhoben. In diversen Fällen, in denen die Beklagte Kündigungen gegenüber Mitarbeitern in Altersteilzeit ausgesprochen hatte, wurden Vergleiche abgeschlossen oder die Beklagte nahm die Kündigungen zurück und führt die Altersteilzeitverträge fort.

Mit ihrer am 24.11.2020 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung, die sie in Ermangelung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB für unwirksam hält.

In Düsseldorf bestünde neben der dezentralen Station noch eine weitere Unternehmenseinheit (sog. Stadtbüro), welches nicht geschlossen werde. Es läge somit schon keine Betriebsschließung vor, da die verbleibenden Abteilung und die dezentrale Station in Düsseldorf als ein Betrieb im Sinne des KSchG und des BetrVG anzusehen seien, für den ein einheitlicher Betriebsrat bestehe. Auch die dezentrale Station in Düsseldorf werde nicht zum 31.05.2021 vollständig geschlossen, da mehrere Mitarbeiter über den Schließungszeitpunkt hinaus weiterbeschäftigt würden. Die Klägerin bestreitet, dass der "(...)" in Düsseldorf berechtigt sei, selbstständig über Einstellungen und Entlassungen entscheiden zu dürfen oder sonstige Personalentscheidungen treffen dürfe.

Die Darstellung des Clearing-Verfahrens sei jedenfalls für die Station Düsseldorf nicht zutreffend, insbesondere nicht in Bezug auf die Klägerin. Das Verfahren habe nur knapp drei Monate angedauert, ohne dass es in dieser Zeit zu vermittelnden Aktivitäten der Beklagten gekommen sei. Im Rahmen des Clearingverfahrens wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, der Klägerin zumutbare freie Arbeitsplätze auch bei anderen Konzernunternehmen der Beklagten anzubieten

Hinsichtlich der von der Beklagten vorgetragenen Prognosen zu den Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für die nächsten Jahre handele es sich allenfalls um Vermutungen. Die allgemeine Unsicherheit im Hinblick auf die Auswirkungen der Pandemie auf die Luftfahrtunternehmen sei nicht geeignet, eine so gesicherte Prognose abzugeben, wie es die Beklagte getan habe.

Die Klägerin bestreitet das Vorbringen der Beklagten zum Konsultationsverfahren mit Nichtwissen. Schließlich rügt die Klägerin die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung und der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung. Es fehle in beiden Anhörungen der Hinweis darauf, dass die Klägerin Betriebsrätin sei. Zudem sei die Unterrichtung im Hinblick auf die betrieblichen Verhältnisse in Düsseldorf nicht ordnungsgemäß erfolgt. Schließlich sei die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß erfolgt, da eine Einbeziehung des Stadtbüros der Beklagten in Düsseldorf nicht erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 11.11.2020 unter Einhaltung der sozialen Auslauffrist weder zum 30.06.2021 noch zu einem anderen Zeitpunkt beendet wird, sondern ungekündigt fortbesteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Kündigung für wirksam. Aufgrund der unternehmerischen Entscheidung, die dezentralen Stationen zu schließen, sei der Arbeitsplatz der Klägerin in Wegfall geraten. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestünden für die Klägerin nicht, da die Stellen entweder nicht frei, nicht vergleichbar, die Klägerin hierfür nicht geeignet sei, die Stelle bereits vor Beginn des Clearingverfahrens besetzt worden sei oder es sich bei den Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten um Stellen bei Konzernunternehmen handele, die auch bei Geltung der kollektivrechtlichen Regelungen nicht zu berücksichtigen seien. Eine Verpflichtung zur Prüfung konzernweiter Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehe außerhalb der kollektivrechtlichen Verpflichtungen nicht. Eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ohne Beschäftigungsmöglichkeit sei der Beklagten nicht zumutbar. Eine Freikündigungspflicht zugunsten der Klägerin bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ebenso wenig wie die Verpflichtung, der Klägerin einen höherwertigen Arbeitsplatz anzubieten. Die Beklagte habe umfassend geprüft, ob anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden. Dies sei ohne Erfolg geblieben. Eine Sozialauswahl sei infolge der Schließung des kompletten Betriebs in Düsseldorf entbehrlich gewesen. Die dezentrale Station in Düsseldorf sei ein eigenständiger Betrieb.

