OLG Dresden, Beschluss vom 24.09.2020 - 21 UF 385/20
Fundstelle
openJur 2021, 7153
  • Rkr:

Einer Adoption steht nicht entgegen, dass die leibliche Mutter den möglichen leiblichen Vater dem Gericht nicht offenbart, wenn sie zumindest eine erhebliche Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit ernsthaft befürchten muss. In diesem Fall ist die Einwilligung des möglichen leiblichen Vaters in entsprechender Anwendung des § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB entbehrlich.

(Leitsätze: Die Mitglieder des 21. Familiensenat.)

Rubrum

BESCHLUSS

In der Familiensache

1. H... K..., geboren am xx.xx.2018, ...

- Anzunehmende -

Vormund zu 1:

Landratsamt ..., Abteilung Jugend und Familie, ...

2. S... R..., ...

- Annehmende und Beschwerdeführerin zu 2 -

3. R... R..., ...

- Annehmender und Beschwerdeführer zu 3 -

Verfahrensbevollmächtigte zu 2 und 3:

Rechtsanwältin S... H..., ...

Weitere Beteiligte:

Landratsamt ..., Adoptionsvermittlungsstelle, ...

wegen Annahme als Kind

hat der 21. Familiensenat des Oberlandesgerichts Dresden durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. H...,

Richterin am Oberlandesgericht D... und

Richter am Oberlandesgericht T...

im schriftlichen Verfahren

beschlossen:

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Annehmenden wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiberg vom 30. April 2020 abgeändert:

Das am xx.xx.2018 geborene Kind H... K... (Geburtsregister Nr. G xxx/2018 des Standesamtes F...) wird von den in der Adoptionsbewerberliste des Jugendamtes beim Landratsamt ... unter Nr. xx/2017 geführten Eheleuten S... R..., geb. am xx.xx.1975 (Geburtsregister Nr. xxx/1975 des Standesamtes L...), und R... R..., geb. am xx.xx.1971 (Geburtsregister Nr. xxx/1971 des Standesamtes F...), als Kind angenommen.

Die Angenommene erhält als Geburtsnamen den Namen R... sowie den Vornamen L... H...

2. Das Verfahren erster Instanz und das Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden in beiden Instanzen nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit notarieller Urkunde vom xx.xx.2018 hat die Mutter des anzunehmenden minderjährigen Kindes H... K... die Einwilligung zur Adoption ihres Kindes durch die in der Adoptionsbewerberliste des Jugendamtes beim Landratsamt Mittelsachsen unter Nr. xx/2017 genannten Personen bewilligt. Hierbei handelt es sich um die Eheleute S... und R... R... (Beteiligte zu 2) und 3)). Das am xx.xx.2018 geborene Kind H... K... befindet sich seit dem 09.05.2018 bei ihnen zur Pflege.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben mit notarieller Urkunde vom xx.xx.2019 die Annahme des Kindes sowie die Änderung seines Vornamens in „L... H...“ beantragt. In derselben Urkunde hat der Amtsvormund des Kindes in die Adoption und die Änderung des Vornamens eingewilligt. Eine Zustimmungserklärung des leiblichen Vaters liegt nicht vor. Die Mutter des Kindes hat erklärt, dass ihr Namen und Aufenthaltsort des leiblichen Vaters bekannt seien. Sie hat sich jedoch geweigert, die Person des Vaters zu benennen.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Freiberg hat mit Beschluss vom 30.04.2020 den Adoptionsantrag mangels Zustimmung des leiblichen Vaters zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3), mit der sie ihren Adoptionsantrag weiterverfolgen.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen den die Adoption versagenden Beschluss des Familiengerichts ist begründet.

Die Annahme des minderjährigen Kindes beruht auf §§ 1741 Abs. 2 Satz 2, 1747 Abs. 4 Abs. 1 Satz 1, 1754, 1755 Abs. 1 BGB.

1.

Die formellen Voraussetzungen der Annahme des Kindes liegen vor, insbesondere die formgerechte und notariell beurkundeten Einwilligungserklärungen des Kindes durch dessen Amtsvormund (§ 1746 Abs. 1 BGB) und seiner leiblichen Mutter (§ 1747 Abs. 1 BGB) und der entsprechende Antrag der Annehmenden (§ 1752 Abs. 1 BGB). Auch im Hinblick auf die persönlichen Voraussetzungen der Annehmenden (§§ 1741 Abs. 2, 1743 BGB) ergeben sich keine Bedenken.

2.

