VG des Saarlandes, Urteil vom 29.08.2018 - 5 K 338/17
Fundstelle
openJur 2021, 9863
  • Rkr:

1. Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen Abfall vom islamischen Glauben.

2.Ein afghanischer Staatsangehöriger muss bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung i.S. des § 3 AsylG befürchten, wenn er sich vom islamischen Glauben abgewandt und dem christlichen Glauben zugewandt hat. Einer Taufe bedarf es nicht.

Tenor

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2017 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er beantragte am 23.07.2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 27.07.2015 gab der Kläger an, er habe einen Reisepass besessen, der in Schweden ausgestellt worden sei und den er in Hamburg abgegeben habe. Seine letzte Anschrift in Afghanistan sei im Dorf Soukhteh gewesen, das zum Kreis Garmsir und zur Provinz Helmand gehöre. Er habe diese Adresse verlassen, als er vier Jahre alt gewesen sei, dann seien sie nach Pakistan gegangen. In Afghanistan sei er danach nicht mehr gewesen. Sein Vater sei im Jahr 2010 verstorben und seine Mutter halte sich in Pakistan auf. Er habe eine Schwester, die 23 oder 24 Jahre alt und verheiratet sei. Auch sie halte sich in Pakistan auf. In Afghanistan habe er noch einen Onkel mütterlicherseits. Der halte sich in der Provinz Helmand auf, er wisse aber nicht wo genau. Er habe lediglich zwei Jahre lang die Schule in Schweden besucht. Er könne etwas lesen, schreiben könne er aber nicht. Einen Beruf habe er nicht erlernt, in Pakistan habe er als Helfer eines Schweißers gearbeitet. Er habe sowohl in Schweden als auch in Norwegen einen Asylantrag gestellt, beide Anträge seien abgelehnt worden. Er habe mit vier Jahren Afghanistan verlassen und sei nach Pakistan. Im November 2010 habe er dann Pakistan verlassen und sei illegal zu Fuß in den Iran. Eine Woche sei er dort geblieben, dann sei er illegal zu Fuß in die Türkei. In der Türkei habe er sich 5-6 Tage aufgehalten. Mit einem Schlauchboot und zu Fuß sei er dann nach Griechenland. Etwa zwei Monate sei er in Griechenland gewesen. Er habe mehrfach versucht, Griechenland zu verlassen. Dann sei es ihm gelungen, auf einen Lkw zu steigen, der eine Fähre benutzt habe, um nach Italien zu kommen. Etwa eine Woche lang sei er in Italien gewesen, dann habe er mithilfe von Schleppern mit einem Auto bzw. Zug die Reise nach Schweden angetreten. Er wisse nicht mehr, durch welche Länder sie gefahren seien. Am 14.02.2011 sei er Schweden angekommen. Er habe sich in Schweden etwa vier Jahre lang aufgehalten, am 05.02.2015 sei er dann nach Norwegen. Er habe dort eine Ablehnung erhalten und man habe ihn abschieben wollen. Er habe nicht genau verstanden, wohin man ihn habe abschieben wollen, aus diesem Grund sei er dann wieder nach Schweden zurückgekehrt. Dort sei er geblieben, bis er mit dem Zug über Dänemark nach Deutschland gefahren sei, wo er am 21.06.2015 in Hamburg angekommen sei.

