OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2021 - OVG 3 B 109.18
Fundstelle
openJur 2021, 7246
  • Rkr:

Unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 19. November 2020 - C-238/19 - ist syrischen Männern, die den Wehrdienst verweigert haben, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ihnen droht politische Verfolgung wegen einer ihnen von dem syrischen Regime zugeschriebenen oppositionellen Haltung. Insoweit gibt der Senat seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach in diesen Fällen allein die Zuerkennung subsidiären Schutzes gerechtfertigt war (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2019 - OVG 3 B 27.17 - juris).

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit int. Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 2. Januar 1991 geborene Kläger, arabischer Syrer und muslimisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft anstelle subsidiären Schutzes.

Der Kläger hat eigenen Angaben zufolge in Zaida Zaynab gelebt und Syrien im Oktober 2015 verlassen. Kurz darauf ist er in das Bundesgebiet eingereist und hat im Dezember 2015 Asyl beantragt.

Anlässlich seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Juli 2016 legte der Kläger einen bis zum 29. Juni 2017 gültigen syrischen Reisepass vor, der am 30. Juni 2015 verlängert worden war. Auf die Frage nach seiner Ausreise antwortete der Kläger, zunächst von Damaskus nach Beirut geflogen zu sein. Um innersyrische Checkpoints - drei bis vier an der Zahl - durchqueren zu können, habe er einem Beamten 300 US-Dollar gezahlt, der ihn dann bis zum Flughafen begleitet und durch die Checkpoints der syrischen Regierung geleitet habe. Er sei alleine ausgereist; die gesamte Familie befinde sich - bis auf den ältesten Bruder, der in Syrien inhaftiert sei - in Deutschland. Er habe nach dem Abitur an der Universität Damaskus sechs Jahre lang englische Literatur studiert und das Studium abgeschlossen. Normalerweise dauere das Studium nur vier Jahre, kriegsbedingt habe es sich bei ihm jedoch in die Länge gezogen.

Ferner gab der Kläger unter Vorlage seines Militärbuches an, sein Wehrdienst sei wegen des Studiums ausgesetzt worden. Er habe das Land vier Monate vor Ablauf des Aufschubs verlassen; seine Einziehung zum Wehrdienst habe bevorgestanden. Beim Wehrdienst sei es entweder so, dass man jemanden töte oder selbst sterbe. Er habe nur die Wahl gehabt, für die Regierung zu kämpfen oder von schiitischen Milizen verhaftet zu werden. Er sei gegen Waffen im Allgemeinen und für eine friedliche Revolution.

Während einer Versammlung in Zaida Zaynab habe er erlebt, dass die syrische Regierung mit massiver Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen sei. Er selbst habe auch an Demonstrationen teilgenommen und Syrien verlassen, um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie sein verhafteter Bruder, von dem die Familie seit vier Jahren nichts gehört habe. Schiitische Milizen hätten sich nach ihnen erkundigt, so dass sie ausgereist seien. Man habe sie als oppositionell angesehen. Er sei festgenommen, bedroht und gefragt worden, wie er sterben wolle.

Mit Bescheid vom 9. August 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Mangels Verfolgung komme die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht. Schiitische Milizen hätten den Kläger zwar einmal festgehalten, dann aber wieder freigelassen. In einem internen Vermerk zur Begründung für die Zuerkennung subsidiären Schutzes ging der Entscheider von der syrischen Staatsangehörigkeit des Klägers aus und nahm u. a. an, dass er als junger Mann im wehrfähigen Alter bei einer Rückkehr höchstwahrscheinlich zum Wehrdienst eingezogen werde.

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der der Kläger sein Vorbringen ergänzt und vertieft hat, hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 10. August 2017 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Es könne offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist sei. Er halte sich allein deshalb aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb Syriens auf, weil ihm der syrische Staat bei einer unterstellten Rückkehr als Asylbewerber eine oppositionelle politische Überzeugung zuschreibe. Gefahrerhöhend wirke sich zudem aus, dass sich der Kläger im wehrdienstfähigen Alter befinde.

Die Beklagte hat ihre wegen nachträglicher Divergenz zugelassene Berufung zunächst unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid, ihre Ausführungen im Berufungszulassungsverfahren sowie den Zulassungsbeschluss des Senats begründet.

Außerdem macht sie geltend: Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2020 - C-238/19 - rechtfertige keine Änderung der bisherigen überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung einschließlich der des OVG Berlin-Brandenburg. Es bleibe vor allem bei einer Einzelfallprüfung ohne Automatismus einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Ausführungen des EuGH zur Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund ließen weder einen hinreichend definierten Maßstab erkennen, noch lasse sich der Entscheidung entnehmen, auf welche Tatsachengrundlage der EuGH seine Auffassung stütze. Die Vermutung gelte im Übrigen nicht generell, sondern es bedürfe einer Einzelfallprüfung, die auch Gründe für die Wehrdienstverweigerung berücksichtigen müsse. Die Vermutung sei nicht nur angesichts der bisherigen überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, sondern auch im Hinblick auf die aktuelle militärische Entwicklung in Syrien, die eine gewisse Normalisierung zur Folge habe, widerlegt. Wehrdienstentziehung als solche werde für sich genommen noch nicht als oppositionelle Haltung angesehen. Dies verdeutlichten auch Erkenntnisse und Quellen.

Die mehrfach ausgesprochenen Amnestien zeigten schon allein von ihrem Wesen her, dass es der syrischen Regierung nicht vorrangig um eine Bestrafung von Wehrdienstverweigerern gehe, sondern um deren Einsatz im Krieg. Gleiches gelte für bestehende Befreiungsmöglichkeiten, auf die Wehrpflichtige verwiesen werden könnten. Die Amnestie- und Freikaufsregelungen seien im Übrigen umgesetzt worden, dies betreffe auch das Dekret Nr. 18/2018. Rückkehrern - u.a. aus der Türkei und dem Libanon - bereite das syrische Regime keine nennenswerten Schwierigkeiten; diese seien nicht von Verfolgung bedroht. Im Übrigen fehle ein regelhaftes Vorgehen bzw. ein klares Muster bei der Behandlung von Rückkehrern. Selbst wenn es zu einer Bestrafung komme, reiche das ohne Hinzutreten weiterer Umstände für die Annahme einer Verfolgung nicht aus. Dementsprechend lehne die inzwischen ergangene erstinstanzliche Rechtsprechung eine über subsidiären Schutz hinausgehende Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zutreffend ab.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. August 2017 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und dem erstinstanzlichen Verfahren. Er habe den Wehrdienst verweigert und stamme aus einem oppositionellen Umfeld, sodass die von dem EuGH als ausreichend erachtete Vermutung einer Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund greife. Die Berichterstattung in den Medien und aktuelle - im Einzelnen bezeichnete - Erkenntnisse verdeutlichten, dass die syrische Armee weiterhin Kriegsverbrechen begehe. Das von der Beklagten angeführte Dekret Nr. 18/2018 entfalte für Rückkehrer keine effektive Wirkung; sie müssten bei fortgesetzter Wehrdienstverweigerung vielmehr mit noch härteren Strafen rechnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte und die von der Beklagten und der Ausländerbehörde übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zutreffend verpflichtet, dem Kläger über den bereits zuerkannten subsidiären Schutz hinaus die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, denn der Kläger hat darauf einen Anspruch, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines dort genannten Grundes voraus. Ob dies vorliegt, bedarf der Prognose mittels einer qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32 m.w.N.).

Gemessen daran droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer - wegen des zuerkannten subsidiären Schutzes nur hypothetischen - Rückkehr Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG wegen einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Haltung durch das syrische Regime. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Kläger bereits verfolgt wurde, als er Syrien verlassen hat. Unabhängig davon wäre dem Kläger auch dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn man eine Vorverfolgung verneinte. Auch in diesem Fall würde dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Syrien Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Insoweit hält der Senat an seiner Rechtsprechung, wonach die Wehrdienstentziehung syrischer Staatsangehöriger mangels Kausalität zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund nur die Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtfertigt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2019 - OVG 3 B 27.17 - juris Rn. 26), nicht mehr fest.

Maßgeblich für die hier zu treffende Entscheidung ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AslyG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 12). Eine Abweichung hiervon ist weder aus Gründen des materiellen Rechts noch im Hinblick auf vorrangiges Unionsrecht geboten (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 - 1 C 35/19 - juris Rn. 9).

Dies gilt auch, soweit der Gerichtshof der Europäischen Union bei seiner Auslegung, unter welchen Umständen die Ableistung des Militärdienstes im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) Kriegsverbrechen umfassen kann, den Zeitpunkt der Behördenentscheidung als relevant anführt (Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 35 und 37). Damit soll aus der Sicht des Senats nicht die Prüfung der erforderlichen Verfolgungsbetroffenheit im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in Abrede gestellt werden, sondern der EuGH bezieht sich hier auf den Regelfall einer behördlichen Prüfung unabhängig von einem sich ggf. anschließenden gerichtlichen Verfahren und macht insoweit Vorgaben für die Asylbehörden. Für diese Sichtweise spricht auch die Auslegung des EuGH zu Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU. Danach erfordert eine "umfassende Ex-nunc-Prüfung" durch das Gericht, dass es auch Gesichtspunkte berücksichtigt, die erst nach Erlass der Behördenentscheidung aufgetreten sind (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018 - C-585/16 - juris Rn. 113).

Der Kläger ist im Oktober 2015 vorverfolgt im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU aus Syrien ausgereist. Als vorverfolgt gilt, wer seinen Heimatstaat entweder vor bereits eingetretener oder vor unmittelbar drohender Verfolgung verlassen hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45/92 - juris Rn. 9 ff.). Die insoweit gebotene qualifizierende Betrachtungsweise bezieht sich nicht nur auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45/92 - juris Rn. 10).

Unabhängig davon, ob die Angaben des Klägers zu seinen eigenen bzw. zu den familiären Aktivitäten in Syrien bereits die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung rechtfertigen, ergibt sich die begründete Furcht vor Verfolgung jedenfalls aus §§ 3 Abs. 1, 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 AsylG.

Zu den flüchtlingsrelevanten Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG kann gemäß dem Regelbeispiel in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt zählen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Mit dieser Vorschrift ist Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU umgesetzt worden.