Die Beklagte habe insbesondere auch das Clearingverfahren für die Klägerin gemäß den anwendbaren kollektivrechtlichen Bestimmungen ordnungsgemäß durchgeführt. Die Beklagte habe ein Qualifikationsprofil der Klägerin erstellt und dieses Profil an die am Clearing teilnehmenden Gesellschaften übermittelt. Die Klägerin befinde sich unter der laufenden Nummer 124. Das Clearingverfahren habe ergeben, dass die Klägerin für keine der Positionen als geeignet eingestuft wurde. Selbst wenn die Klägerin die

Anforderungen einer freien Stelle erfüllt hätte, hätte ihr diese nicht angeboten werden müssen. Etwaige freie Stellen, für die die Klägerin potentiell geeignet gewesen wäre, hätten daher im Rahmen einer umgekehrten Sozialauswahl vorrangig sozial schutzwürdigeren Mitarbeitern angeboten werden müssen.

Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt verbindliche Zusagen gegenüber Mitarbeitern getroffen, ein Clearingverfahren für einen bestimmten Mindestzeitraum durchzuführen. Mitarbeiter hätten auch keine Zusage erhalten, trotz Fristversäumung am HUB-Wechsel teilnehmen zu können. Die Beklagte habe überdies ihre Mitarbeiter stets über den aktuellen Planungsstand informiert. Aus den kollektivrechtlichen Vereinbarungen ergebe sich kein zwingender Anspruch der Klägerin auf Weiterbeschäftigung an einem anderen HUB der Beklagten.

Die Beklagte habe umfassend geprüft, ob und inwieweit Umorganisationsmaßnahmen in Betracht gekommen seien, welche den Erhalt des Arbeitsplatzes betroffener Mitarbeiter erreicht hätte, ohne dass dies für die Klägerin zum Erfolg geführt hätte. Die Beklagte habe somit alle realistisch in Betracht kommenden Umorganisationsmaßnahmen geprüft, um eine Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter der dezentralen Stationen zu ermöglichen. Bei der Beklagten bestehe derzeit ein Personalüberhang von rund 8.400 Vollzeitstellen. Bei der gesamten M.-Group belaufe sich der Personalüberhang auf 27.000 Vollzeitstellen. Die Beklagte habe im September/Oktober 2020 die Personalplanung für das Kalenderjahr 2022 finalisiert. Die Prognose sei basierend auf den zu erwartenden Zusteigern berechnet worden. Für die beiden HUBs in Frankfurt und München ergebe sich aufgrund der Prognose für das Kalenderjahr 2022 alleine im engeren operativen Bereich ein Personalüberhang von gut 1.000 Vollzeitstellen. Der globale Passagierverkehr werde das Vorkrisenniveau aller Voraussicht nach nicht vor 2024 erreichen. Die Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang u.a. auf eine Pressemitteilung der IATA als Dachverband der weltweiten Fluggesellschaften vom 28.07.2020.

Es handele sich bei den dezentralen Stationen auch um eigenständige Betriebe im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes, die jeweils von einem selbst ständigen Leitungsapparat in Form eines "(...)" individuell geleitet würden. Der "(...)" sei befugt, personelle Einzelmaßnahmen eigenständig durchzuführen. Hilfsweise beruft sich die Beklagte darauf, dass die acht dezentralen Stationen ohne die HUBs in München und Frankfurt und ohne Hinzuziehung der Unternehmenseinheiten vor Ort als Betrieb im kündigungsrechtlichen Sinne anzusehen seien, mit der Folge, dass weiterhin eine Betriebsschließung anzunehmen wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, das Ergebnis der mündlichen Verhandlung sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 11.11.2020 ist - wie bereits die 10. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf mit Urteilen vom 15.04.2021 (zB 10 Ca 6308/20) entschieden hat - in Ermangelung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 27.06.2019 - 2 AZR 50/19 - Rn. 12; BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 15).

2. Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten. Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen (BAG 27.06.2019 - 2 AZR 50/19 - Rn. 13; BAG 24.09.2015 - 2 AZR 562/14 - Rn. 29; BAG 20.06.2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 13; BAG 22.11.2012 -AZR 673/11 - Rn. 14). Allerdings ist der Arbeitgeber in diesem Fall in besonderem Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn sämtliche denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG 27.06.2019 - 2 AZR 50/19 - Rn. 13; BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 30). Den hohen materiellrechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB entsprechen die prozessualen Anforderungen an den Umfang der Darlegungen des Arbeitgebers. Dieser hat von sich aus darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis - ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung - sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum "wichtigen Grund" (BAG 27.06.2019 - 2 AZR 50/19 - Rn. 14; BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 31).