Zu seinen Asylgründen trug der Kläger vor, das Leben in Pakistan sei schwierig. Aus religiösen Gründen würden dort Schiiten getötet werden und auch Hazara hätten Probleme dort. Darüber hinaus sei sein Vater in einer Mine umgekommen, in der er gearbeitet habe. Die Nachbarn hätten Kinder, die nach Europa gewollt hätten und die Mutter habe die Nachbarn gefragt, ob man ihn mitnehme. Er sei dann mit dem Sohn der Nachbarn nach Schweden gereist. In Pakistan sei es sehr gefährlich, täglich würden dort Leute auf der Straße sterben. Er habe dort nicht länger leben können. Die Lebensbedingungen seien sehr schwierig. Als er in Schweden gewesen sei, sei sein jüngerer Bruder auf dem Weg von der Schule nach Hause durch eine Autobombe ums Leben gekommen. Das sei im Jahr 2013 gewesen. Er selber habe konkret nichts gemacht, er habe auch keine konkreten Gründe. Auf Frage, was er zu befürchten habe, wenn er in seine Heimat zurückkehren würde, erklärte der Kläger, er kenne sich in Afghanistan gar nicht aus. Außerdem werde seine Familie schon einen Grund gehabt haben, warum sie Afghanistan verlassen habe. Er selber habe keine Feinde. Sein Vater sei aber vor ihnen ausgereist und sei nicht einmal zurückgekehrt, um die Familie abzuholen. Es könnte also durchaus sein, dass er dort Probleme gehabt habe. Erzählt habe er aber davon nichts. Seine Mutter habe Angst, dass auch er ums Leben komme, nachdem sein Bruder gestorben sei.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 13.02.2017 den Asylantrag ab und erkannte die Flüchtlingseigenschaft sowie den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Gleichzeitig wurde dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan angedroht, sollte er die im Bescheid genannte Ausreisefrist von 30 Tagen nicht einhalten. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Zur Begründung ist in dem Bescheid im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Der Kläger, der keine Angaben zu seinem Aufenthaltsstatus im Land des gewöhnlichen Aufenthalts Pakistan gemacht habe, habe auch keine Asylgründe geltend gemacht. Ihm sei in seinem Herkunftsland dem eigenen Vorbringen nach keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG widerfahren. Gleiches gelte offenbar auch für das Land des gewöhnlichen Aufenthalts. Sofern er vorgetragen habe, dass Zugehörige zur Volksgruppe der Hazara, Menschen mit islamisch-schiitischer Konfessionszugehörigkeit sowie Afghanen generell ein schwieriges Leben in Pakistan hätten oder sogar verfolgt würden, so müsse er sich vorhalten lassen, in sein Herkunftsland Afghanistan umzusiedeln. Aus der Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara folge nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung in Afghanistan.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor, da aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich sei, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland eine entsprechende Gefahr drohe. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Wie bereits im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG festgestellt, drohe dem Kläger in Afghanistan keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei daher keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Der Kläger habe keine individuell gefahrenerhöhenden Gründe vorgebracht. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er als gesunder, junger Mann nach der Rückkehr nicht eine auskömmliche, ortsübliche, mindestens aber existenzsichernde Existenz aufbauen könnte. Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die dem Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten, seien nicht vorgetragen worden und lägen auch nach Erkenntnissen des Bundesamtes nicht vor.

Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Im Fall einer Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 35 AsylG oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG das aus § 11 Abs. 1 AufenthG resultierende Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen. Komme ein Drittstaatsangehöriger seiner Ausreisepflicht nicht nach und sei er ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden, dürfe er weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch dürfe ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem AufenthG, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG). Die Wirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG trete mit der Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung kraft Gesetzes ein. Die Dauer dieses gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots werde gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und dürfe grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten. Sei der Drittstaatsangehörigen aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden oder gehe eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihm aus, dürfe die Frist fünf Jahre überschreiten, aber solle zehn Jahre nicht überschreiten. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen. Die Frist beginne mit der Abschiebung. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung, aufgrund schutzwürdiger Belange, seien weder vorgetragen worden noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären.

Der Bescheid wurde dem Kläger am 15.02.2017 zugestellt.

Am 28.02.2016 hat der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Zur Begründung führt er aus, er sei politisch verfolgt, so dass ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen sei. Zumindest sei ihm subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen. In jedem Fall bestehe jedoch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG. Er sei afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Hazara. Ein Abschiebungsverbot bestehe bereits deshalb, weil er als Person, die im Alter von vier Jahren Afghanistan verlassen habe und über kein familiäres Netzwerk dort verfüge, seine Existenz auch als junger alleinstehender Mann nicht sichern könnte. Personen wie er ohne familiären Rückhalt könnten ihre Existenz nicht sichern. Nach allem bestehe zumindest ein Abschiebungsverbot. Unabhängig hiervon sei aber auch von politischer Verfolgung von Hazara in Afghanistan auszugehen.

Er habe inzwischen vom islamischen Glauben abgewandt und besuche nach seinem Hauptschulabschluss nunmehr die Sozialpflegeschule. Sowohl in der Hauptschule als auch in der Sozialpflegeschule besuche er den Religionsunterricht. Er habe dann Kontakt zur Evangelischen Kirchengemeinde Lebach-A-Stadt aufgenommen und besuche seit dem 08.01.2018 die Bibelstunden, die von dieser veranstaltet würden. Auch an den Gottesdiensten der Kirchengemeinde nehme er teil. Ab dem Sommer 2018 werde er den Glaubenskurs besuchen, mit dem er sich auf die beabsichtigte Taufe vorbereite. Er nehme auch regelmäßig an den Bibelstunden und aktiv am Gemeindeleben teil. Er bereite sich weiterhin auf die Ende des Jahres in Aussicht genommene Taufe vor.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2017 zu verpflichten ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise

ihm subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

weiter hilfsweise

festzustellen, dass hinsichtlich Afghanistans ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 08.02.2018 zurückgewiesen.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten, deren Inhalt ebenso wie die Dokumentation Afghanistan zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene ablehnende Bescheid der Beklagten vom 13.02.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Da nach § 77 Abs. 1 Satz AsylG auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, ist maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehren des Klägers das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 29. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780), - AsylG - sowie das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147).