Der Kläger hat vor seiner Ausreise aus Syrien im Oktober 2015 den Militärdienst, zu dem auch der Wehrdienst zählt, im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG verweigert. Dieser Tatbestand verlangt nicht, dass der Wehrpflichtige vor der Ausreise seine ablehnende Haltung gegenüber der Militärverwaltung förmlich zum Ausdruck bringt und sich dadurch einer Bestrafung oder Strafverfolgung aussetzt, wenn das Recht des Herkunftsstaates kein Verfahren vorsieht, das eine Verweigerung des Militärdienstes ermöglicht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 32). Dies bedeutet zugleich, dass eine ausdrückliche Ablehnung des Wehdienstes nicht erforderlich ist (anders noch OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A - juris Rn. 95, das den Begriff vom Wortlaut her auslegt). Es reicht vielmehr grundsätzlich aus, dass der Betroffene aus seinem Herkunftsland flieht, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen, weil er den Wehrdienst nicht leisten möchte (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 32). Gemessen daran kann einem Schutzsuchenden, der sich auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG beruft, grundsätzlich auch nicht allein entgegengehalten werden, er sei noch kein Militärangehöriger (noch offen gelassen BVerwG, Beschluss vom 7. November 2019 - 1 B 77/19 - juris Rn. 6; Urteil vom 22. Mai 2019 - 1 C 10/18 - juris Rn. 22; verneint OVG Hamburg, Urteil vom 1. Dezember 2020 - 4 Bf 205/18.A - juris Rn. 72) oder er habe noch keinen Einberufungsbefehl erhalten. Dies gilt in Bezug auf die Verhältnisse in Syrien vor der Ausreise des Klägers umso mehr, als die Modalitäten einer Einberufung variierten und es auch allgemeine öffentliche Aufrufe zur Meldung im Rekrutierungsbüro gab.

Schließlich erfordert der Tatbestand der Verweigerung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kein bestimmtes Motiv des Wehrdienstpflichtigen für seinen fehlenden Willen, Wehrdienst unter den dort genannten Rahmenbedingungen zu leisten. Maßgeblich ist insoweit, dass die Verweigerung das einzige Mittel darstellen muss, das es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 zu entgehen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 27). Dies reicht als Motivation aus. Ungeachtet dessen kann der Grund für die Verweigerung jedoch eine Rolle bei der Frage nach der Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund spielen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 47 ff.).

Im Übrigen verdeutlichen auch die erlassenen Amnestiedekrete wie z.B. das Dekret Nr. 18/2018, dass das syrische Regime wehrpflichtige Männer, die Syrien vor der Ableistung ihres Wehrdienstes verlassen und sich dadurch einer Einberufung entzogen haben, grundsätzlich als Wehrdienstverweigerer ansieht, denen strafrechtliche Sanktionen drohen.

Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Schutzsuchender den Militärdienst im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG verweigert hat, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 31). Danach gilt hier folgendes:

Die in Art. 46 Abs. 1 der Verfassung der Arabischen Republik Syrien normierte Wehrpflicht erfasst grundsätzlich alle syrischen Männer ab 18 Jahren. Sie unterliegen der Wehrpflicht in der Syrischen Armee bis zum 42. Lebensjahr und müssen sich nach der Ableistung des Wehrdienstes als Reservisten bereithalten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 39; SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 4 f.; vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien vom 4. Dezember 2020, S. 13). Eine Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen war und ist - ebenso wie ein Ersatzdienst - grundsätzlich ausgeschlossen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14).

Der Militärdienst soll 18 bis 21 Monate dauern (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 16 und 18). Seit Beginn des Bürgerkriegs gab es jedoch keine einheitliche Praxis und das Ende war oft nicht vorhersehbar (vgl. dazu mit weiteren Nachweisen SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 5 f.). Vielfach mussten die Einberufenen über mehrere - zum Teil acht oder neun - Jahre hinweg im Bürgerkrieg dienen (EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 64). Auch derzeit hängt die Dauer des Wehrdienstes von verschiedenen Umständen ab; es fehlt - trotz Entlassungen aus der Armee - noch immer an einer für alle Wehrdienstleistenden einheitlichen Praxis (dazu im Einzelnen Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 16 f.).

Die Modalitäten der Rekrutierung lassen sich wie folgt beschreiben: Die Einberufung erfolgt, sobald ein Mann wehrpflichtig wird (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 11). Männer, die 18 Jahre alt geworden sind, müssen sich für den Militärdienst registrieren lassen bzw. im zuständigen Rekrutierungsbüro zur Musterung melden. Dort erhalten sie ihr Militärbuch (vgl. VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 28; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30. Juli 2014, S. 1, S. 5). In der Zeit vor der Ausreise des Klägers fanden zweimal jährlich, nämlich im März/April und im Oktober Termine zu Einberufungen statt, wobei aus den Erkenntnissen nicht ganz klar hervorgeht, ob diese Einberufungsrunden nur für Studenten galten, zu denen der Kläger vor seiner Ausreise zählte (vgl. dazu Danish Immigration Service, Syria, Update on Military Service, September 2015, S. 11, SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30. Juli 2014, S. 5; vgl. auch SFH, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, Auskunft vom 18. Januar 2018, S. 4).

Jedenfalls erfolgte eine Einberufung entweder, indem ein Bescheid des Rekrutierungsbüros - nicht zwingend persönlich - überstellt wurde, oder aber durch öffentliche Aufrufe in den Medien. Teilweise wurden auch Listen an Checkpoints weitergegeben (vgl. zu allem Danish Immigration Service, Syria, Update on Military Service, September 2015, S. 11; s. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report, Syrien, August 2017, S. 24). Ob auch Männer einberufen wurden bzw. werden, die noch nicht oder nicht mehr dem Wehr- bzw. dem Reservedienst unterliegen (vgl. dazu VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 30 ff.), kann der Senat hier offenlassen.

Der Kläger hat seinen Wehrdienst verweigert, indem er Syrien im Oktober 2015 zumindest auch deshalb - und zudem ohne die erforderliche Ausreiseerlaubnis (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report, Syrien, August 2017, S. 24) - verlassen hat, um seiner bevorstehenden Einberufung zu entgehen. Dementsprechend hat er gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anlässlich seiner Anhörung angegeben, keinen Wehrdienst leisten zu wollen. Dies hat er damit begründet, dass "man entweder jemanden tötet oder stirbt" und ausgeführt, dass er gegen Waffen im Allgemeinen sei und für eine friedliche Revolution. Ferner hat er zu verstehen gegeben, dass er während des Wehrdienstes nicht für die syrische Regierung habe kämpfen wollen, gegen die er seinen Angaben zufolge mehrfach demonstriert hatte. Dies reicht als nachvollziehbare Begründung für die Annahme einer Wehrdienstverweigerung aus.

Vor seiner Ausreise aus Syrien hatte der Kläger die Altersgrenze für die Einberufung zum Wehrdienst zwar deutlich überschritten, denn er war zu diesem Zeitpunkt bereits 24 Jahre alt. Er unterlag jedoch mangels Ableistung des Wehrdienstes weiterhin der Wehrpflicht. Schon im Verwaltungsverfahren hat der Kläger plausibel dargelegt, dass der Wehrdienst wegen seines 2009 begonnenen Studiums aufgeschoben worden war und er im Hinblick auf das 2015 beendete Studium in sehr absehbarer Zeit - seinen nachvollziehbaren Angaben zufolge innerhalb von rund vier Monaten nach der Ausreise - mit seiner Einberufung rechnen musste. Der zuletzt gewährte Aufschub bezog sich den Eintragungen im Militärbuch zufolge auf das Studienjahr 2015/2016, sodass die Einberufung angesichts der fehlenden Verlängerungsmöglichkeit spätestens im Frühjahr 2016 bevorstand.

Der Senat hat keinen Anlass, an den Angaben des Klägers zu seinem Studium, zu den Eintragungen in seinem Militärbuch, die die in der mündlichen Verhandlung anwesende Dolmetscherin erneut übersetzt hat, und an den Angaben zu der Ausreise zu zweifeln. Der Kläger hat seine durch Bestechung organisierte Ausreise von Damaskus nach Beirut in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar substantiiert, auch wenn die Angaben zur Höhe der gezahlten Summe nicht (mehr) mit den im Verwaltungsverfahren protokollierten Angaben übereinstimmten. Im Übrigen berichten auch verschiedene Erkenntnismittel, dass nach Erlass des Ausreiseverbotes für zwischen 1985 und 1991 geborene Männer ein - sogar legales - Verlassen des Landes angesichts der weit verbreiteten Bestechung möglich war (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft, 28. März 2015, S. 4 f.; Danish Immigration Service, Syria: Military Service, 26. Februar 2015, S. 11).

Auch die Angaben zum Aufschub des Wehrdienstes sind plausibel und nachvollziehbar. Die Ausbildung an einer Universität konnte gemäß Art. 10 des Dekrets Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zu einem jährlich zu erneuernden Aufschub des Wehrdienstes führen (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 4). Die Voraussetzungen hierfür, die nicht einheitlich umgesetzt wurden, wurden erst 2017 eingeschränkt (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 5 f.; vgl. auch EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 63).

Nach alledem steht es der Annahme einer Wehrdienstverweigerung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bei einer Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalles nicht entgegen, dass der Kläger vor seiner Ausreise noch keinen Einberufungsbescheid erhalten hatte bzw. noch nicht konkret aufgefordert worden war, sich zum Antritt des Wehrdienstes zu melden.

Die Wehrdienstverweigerung stellte für den Kläger das einzige Mittel dar, das es ihm erlaubte, einer Beteiligung an - noch darzustellenden - Kriegsverbrechen zu entgehen (zu diesem Erfordernis EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 - juris Rn. 44). Er konnte nicht auf die Wehrpflicht betreffende Ausnahmeregelungen verwiesen werden, soweit diese vor seiner Ausreise im Oktober 2015 in Betracht kamen.

Dies gilt zunächst in Bezug auf eine Freistellung von der Wehrpflicht durch einen "Freikauf". Das Wehrdienstgesetz aus dem Jahr 2007 (Gesetzdekret Nr. 30) ist durch Präsidialdekrete um einen Freikauf von der Wehrpflicht ergänzt worden (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 8). Diese Regelung wurde auch angewandt. Für die Zeit vor der Ausreise des Klägers wird zwar von einer Freikaufmöglichkeit für im Ausland lebende Männer berichtet, wobei die hierfür zu begleichende Summe zwischen 4.000 und 6.500 US-Dollar variiert (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30. Juli 2014, S. 2 f.). Einem Präsidialerlass vom 26. Mai 2013 zufolge soll der Geldbetrag von unterschiedlichen Bedingungen abhängen (vgl. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 8). Das Geld war drei Monate nach der Einberufung zu zahlen, eine - kurze - Fristverlängerung kam gegen Zahlung weiterer Gebühren in Betracht (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 9).

