LG Köln, Urteil vom 12.04.2021 - 26 O 152/20
Fundstelle
openJur 2021, 17042
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.184,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.07.2019 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.336,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.07.2019 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 2.312,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.07.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 78% und die Beklagte 22%.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht die verzinsliche Rückzahlung der Beiträge nebst Nutzungen betreffend eine mit Wirkung zum 01.08.2000 abgeschlossene fondsgebundene Lebensversicherung (Nr. ...607 ...#, im Folgenden: -607), eine mit Wirkung zum 01.12.1999 abgeschlossene fondsgebundene Lebensversicherung (Nr. ...040 ...#, im Folgenden: -040) und eine mit Wirkung zum 01.10.2001 abgeschlossene fondsgebundene Lebensversicherung (Nr. ...#609 ...#, im Folgenden: -609) geltend.

Die Verträge wurden zwischen den Versicherungsnehmern (den Zedenten) und der Beklagten im sog. Policenmodell abgeschlossen. Die Versicherungsscheine enthielten auf der zweiten Seite unmittelbar über der Unterschriftenzeile folgende gleich lautende, fettgedruckte Belehrung:

Sie können dem Versicherungsvertrag ab Stellung des Antrags bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich der Versicherungsbedingungen und der übrigen Verbraucherinformationen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Versicherungsscheine (Bl. 68 ff., 78 ff., 85 ff. d.A.) verwiesen.

Die Versicherungsnehmerin des Vertrags Nr. -607, Frau T , beantragte unter dem 25.06.2001 den Einschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Beklagte nahm die Vertragsänderung vor und bestätigte dies mit Schreiben vom 01.02.2002 (Bl. 205 ff. d.A.). Zum 01.11.2018 erklärte die Versicherungsnehmerin die Kündigung des Vertrags (Bl. 227 d.A.). Daraufhin zahlte die Beklagte an sie einen Rückkaufswert in Höhe von 25.083,30 EUR aus (vgl. Bl. 228 d.A.). Unter dem 16.08.2018 erklärte die Versicherungsnehmerin den Widerspruch des Vertrags (Bl. 71 d.A.) und schloss mit der Klägerin einen Forderungskauf- und Abtretungsvertrag betreffend sämtlicher Rückabwicklungsansprüche. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Unterlagen Bezug genommen (Bl. 433 ff. d.A.). Insgesamt zahlte die Versicherungsnehmerin Beiträge in Höhe von 26.231,18 EUR.

Der Versicherungsnehmer des Vertrags Nr. -040, Herr T1 , erklärte zum 01.12.2017 die Kündigung des Vertrags (Bl. 253 d.A.). Daraufhin zahlte die Beklagte an ihn einen Rückkaufswert in Höhe von 41.007,35 EUR aus (vgl. Bl. 254 d.A.). Unter dem 30.07.2018 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch des Vertrags (Bl. 80 d.A.) und schloss am selben Tag mit der Klägerin einen Forderungskauf- und Abtretungsvertrag betreffend sämtlicher Rückabwicklungsansprüche. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Unterlagen Bezug genommen (Bl. 409 ff. d.A.). Insgesamt zahlte der Versicherungsnehmer Beiträge in Höhe von 33.132,24 EUR.

Die Versicherungsnehmerin des Vertrags Nr. -609, Frau L , beantragte unter dem 29.04.2010 (Bl. 285 d.A.) eine Teilstundung ihrer Beiträge. Die Beklagte nahm die gewünschte Vertragsänderung vor (vgl. Bl. 286 f. d.A.). Zum 01.10.2017 erklärte die Versicherungsnehmerin die Kündigung des Vertrags (Bl. 288 d.A.). Daraufhin zahlte die Beklagte an sie einen Betrag in Höhe von 10.411,74 EUR aus (vgl. Bl. 289 f.). Unter dem 27.02.2018 erklärte die Versicherungsnehmerin den Widerspruch des Vertrags (Bl. 89 d.A.) und schloss am selben Tag mit der Klägerin einen Forderungskauf- und Abtretungsvertrag betreffend sämtlicher Rückabwicklungsansprüche. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Unterlagen Bezug genommen (Bl. 421 ff. d.A.). Insgesamt zahlte die Versicherungsnehmerin Beiträge in Höhe von 22.006,92 EUR.

Die Klägerin forderte die Beklagte unter Vorlage der jeweiligen Widerspruchserklärungen sowie der Abtretungsanzeigen mit Schreiben vom 28.06.2019 (Bl. 72 ff., 81 ff., 96 ff. d.A.) jeweils unter Fristsetzung bis zum 20.07.2019 zur Rückabwicklung der Verträge auf. Dem kam die Beklagte nicht nach.