3. In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB.

a) Der Beklagten ist zunächst zuzugeben, dass vieles dafürspricht, dass bei dem vorliegenden Sachverhalt eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG wäre. Die Beklagte hat indes keinerlei hinreichenden Tatsachenvortrag dahingehend gehalten, welche Umstände, die über das normale Prüfprogramm einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung (Wegfall des Arbeitsplatzes, Entbehrlichkeit der Sozialauswahl und das Fehlen freier Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten) hinausgehen, gerade einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bedingen sollen, der dazu führt, dass von einem "sinnentleerten Arbeitsverhältnis" auszugehen ist und die Beklagte verpflichtet wäre, die Klägerin bis zum Renteneintrittsalter zu vergüten, ohne eine nennenswerte Gegenleistung zu erhalten. Würde man aber das normale Prüfprogramm einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung für einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ausreichen lassen, würde der Ausschluss der ordentlichen Kündigung im Ergebnis leerlaufen. Alleine die Prüfung konzernweiter Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten stellt insoweit keine durch die Beklagte durchgeführte überobligationsmäßige Maßnahme dar, da sie zu einer derartigen Prüfung aufgrund kollektivrechtlicher Verpflichtungen auch gegenüber ordentlich kündbaren Arbeitnehmern verpflichtet war.

b) Die Kammer hat zugunsten der Beklagten unterstellt, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei der Beklagten oder konzernverbundenen Unternehmen, bei denen die Beklagte zur Prüfung freier Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten kollektivrechtlich verpflichtet ist, bestehen. Nicht zu folgen vermochte die Kammer indes der Auffassung der Beklagten, dass aufgrund einer sicheren Prognose davon auszugehen sei, dass auch in einer der Beklagten zumutbaren Zeitspanne nicht damit zu rechnen sei, dass derartige freie Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten entstehen werden. Selbst wenn diese erst ab 2024 wieder entstehen sollten, wäre der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.

aa) Die Beklagte behauptet unter Berufung auf eine Pressemitteilung der IATA als Dachverband der weltweiten Fluggesellschaften vom 28.07.2020, dass der globale Passagierverkehr das Vorkrisenniveau aller Voraussicht nach nicht vor 2024 erreichen werde. Diese Prognose ist durch keinerlei belastbaren Tatsachenvortrag bedingt. Die Kammer verkennt nicht, dass der Eintritt dieser Prognose durchaus möglich ist. Letztlich ist die künftige Entwicklung des Flugverkehrs ebenso wie die künftige Entwicklung der Corona-Pandemie insgesamt aber derzeit völlig offen und von zahlreichen Unbekannten abhängig (z.B. Entwicklung der Inzidenz, Impftempo, Teststrategien, Ausbreitung von Mutationen, Wirksamkeit des Impfstoffes gegen diese Mutationen etc.). Die Beklagte macht es sich insoweit zu einfach, wenn sie meint, dass es für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung nur darauf ankomme, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung freie Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestanden. Denn dies bezieht sich auf das Prüfprogramm einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. So hätte die Beklagte darüber hinaus auch weit vor Ausspruch der Kündigung freie Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in Betracht ziehen müssen. Schließlich ist der Beklagten der Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin bereits seit dem Jahr 2015 bekannt.

bb) Selbst, wenn man davon ausginge, dass der Flugverkehr erst im Jahre 2024 das Vorkrisenniveau erreichen würde (legt man in etwa die Mitte des Jahres zugrunde, wären dies drei Jahre nach dem streitgegenständlichen Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses) und erst ab diesem Zeitpunkt wieder konzernweite Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten entstehen würden, wäre der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.

(1) Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.05.2007 (2 AZR 626/05 - Rn. 35) ausgeführt, dass ein wichtiger Grund an sich zur betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht bereits dann anzunehmen sei, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für eine derartige, verhältnismäßig kurze Übergangszeit von höchstens 36 Monaten weiterbezahlen müsste, ohne dass sich in dieser Zeit konzernweit für ihn Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben würden. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass selbst im Falle des Erreichens des Vorkrisenniveaus keine freien Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten entstehen würden, weil der Personalbedarf weitaus geringer sei, als vor Ausbruch der Krise, bleibt der Vortrag der Beklagten unsubstantiiert. So legt die Beklagte nicht dar, welche konkreten Arbeitsplätze aufgrund welcher konkreten unternehmerischen Entscheidung in Wegfall geraten sollen, wenn doch im Falle des Erreichens des Vorkrisenniveaus mathematisch grundsätzlich davon auszugehen ist, dass dann auch wieder der gleiche Arbeitsanfall besteht, wie vor Ausbruch der Krise. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass aufgrund der Vielzahl der Beschäftigten im Konzern etliche Mitarbeiter in den nächsten drei Jahren das Renteneintrittsalter erreichen werden und somit Arbeitsplätze freimachen.