Inwieweit diese Regelungen auch bei einer illegalen Ausreise galten, ist unklar; teilweise wird dies verneint (so z. B. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 9). In Syrien selbst wurde es Berichten zufolge 2015 zunehmend schwierig, einen Aufschub oder eine sonstige Befreiung, z. B. aus medizinischen Gründen, zu erreichen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft, 28. März 2015, S. 5 f.). Auch der Druck auf Studenten, deren Militärdienst aufgeschoben war, wurde erhöht. Ende 2014 kam es zu Verhaftungen in Latakia sowie zur Erstellung von Listen zukünftiger Rekruten durch die Universitätsverwaltung (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft, 28. März 2015, S. 5). Die Mobilisierung in die syrische Armee wurde Ende 2014 wegen großer Verluste und Desertion intensiviert (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28. März 2015, Auskunft, S. 1 f.), nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren wurde intensiv gesucht (ebenda, S. 3 f.). Außerdem konnte es trotz eines gewährten Aufschubs bzw. einer Befreiung vom Wehrdienst in Einzelfällen zu Zwangsrekrutierungen kommen, was ggf. durch Bestechungsgelder abgewendet werden musste (Danish Immigration Service, Syria, Update on Military Service, September 2015, S. 12). Teilweise war es möglich, der Einberufung durch Bestechung zu entgehen (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30. Juli 2014, S. 5). Vor diesem Hintergrund wird - überzeugend - der Schluss gezogen, die Umsetzung der Regelungen über den Freikauf sei nicht "zuverlässig" (vgl. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 9 f.).

Gemessen an alledem konnte es dem Kläger nicht zugemutet werden, zunächst in Syrien zu bleiben und den unsicheren, finanziell aufwändigen und für ihn riskanten Weg eines Freikaufes - in einer Zeit, in der zahlreiche Männer Syrien verließen und sich der Bedarf an Rekruten und Reservisten erhöhte - zu beschreiten.

Die Frage nach einer Amnestie stellte sich für den Kläger vor seiner Ausreise schon deshalb nicht, weil damit jedenfalls keine Befreiung von der Wehrpflicht verbunden war, er also Wehrdienst hätte leisten müssen (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 30; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 45; EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 66; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30).

Unabhängig davon besteht kein durchgreifender Anhaltspunkt, dass der Kläger bei einem Verbleib in Syrien und weiterer Verweigerung des Wehrdienstes von einer Amnestie hätte profitieren können und dementsprechend nicht bestraft worden wäre. Zwar gab es seit Kriegsausbruch mehrere durch das Regime verfügte Amnestien, so z.B. bereits im Jahr 2011 (Dekret Nr. 124). Diese "Generalamnestie" galt für Wehrdienstentzieher, die sich innerhalb von 60 Tagen bei ihrer Division melden mussten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 45; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30. Juli 2014, S. 4). Im Juni 2014 wurde die Reduktion verhängter Strafen oder die Freilassung für verschiedene Gruppen dekretiert. Auch von der Strafjustiz (noch) nicht verfolgte - sogar im Ausland befindliche - Deserteure konnten von der Amnestie profitieren (SFH, Syrien: Umsetzung der Amnestien, Auskunft vom 14. April 2015, S. 1 f.). Eine im Juli 2015 - vor der Ausreise des Klägers - verfügte Generalamnestie zur personellen Verstärkung der syrischen Armee erfasste wohl auch Wehrdienstverweigerer, für die keine Frist zur Meldung bei den Rekrutierungsbüros genannt wurde (dazu OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 - juris Rn. 148 f.). Allerdings wurden die Amnestien insgesamt nur partiell, wenig transparent und zum Teil willkürlich umgesetzt und das Vertrauen der Bevölkerung in eine faire Umsetzung war gering (SFH, Syrien: Umsetzung der Amnestien, Auskunft vom 14. April 2015, S. 2). Das Auswärtige Amt bezeichnet die bisherigen Amnestie-Dekrete in der Umsetzung sogar generell als "nahezu wirkungslos" (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 12).

Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, ob der Kläger auch angesichts einzuhaltender Fristen bei einer Verweigerung des Militärdienstes überhaupt in formaler Hinsicht unter eine Amnestie gefallen wäre, wäre ihm dies - selbst wenn man eine solche Möglichkeit abstrakt unterstellt - angesichts der mangelnden Verlässlichkeit einer Umsetzung nicht zumutbar gewesen. Einer Rekrutierung wäre der Kläger - wie dargelegt - ohnehin nicht entgangen.

Weitere Ausnahmen, die für medizinisches Personal oder alleinige Söhne (dazu EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 64) oder auch für Menschen jüdischen Glaubens (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, S. 4) bestanden - und in formaler Hinsicht weiterhin bestehen - kommen hier nicht in Betracht. Der Kläger hatte mehrere Brüder. Im Übrigen wird der Befreiungsgrund "einziger Sohn" in das Militärbuch aufgenommen (vgl. auch VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 34), was hier nicht der Fall war. Ebenso wenig einschlägig ist eine grundsätzlich mögliche Befreiung aus gesundheitlichen Gründen, wobei die Voraussetzungen variieren können (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 21).

Unabhängig von alledem sind die Ausnahmeregelungen wegen des erhöhten Bedarfs an Rekruten in den Jahren 2015 und 2016 restriktiv gehandhabt worden (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30. November 2016, S. 3; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft vom 28. März 2015, S. 5 f.). Dies ist auch in den Jahren danach weiterhin der Fall gewesen (SFH, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, Auskunft vom 18. Januar 2018, S. 4).

Das weitere Tatbestandsmerkmal des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, wonach die Verweigerung des Militärdienstes eine Strafverfolgung oder Bestrafung zur Folge haben muss, war bei der Ausreise des Klägers im Oktober 2015 ebenfalls erfüllt.

Strafrechtliche Sanktionen für Wehrdienstverweigerer und Deserteure waren - und sind bis heute - gesetzlich geregelt. Gegenüber demjenigen, der sich trotz der Einberufung innerhalb einer bestimmten Zeit nicht zum Wehrdienst meldet, wird sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten je nach den tatsächlichen Umständen gemäß Art. 99 des Militärstrafgesetzbuches (Legislative Decree No. 61/1950 in der Übersetzung des UNHCR) eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren verhängt. Desertion ins Ausland wird mit noch höheren Freiheitsstrafen (je nach Tatbestand gemäß Art. 101 Militärstrafgesetzbuch bis zu 15 Jahren), Überlaufen zum Feind bzw. Desertion angesichts des Feindes wird mit Todesstrafe bzw. lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet (Art. 102 Militärstrafgesetzbuch).

Die gesetzlich normierten (Freiheits-)Strafen wurden gegenüber Wehrdienstverweigerern und Deserteuren - zum Teil auch in deren Abwesenheit - tatsächlich verhängt (SFH, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, Auskunft vom 18. Januar 2018, S. 7). Dies verdeutlichen im Übrigen auch die zahlreichen Amnestien, die ohne eine tatsächlich erfolgte Bestrafung - selbst bei mangelhafter Umsetzung - von vorneherein weitgehend sinnlos wären. Die gesetzlichen Sanktionen wurden jedoch nicht immer einheitlich und systematisch, sondern zum Teil willkürlich angewandt (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 6; SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 10). Angesichts dessen existierten neben den gesetzlich vorgesehenen strafrechtlichen Sanktionen weitere - extralegale - Formen einer Bestrafung, die die Qualität von Verfolgungshandlungen erreichten (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A - juris Rn. 40 und 46). Hierzu kann auch eine Zwangsrekrutierung Wehrdienstpflichtiger gehören, die mit einem Einsatz an der Front ohne hinreichende militärische Ausbildung verbunden ist.

Ende 2014 kam es aufgrund eines hohen Bedarfs an Soldaten zu einer vermehrten intensiven Suche nach Deserteuren und Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen hatten. Sie wurden verhaftet, inhaftiert, verurteilt und danach eingezogen, teilweise auch direkt - nach nur rudimentärer militärischer Ausbildung - an die Front geschickt (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft vom 28. März 2015, S. 4; SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 6). Insoweit lässt sich zwar keine einheitliche Vorgehensweise feststellen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 44), wohl aber der Umstand, dass Wehrdienstverweigerung mit Strafe oder Bestrafung sanktioniert wurde.

Eine Bestrafung oder Strafverfolgung wegen Wehrdienstverweigerung stand für den Kläger vor seiner Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevor, weil er seinen glaubhaften Angaben zufolge nicht bereit war, den Wehrdienst nach Ablauf des ihm bis zum Ende des Studienjahres 2015/2016 gewährten und wegen des Studienabschlusses nicht mehr verlängerbaren Aufschubs zu leisten. Dass daneben auch weitere Motive für die Flucht bestanden, ist unschädlich. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger bei einem Verbleib in Syrien angesichts des fortbestehenden Bürgerkriegs und des hohen Bedarfs an Rekruten spätestens nach Ablauf des Aufschubs - d. h. nach wenigen Monaten - zum Wehrdienst eingezogen und in diesem Bürgerkrieg, der im Wesentlichen das gesamte Land betraf, als Soldat eingesetzt worden wäre. Seit Ende 2014 wurden wegen des erhöhten Bedarfs vermehrt Männer rekrutiert, später auch infolge von Razzien oder Verhaftungskampagnen (vgl. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 6). Insofern konnte dem Kläger, der sich angesichts seiner bevorstehenden Einberufung und der fehlenden Bereitschaft, für das Assad-Regime zu kämpfen, in einer unausweichlichen Konfliktsituation befand, nicht zugemutet werden, noch länger zu warten, um sich durch eine spätere Ausreise dem Wehrdienst zu entziehen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger, der Syrien nicht ohne weiteres ungenehmigt verlassen konnte, seine Ausreise organisieren musste.

Unabhängig davon bestand für den Kläger, der sein Studium bereits deutlich vor der Ausreise beendet hatte, angesichts vermehrter Kontrollen die Gefahr, vorzeitig eingezogen zu werden, weil der Grund für den Aufschub mit der Beendigung des Studiums entfallen war. Es kam sogar trotz eines gewährten Aufschubs bzw. einer Befreiung vom Wehrdienst zu Zwangsrekrutierungen, was ggf. durch Bestechungsgelder abgewendet werden musste (Danish Immigration Service, Syria, Update on Military Service, September 2015, S. 12). Auch dies verdeutlicht, dass der Kläger unter einem erheblichen zeitlichen Druck stand.