Die Klägerin ist unter näherer Darlegung im Einzelnen der Auffassung, es stehe ihr aus abgetretenem Recht ein Anspruch aus §§ 812, 818 BGB auf Rückzahlung der eingezahlten Prämien (abzüglich der Rückkaufswerte) nebst gezogener Nutzungen zu. Den Anspruch beziffert sie unter näherer Darlegung im Einzelnen zuletzt auf 12.230,75 EUR (Vertrag Nr. -607), auf 11.586,86 EUR (Vertrag Nr. -040) und auf 13.195,84 EUR (Vertrag Nr. -609). Die Widerspruchsbelehrungen seien mangels Unterrichtung über das Formerfordernis des Widerspruchs unwirksam gewesen.

Ursprünglich hat die Klägerin in der Hauptsache beantragt, die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 101.607,00 EUR zu verurteilen. Mit Schriftsatz vom 07.09.2020 hat sie die Klage teilweise zurückgenommen und mit Schriftsatz vom 16.02.2021 erneut teilweise zurückgenommen und teilweise erweitert.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 12.230,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 12.07.2019 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 11.586,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 20.07.2019 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 13.195,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 20.07.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin, denn dieser fehle eine ausreichende Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 RDG. Es habe sich bei der Tätigkeit der Klägerin um eine Rechtsdienstleistung und nicht nur um eine Inkassotätigkeit nach § 2 Abs. 2 RDG gehandelt. Daher seien die Forderungskauf- und Abtretungsverträge nach § 134 BGB nichtig. Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Widerspruchsrecht verwirkt sei. Die Geltendmachung sei im Hinblick auf den gewerblichen Ankauf der Ansprüche treuwidrig. Bezüglich des Vertrages Nr. -607 sei zudem insbesondere die Erweiterung um eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu beachten, bezüglich des Vertrags Nr. -609 die beantragte (Teil-)Stundung. Die Beklagte ist unter näherer Darlegung im Einzelnen der Auffassung, die Klageforderung sei überhöht. Insbesondere habe sie keine Nutzungen aus Abschluss- und Verwaltungskosten gezogen.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Aufgrund des jeweiligen Forderungskauf- und Abtretungsvertrags mit den Versicherungsnehmern der Beklagten ist sie Inhaberin der Ansprüche geworden, die nach den Widersprüchen der Versicherungsnehmer im Zuge der Rückabwicklung gegen die Beklagte bestehen.

Es liegen keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Abtretung vor, da die Verträge der Klägerin mit den Versicherungsnehmern nicht unter das RDG fallen. Die Klägerin hat die Rückabwicklungsansprüche der Versicherungsnehmer nämlich im Wege eines echten Forderungskaufs erworben. Für die Frage, ob es sich um einen Forderungskauf oder lediglich die Einziehung einer abgetretenen Forderung auf fremde Rechnung, also eine Inkassozession, handelt, ist ausschlaggebend, ob das wirtschaftliche Ergebnis der Einziehung dem Erwerber oder dem Abtretenden zukommen soll. Zu prüfen ist, ob die Forderung endgültig auf den Erwerber übertragen wird und dieser insbesondere das volle wirtschaftliche Risiko der Beitreibung der Forderung übernimmt (vgl. BGH, Urteil v. 11.12.2013, IV ZR 46/13, juris Rn. 18). Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat durch die Forderungskauf- und Abtretungsverträge die möglichen Bereicherungsansprüche der Versicherungsnehmer endgültig auf sich übertragen. Damit hat sie auch das Bonitätsrisiko übernommen. Denn sie hat sich im Gegenzug für die Abtretung zur Zahlung eines festen Kaufpreises an die Versicherungsnehmer verpflichtet und trägt somit allein das Risiko vergeblicher Aufwendungen, wie z.B. Prozesskosten, sowie das Ausfallrisiko (vgl. LG Köln, Urteil v. 30.10.2020, 12 O 15/20, juris Rn. 41). Daran ändert nichts, dass der Versicherungsnehmer gemäß § 5 des jeweiligen Vertrags für den Fall, dass es zu einem Betreibungserlös kommt, der höher ist als der von der Klägerin kalkulierte Anspruch, eine zusätzliche Beteiligung erhält. Denn diese Beteiligung stellt erkennbar nicht den wirtschaftlichen Zweck des Vertrages dar. Primär soll mit der Zahlung des Kaufpreises der von der Klägerin kalkulierte Bereicherungserlös abgegolten sein. Die wirtschaftliche Möglichkeit, dass ein Erlös erzielt wird, der den kalkulierten übersteigt und der Versicherungsnehmer eine zusätzliche Erlösbeteiligung erhält, stellt sich daneben als gering dar (vgl. LG Köln, Urteil v. 30.10.2020, 12 O 15/20, juris Rn. 41).

