LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.03.2021 - 12 Ta 198/21
Fundstelle
openJur 2021, 14620
  • Rkr:

Im Prozesskostenhilferecht sind der Kinderzuschlag nach § 6a BKKG insgesamt und das Kindergeld nach § 62 EStG, § 1 BKKG, soweit es zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts des Kindes benötigt wird, nicht deren um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Leistungsbezieher als Einkommen iSv. § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO zuzurechnen.

Kinderzuschlag und Kindergeld sind als eigenes Einkommen des Kindes im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO zu berücksichtigen, mit der Folge, dass sich der vom Einkommen des um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Leistungsbeziehers im Hinblick auf die Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind abzusetzende Freibetrag in Höhe dieser Leistungen vermindert.

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 25. November 2020 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 15. Oktober 2020 - 29 Ca 11802/20 - wird, soweit ihr das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat, zurückgewiesen.

II. Die zu erhebende Gebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Entscheidung hat die Festsetzung von Ratenzahlungen begleitend zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe zum Gegenstand.

In der Hauptsache stritten die Parteien um Entgeltzahlungen und Urlaubsabgeltung.

Der Kläger, der verheiratet und drei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, beantragte Prozesskostenhilfe.

Durch Beschluss vom 15. Oktober 2020 bewilligte das Arbeitsgericht ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin L. Die Bewilligung erfolgte mit der Maßgabe, dass hinsichtlich der Prozesskosten monatliche Raten aus dem Einkommen in Höhe von 117 Euro zu zahlen seien.

Gegen den ihm am 28. Oktober 2020 zugestellten Beschluss legte der Antragsteller am 25. November 2020 sofortige Beschwerde ein. Er wendet sich gegen die Festsetzung der monatlichen Rate. Er macht geltend, das Kindergeld sei im Hinblick darauf, dass er einen Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz erhalte, nicht seinem Einkommen zuzurechnen. Außerdem seien Rundfunkbeiträge und monatlichen Zahlungen zu berücksichtigen. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 hat der Antragsteller Abrechnungen über das Arbeitsentgelt seiner Ehefrau für die Monate September bis November 2020 eingereicht und geltend gemacht, es sei insoweit ein geringeres Durchschnittseinkommen zu berücksichtigen.

In seiner Stellungnahme zu der sofortigen Beschwerde vom 1. Dezember 2020 führt der Bezirksrevisor aus, soweit Kindergeldzuschlag und Kindergeld den notwendigen Lebensunterhalt der Kinder in Höhe des prozesskostenhilferechtlichen Unterhaltsfreibetrags überstiegen, seien sie dem Antragsteller zuzurechnen. Berücksichtige man dies und außerdem die Rundfunkgebühr zur Hälfte, so sei die festgesetzte Ratenhöhe auf 103 Euro abzusenken.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2021 hat das Arbeitsgericht die monatlich zu zahlenden Raten in der Höhe auf 103 Euro reduziert und der sofortigen Beschwerde im Übrigen nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es sich die Ausführungen des Bezirksrevisors zu eigen gemacht.

Im weiteren Verfahren über die sofortige Beschwerde hat der Bezirksrevisor mit Schreiben vom 10. Februar 2021 ergänzend ausgeführt, auf die Einkommensermittlung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei der sozialhilferechtliche Einkommensbegriff anzuwenden. Im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) XII bzw. § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II seien deshalb das Kindergeld, soweit es bei dem Kind zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt werde, und der Kinderzuschlag insgesamt dem Kind als Einkommen zuzurechnen. Unter Berücksichtigung der zum Jahresbeginn erhöhten Beträge von Kindergeld und Kinderzuschlag ergäben sich dem Kläger zuzurechnende überschießende Beträge, die zusammen mit dessen übrigen Einnahmen ein zu berücksichtigendes Einkommen und daraus resultierend monatliche Raten in Höhe von 116 Euro ergeben würden.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist nach Teilabhilfe durch das Arbeitsgericht unbegründet.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), 78 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) statthaft. Die aus § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO folgende Einlegungsfrist von einem Monat ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung hat der Antragsteller gewahrt. Mit der Schriftform genügt die sofortige Beschwerde den formalen Anforderungen an deren Einlegung aus § 569 Abs. 2 ZPO.