Die in der jüngeren Rechtsprechung nunmehr vertretene Annahme, dass die Entziehung vom Militärdienst in der Regel nicht mehr zu einem Wehrstrafprozess, sondern zur unverzüglichen Einziehung der Wehrpflichtigen nach einer unter Umständen nur kurzen Ausbildung führe (vgl. VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 42; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 2 LB 731/19 - juris Rn. 42), ist hier nicht entscheidungserheblich. Es kommt insoweit allein auf die Umstände vor der Ausreise des Klägers im Oktober 2015 an. Im Übrigen folgt der Senat - wie unten ausgeführt - dieser Ansicht nicht.

Die weitere Voraussetzung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, wonach der in einem Konflikt verweigerte Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen muss, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG (Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU) fallen, ist hier ebenfalls erfüllt. Zu derartigen Taten zählen u.a. Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG).

Zur Definition von Kriegsverbrechen kann auf Art. 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zurückgegriffen werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2010 - 10 C 7/09 - juris Rn. 26). Dessen Abs. 2 Buchst. c) bis f) bezieht sich auf Handlungen in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ohne internationalen Charakter und führt unter Buchst. c) schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte vom 12. August 1949 sowie unter Buchst. e) andere schwere Verstöße an (z. B. vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche, vorsätzliche Angriffe auf Krankenhäuser). Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen nach Art. 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs die dort genannten vorsätzlich begangenen Handlungen als Bestandteil eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung dar (vgl. zu alledem auch Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 3 AsylG, Rn. 22; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 3 AsylG, Rn. 8).

Welche Anforderungen an den Einsatz eines Militärdienstverweigerers zu stellen sind, damit die Gefahr einer Beteiligung an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Konflikt im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG besteht, hängt grundsätzlich von einer den Behörden und Gerichten obliegenden Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ab, aufgrund derer der Schutzsuchende zumindest sehr wahrscheinlich veranlasst würde, derartige Handlungen zu begehen. Die Gesamtsituation muss die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lassen (zu alledem EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 34 f.). Allerdings ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene bereits Militärangehöriger ist und sein Einsatzgebiet kennt, sodass es auf diese in der bisherigen Rechtsprechung umstrittene Frage nicht mehr ankommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2019 - 1 C 10/18 - juris Rn. 22; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 - juris Rn. 40 ff.). Es reicht aus, wenn die Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs, in dem die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen wiederholt und systematisch Verbrechen oder Handlungen gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begeht, unabhängig vom Einsatzgebiet unmittelbar oder mittelbar die Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen umfassen würde (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 38).

Gemessen daran war es hier beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger - wenn er sich nicht durch seine Ausreise im Oktober 2015 dem Wehrdienst entzogen hätte - mit hoher Wahrscheinlichkeit als Wehrdienstleistender an den von der syrischen Armee begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2011/95/EU unmittelbar oder mittelbar hätte teilnehmen müssen. Er wäre in dem seit 2011 ununterbrochen herrschenden Bürgerkrieg eingesetzt worden, in dem die syrische Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen umfassend und systematisch immer wieder derartige Handlungen begangen hat, und zwar nicht nur punktuell, sondern in dem gesamten Bürgerkriegsgebiet. Wehrdienstleistende wurden nach ihrer Einberufung in die Armee integriert und aufgrund des hohen Bedarfs an Soldaten, der auch wegen der kriegsbedingten Verluste und der Flucht zahlreicher syrischer Männer entstanden war, im Kampfgeschehen eingesetzt, und zwar sehr deutlich über die Dauer des Wehrdienstes hinaus (vgl. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 2 f., S. 6 f.; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28. März 2015, S. 1 ff.; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report, Syrien, August 2017, S. 22).

Hierzu lässt sich im Einzelnen folgendes feststellen: Schon für das Jahr 2014 wird von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch Regierungstruppen beim Angriff auf bewaffnete oppositionelle Gruppen berichtet. Genannt werden z.B. ein wahlloses Abwerfen hochexplosiver Fassbomben aus Hubschraubern u. a. auf ein Lager für Binnenflüchtlinge, die Bombardierung und der wahllose Beschuss von Wohngebieten, der Einsatz von Chlorgas sowie die gezielten Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und medizinisches Personal (Amnesty International, Amnesty Report 2015, Syrien, S. 2). Im August 2015 bezeichnete die internationale unabhängige VN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien, die durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2011 eingerichtet worden war (vgl. Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes vom 13. September 2011), das Verhalten der Kriegsparteien in Bezug auf Zivilisten als "aktuellen Beweis für die Rohheit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nach Gerechtigkeit, Verantwortung und Frieden verlangen" (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2015, S. 9). Aus Berichten dieser Kommission sowie mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass die Streitkräfte der syrischen Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen und andere unmenschliche Akte sowie Kriegsverbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung begingen (UNHCR, ebenda, S. 9; vgl. auch Amnesty Report 2016, Syrien, S. 2). Der besondere Schutz, unter dem gemäß dem humanitären Völkerrecht Krankenhäuser und medizinisches sowie humanitäres Hilfspersonal stehen, wurde missachtet (UNHCR, ebenda, S. 10). Es kam in oppositionellen Gebieten zu willkürlichen, anhaltenden und unverhältnismäßigen Luftangriffen, u.a. mit Streumunition, Fassbomben oder Chlorgas, die eine immens hohe Anzahl ziviler Opfer zur Folge hatten (UNHCR, ebenda, S. 10 f.). Diese nicht nur punktuellen, sondern systematischen, umfangreichen und wiederholten Verstöße waren nicht auf bestimmte Einsätze oder Einheiten beschränkt.

Liegt - wie hier - eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vor, rechtfertigt dies noch nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Erforderlich ist, wie auch sonst in den Fällen des § 3a Abs. 1 AsylG, ferner das Bestehen eines Verfolgungsgrundes im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG (so auch EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 46 ff.). Hierzu zählen in Übereinstimmung mit Art. 2 Buchst. d, Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU eine Verfolgung wegen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Schließlich muss zwischen der Verfolgungshandlung und dem Verfolgungsgrund nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Kausalität bestehen, d. h. im vorliegenden Verfahren muss die Strafverfolgung oder Bestrafung unter den in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genannten Voraussetzungen gerade an einen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund anknüpfen (zu entsprechenden Regelungen der Qualifikationsrichtlinie vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 44, 50). Auch die nationale Rechtsprechung verlangt zu Recht eine derartige Verknüpfung (BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2017 - 1 B 131/17 - juris Rn. 10; Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31/18 - juris Rn. 14, 34). Sie geht hierbei davon aus, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund nicht die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme sein muss, sondern eine Mitverursachung ausreicht (BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29/17 - juris Rn. 13; Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31/18 - juris Rn. 14).

Der Schutzsuchende ist zwar verpflichtet, die Gründe für seinen Antrag darzulegen. Er muss jedoch nicht den Beweis für die Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d, Art. 10 Richtlinie 2011/95/EU genannten Gründen und der Strafverfolgung bzw. Bestrafung, mit der er wegen der Militärdienstverweigerung unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie genannten Voraussetzungen zu rechnen hat, erbringen. Dies sieht der EuGH vielmehr als Sache der zuständigen Behörde an, die die Plausibilität der Verknüpfung in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände prüft (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 57 ff.).

Dem EuGH zufolge spricht eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie erläuterten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU genannten Gründe im Zusammenhang steht (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 54 ff.). Dies wird u.a. damit begründet, dass die Verweigerung des Militärdienstes vor allem dann, wenn diese mit schweren Sanktionen bewehrt sei, die Annahme erlaube, es liege ein starker Wertekonflikt oder ein Konflikt politischer oder religiöser Überzeugungen zwischen dem Betroffenen und den Behörden des Herkunftslandes vor. Ferner bestehe bei einem bewaffneten Konflikt, insbesondere einem Bürgerkrieg, angesichts fehlender legaler Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung die hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese von den Behörden als ein Akt politischer Opposition ausgelegt werde (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 59 f.).

Insoweit stellt der EuGH allerdings keine allgemeinen neuen Beweislastregeln zu Art. 2 Buchst. d, Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU auf, die dem von der deutschen Rechtsprechung angelegten Maßstab generell widersprechen. Danach muss das Gericht grundsätzlich davon überzeugt sein, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist. Hierbei trägt - nach Ausschöpfung der gebotenen Amtsermittlung - der Schutzsuchende die materielle Beweislast dafür, dass die (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, sodass ein non liquet zu seinen Lasten geht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33/18 - juris Rn. 18, 26). Dies gilt jedenfalls bei einem nicht vorverfolgt ausgereisten Antragsteller hinsichtlich der Frage, ob ihm bei seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (so BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33/18 - juris Rn. 26).

Ein Sonderfall besteht lediglich dann, wenn es um das Regelbeispiel des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU geht. Nur für diese Konstellation nimmt der EuGH an, dass ein unmittelbarer Beweis für die Verknüpfung zwischen Strafverfolgung und Verfolgungsgrund "besonders schwer" zu erbringen sei, und gelangt deshalb zu einer schutzorientierten Auslegung, indem er - zudem in einem systematisch von Kriegsverbrechen geprägten Bürgerkrieg - eine "hohe Wahrscheinlichkeit" bejaht, dass die Verweigerung des Militärdienstes als Akt politischer Opposition verstanden wird. Eine Generalisierung für den gesamten Anwendungsbereich der Qualifikationsrichtlinie lässt sich daraus nicht ableiten.

Gemessen daran spricht hier alles dafür, dass die syrische Regierung dem Kläger im Oktober 2015 wegen seiner Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Haltung als Verfolgungsgrund zugeschrieben hätte, der kausal für die ihm drohende Verfolgungshandlung - Strafe oder Bestrafung -   gewesen wäre, vgl. auch § 3b Abs. 2 AsylG.