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Nach § 3c Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Asylantragsteller in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Asylantragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr. Dies gilt wegen der Symmetrie der Maßstäbe für Anerkennung und Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gleichermaßen. Dieser Maßstab ist mit demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gleichzusetzen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, BVerwGE 140, 22 = InfAuslR 2011, 408 = NVwZ 2011, 1463 = Buchholz 402.25 § 73 AsylG Nr. 39 und vom 20.02.2013 -10 C 23/12 -, BVerwGE 146, 67 = NVwZ 2013, 936 = InfAuslR 2013, 300 zu § 60 Abs. 1 AufenthG a.F..

Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders gemäß § 28 Abs. 1 AsylG bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27/07 -, BVerwGE 133, 31 = DVBl 2009, 595 = NVwZ 2009, 730 = InfAuslR 2009, 260 = Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24.

Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden.

Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nur dann vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, BVerwGE 146, 12 = InfAuslR 2013, 241 = NVwZ 2013, 1167 und vom 08.09.2011 - 10 C 14/10 -, BVerwGE 140, 319 = NVwZ 2012, 240 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2ff AufenthG Nr. 44.

Entscheidend ist, ob bei "qualifizierender" Betrachtungsweise aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und deshalb eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Die Betrachtung ist weder auf einen quantitativ zu ermittelnden überwiegenden Wahrscheinlichkeitseintritt reduziert, noch ist der quantitative Aspekt ausgeschlossen. Bei der vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" müssen die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium bei der Beurteilung, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Bei quantitativ nicht überwiegender Wahrscheinlichkeit (mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 %) einer Gefahr kann eine politische Verfolgung gegeben sein, wenngleich die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht ausreicht, da ein vernünftig denkender Mensch sie außer Betracht lässt. Wenn sich aus den Gesamtumständen des Falles die reale Möglichkeit einer Verfolgung ergibt, riskiert kein verständiger Mensch die Rückkehr in das Herkunftsland. Bei der Abwägung aller Umstände bezieht der verständige, besonnen und vernünftig denkende Betrachter neben dem Alter des potentiellen Rückkehrers auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissem Umfang ein. Es besteht ein erheblicher Unterschied, ob die Gefahr z.B. eines Verhörs ohne Folter, einer Inhaftierung über Stunden, Tage, Monate, Jahre, der Folter oder aber des "Verschwindenlassens" oder der Todesstrafe droht

Vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011, a.a.O..

Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c Abs. 1 AsylG kann die Verfolgung ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Überdies regelt § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn sie allein an das Geschlecht der die geschlechtliche Identität anknüpft.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Art. 4 Abs. 4 QRL begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Geht es um die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 QRL bei der Feststellung eines unionsrechtlich vorgezeichneten subsidiären Abschiebungsverbots, greift die Vermutung nach dieser Vorschrift ein, wenn der Antragsteller vor seiner Ausreise aus dem Heimatland einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie erlitten hat oder unmittelbar von einem solchen Schaden bedroht war. Eine Vorverfolgung im flüchtlingsrechtlichen Sinne reicht für das Eingreifen der Vermutung im Rahmen des subsidiären Schutzes daher nur dann aus, wenn in ihr zugleich ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 QRL liegt, etwa wenn die Verfolgungsmaßnahme in Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht. Außerdem setzt die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 QRL, dass der Antragsteller "erneut von einem solchen Schaden bedroht wird", einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus.

Vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = InfAuslR 2010, 404 = NVwZ 2011, 56 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 38, vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377 = InfAuslR 2010, 410 = NVwZ 2011, 51 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39. 20 ff., vom 07.09.2010 - 10 C 11.09 -, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 42 und vom 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, BVerwGE 140, 22 = InfAuslR 2011, 408 = NVwZ 2011, 1463 unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR und des EuGH; OVG des Saarlandes, Urteil vom 25.08.2011 - 3 A 35/10 -.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar - d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252 = InfAuslR 2010, 256 = NVwZ 2010, 979 = Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 8, m.w.N..