Selbst wenn man die Tätigkeit der Klägerin nicht als echten Forderungskauf bewertete, wären die Forderungskauf- und Abtretungsverträge nicht nichtig gemäß § 134 BGB, § 2 RDG. Die Klägerin ist unstreitig im Besitz einer Erlaubnis i.S.v. § 10 Abs. 3 RDG. Eine weiterreichende Erlaubnis zur Vornahme von Rechtsdienstleistungen gemäß § 2 Abs. 1 RDG wäre nicht erforderlich. Denn zusammen mit dem Abschluss der Abtretungs- bzw. Forderungskaufverträge wurde seitens der Versicherungsnehmer der Widerspruch erklärt. Das bloße Eintreiben der Ansprüche aus Widerspruch stellt keine Rechtsdienstleistung in diesem Sinne dar. Eine Rechtsdienstleistung i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG liegt nach den Maßstäben des BGH (Urteil vom 27.11.2019, VIII ZR 285/18) auch im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Klägerin die Erfolgsaussichten der Klage und damit die Rechtslage geprüft hat, nicht vor. Denn unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm sowie der Entstehungsgeschichte überschreitet eine Prüfung der rechtlichen Erfolgsaussichten regelmäßig nicht die Grenzen einer Inkassoleistung i.S.v. § 2 Abs. 2 S.1 RDG (vgl. LG Köln, Urteil v. 24.08.2020, 26 O 353/19, juris Rn. 23; LG Köln, Urteil v. 30.10.2020, 12 O 15/20, juris Rn. 43).

Auch eine Nichtigkeit der Forderungskauf- und Abtretungsverträge nach § 138 BGB ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist auch angesichts des nur gering bemessenen Kaufpreises kein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung (Wucher) anzunehmen, da die Klägerin das vollständige Risiko der Beitreibung der Forderung übernommen hat (vgl. LG Köln, Urteil v. 30.10.2020, 12 O 15/20, juris Rn. 44).

II. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rückzahlung von 4.184.41 EUR in Bezug auf den Vertrag Nr. -607, von 5.336,26 EUR in Bezug auf den Vertrag Nr. -040 sowie von 2.312,53 EUR in Bezug auf den Vertrag -609 zu. Insoweit liegen die Voraussetzungen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 BGB vor. Ein höherer Anspruch steht ihr unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

1. Nach § 5a VVG a.F. gilt für den Fall, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a VAG unterlassen hat, der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als geschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht binnen bestimmter Frist widerspricht (sog. Policenmodell).

Gemäß § 5a Absatz 1 und 2 VVG in der für die Verträge Nr. -607 und Nr. -404 maßgeblichen Fassung vom 21.07.1994 (gültig vom 29.7.1994 bis 31.7.2001) und in der für den Vertrag Nr. -609 maßgeblichen Fassung vom 13.07.2001 (gültig vom 01.08.2001 bis 07.12.2004) betrug die Widerspruchsfrist 14 Tage. Der Lauf dieser Frist beginnt gem. § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F., wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1, nämlich die Versicherungsbedingungen sowie die Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F., vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.

An einer solchen ordnungsgemäßen Belehrung fehlt es hier. Die Widerspruchsbelehrungen zu den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen sind inhaltlich fehlerhaft, weil der zwingende Hinweis auf die Form der Widerspruchserklärung fehlt. Gemäß § 5a Abs. 1 VVG in der für die Verträge Nr. -607 und Nr. -404 maßgeblichen Fassung vom 21.07.1994 ist der Widerspruch schriftlich zu erheben, in Bezug auf den Vertrag Nr. -609 gilt nach der Fassung vom 13.07.2001 die Textform. Der Hinweis auf die Schrift- bzw. Textform ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil jeweils in Satz 2 der Widerspruchsbelehrungen von der "Absendung" des Widerspruchs die Rede ist. Satz 2 bezieht sich lediglich auf den Fall, dass der Versicherungsnehmer den Widerspruch in dokumentierter Form erklären will, und erläutert nur, dass in diesem Fall die rechtzeitige Absendung zur Fristwahrung reicht. Dass ein mündlicher Widerspruch ausgeschlossen ist und in jedem Fall die Textform gewahrt werden muss, ergibt sich daraus nicht (vgl. BGH, Urteil v. 29.07.2015, IV ZR 384/14, juris Rn. 26; Urteil v. 19.11.2014, IV ZR 329/14, juris Rn. 11; OLG Köln, Urteil v. 12.06.2015, 20 U 25/15, juris Rn. 25). Dementsprechend lässt sich diesem Zusatz erst recht nicht entnehmen, dass es in Bezug auf die Verträge Nr. -607 und -404 sogar noch der traditionellen Schriftform bedarf (vgl. BGH, Urteil v. 21.12.2016, IV ZR 217/15, juris Rn. 11; Urteil v. 29.07.2015, IV ZR 112/14, juris Rn. 12).