Die von dem EuGH angesprochenen Schwierigkeiten bei der Erbringung von Beweisen für die Kausalität zwischen der Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 55) bestanden auch für den Kläger, der im Übrigen deutlich gemacht hat, dass seine Wehrdienstverweigerung nicht allein auf einer allgemeinen Furcht vor dem Krieg beruhte, sondern er sich letztlich als Gegner des Regimes ansieht. Der Kläger hat Syrien bereits vor einer erlittenen Sanktion verlassen und es fehlt an validen Referenzfällen von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland, die bei der erforderlichen empirischen Auswertung herangezogen könnten (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, Februar 2017 - deutsche Version April 2017 -, S. 5). Hinzu kommt, dass die Verfasser der einschlägigen Erkenntnisse (Auswärtiges Amt, Internationale Organisationen, NGOs) vielfach auf Dritte angewiesen waren und sind und die vor Ort tätigen Organisationen zum Schutz der von ihnen Befragten deren Namen oftmals nicht nennen können (vgl. dazu auch Lehmann, NVwZ 2018, 293, 295). Damit bewegt sich die Beurteilung der zur Verfügung stehenden Tatsachengrundlagen in einem weit gespannten Wertungsrahmen, der - wie die bisherige divergierende obergerichtliche Rechtsprechung anschaulich verdeutlicht - dazu geführt hat, dass die Oberverwaltungsgerichte trotz identischer Tatsachengrundlagen sowohl die eine wie auch die andere Ansicht vertreten haben (vgl. z.B. einerseits OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2019 - OVG 3 B 27.17 - juris und OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 - 1 Bf 81/17.A - juris, sowie andererseits VGH Kassel, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 A 403/18.A - juris und OVG Weimar, Urteil vom 15. Juni 2018 - 3 KO 162/18 -).

Innerhalb dieses Wertungsrahmens lässt das Urteil des EuGH endgültig nicht mehr die Annahme zu, es müsse mangels tatsächlicher Umstände, die eine politische Verfolgung von Wehrdienstentziehern belegten, bewertet werden, ob ein asylrechtlich relevanter Verfolgungsgrund aus Sicht des syrischen Staates plausibel sei (so aber noch OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A - juris Rn. 60). Ebenso wenig kann auf eine lediglich allgemeine Furcht Wehrdienstpflichtiger vor einem Kriegseinsatz abgestellt werden (so OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A - juris Rn. 61 ff.), die das syrische Regime von einer oppositionellen Haltung zu unterscheiden wisse (OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A - juris Rn. 70). Ein Rückgriff auf "Lebenserfahrung" oder auf eine "vernünftige Betrachtung" mag zwar nicht per se unzulässig sein, bedarf aber gerade angesichts eines von Terror und Menschenrechtsverletzungen geprägten Regimes, das weder rechtstaatlichen noch rationalen Mustern folgt, ebenfalls einer nachvollziehbaren Begründung (vgl. dazu auch Lehmann, NVwZ 2018, 293, 295). Vor diesem Hintergrund ist die von dem EuGH angenommene Vermutungsregelung grundsätzlich geeignet, zu einer erforderlichen Vereinheitlichung der nationalen Rechtsprechung und der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten beizutragen.

Auch wenn eine Bewertung der vor der Ausreise des Klägers maßgeblichen Tatsachengrundlage in Bezug auf die geforderte Konnexität zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund jedenfalls in gewissem Maße diffus bleibt und für eine vollständige gerichtliche Überzeugungsbildung eher nicht genügen dürfte, besteht aber eine - ausreichende - Vermutung, dass die Bestrafung von Wehrdienstentziehern (auch) aus politischen Gründen erfolgte, weil sie als vermeintliche politische Gegner des Regimes diszipliniert werden sollten. Diese Vermutung kann hier nicht zu Lasten des Klägers entkräftet oder widerlegt werden, weil eine Gesamtbetrachtung und -würdigung der Erkenntnisse dies nicht hergibt.

Schon der Ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012 geht davon aus, dass der syrische Präsident seine Herrschaft unter anderem auf die Loyalität der Streitkräfte stützt (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien, S. 6). Dies kann man dahingehend verstehen, dass diejenigen syrischen Männer, die den Wehrdienst verweigern, als illoyal angesehen werden. Einen derartigen Gedanken greift auch der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes auf, wonach Rückkehrende innerhalb der besonders regimenahen Sicherheitsbehörden als Feiglinge und Fahnenflüchtige, schlimmstenfalls sogar als Verräter bzw. Anhänger von Terroristen gelten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 26).

Bei der Heranziehung des letzten Lageberichts des Auswärtigen Amtes ist zu berücksichtigten, dass es sich nicht nur um eine Darstellung des Außenministeriums handelt, die als Entscheidungsgrundlage für die auf Anfang Dezember 2020 anberaumte Innenministerkonferenz dienen sollte. Ihm kommt ausdrücklich auch die Funktion zu, eine Entscheidungshilfe in Asylverfahren zu liefern, indem asyl- und abschiebungsrelevante Tatsachen und Ereignisse dargestellt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 3). Angesichts dessen dürfen Behörden und Gerichte davon ausgehen, dass die Angaben in dem Bericht grundsätzlich geprüft und abgewogen worden sind. Bei dem aktuellen Lagebericht vom 4. Dezember 2020 handelt es sich zudem um eine inzwischen kontinuierliche Berichterstattung, die nach der Wiederaufnahme der Berichte die Verhältnisse in Syrien kontinuierlich beobachtet und auf der Grundlage einer umfangreichen, in dem Lagebericht näher bezeichneten Kontaktarbeit des Auswärtigen Amtes darstellt.

Der UNHCR hat in verschiedenen Stellungnahmen ebenfalls die Auffassung vertreten, dass Wehrdienstentziehern und Deserteuren Menschenrechtsverletzungen wegen einer unterstellten oppositionellen Gesinnung drohen (so z.B. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2017, S. 43 f.; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, Februar 2017 - deutsche Version April 2017 -, S. 8). Insoweit spielt dem UNHCR zufolge auch eine Rolle, dass die syrische Regierung die Kriterien, aufgrund derer sie eine Person als politisch oppositionell betrachtet, weit fasst (UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, Februar 2017 - deutsche Version April 2017 -, S. 8).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe stellt - unter Berufung auf den UNHCR und weitere Quellen - noch 2019 fest, dass Wehrdienstentzug als oppositionelle Handlung gewertet werden könne (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 6 f.). Soweit es dort zugleich relativierend heißt, es bestehe (lediglich) die Gefahr, dass Wehrdienstentzug von der Regierung als politische und regierungsfeindliche Handlung angesehen werde, mag dies zwar einer vollen richterlichen Überzeugungsbildung entgegenstehen, spricht aber gerade nicht gegen, sondern für eine vermutete Kausalität zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund. Gleiches gilt hinsichtlich des Hinweises auf einen "Politmalus" bei der Bestrafung sowie in Bezug auf die Feststellung, Wehrdienstentzieher, die zwangsrekrutiert und an die Front geschickt würden, würden oft von ihren militärischen Vorgesetzten misshandelt.

Ferner weist auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Berichte hin, wonach die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck politischen Dissenses und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen terroristische Bedrohungen zu schützen, betrachtet (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 44).

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass Erkenntnisse, in denen von drohender willkürlicher Bestrafung wie Folter oder Misshandlung die Rede ist (z.B. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 18 und S. 29; SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 6), damit nicht zwangsläufig Willkür im Sinne einer lediglich subsidiären Schutz nach § 4 AsylG rechtfertigenden Wahllosigkeit meinen, sondern eine unverhältnismäßige und nicht gerechtfertigte Bestrafung.

Nach alledem kommt es hier nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der EuGH seine Äußerung zu den syrischen Verhältnissen und der daraus gezogenen Schlussfolgerung auf eine eigenständig bewertete Tatsachengrundlage stützt, oder ob er - wovon der Senat ausgeht - lediglich die ihm mit dem Vorlagebeschluss unterbreiteten Tatsachen im Kontext des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der Richtlinie 2011/95/EU sieht.

Der Senat muss sich an dieser Stelle nicht mit obergerichtlicher Rechtsprechung zu den tatsächlichen Verhältnissen in Syrien auseinandersetzen. Der Beschluss des VGH Mannheim vom 22. Dezember 2020 (- A 4 S 4001/20 - juris) ist insoweit wenig aussagekräftig, weil er lediglich im Berufungszulassungsverfahren ergangen ist, in dem nur die dargelegten Gründe im Sinne von § 78 Abs. 3 AsylG geprüft werden. Zudem betrifft die Entscheidung einen anderen Sachverhalt, denn der Kläger war dort bereits im Alter von 15 Jahren ausgereist. Die tatsächliche Würdigung des VGH München zu veränderten aktuellen Verhältnissen in Syrien (Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 44 ff.) ist hier nicht entscheidungserheblich, weil es nur auf die Verhältnisse bei der Ausreise des Klägers ankommt. Im Übrigen konnte diese Rechtsprechung die Entscheidung des EuGH vom 19. November 2020 noch nicht berücksichtigen.

Da mithin von einer Vorverfolgung des Klägers durch das syrische Regime auszugehen ist, kommt ihm hinsichtlich der Frage, ob ihm bei seiner unterstellten Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute. Danach besteht die (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Anders liegt es nur, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. September 2019 - 1 B 43/19 - juris Rn. 7 und Rn. 11; Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29/17 - juris Rn. 15; Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 - juris Rn. 22). Derartige stichhaltige Gründe liegen hier nicht vor.

Unabhängig davon würde dem Kläger auch dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen, wenn er nicht vorverfolgt ausgereist wäre.

Die bereits dargestellte Rechtslage zur Wehrpflicht hat sich nicht geändert. Danach unterliegt der 1991 geborene Kläger, der noch keinen Wehrdienst geleistet hat, weiterhin der Wehrpflicht. Gleiches gilt in Bezug auf einen möglichen tatsächlichen Einsatz des Klägers als Wehrdienstleistender im Rahmen der aktuellen militärischen Auseinandersetzungen. Er muss befürchten, dass er bei einer Rückkehr (zwangs-)rekrutiert wird. Dies lässt sich zur Überzeugung des Senats - trotz einiger Nuancen und abweichender Quellen - jüngeren Erkenntnissen entnehmen, die zum aktuellen Bedarf und zur Rekrutierungspraxis der Syrischen Armee sowie zum Einsatz von Wehrdienstleistenden und Reservisten an der Front folgendes festhalten:

Der Danish Immigration Service berichtet im Mai 2020, dass die Rekrutierung zur Syrischen Armee den meisten Quellen zufolge in den zurückliegenden ein bis zwei Jahren zugenommen habe. Dies sei u.a. auf die Rückeroberung von Gebieten durch die Syrische Armee und die dort lebenden Männer sowie auf den hohen Bedarf an der Front in Idlib zurückzuführen (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 9). Auch das Auswärtige Amt geht in seinem Lagebericht vom 4. Dezember 2020 davon aus, dass der Personalbedarf des syrischen Militärs aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch bleibe. Seit Dezember 2018 hätten sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14). In den zurückeroberten Gebieten, in denen das syrische Regime bestrebt sei, schnellstmöglich seine Kontrolle und Autorität wiederherzustellen, komme es - ungeachtet von Versöhnungsabkommen, die zahlreichen Quellen zufolge ohnehin nicht eingehalten werden (vgl. z.B. EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 60) - unter anderem zu Zwangsrekrutierungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30; EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 60; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 44). EASO kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der aktuelle Bedarf an Rekruten trotz der gewissen Stabilisierung der militärischen Lage relativ identisch geblieben sei (EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 66).