2. Die sofortige Beschwerde - soweit sie nach Teilabhilfe durch das Arbeitsgericht noch vom Beschwerdegericht zu bescheiden ist - ist unbegründet. In Anwendung von § 11a ArbGG, § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO waren für den Antragsteller begleitend zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe Monatsraten festzusetzen. Zwar ist der Kinderzuschlag nicht als Einkommen des Antragstellers zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung von Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKKG) und teilweise auch des Kindergelds nach § 62 Einkommensteuergesetz (EStG), § 1 BKKG als eigenes Einkommen des Kindes führt aber dazu, dass sich die vom Einkommen des Antragstellers wegen der Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern vorzunehmenden Abzüge vermindern. Übersteigendes Kindergeld bleibt ihm als Einkommen zuzurechnen. Somit errechnet sich für den Antragsteller aus den von ihm mitgeteilten Einnahmen ein einzusetzendes monatliches Einkommen, wonach die zuletzt festgesetzte Ratenhöhe nicht herabzusetzen ist.

a. Im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen sind aufgrund der Verweisung in § 11a Abs. 1 ArbGG die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe anzuwenden. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Voraussetzung, dass der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Nach § 115 Abs. 1 ZPO hat der Antragsteller als sein Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert einzusetzen. Von den Einkünften sind bestimmte im Gesetz aufgezählte Absetzungen vorzunehmen, darunter ein Freibetrag für Personen, gegenüber denen der Antragsteller unterhaltsverpflichtet ist. Nach § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind von dem nach den Abzügen verbleibenden Teil des monatlichen Einkommens als einzusetzendem Einkommen Monatsraten festzusetzen. Diese belaufen sich auf die Hälfte des einzusetzenden Einkommens, wobei die Monatsrate auf volle Euro abzurunden ist.

b. Nach § 64 Abs. 1 EStG, 3 Abs. 1 BKKG werden Kindergeld und Kinderzuschlag nur einer berechtigten Person gewährt. Lebt ein Kind mit beiden Eltern in einem Haushalt, so folgt aus der Anwendung von § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG, § 3 Abs. 2 Satz 2 BKKG, dass die Eltern untereinander bestimmen, wer Berechtigter der Leistungen ist. Ausweislich der Angaben im Antrag und der eingereichten Nachweise ist vorliegend der Antragsteller als Berechtigter bestimmt. Er bezieht die jeweiligen Leistungen. Im Ausgangspunkt würden danach beide Leistungen dem Antragsteller als Einkommen zuzurechnen sein.

c. Wie der Bezirksrevisor zutreffend ausgeführt hat, ist aber vorliegend unter Berücksichtigung sozialrechtlicher Vorschriften eine teilweise abweichende Betrachtung geboten. Im Prozesskostenhilferecht sind der Kinderzuschlag nach § 6a BKKG insgesamt und das Kindergeld nach § 62 EStG, § 1 BKKG, soweit es zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts des Kindes benötigt wird, nicht dem um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Bezieher der Leistungen als Einkommen zuzurechnen.

aa. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Kindergeld im Prozesskostenhilferecht grundsätzlich als Einkommen des Beziehers zu betrachten. Eine Ausnahme gilt bezüglich des Existenzminimums minderjähriger Kinder. Soweit das Kindergeld zur Deckung seines notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird, wird es nach § 82 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) XII dem jeweiligen Kind als Einkommen zugerechnet. Dieser Gedanke ist auch im Recht der Prozesskostenhilfe zu berücksichtigen (BGH, 14. Dezember 2016 - XII ZB 207/15, juris Rn 7f). Dabei ist zur Bemessung des notwendigen Lebensunterhalts auf die Freibetragsregelung abzustellen, wie sie das Prozesskostenhilferecht in §115 Abs. 2 ZPO bereithält (BGH, 26. Januar 2005 - XII ZB 234/03, juris Rn 13).

bb. Die zu Grunde liegenden Überlegungen sind auf den Kinderzuschlag zu übertragen. Der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO knüpft an denjenigen des Sozialhilferechts an (BGH, 14. Dezember 2016 - XII ZB 207/15, juris Rn 7). Dementsprechend können grundsätzlich sozialrechtliche Vorschriften über eine abweichende Einkommenszuordnung Berücksichtigung finden. Hinsichtlich des Kinderzuschlags ist insoweit die Vorschrift zu Berücksichtigung des Kinderzuschlags bei der Einkommensermittlung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu beachten. Nach § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist dort der Kinderzuschlag als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Insoweit ist nicht vorgesehen, dass dies auf den zu Sicherung des Lebensunterhalts mit Ausnahme der besonderen Bedarfe für Bildung und Teilhabe erforderlichen Betrag beschränkt bleibt. Eine Entsprechung zu den diesbezüglichen Regelungen für das Kindergeld in § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II, § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII fehlt für § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Hieraus ist zu folgern, dass der Kinderzuschlag auch prozesskostenhilferechtlich insgesamt nicht als Einkommen des Beziehers anzusehen ist.