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen auch nicht die Voraussetzungen der Verwirkung bzw. einer Treuwidrigkeit der Geltendmachung des Widerspruchsrechts (§ 242 BGB) vor. Die Beklagte hat durch das Übersenden der unwirksamen Widerspruchsbelehrung selbst die Situation herbeigeführt und kann daher grundsätzlich kein schützenswertes Vertrauen in Anspruch nehmen (vgl. BGH, Urteil v. 29.07.2015, IV ZR 384/14, juris Rn. 31; Urteil v. 07.05.2014, IV ZR 76/11, juris Rn. 39). Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Bewertung zuließen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere geht die Kammer nicht davon aus, dass die Abtretung der Ansprüche an die Klägerin als "gewerbliche Forderungskäuferin" das Vorgehen der Klägerin rechtsmissbräuchlich werden lässt (vgl. LG Köln, Urteil v. 24.08.2020, 26 O 353/19, juris Rn. 28). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Versicherungsnehmer nicht ihr Widerspruchsrecht, sondern nur die Rückabwicklungsansprüche abgetreten haben, die aus dem von ihnen selbst erklärten Widerspruch folgen.

Auch die vorherigen Kündigungen der Verträge durch die Versicherungsnehmer stellen keinen ausreichenden Grund für die Annahme einer Treuwidrigkeit des Widerspruchs dar. Durch die Kündigung haben die Versicherungsnehmer zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht länger an den Verträgen festhalten möchten und damit gerade kein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in ein unbedingtes Fortsetzen der Versicherungsverträge unabhängig von einem etwaigen Loslösungsrecht geschaffen (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 12.12.2017, 20 U 185/17, juris Rn. 4 m.w.N.). Ein solches schutzwürdiges Vertrauen konnte auch nicht dadurch entstehen, dass die Versicherungsnehmerin T bei Vertragsschluss einen Depotbeitrag von 12.000,00 DM zur Verfügung stellte, den die Beklagte als Beitragsvorauszahlung verbuchte (vgl. Bl. 201 d.A.). Auch die durch die Versicherungsnehmerin T nachträglich abgeschlossene Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung lässt keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, dass die Versicherungsnehmerin an der Hauptversicherung unbedingt festhalten wollte, zumal sie die Erweiterung nur ein knappes Jahr nach Abschluss der Hauptversicherung beantragt hat. Das gleiche gilt in Bezug auf den Vertrag Nr. -609 für die durch die Versicherungsnehmerin L beantragte Teilstundung. Ebenso wenig wie eine Beitragsfreistellung (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil v. 28.06.2019, 12 U 134/17, juris Rn. 77) drückt eine Teilstundung der Beiträge hinreichend deutlich aus, dass der Versicherungsnehmer unbedingt an dem Vertrag festhalten will. Die vorübergehende Teilstundung ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht mit der Situation vergleichbar, in der ein Versicherungsnehmer nach einer Kündigung oder einer Beitragsfreistellung den Vertrag wieder in Kraft setzen möchte und die Beitragszahlungen wieder aufnimmt (vgl. hierzu BGH, Beschluss v. 11.11.2015, IV ZR 117/15, juris Rn. 17; OLG Köln, Beschluss v. 16.08.2017, 20 U 149/17, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss v. 13.12.2019, 20 U 188/19, juris Rn. 11). Die Kündigung bzw. die Beitragsfreistellung sind grundsätzlich endgültig, weshalb der Versicherungsnehmer durch die Wideraufnahme der Beitragszahlungen rechtlich einen Neuabschluss seines Vertrages begehrt und damit klar zum Ausdruck bringt, dass er den Vertrag unbedingt fortsetzten möchte (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 16.08.2017, 20 U 149/17, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss v. 13.12.2019, 20 U 188/19, juris Rn. 11). Der Bitte um eine zeitlich begrenzte Teilstundung der Beiträge lässt sich demgegenüber keine zweifelsfreie, mit einem Neuabschluss vergleichbare Bestätigung des Vertrages als solchen entnehmen.