Weitere Quellen gehen zwar nicht mehr von einer verstärkten Rekrutierung, aber doch von einem unveränderten Bedarf aus. Ihnen ist zu entnehmen, dass es auch in Gebieten mit abgeschlossenen Versöhnungsabkommen entsprechende Aktivitäten gibt (dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 10). Nur wenige Quellen schätzen die Lage so ein, dass die Rekrutierung durch die Syrische Armee nachgelassen habe (vgl. dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 10).

Soweit teilweise berichtet wird, dass Reservisten in jüngerer Zeit nicht mehr herangezogen würden, obwohl sie noch nicht 42 Jahre alt seien, ist die Quellenlage uneinheitlich (vgl. im Einzelnen Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 19). Abgesehen davon, handelt es sich bei dem Kläger nicht um einen Reservisten.

Trotz der Rückeroberungen durch das Regime sind Teile Syriens weiterhin von erheblichen Kampfhandlungen betroffen (dazu auch Danish Immigration Service, Syria, Security and socio-economic situation in the government-controlled areas, Oktober 2020, S. 6 f.). Hierzu zählt vor allem der Nordwesten mit den Gouvernements Idlib, Teile von Latakia, Hama und Aleppo (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 7 f., S. 26 f.). Gewalttätige Auseinandersetzungen bestehen jedoch auch in anderen Landesteilen. So finden z.B. im Süden und Südwesten in den Gouvernements Quneitra, Daraa und Suweida weiterhin zum Teil umfangreiche Kampfhandlungen unter Beteiligung der syrischen Armee statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 7 f.). Demgegenüber kommt es im Westen des Landes nur zu vereinzelten militärischen Auseinandersetzungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 10).

Der dargestellte fortbestehende Bedarf an Soldaten führt dazu, dass auch Wehrdienstleistende weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eingezogen werden und an Kampfhandlungen - auch an der Front - teilnehmen müssen (vgl. auch Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 11; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 9). Dies geschieht auch trotz einer nur minimalen Ausbildung (UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 9). Auch andere Quellen berichten, dass neu Rekrutierte mit nur geringer Ausbildung und Übung an der Front eingesetzt werden (vgl. dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 14).

Der generell mögliche Einsatz an der Front ist u.a. auf Rotationen zurückzuführen (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 13 f.). Der fortbestehende Bedarf an Soldaten und die insoweit fehlende Vorhersehbarkeit eines Einsatzes wird auch dadurch untermauert, dass Männer, die aus rückeroberten Gebieten fliehen wollten, interniert und von dort aus in militärische Übungslager und an die Front geschickt worden sind (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 13; vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 31). Auch in Versöhnungsgebieten werden Männer unter Verstoß gegen die geschlossenen Vereinbarungen vorzeitig in die Syrische Armee einberufen oder festgenommen und zum Teil - trotz fehlender Ausbildung und Erfahrung - an die Front geschickt (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 13 und S. 14). Soweit es vereinzelten Quellen zufolge für den Einsatz an der Front auf militärische Erfahrung und Ausbildung ankommt (vgl. dazu im Einzelnen Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 15), hält der Senat dies - auch im Hinblick auf den weiterhin bestehenden Bedarf an Soldaten und die anders lautenden Berichte - nicht für durchgreifend. Jedenfalls diese Auffassung findet sich auch in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung wieder (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 2 LB 731/19 - juris Rn. 42, unter Hinweis auf eine weitgehend übereinstimmende Quellenlage, wonach Wehrdienstentzieher unverzüglich eingezogen werden und damit rechnen müssen, nach gegebenenfalls nur minimaler Ausbildung unverzüglich zum Einsatz, auch an vorderster Front, zu gelangen).

Ausnahmen von der Heranziehung zum Wehrdienst an der Front werden weiterhin vornehmlich aufgrund von Beziehungen oder Bestechung gemacht (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 13 f.). Aktuellen Erkenntnissen zufolge, die der Senat für überzeugend hält, besteht keine einheitliche und verlässliche Umsetzung dahingehender Vorschriften (vgl. nur EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 63).

Ungeachtet dessen kann der Kläger bei einer unterstellten Rückkehr insbesondere nicht auf die Möglichkeit eines Freikaufes von der Wehrpflicht verwiesen werden, weil ihm dies auch derzeit nicht zumutbar ist. Soweit die Möglichkeit eines Freikaufs für seit mindestens vier Jahren im Ausland lebende Syrer gegen Zahlung von ca. 8.000 US-Dollar besteht, ist dies grundsätzlich (nur) innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Einberufung möglich (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 22; SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 9). Die Frist kann allerdings unter bestimmten Umständen verlängert werden, wodurch sich jedoch die zu leistende Abgabe erhöht; gleiches gilt, wenn die Frist versäumt wird (zu den Einzelheiten vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 22 f.). Im Verwaltungsverfahren werden zahlreiche Unterlagen gefordert, unter anderem das Militärbuch, ein Nachweis über den legalen Aufenthalt im Ausland sowie ein Nachweis über die Ausreise aus Syrien (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 24 f.). Bei illegaler Ausreise muss zuvor der Status in der syrischen Botschaft geklärt werden. Im Zusammenhang mit dem Freikauf wird von Bestechungen berichtet, zum Teil auch mit dem Ziel, dass falsche Papiere ausgestellt werden wie z. B. über eine in Wahrheit nicht erfolgte Ausreise ins Ausland (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 26).

Selbst Quellen, die von einem möglichen Freikauf im Hinblick auf das Amnestie-Dekret Nr. 18/2018 berichten, schränken dies dahingehend ein, dass die Umsetzung für im Ausland lebende Wehrdienstverweigerer vom Einzelfall abhänge (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 31).

Teilweise wird berichtet, dass ein Freikauf, der wegen des erhöhten Finanzbedarfes des syrischen Staates seit Ende 2018 zugenommen habe, auch für syrische Männer möglich sei, die im westlichen Ausland internationalen Schutz erhalten hätten, diese jedoch aus Angst vor dem Verlust ihres Schutzstatus keinen Kontakt zur syrischen Botschaft suchen wollten (dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 27). Der Danish Immigration Service gibt an, verschiedenen Quellen zufolge sei nicht bekannt geworden, dass syrische Behörden die Betroffenen nach einem Freikauf zum Militärdienst eingezogen hätten. Soweit dies in zwei Fällen dennoch passiert sein solle, seien die näheren Umstände unbekannt geblieben. Allerdings könne es passieren, dass Behördenmitarbeiter Schmiergelder verlangten, weil sie denjenigen, der sich freikaufen könne, für vermögend hielten (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 28 f.). Anderen Erkenntnissen zufolge bleibt die Umsetzung der Regelungen über den Freikauf in der Praxis ungewiss und schützt nicht ohne weiteres vor einer späteren Zwangsrekrutierung (vgl. EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 64).

Da sich das Ergebnis eines Freikaufversuchs bei einer Gesamtwürdigung der vorhandenen Erkenntnisse aus der Sicht des Senats jedenfalls zumindest als ungewiss darstellt, geht der Versuch eines Freikaufs weiterhin mit unzumutbaren Risiken für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland einher. Allein der bloße Umstand, dass ein Freikauf grundsätzlich möglich ist und - in bestimmten Fällen - auch vollzogen wird, reicht noch nicht aus (anders VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 36 ff.). Es spricht im Übrigen alles dafür, dass der Freikauf - zudem für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - nach wie vor keinem geordneten rechtlichen Verfahren folgt, sondern dass der Betroffene Gefahr läuft, den syrischen Militärbehörden nach deren Belieben ausgesetzt zu sein. Freikauf ist oftmals mit Bestechung, Korruption und Willkür verbunden (EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 64). Abgesehen davon hat das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Monitoring durch die Vereinten Nationen oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer nicht möglich ist, weil vielerorts kein Zugang für sie besteht und viele darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden möchten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 31). Danach ist es dem Kläger nicht zumutbar, sich auf einen Freikauf von der Wehrpflicht verweisen zu lassen.

Da es dem Kläger - wie auch aus seinem Vorbringen im Berufungsverfahren deutlich wird - weiterhin darum geht, keinen Wehrdienst in der syrischen Armee unter den aktuellen Bedingungen leisten zu müssen, und er den Wehrdienst weiterhin verweigern würde, käme ihm eine etwaige Amnestie bei seiner unterstellten Rückkehr schon deshalb nicht zugute, weil hiermit bislang keine Befreiung von der Wehrpflicht verbunden war und dies auch weiterhin nicht der Fall ist (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 30; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 45; EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 66; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30).

Es lässt sich nicht widerlegen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr Strafe oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht. Der Senat geht vielmehr sogar davon aus, dass der syrische Staat gegenüber Rückkehrern, die sich der Ableistung des Wehrdienstes entzogen haben, weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit strafrechtliche Sanktionen entsprechend den bereits dargestellten gesetzlichen Grundlagen verhängt oder sie sonst im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bestraft. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, dass nur wenige Referenzfälle aus dem Westen zurückgekehrter Wehrdienstverweigerer bekannt geworden sind, und dass die konkrete Nachvollziehbarkeit einzelner Angaben in den Erkenntnissen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung bisweilen begrenzt bleibt. Hinzu kommt, dass sich das Verhalten des syrischen Regimes gegenüber in Syrien verbliebenen Militärdienstverweigerern nicht zwangsläufig auf aus dem Ausland Zurückkehrende übertragen lässt.

Geflüchtete Syrer, die den Wehrdienst verweigert haben, müssen dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zufolge bei einer Rückkehr nicht nur mit einer Zwangsrekrutierung rechnen (Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14 und S. 30), sondern zeitweilige Inhaftierungen oder dauerhaftes "Verschwinden" können danach im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stehen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30). Rückkehrer im wehrpflichtigen Alter (18 bis 42 Jahre) werden dem Lagebericht zufolge in der Regel zum Militärdienst eingezogen, teilweise im Anschluss an eine mehrmonatige Haftstrafe (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 30).