cc. Somit ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kinderzuschlag insgesamt keine Berücksichtigung als Einkommen des Antragstellers finden kann. Entgegen der Auffassung der Beschwerde bewirkt diese einheitliche Betrachtung für den Kinderzuschlag aber nicht, dass auch das parallel zum Kinderzuschlag geleistete Kindergeld stets insgesamt dem Kind zuzurechnen sein würde. Das SGB II nimmt in § 11 Abs. 1 Satz 5 für das Kindergeld ausdrücklich eine Differenzierung nach dem notwendigen Unterhalt vor. Dies entspricht der sozialhilferechtlichen Vorschrift in § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, wie sie Anknüpfungspunkt für die entsprechend differenzierende Rechtsprechung des BGH ist. Die Vorschrift aus dem SGB II, die die Zurechnung des Kinderzuschlags insgesamt zum Einkommen des Kindes vorsieht und ein entsprechendes Vorgehen für das Prozesskostenhilferecht begründet, kann daher nicht auf das Kindergeld ausstrahlen dergestalt, dass auch dieses dort stets insgesamt dem Kind zuzurechnen sein würde. Vor diesem Hintergrund hat es dabei zu verbleiben, dass mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Kindergeld zu dem Teil dem Einkommen des um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Leistungsbezieher zuzurechnen ist, zu dem es nicht zur Abdeckung des notwendigen Lebensunterhalts für das Kind benötigt wird.

d. Folge der für das Prozesskostenhilferecht vorzunehmenden Einordnung von Kinderzuschlag und Kindergeld als Einkommen des Kindes ist, dass sich der vom Einkommen des Antragstellers abzusetzende Freibetrag wegen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Kind entsprechend vermindert. § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO sieht vor, dass sich der vom Einkommen des Antragstellers im Hinblick auf die Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind abzusetzende Freibetrag um eigene Einkünfte des Kindes vermindert. Kindergeld und Kinderzuschlag sind als eigenes Einkommen des Kindes im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO zu berücksichtigen. Die Regelung in § 64 EStG bzw. § 6a BKKG, wonach (abgesehen von den Fällen der sogenannten Abzweigung des Kindergeldes) Anspruchsberechtigter nicht das Kind ist, steht dem nicht entgegen. Wenn von der durch die genannten Vorschriften gebotenen Berücksichtigung als Einkommen des beziehenden Elternteils für die Bestimmung des prozesskostenhilferechtlich zu berücksichtigenden Einkommens der Partei aus den dargestellten Gründen eine Ausnahme zu machen ist, so hat dies konsequenterweise zur Folge, dass die (teilweise) Zuordnung des Einkommens aus Kindergeld und Kinderzuschlag zum Kind auch bei dem Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Nr. 2b ZPO zu berücksichtigen ist. Dies entspricht der Regelungsintention, mit dem in einer familiären Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Kindergeld vorrangig den Lebensunterhalt des Kindes zu decken (vgl. BSG, 14. Juni 2018 - B 14 AS 37/17 R, juris Rn 26). Ebenso soll der Kinderzuschlag nach der Intention des Gesetzgebers zusammen mit dem Kindergeld den Bedarf des Kindes decken (Vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 83). Ist aber dieser Bedarf gedeckt, so bedarf er keiner weiteren Berücksichtigung als Freibetrag bei der Ermittlung des im Rahmen von Prozesskostenhilfe vom Antragsteller einzusetzenden Einkommen.

e. Dementsprechend ist vorliegend der Kinderzuschlag insgesamt nicht als Einkommen des Antragstellers zu berücksichtigen, das Kindergeld nur insoweit es den jeweils für das Kind zu berücksichtigenden Freibetrag abzüglich des für das Kind gewährten Kinderzuschlags übersteigt. Hiervon ausgehend ist die zuletzt festgesetzte Ratenhöhe nicht weiter herabzusetzen. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Berechnung wird auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 10. Februar 2021 verwiesen. Von den mit der sofortigen Beschwerde vorgebrachten Einwänden sind dort das verminderte Einkommen der Ehegattin und der Rundfunkbeitrag berücksichtigt. Eine Berücksichtigung der vom Kläger mit 20 Euro/Monat angegebenen aber nicht nachgewiesenen Ratenzahlungsverpflichtung würde keine Absenkung der Rate unter die zuletzt festgesetzte Höhe begründen. Aufwendungen für eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr hat der Antragsteller entgegen der Ankündigung in der Beschwerdebegründung nicht nachgewiesen, so dass sie bereits unter diesem Gesichtspunkt keine Berücksichtigung finden können.

3. Die Reduzierung der Gebühr, die nach Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG, dort Teil 8, Ziffer 8614 vom Antragsteller zu erheben ist, beruht auf der bei der genannten Ziffer dem Gericht vorbehaltenen Möglichkeit, bei teilweiser Zurückweisung der Beschwerde die Gebühr nach billigem Ermessen auf die Hälfte zu reduzieren.

Umstände, die in Anwendung von § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründen würden, sind nicht ersichtlich.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

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