3. Der Höhe nach hat die Klägerin zunächst einen Anspruch Erstattung der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Prämien abzüglich der Prämienanteile, die auf den Risikoschutz entfallen sind. Hierbei können die von der Beklagten kalkulierten Risikokosten zugrunde gelegt werden (vgl. BGH, Urteil v. 24.02.2016, IV ZR 126/15, juris Rn. 26; LG Köln, Urteil v. 30.10.2020, 12 O 15/20, juris Rn. 50). Herauszugeben ist zudem der Fondsgewinn. Unter Anrechnung des jeweils von der Beklagten ausgezahlten Rückkaufswertes und der auf eine etwaige Zusatzversicherung entfallenden Beträge ergeben sich für die Klägerin folgende Ansprüche, wobei die Kammer die substantiiert vorgetragenen Beträge der Beklagten, denen die Klägerin nicht entschieden entgegengetreten ist, zu Grunde legt:

Vertrag -607

Prämien: 26.231,18 EUR

Fondsgewinn: 8.111,91 EUR

abzüglich:

Risikokosten: 1.237,14 EUR

Auszahlung: 25.083,30 EUR

Zusatzversicherung: 3.838,24 EUR

Differenz: 4.184,41 EUR

Vertrag -040

Prämien: 33.132,24 EUR

Fondsgewinn: 13.656,92 EUR

abzüglich:

Risikokosten: 445,55 EUR

Auszahlung: 41.007,35 EUR

Differenz: 5.336,26 EUR

Vertrag -609

Prämien: 22.006,92 EUR

Fondsgewinn: 3.549,54 EUR

abzüglich:

Risikokosten: 116,99 EUR

Auszahlung: 10.411,74 EUR

Zusatzversicherung: 12.715,20 EUR

Differenz: 2.312,53 EUR

Weitergehende Ansprüche der Klägerin scheiden aus. Eine Nutzungsziehung aus Risikokosten und Abschlusskosten kommt unter keinem Gesichtspunkt in Betracht (vgl. BGH, Urteil v. 26.09.2018, IV ZR 304/15, juris Rn. 31; Urteil v. 29.04.2020, IV ZR 5/19, juris Rn. 14). Der zur Bestreitung von Verwaltungskosten verwendete Prämienanteil ist zur Berechnung von Nutzungszinsen nur heranzuziehen, soweit der Versicherer auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat, die er zur Ziehung von Nutzungen verwenden konnte (vgl. BGH, Urteil v. 26.09.2018, IV ZR 304/15, juris Rn. 31). Die Klägerin hat bereits nicht dargelegt, dass diese Voraussetzungen vorliegen. In diesem Zusammenhang kann nicht auf die Nettoverzinsung der Kapitalanlagen des Versicherers abgehoben werden. Erforderlich wäre eine konkrete Darlegung der Klägerin, dass und inwieweit tatsächlich aus diesen Beitragsanteilen Erträge erzielt worden sind (vgl. BGH, Urteil v. 24.02.2016, IV ZR 512/14, juris Rn. 27 a.E.; OLG Köln, Urteil v. 28.10.2016, 20 U 30/16, juris Rn. 54; LG Köln, Urteil v. 30.10.2020, 12 O 15/20, juris Rn. 53).

III. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB. Auch in Bezug auf den Vertrag Nr. -607 stehen der Klägerin Verzugszinsen erst ab dem 20.07.2019 zu, da die Klägerin die Beklagte auch insofern unter Fristsetzung bis zum 20.07.2019 zur Rückabwicklung des Vertrags aufforderte (vgl. Bl. 73 d.A.).

IV. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 709 S. 1, 2 ZPO.

Streitwert: 101.607,00 EUR

Für eine Herabsetzung des Streitwerts nach bestimmten Verfahrensabschnitten besteht seit Abschaffung der sog. Urteilsgebühr im Kostenverzeichnis zum GKG und dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 5. Mai 2004 kein Raum mehr, nachdem Teilklagerücknahmen und Teilerledigungen nicht mehr zu einer Reduzierung der anfallenden Gerichtsgebühren führen können.

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