(2) In die gleiche Richtung zeigt ein Vergleich zur außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist wegen häufiger Kurzerkrankungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers mit Blick auf die Entgeltfortzahlungskosten erst dann als unzumutbar angesehen wird, wenn der Arbeitgeber an mehr als einem Drittel der Arbeitstage zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 6/18). Die wirtschaftliche Belastung beträgt hier also nach drei Jahren schon mehr als ein Jahresgehalt.

(3) Die die wirtschaftlichen Belastungen der Beklagten im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sind darüber hinaus auch weit geringer als von ihr behauptet. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sich die Zahlung der nicht unerheblichen Sozialplanabfindung erspart hätte. Da die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer alle mindestens 15 Jahre beschäftigt sind und sich die Abfindung aus dem Sozialplan mindestens nach dem Faktor 1,0 berechnet und auf maximal 12 bzw. je nach Alter auf 13,4 Bruttomonatsvergütungen gedeckelt ist, beträgt die Sozialplanabfindung für jeden ordentlich unkündbaren Mitarbeiter im Minimum ein Bruttojahresgehalt. Bei der Darlegung ihrer wirtschaftlichen Belastungen verkennt die Beklagte zudem, dass sie zu einem gesteigerten Prüfprogramm freier Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nur bei den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern verpflichtet ist, nicht hingegen bei den ordentlich kündbaren. Angesichts der Anzahl der von den Schließungen der dezentralen Stationen betroffenen Arbeitnehmer (und hierbei geht es nur um die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer) im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigtenanzahl im Konzern der M. Gruppe erscheinen die wirtschaftlichen Belastungen der Beklagten der Kammer im Ergebnis damit nicht unzumutbar.

II.

Die Klage der Klägerin beinhaltet ausschließlich einen Kündigungsschutzantrag iSd §§ 4, 7 KSchG.

1. Nach der Rechtsprechung des BAG kann sich der Arbeitnehmer neben einer Klage nach § 4 KSchG im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO auf die Unwirksamkeit weiterer Kündigungen berufen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich eine selbständige allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO erhoben hat. Stellt ein gekündigter Arbeitnehmer mit der Klageschrift - wie in der Praxis häufig und auch hier im vorliegenden Fall - den Antrag nach § 4 KSchG und fügt er - gleichsam prophylaktisch zur vermeintlichen Klarstellung - diesem Antrag den Zusatz bei, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis unverändert fortbestehe, ist durch Auslegung zu klären, was mit diesem weiteren Antrag bezweckt wird. Bringt der Kläger zum Ausdruck, er wolle nur den Inhalt des Antrags nach § 4 KSchG etwa dahin verdeutlichen, wenn die angegriffene Kündigung unwirksam sei, bestehe das Arbeitsverhältnis eben fort, so hat der Zusatz als überflüssig und hat trotz des Zusatzes keine eigene prozessrechtliche Bedeutung. Beruft sich der Kläger dagegen darauf, es handele sich um eine vorsorgliche Feststellungsklage, es könne ja sein, dass irgendwann einmal eine Erklärung des Beklagten abgegeben werde, die eine Kündigung sein könne, ist diese Klage als unzulässig abzuweisen. Bei der Auslegung dieses Klageantrags ist auch die Klagebegründung mit zu berücksichtigen. Befasst sich die Antragsbegründung ausschließlich mit der Frage, ob eine vom Arbeitgeber ausgesprochene bestimmt bezeichnete Kündigung wirksam ist, liegt regelmäßig kein gegenüber der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erweiterter Streitgegenstand vor (vgl. BAG, Urt. v. 27.01.1994 - 2 AZR 484/93; Urt. v. 16.03.1994 - 8 AZR 97/93).

2. In Anwendung dieser Grundsätze liegt ein über den Antrag nach § 4 KSchG hinausgehender allgemeiner Feststellungsantrag, über den die Kammer hätte entscheiden müssen, nicht vor. Die Klägerin hat zwar beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis unverändert fortbestehe. In der Klagebegründung beruft sie sich jedoch ausschließlich auf die streitgegenständliche Kündigung vom 11.11.2020, ohne die Möglichkeit anderweitiger Beendigungstatbestände zu thematisieren.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG.

IV.

Der Wert der Entscheidung ist nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen und nach den §§ 3 ff. ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG zu bestimmen. Die Kammer hat für die Kündigungsschutzklage drei Bruttomonatsgehälter der Klägerin angesetzt.

G.

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