Der Adoption steht nicht entgegen, dass der mögliche leibliche Vater (Vaterschaftsprätendent) nicht am Adoptionsverfahren beteiligt worden ist und es daher an seiner Einwilligung in die Annahme des Kindes (§ 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB) fehlt.

Allerdings schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen (vgl. BVerfG, FamRZ 2013, 521, 524; FamRZ 2003, 816, 818; Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 6, Rn. 46). Zu diesem Zweck ist es grundsätzlich notwendig, ihn von dem Adoptionsverfahren zu benachrichtigen. Hierauf kann nicht schon deshalb gemäß § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB verzichtet werden, wenn der leiblichen Mutter, wie im vorliegenden Fall, die Identität und der Aufenthalt des möglichen Vaters bekannt sind, sie sich aber weigert, die Person des Vaters zu benennen (vgl. BGH, FamRZ 2015, 828, 831). Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB kommt jedoch in Betracht, wenn im Rahmen einer Güterabwägung das Interesse der Mutter an der Verheimlichung des Vaters dessen Interesse an einer Beteiligung am Adoptionsverfahren überwiegt, weil andernfalls eine Verletzung ihres Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit zu erwarten ist (vgl. Heilmann/Braun, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 1747 BGB Rn. 22; NK-BGB/Dahm, 2. Aufl., § 1747 Rn. 32; Staudinger/Helms [2019], § 1747 Rn. 77; Erman/Saar, BGB, 15. Aufl., § 1747 Rn. 14; Soergel/Liermann, BGB, 13. Aufl., § 1747 Rn. 32; siehe auch BAGLJÄ, Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung, 7. Aufl., Nr. 10.3.2). Entgegen der Ansicht des Familiengerichts ist ein solcher Ausnahmefall hier zur Überzeugung des Senats gegeben.

Der Senat hat die leibliche Mutter des minderjährigen Kindes persönlich angehört und sie eingehend zu den Beweggründen für ihre Weigerungshaltung befragt. Die Mutter hat erklärt, dass sie vor ihrem ehemaligen Lebenspartner, der der Vater ihres Kindes sei, Angst habe. Er wohne in derselben Kleinstadt wie sie. Sie befürchte, dass er täglich vor ihrer Tür stehen und sie belästigen, aber auch handgreiflich werden könnte, falls er von der Existenz des Kindes erfahren würde. Auch nach der Trennung ängstige sie sich noch immer vor zufälligen Begegnung. Die Mutter hat im Einzelnen geschildert, dass der Vater unter Alkoholeinfluss unberechenbar sei. In diesem Zustand verliere er die Impulskontrolle und sei zu allem fähig. So habe der Vater sie trotz der Anwesenheit ihrer Schwester plötzlich und unerwartet am Hinterkopf an den Haaren gepackt und gegen die Heckscheibe eines Pkw geschleudert, als sie aus der gemeinsamen Wohnung habe ausziehen wollen. Auch während des Zusammenlebens habe sie der Vater im alkoholisierten Zustand wiederholt an den Haaren oder Armen gepackt und in der Wohnung hinter sich hergezogen. Der Vater sei während des Zusammenlebens zunehmend häufiger und schließlich jede Woche mehrfach alkoholisiert gewesen. Wenn sie dies rechtzeitig bemerkt habe und sich die Gelegenheit bot, habe sie zu ihrer Sicherheit auswärts übernachtet. Wie es dem Vater jetzt gehe, wisse sie nicht. Aus Angst vor einer weiteren Eskalation der Gewalt habe sie keine Strafanzeige erstattet.

Nach dem vom Senat im Anhörungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck hat die Mutter die Gewalt, die sie im Zusammenleben mit dem Vater erfahren hat, wahrheitsgemäß geschildert. Ihre Darstellung war detailliert und eindrücklich. Ihre mehrfach bekundete Furcht vor unberechenbaren gewaltsamen Handlungen des Vaters unter Alkoholeinfluss wirkte echt und nicht lediglich vorgeschoben. Die von dem Vater in der Vergangenheit verübte Gewalt hat erkennbar tiefe Ängste bei der Mutter verursacht, welche bis heute fortwirken. Es droht nach Überzeugung des Senats die ernsthafte Gefahr, dass der Vater, falls er Kenntnis von dem Adoptionsverfahren erlangt, erneut gegenüber der Mutter gewalttätig werden könnte. Unter diesen Umständen sind der Mutter Angaben zur Identität und Aufenthalt des Vaters nicht zumutbar. Von ihr kann auch nicht erwartet werden, öffentliche Hilfe in Anspruch zu nehmen oder ein Gewaltschutzverfahren anzustrengen. Die Einwilligung des möglichen leiblichen Vaters ist damit in entsprechender Anwendung des § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB entbehrlich. Er ist aus diesem Grund nicht am Adoptionsverfahren zu beteiligen.