Maßgebend für den Zeitpunkt der Verfolgungsprognose ist die letzte gerichtliche Tatsacheninstanz (§ 77 Abs. 1 AsylG). Dabei sind alle für eine Verfolgung sprechenden Gründe in ihrer gegenseitigen Einflussnahme und Abhängigkeit einer Gesamtwürdigung zu unterziehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.1983 - 9 C 158.80 -, BVerwGE 68, 106 = NVwZ 1984, 244 = Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 14 = DVBl 1984, 564 = DÖV 1984, 680 = InfAuslR 1984, 87.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind vorliegend gegeben. Denn zum jetzigen Zeitpunkt muss er auf Grund seiner Abwendung vom Islam und seiner Absicht sich christlich taufen zu lassen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG rechnen. So ist nach der vorliegenden Auskunftslage davon auszugehen, dass Muslime, die sich vom Islam abwenden, in Afghanistan einer Verfolgung sowohl durch staatliche als auch nichtstaatliche Organe unterliegen.

Zunächst hat der Kläger im vorliegenden Verfahren glaubhaft gemacht, dass er beabsichtigt zum Christentum zu konvertieren. So ist das Gericht nach den vorgelegten Unterlagen, insbesondere den Bescheinigungen der Evangelischen Kirchengemeinde Lebach-A-Stadt vom 23.01.2018 und 25.07.2018, zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger sich vom Islam abgewandt hat und beabsichtigt, sich taufen zu lassen. Dass dies noch nicht erfolgt ist, beruht darauf, dass der Kläger vor der Taufe erst einen Glaubenskurs besuchen muss, damit er getauft werden kann. Dieser Kurs beginnt aber erst im Herbst 2018. Der Kläger nimmt aber seit Januar 2018 regelmäßig an Bibelstunden und den Gottesdiensten der Evangelischen Kirchengemeinde Lebach-A-Stadt teil. Außerdem nimmt er regelmäßig an Veranstaltungen der Kirchengemeinde teil. Daher geht das Gericht davon aus, dass sich der Kläger ernsthaft vom Islam ab- und dem Christentum zugewandt hat, weshalb ihm in Afghanistan aus religiösen Gründen eine Verfolgung droht. Dabei spielt aus Sicht des Gerichts keine Rolle, dass die Taufe noch nicht vollzogen ist. Denn maßgeblich ist allein, dass sich der Kläger vom Islam abgewandt hat und die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche anstrebt. Die Abwendung vom Islam ist bereits ausreichend für eine in Afghanistan drohende Verfolgung. Ein Abschluss der Konvertierung zum Christentum in Form der Taufe ist dagegen hierfür nicht erforderlich.

So heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012:

"Artikel 2 der Verfassung Afghanistans bestimmt, dass der Islam Staatsreligion ist. Die ebenfalls in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit gilt ausdrücklich nur für die "Anhänger anderer Religionen als dem Islam" (Artikel 2, Absatz 2). .... Demnach besteht Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsfreiheit beinhaltet, für Muslime nicht. Allerdings hält die Verfassung auch die Gültigkeit der von Afghanistan ratifizierten Verträge und Konventionen fest (Artikel 7), was aber im Lichte des Islamvorhalts zu lesen ist. ....

Afghanische Christen sind im Wesentlichen vom Islam konvertiert; ihre Zahl kann nicht annähernd verlässlich geschätzt werden, da Konvertiten sich hierzu nicht öffentlich bekennen, beträgt aber wohl weniger als ein Prozent. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Selbst zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NROs regelmäßig abgehalten werden, erscheinen sie nicht.

Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf die die Todesstrafe steht. ... Eine Sendung des Privatsenders "Noorin-TV" provozierte landesweit anti-christliche Reaktionen und Studentendemonstrationen (in Herat, Kabul, aber auch Taloqan), nachdem am 31.05.2010 ein Beitrag über angeblich zum Christentum konvertierte afghanische Staatsbürger ausgestrahlt worden war. Die Sendung war Gegenstand einer Debatte des Parlaments, in der die Ausstrahlung des Beitrags insgesamt und auch der Duktus scharf kritisiert wurden. So forderte der stellvertretende Generalsekretär des Parlaments, Adbul Sattar Khawasi, eine öffentliche Hinrichtung der Konvertiten."

Im Lagebericht vom 19.10.2016 ist ausgeführt:

"Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings wurde die Todesstrafe wegen Konversion nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes nie vollstreckt. Gefahr droht Konvertiten oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Repressionen gegen Konvertiten sind in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften. Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber konvertierten Christen ist ablehnend. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel schon deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen.

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen mehr gibt. Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen Nichtregierungsorganisationen (NROs) abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen."