Obwohl der Lagebericht keine unmittelbare Begründung nennt, kommt ihm doch - wie bereits im Einzelnen ausgeführt - ein deutliches Gewicht zu. Abgesehen davon basieren auch andere Erkenntnisse, die zum Teil gegenteilige Auffassungen referieren, (lediglich) auf während eines Interviews abgegebenen Einschätzungen, ohne dass die Befragten ihre Quellen offenlegen (so z. B. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, Anhang, S. 78 zu der Frage, ob Wehrdienstleistende an die Front geschickt werden; insoweit als Quelle referiert, ebenda, S. 15).

Auch sonstige Erkenntnisse veranschaulichen überzeugend, dass das Verhalten des syrischen Regimes gegenüber zum Wehrdienst verpflichteten Rückkehrern keinen einheitlichen Regeln folgt, aber jedenfalls weiterhin Überwiegendes für die Verhängung von Strafen oder eine Bestrafung spricht. So wird zwar teilweise berichtet, ihnen werde eine Frist eingeräumt, innerhalb derer sie sich zum Wehrdienst melden und auf dessen Ableistung vorbereiten könnten; anderen Quellen zufolge werden Rückkehrer jedoch unmittelbar nach der Einreise an die Front geschickt (vgl. dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 12, S. 14) bzw. nach kurzer Inhaftierung mit nur minimaler Ausbildung an die Front geschickt, um sie so für Illoyalität zu bestrafen (UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 9). Auch der Danish Immigration Service nennt Quellen, die nach wie vor von (ggf. kurzen) Inhaftierungen vor der Heranziehung zum Wehrdienst berichten (vgl. dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 31). Der befohlene Einsatz an der Front kann für Rückkehrer oder Binnenvertriebene auch einen Einsatz in Idlib bedeuten, mitunter kann dies durch Ausnutzung von Beziehungen oder Bestechung vermieden werden (dazu Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 14, S. 32). Anderen Quellen zufolge soll demgegenüber vorhandene Erfahrung im Kriegsgeschehen als wesentlicher Faktor darüber entscheiden, ob der Einsatz an der Front erfolgt (vgl. dazu die Angaben bei Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 15). Vereinzelt wird berichtet, dass Wehrdienstentzieher für gewöhnlich nur zum Militär eingezogen würden (EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 66), wobei aber nicht klar ist, ob sich dies auch auf Rückkehrer aus dem westlichen Ausland bezieht.

Bei einer Gesamtwürdigung ist der Senat aufgrund der ausgewerteten Erkenntnisse überzeugt, dass Wehrdienstverweigerern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Bestrafung weiterhin eine Einziehung und ein Einsatz im Kampfgebiet - auch ohne hinreichende Ausbildung - droht oder dass strafrechtliche Sanktionen verhängt werden. Soweit berichtet wird, dass keine Freiheitsstrafen drohten, wird dies nicht auf eine grundsätzlich geänderte Haltung des syrischen Regimes, sondern (lediglich) auf einen hohen Bedarf an Soldaten und überfüllte Gefängnisse zurückgeführt (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 31). Für eine noch immer drohende Bestrafung spricht im Übrigen auch der Erlass von Amnestien durch das syrische Regime, die bis in die jüngste Vergangenheit - unabhängig von ihrer tatsächlichen Umsetzung - auch Wehrdienstverweigerer erfassen. Zugleich wird hierdurch die - noch weiter darzulegende - mangelnde Wirksamkeit der Amnestien verdeutlicht, die ohnehin nur eine begrenzte Zeit gelten. Bei einer faktischen Aussetzung strafrechtlicher Sanktionen wären die Amnestien von vornherein sinnlos.

Für außerhalb Syriens lebende Männer, die ihren Wehrdienst nicht geleistet haben, oder für Reservisten soll eine Besuchsmöglichkeit in Syrien für 90 Tage im Jahr bestehen (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 29). Der Besuch muss unter Vorlage bestimmter Papiere beantragt werden. Es wird von Männern berichtet, die einen solchen Antrag erfolgreich stellen und dann zu Besuchszwecken nach Syrien reisen konnten, ohne einberufen zu werden. Dies soll jedoch gerade nicht für Wehrdienstentzieher und Deserteure - und damit auch nicht für den Kläger - gelten (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 30).

Soweit die obergerichtliche Rechtsprechung davon ausgeht, dass allein die Entziehung vom Militärdienst in der Regel nicht (mehr) zu einem Wehrstrafprozess führe und Wehrdienstentzieher nach weitgehend übereinstimmender Quellenlage im Allgemeinen unverzüglich eingezogen würden (so VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 42; ähnlich OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 2 LB 731/19 - juris Rn. 57), folgt der Senat dieser Ansicht aus den dargelegten Gründen nicht. Diese Rechtsprechung bezieht im Übrigen noch nicht alle Erkenntnisse ein, die Gegenstand der vorliegenden Entscheidung sind. Dies gilt vor allem für den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Dezember 2020. Unabhängig davon misst der Senat der von dem VGH München in seinem Urteil vom 21. September 2020 (- 21 B 19.32725 - juris Rn. 42) zur Begründung angeführten Referenz "UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 9" eine andere Bedeutung bei. Zwar heißt es dort, dass gegenüber Wehrdienstentziehern in der Praxis eher keine Kriminalstrafen nach dem Militärstrafgesetzbuch verhängt würden. Allerdings wird zugleich festgestellt, dass das syrische Regime sie nach ihrer Inhaftierung innerhalb von Tagen oder Wochen zur Bestrafung wegen illoyalen Verhaltens - oftmals nur mit minimaler Ausbildung - an die Front schicke. Auch damit wird deutlich, dass Wehrdienstentzieher weiterhin einer Bestrafung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterliegen.

Nichts anderes folgt aus dem Beschluss des OVG Lüneburg vom 16. Januar 2020 (- 2 LB 731/19 - juris Rn. 42), das davon ausgeht, Wehrdienstentziehern drohe kein Wehrstrafprozess, jedoch zu dem Ergebnis gelangt, sie würden nach "weitgehend übereinstimmender Quellenlage ... unverzüglich eingezogen" und müssten "damit rechnen, nach gegebenenfalls nur minimaler Ausbildung unverzüglich zum Einsatz, auch an vorderster Front, zu gelangen". Abgesehen davon, dass auch insoweit noch nicht von dem Senat zugrunde gelegte aktuellere Erkenntnisse berücksichtigt werden konnten, stellt der Einsatz von zurückgekehrten Wehrdienstverweigerern an der Front ohne ausreichende Ausbildung eine Bestrafung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG dar.

Schließlich ist es bei einem Einsatz des Klägers in der syrischen Armee nach unterstellter Rückkehr auch aktuell beachtlich wahrscheinlich, dass sein Wehrdienst weiterhin Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen umfasst. Es spricht daher erst recht nichts dafür, dass die für den Kläger streitende Vermutung widerlegt wäre. Dies gilt umso mehr, als ihm - wie dargelegt - ein Einsatz an der Front bzw. eine Beteiligung an Kampfhandlungen droht.

Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind - wie bereits ausgeführt - noch immer Teile Syriens von erheblichen militärischen Einsätzen betroffen. So kam es z.B. von Ende September 2020 bis Anfang Oktober 2020 zu umfangreichen Kampfhandlungen zwischen bewaffneten Gruppen aus den Gouvernements Daraa und Suweida, zu denen auch Truppen und Milizen des Regimes zählten. Schon zuvor hatte es dort im März 2020 umfangreiche Kampfhandlungen gegeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 7 f.). Auch im Nordwesten setzt sich die Militäroffensive fort. Ende 2019 wurde dort zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager aus der Luft angegriffen. Das VN-Hochkommissariat für Menschenrechte zählte zwischen April 2019 und Februar 2020 mindestens 1.750 zivile Opfer, wofür ganz überwiegend das Regime und seine Verbündeten verantwortlich sein sollen. Im selben Zeitraum sind fast eine Million Menschen aus dem Raum Idlib vertrieben worden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 8). Von Januar 2020 bis September 2020 wurden zahlreiche - auch durch das Regime begangene - militärische Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen dokumentiert. Ziele der Angriffe durch das syrische Regime waren von Beginn an und sind weiterhin vor allem Kräfte der bewaffneten Opposition und weite Teile der Zivilbevölkerung. Hierzu gehören Angriffe auf die zivile Infrastruktur - auch Krankenhäuser und Schulen - sowie der Einsatz von Fassbomben, auch gegenüber der Zivilbevölkerung, bis Oktober 2020 (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 7, S. 27). Am 22. September 2020 hat die internationale unabhängige VN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien erneut festgestellt, dass Kräfte des syrischen Regimes, zu denen auch das Militär zählt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - vor allem gegenüber der Zivilbevölkerung - begangen haben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 16 f.).

Vor diesem Hintergrund ist es hier nicht entscheidungserheblich, ob die landesweit veränderte Lage dazu geführt hat, dass kriegerische Auseinandersetzungen mit besonderem Potenzial für die Begehung von Kriegsverbrechen in der Gesamtheit deutlich abgenommen haben (so OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Juli 2020 - 2 LB 39/20 - juris Rn. 56), denn es reicht - auch bei einer zusätzlich unterstellten fehlenden Vorverfolgung des Klägers - aus, dass weiterhin Kriegsverbrechen unter dem Einsatz von Wehrpflichtigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit begangen werden. Soweit die erstinstanzliche Rechtsprechung eine Mitwirkung Wehrdienstleistender an Kriegsverbrechen mit dem Hinweis auf die "Lebenserfahrung" und im Hinblick darauf, dass es für Offiziere und "normale Soldaten" "geradezu selbstmörderisch" wäre, Kriegsverbrechen unter systematischer Beteiligung von Wehrdienstleistenden zu begehen, verneint (so VG Berlin, Urteil vom 8. Dezember 2020 - VG 13 K 146.17 A - juris Rn. 42), handelt es sich um eine nicht überzeugende Hypothese, die dem syrischen Regime ein rationales Vorgehen unterstellt, und die zudem - wie dargelegt - in tatsächlicher Hinsicht keine ausreichende Stütze findet. Nicht nur bei einem Einsatz Wehrdienstleistender an der Front, sondern auch bei deren Beteiligung an sonstigen Kampfhandlungen ist es trotz der veränderten militärischen Lage angesichts der weiterhin festzustellenden umfassenden und wiederholten Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beachtlich wahrscheinlich, dass Wehrdienstleistende an solchen Handlungen mitwirken.