Der Senat hat zum Schutz des Rechts der Mutter auf körperliche Unversehrtheit von weiteren Ermittlungen, wie etwa der Anhörung ihrer minderjährigen Schwester, abgesehen. Die Großmutter mütterlicherseits hatte bereits in erster Instanz und erneut im Beschwerdeverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Mutter und Großmutter hatten zudem erklärt, dass die Schwester keine Angaben machen werde.

3.

Ein Verbot der Annahme gemäß § 1745 BGB besteht nicht. Die Annehmenden sind kinderlos. Auch die Voraussetzungen für eine Annahme nach § 1741 BGB liegen vor. Zwischen den Annehmenden und der Anzunehmenden ist ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden und die Adoption entspricht dem Kindeswohl. Dies ergibt sich aus der fachlichen Äußerung der Adoptionsvermittlungsstelle (§ 189 FamFG) und der Stellungnahme des Amtsvormunds sowie aus der persönlichen Anhörung der Annehmenden im Senatstermin.

Danach befindet sich das am xx.xx.2018 geborene Kind bereits seit dem 09.05.2018 bei den Annehmenden in Pflege. Die erforderliche Probezeit (§ 1744 BGB) ist damit unzweifelhaft erfüllt. Die Annehmenden leben in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen. Zwischen ihnen und dem Kind besteht eine innige Beziehung. Die persönlichen Lebensverhältnisse des Kindes werden von den Annehmenden in kindeswohldienlicher Weise gestaltet. Das Kind hat in ihrem Haushalt eine überaus positive Entwicklung genommen. Im Anhörungstermin vor dem Senat haben die Annehmenden ihre Bereitschaft bekundet, das Kind je nach Entwicklungsstand über seine Herkunft aufzuklären. Die Aufklärung selbst ist dagegen nicht Voraussetzung der Annahmeentscheidung (vgl. BRHP/Pöcker, BGB, 4. Aufl., § 1741 Rn. 21.1).

In Anbetracht dieser Umstände kommt der Senat bei Abwägung der für den Fall des Ausspruchs der Adoption zu erwartenden Vor- und Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gegenüber der Situation bei Nichtausspruch der Adoption (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, FamRZ 2014, 674, 675; OLG Köln, FamRZ 2013, 1150) zu dem Ergebnis, dass sich die das Wohl des Kindes prägenden Lebensbedingungen durch die Adoption für das Kind deutlich verbessern werden. Die Adoptionsvermittlungsstelle und der Amtsvormund haben die Adoption ausdrücklich befürwortet.

4.

Gemäß § 1757 Abs. 1 BGB führt das Kind als Geburtsnamen den Familiennamen der annehmenden Eheleute, nämlich R... Gleichzeitig ist auf Antrag der Annehmenden der Vorname des Kindes in „L... H...“ zu ändern, da dies dem Kindeswohl entspricht (§ 1757 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB). Angesichts seines geringen Alters ist der bisherige Vorname noch nicht Teil der Identität und damit der Persönlichkeit des Kindes geworden. Die Änderung seines Vornamens dient unter diesen Umständen der Stärkung der emotionalen Bindung an die Adoptivfamilie. Schon während der Adoptionspflege wurde das Kind mit dem neuen Vornamen gerufen (vgl. hierzu auch MüKoBGB/Maurer, 8. Aufl., § 1757 Rn. 64; Palandt/Götz, BGB, 79. Aufl., § 1757 Rn. 9). Das Kind, vertreten durch den Amtsvormund, hat in die Änderung seines Vornamens eingewilligt.

III.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen beruht auf § 81 FamFG. Für die Annahme eines minderjährigen Kindes fallen weder im Verfahren vor dem Familiengericht noch im Beschwerdeverfahren Gerichtsgebühren an (siehe Vorbem. 1.3.2 Nr. 2 Hauptabschnitt 3, Abschnitt 2 der Anlage 1 zum FamGKG, vgl. FA-FamR/Keske, Kap. 17 Rn. 143). Auslagen für die erfolgreiche Beschwerde werden gleichfalls nicht erhoben (Vorbem. 2 Abs. 1 Teil 2 der Anlage 1 zum FamGKG). Eine Festsetzung des Verfahrenswerts für die Gerichtsgebühren ist vorliegend nicht geboten.