Im Lagebericht vom 31.05.2018 ist schließlich ausgeführt:

"Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind dem Auswärtigen Amt in jüngerer Vergangenheit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld.

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird.

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der Italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NROs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen."

Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt in ihren Berichten "Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage" vom 13.09.2015 und 30.09.2016 aus, dass Konversion im Islam als Apostasie betrachtet und mit dem Tode bestraft werde. Konvertiten würden von der Familie und der Gemeinschaft zurückgestoßen und müssten mit gewaltsamen Übergriffen, dem Verlust des Arbeitsplatzes, mit Enteignung, mit der der Annullierung der Ehe und mit Todesdrohungen rechnen. Rechtsvertreter, welche Konvertiten verträten, würden selber mit dem Tode bedroht.

Die Anwendung der Scharia auf Konversion hat in der Vergangenheit auch bereits zu Prozessen geführt, in denen Muslime wegen des Übertritts zum Christentum die Todesstrafe gedroht hat.

Vgl. Stern vom 22.03.2006; Focus vom 22.03.2006; ai, "Rundbrief gegen die Todesstrafe" vom Juni 2006; Lagebericht vom 09.02.2011.

Dass die christliche Taufe für die Frage einer Verfolgung nicht maßgeblich ist, kann unschwer daraus hergeleitet werden, dass nicht nur vom Islam zum Christentum konvertierte Afghanen sondern auch Atheisten einer Verfolgung unterliegen, wobei ihnen nicht nur staatliche bzw. nichtstaatliche Diskriminierungen begegnen, sondern auch Bedrohungen durch die eigene Familie oder ihr Wohnumfeld bis hin zur Todesstrafe, falls ihr Abfall vom Glauben in Afghanistan bekannt wird. Auch von staatlicher Seite muss mit Nachstellungen gerechnet werden. Der einflussreiche islamische Rat in Kabul hat im Jahr 2012 eine Erklärung herausgegeben, nach der in Afghanistan das islamische Recht herrsche. Apostasie wurde hierbei noch einmal ausdrücklich als Todsünde bezeichnet. Die afghanische Regierung übernahm diese Erklärung und veröffentlichte sie auf ihrer offiziellen Website. Präsident Karzai bezeichnete die Erklärung des Rates in einer Rede ausdrücklich als richtig. Bereits der Umstand, dass eine Person vom Islam abgefallen ist, kann Grund für Bedrohungen mit dem Tod sein.

Vgl. Dr. Danesch, Anfragebeantwortung zur Situation von Atheisten in Afghanistan 03.07.2012, S. 3; ACCORD: Informationen zur Lage von AtheistInnen vom 16.10.2014 und Situation von muslimischen Familienangehörigen von vom Islam abgefallen Personen (Apostaten), christlichen Konvertiten und Personen, die sich kritisch gegenüber dem Islam äußerten vom 09.11.2017.

Dass es bisher soweit ersichtlich noch nicht zu entsprechenden Verurteilungen gekommen ist, ist dabei unerheblich, da es im Hinblick auf die im Raum stehende Strafdrohung ausreicht, dass die Gesetzeslage in Afghanistan offensichtlich entsprechende Strafverfahren zulässt. Daher müsste der Kläger wegen seiner Abwendung vom Islam bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung befürchten.

Vgl. VG Würzburg, Urteile vom 31.01.2018 - W 1 K 16.32648 - und vom 23.04.2018 - W 1 K 18.30052 -; VG Berlin, Urteil vom 13.04.2018 - VG 10 K 529.17 A -; für den Fall der Konversion u. A. Hessischer VGH, Urteil vom 24.06.2010 - 8 A 290/09.A -; VG Meiningen, Urteil vom 24.03.2011 - 8 K 20215/10 Me -; VG Trier, Urteil vom 26.10.2011 - 5 K 493/11 TR VG Würzburg, Urteil vom 16.02.2012 - W 2 K 11.30264 -, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 28.07.2014 - 5a K 5864/13.A - und VG Hannover, Urteil vom 09.06.2015 - 7 A 7278/13 -; VG Würzburg, Urteil vom 30.09.2016 - W 1 K 16.31087 -; VG Aachen, Urteil vom 24.03.2017 - 7 K 2021/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 14.08.2017 - 4 A 305/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 25.09.2017 - Au 5 K 17.31653 -, VG Potsdam, Urteil vom 03.04.2018 - VG 7 K 2679/16.A -, alle zit. nach juris.

Die Beklagte ist daher unter entsprechender Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 13.02.2017 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Auf die hilfsweise gestellten Anträge kommt es deshalb auch im Hinblick auf § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.

Die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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