Ebenso wenig ist widerlegt, dass bei einer Rückkehr des Klägers die ihm drohende Strafverfolgung oder Bestrafung unter den in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genannten Voraussetzungen weiterhin an einen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund anknüpft. Der Senat hält es sogar unabhängig davon unter Berücksichtigung des von dem EuGH entwickelten und oben dargelegten Maßstabs für beachtlich wahrscheinlich, dass die syrische Regierung dem Kläger wegen seiner damaligen und einer weiterhin aufrecht erhaltenen Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Haltung als Verfolgungsgrund zuschreiben wird, der sich als kausal für die ihm drohende Verfolgungshandlung - Strafe oder Bestrafung - darstellt. Daher kommt es hier nicht entscheidungserheblich darauf an, dass sich der Kläger selbst als oppositionell betrachtet und sich auf eigene und familiäre politische Aktivitäten vor seiner Ausreise beruft.

Insoweit wird zunächst auf die obigen Ausführungen zu den Schwierigkeiten bei der Erbringung von Beweisen für die Kausalität zwischen der Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung und einem Verfolgungsgrund (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - juris Rn. 55) Bezug genommen, vor allem auch zu den Anforderungen an eine Bewertung des hier vorliegenden Tatsachenmaterials, die sich nicht vorrangig auf die "Lebenserfahrung" der entscheidenden Richterinnen und Richter oder auf eine "vernünftige Betrachtung" stützen kann. Gemessen daran ist hier weiterhin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu Gunsten des Klägers bei dessen unterstellter Rückkehr nach Syrien zu vermuten, dass eine Konnexität zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund besteht.

Die danach hier geltende Vermutung lässt sich neben den bereits oben genannten Erkenntnissen, denen keine gewichtigeren durchgreifenden Erkenntnisse entgegenstehen, auch auf neuere Erkenntnisse stützen, die (weiterhin) davon ausgehen, dass das syrische Regime Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Haltung zuschreibt. So kommt z.B. der UNHCR aufgrund verschiedener Quellen nach wie vor zu dem Ergebnis, dass Wehrdienstentziehung als ein politischer regierungsfeindlicher Akt angesehen werde. Sie werde nach kurzer Inhaftierung trotz nur minimaler Ausbildung mit einem Einsatz an der Front bestraft (vgl. UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Apllication of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 9).

EASO berichtet ebenfalls von Quellen, wonach die syrische Regierung Wehrdienstentzieher als politische Oppositionelle ansieht (EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 61). Auch dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zufolge, dem der Senat - wie ausgeführt - eine besondere Bedeutung beimisst, gelten Rückkehrende innerhalb der besonders regimenahen Sicherheitsbehörden als Feiglinge und Fahnenflüchtige, schlimmstenfalls sogar als Verräter bzw. Anhänger von Terroristen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 26).

Vor diesem Hintergrund teilt der Senat nicht die in der obergerichtlichen Rechtsprechung vorgenommene Bewertung, dass eine veränderte tatsächliche Lage in Syrien die Annahme eines Verfolgungsgrundes nicht mehr rechtfertige (so aber VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 46 ff., 61 ff.). Diese Auffassung wird - angesichts fehlender Referenzfälle von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland - vor allem mit Demobilisierungsmaßnahmen und den seit Oktober 2018 ergangenen Amnestien begründet. Das syrische Regime strebe eine Normalisierung der Verhältnisse an und werde Männern, die sich ihrer Verpflichtung zum Militärdienst durch Flucht in das Ausland entzogen hätten, nunmehr versöhnlich gegenübertreten. Der syrische Staat fördere die Rückkehr, um sich die Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft zu sichern. Trotz der im Einzelnen verbreiteten Willkür verhalte sich der syrische Staat jedenfalls nicht in Bezug auf eine Bestrafung von Wehrdienstentziehern unberechenbar.

Der Senat ist, wie bereits unter Hinweis auf entsprechende Erkenntnisse dargelegt, davon überzeugt, dass die syrische Armee weiterhin Bedarf an Rekruten als Soldaten hat und diese im Rahmen von Kriegshandlungen einsetzt, sowie davon, dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestraft werden, wenn sie den Wehrdienst verweigert haben oder weiterhin verweigern.

Abgesehen davon, dass Amnestien - wie ausgeführt - Wehrpflichtige nicht vor einer Rekrutierung schützen (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 35), zeigt sich in Bezug auf Amnestien, die Deserteuren und Wehrdienstverweigerern Straffreiheit im Sinne strafrechtlicher Vorschriften zusagen, ein für die Betroffenen negatives Bild.

Das Auswärtige Amt bezeichnet die bisherigen Dekrete in der Umsetzung generell als "nahezu wirkungslos" (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 12). Informationen zur Anwendung der Amnestien sind - auch mangels einer effizienten Beobachtung und Kontrolle durch internationale oder neutrale Organisationen - nicht oder nur schwer erhältlich (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 35). Im Übrigen bleibt das Misstrauen Betroffener aufgrund von Berichten über dennoch Bestrafte groß, sodass die Zahl derjenigen, die sich auf Amnestien berufen haben, gering ist (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 35). Vereinzelten Quellen zufolge werden Amnestien jedenfalls besser berücksichtigt als in den Jahren zuvor, was von anderen jedoch bestritten wird (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 36).

Damit ist die Bewertung, wonach die Umsetzung der Amnestien unklar bleibt (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 35; vgl. ferner SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 7; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 45; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13. November 2018, S. 12; SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 23. März 2017, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, S. 12), mehr als nachvollziehbar. Gleiches gilt, soweit teilweise Rückkehrer berichtet haben, dass die Amnestien nicht umgesetzt worden seien (vgl. Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 36).

Zudem ist die Anwendung der Amnestien zeitlich begrenzt (so z. B. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 7 in Bezug auf die Amnestie von Oktober 2018). Menschenrechtsorganisationen haben die Amnestien demnach als unzureichend bezeichnet, teilweise soll es zu erneuten Verhaftungen amnestierter Personen gekommen sein (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 45). Für die zweifelhafte Umsetzung wird u.a. auch die insgesamt mangelnde Verlässlichkeit des Assad-Regimes z. B. in Bezug auf Versöhnungsabkommen angeführt (zur fehlenden Einhaltung dieser Abkommen z.B. EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 60). Im Übrigen sehen Amnestien - wie z. B. das Dekret des Präsidenten vom 9. Oktober 2018 Nr. 18/2018 oder das Präsidialdekret Nr. 20/2019 vom 15. September 2019 ("Generalamnestie") - in der Regel Meldefristen vor (SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 7). Für im Ausland lebende Deserteure und Wehrdienstverweigerer betrug die Frist sechs Monate (EASO, Country Guidance: Syria, Common analysis and guidance note, September 2020, S. 66; Danish Immigration Service, Syria, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 29; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Syrien, zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2019, S. 45; TIMEP vom 20. August 2019). Die Fristen wären für den Kläger - nicht nur hinsichtlich der von der Beklagten angeführten Amnestie aus dem Jahr 2018 - abgelaufen. Danach sind Berichte plausibel, dass die Bestrafung von Wehrdienstverweigerern fortgesetzt werde (vgl. SFH, Auskunft der Länderanalyse vom 11. Juni 2019, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, S. 7).

Eine weitere Amnestie wurde am 22. März 2020 (Präsidialdekret Nr. 6/2020) erlassen. Sie bezog sich auf seit 2011 begangene Straftaten und erfasste auch regimefeindliche Aktivitäten, Wehrdienstentziehung sowie Desertion. Die - für den Kläger abgelaufene - Meldefrist für im Ausland befindliche Deserteure belief sich auf sechs Monate (Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 36). Auch diese Amnestie wird von ihren Wirkungen als extrem begrenzt beschrieben, weil nur wenige politische Gefangene entlassen worden seien und es weitere Verhaftungen gegeben habe (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 12 f.).

Dies alles, insbesondere die ganz erheblichen Zweifel an einer Umsetzung der Amnestien, zeigt, dass der Kläger bei seiner unterstellten Rückkehr nicht auf eine Amnestie oder auf eine daraus resultierende vermeintlich versöhnliche Haltung des syrischen Regimes verwiesen werden kann. Abgesehen davon, dass zahlreiche gewichtige neuere Quellen und Erkenntnisse - darunter das Auswärtige Amt in seinem neuesten Lagebericht - von einer mangelnden Wirksamkeit aller Amnestien ausgehen, reicht es bei einer Gesamtbetrachtung nicht aus, lediglich konkrete Hinweise dafür zu verlangen, dass die syrische Regierung die seit 2018 erlassenen Amnestien regelhaft nicht beachtet habe oder nicht beachten werde (so aber VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 51). Hinzu kommt, dass auch die von dem VGH München zitierten Quellen und Auskunftspersonen (Rn. 52 ff.) zu einem großen Teil nur allgemein berichten, ohne dass dies im Einzelnen nachvollziehbar ist. Abgesehen davon sind so gut wie keine Referenzfälle von aus dem westlichen Ausland zurückgekehrten Wehrdienstverweigerern bekannt geworden, sondern es wird vornehmlich über in Syrien lebende Wehrdienstverweigerer sowie Rückkehrer aus dem Libanon berichtet. Nach alledem lässt auch ein Vergleich von Wehrdienstverweigerern mit aktiven Oppositionellen nicht den verlässlichen Schluss zu, das syrische Regime behandele zurückkehrende Wehrdienstverweigerer anders, weil es sich der unterschiedlichen Motivlagen bewusst sei (so jedoch OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 2 LB 731/19 - juris Rn. 51).

Auch andere Gerichte innerhalb der Europäischen Union kommen zu demselben Ergebnis wie der Senat. So hat z.B. der Französische Asylgerichtshof (Cour nationale du droit d’asile - CNDA) schon vor dem Urteil des EuGH vom 19. November 2020 entschieden, dass syrischen Wehrdienstentziehern nicht nur subsidiärer Schutz, sondern gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der Richtlinie 2011/95/EU die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, weil ihnen bei einer Rückkehr Verfolgung wegen einer unterstellten oppositionellen Haltung droht (vgl. z.B. CNDA, Urteil vom 21. Dezember 2017, M. A. n°16037573 C; CNDA, Urteil vom 2. Oktober 2019 - M. A. n°19009183 C).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Die hier entscheidungserheblichen rechtlichen Maßstäbe sind durch das Urteil des EuGH vom 19. November 2020 - C-238/19 - geklärt, und eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist dem Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2020 - 1 B 29/20 - juris Rn. 3).