Thüringer OVG, Beschluss vom 28.01.2021 - 3 EN 22/21
Fundstelle
openJur 2021, 12600
  • Rkr:

1. Es bestehen nach einer angesichts des tatsächlichen Umfangs und der rechtlichen Schwierigkeiten der Angelegenheit nur möglichen vorläufigen Einschätzung jedenfalls keine solchen Bedenken gegen die vorübergehende Untersagung von körpernahen Dienstleistungen in Friseurstudios durch die 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO (juris: CoronaVSonderV TH 3), die eine materielle Rechtswidrigkeit nahelegen.

2. Nach der summarischen Prüfung ist auch nicht zwingend anzunehmen, dass die infektionsschutzrechtlichen Verordnungsregelungen im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt, auf das Menschenwürdegebot des Art 1 Abs 1 GG und auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip offensichtlich verfassungswidrig sind (a.A. AG Weimar, Urteil vom 11.01.2021 - 6 OWi - 523 Js 202518/20 -).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Außervollzugsetzung der Dritten Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung, soweit danach Dienstleistungen in Friseurstudios untersagt werden.

Die Antragstellerin betreibt als selbständige Friseurmeisterin einen Friseursalon in Eisenach.

Die Thüringer Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie sowie mit deren Einverständnis der Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport erließen am 14. Dezember 2020 die Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, die im Wege einer Notveröffentlichung nach § 9 Thüringer Verkündungsgesetz (ThürVerkG) noch am selben Tag auf der Internetseite des Ministeriums und am 18. Dezember 2020 im Thüringer Gesetz- und Verordnungsblatt (S. 631 ff.) veröffentlicht wurde. Art. 1 dieser Mantelverordnung enthält in Ablösung der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vom 29. November 2020 (GVBl. S. 583) die Dritte Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung - 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO). Diese Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung wurde zwischenzeitlich durch Art. 1 der Verordnung vom 14. Dezember 2020 (ThürGVBl. S. 631 ff.), Art. 1 der Verordnung vom 9. Januar 2021 (ThürGVBl. S. 1 ff.) und zuletzt Art. 1 der Verordnung vom 25. Januar 2021 (veröffentlicht nach § 9 ThürVerkG unter https://www.tmasgff.de/covid-19/rechtsgrundlage) geändert. Die Rechtsverordnung, soweit im vorliegenden Streit erheblich, hat folgenden Wortlaut:

§ 2 Grundsatz

Jede Person ist angehalten, die physisch-sozialen Kontakte zu anderen Personen außer zu den Angehörigen des eigenen Haushalts und Personen, für die ein Sorge- oder Umgangsrecht besteht, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Damit verbunden ist ein dringender Appell an die Thüringer Wirtschaft, auf alle betrieblichen Aktivitäten zu verzichten, die derzeit nicht unabweisbar sind und dort wo es möglich ist, mit Instrumenten wie Betriebsrevisionen oder dem Vorziehen von Betriebsurlaub sowie der Gewährung der Tätigkeiten in Heimarbeit oder mobilem Arbeiten, die Pandemiebewältigung zu unterstützen. Die Anzahl der Haushalte, aus denen die Kontaktpersonen stammen, sollen möglichst konstant und gering gehalten werden.

...

§ 8 Geschäfte und Dienstleistungen

(1) Körpernahe Dienstleistungen wie solche in Friseur-, Nagel-, Kosmetik-, Tätowier-, Piercing- und Massagestudios mit Ausnahme medizinisch notwendiger Dienstleistungen sind untersagt.

...

§ 16 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 14. Februar 2021 außer Kraft.

Nach Art. 4 der Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 trat die Verordnung am 15. Dezember 2020 in Kraft.

Die Antragstellerin hat am 15. Januar 2021 beim Thüringer Oberverwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf die Außervollzugsetzung der Dritten Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung beantragt, soweit danach Dienstleistungen in Friseurstudios untersagt werden, und zugleich eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO in der Hauptsache (Az. 3 N 23/21) beantragt.

Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass die einstweilige Anordnung dringend zur Abwendung schwerer Nachteile geboten sei. Die massiven Einnahmeverluste durch die Schließung ihres Friseursalons, die nach Verlautbarungen bis Ostern andauern könnte, gefährde sie in ihrer beruflichen Existenz. Die Maßnahme sei im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit absolut unverhältnismäßig und führe trotz der vorhandenen Hilfsprogramme zu massiven Schäden. Im Übrigen nehme sie auf ihren Vortrag im Normenkontrollverfahren Bezug. Darin trägt sie weiter vor, dass § 12 der Verordnung einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 8 GG nicht benenne. Die getroffene Maßnahme sei insgesamt unverhältnismäßig. Angesichts weiterhin steigender Infektionszahlen sei sie ersichtlich unwirksam. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass durch die Schließung von Friseursalons das Infektionsrisiko verringert würde. Die Schließung sei auch nicht nachzuvollziehen, da andere körpernahe Dienstleistungen, wie in der medizinischen Physiotherapie und Podologie, ausgeübt werden könnten. Auch seien Geschäfte geöffnet, die wesentlich stärker frequentiert würden und ein höheres Infektionsrisiko eröffnen würden als der Betrieb ihres Friseursalons, zumal sie strenge Infektionsschutz- und Hygienekonzepte einhalte und eine Nachverfolgbarkeit im Falle von Infektionen gewährleistet sei. Das Verbot treffe vor allem kleine Friseurbetriebe. Insgesamt sei die Untersagung ungeeignet, nicht erforderlich und unangemessen. Zuletzt trägt sie vor, die sinkenden Infektionszahlen rechtfertigten nunmehr nicht länger die Schließung.

Die Antragstellerin beantragt zuletzt sinngemäß,

durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO § 8 Abs. 1 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vom 14. Dezember 2020 (ThürGVBl. S. 631) zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 25. Januar 2021 bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen, soweit dieser ihr die Erbringung von Dienstleistungen des Friseurhandwerks unter Beachtung der allgemein geltenden Infektionsschutzregeln untersagt.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, die Verordnung wie auch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage seien rechtmäßig. Im Rahmen der notwendigen Interessensabwägung sei zu berücksichtigen, dass die angegriffene Maßnahme befristet sei. Angesichts der besorgniserregenden epidemiologischen Lage und des rasant steigenden Infektionsgeschehens gebühre der mit der angegriffenen Maßnahme verfolgte Lebens- und Gesundheitsschutz auch gegenüber den Rechten der Antragstellerin der Vorrang. Der Betrieb eines Frisörsalons mit mehreren Personen in geschlossenen Räumen sei sehr wohl mit einem beachtlichen Infektionsrisiko verbunden. Eine isolierte Öffnung würde zudem die gewollte Bremswirkung für das öffentliche Leben entgegenstehen. Die wirtschaftlichen Nachteile würden durch die staatlichen Hilfsprogramme teilweise aufgefangen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig.

Die Statthaftigkeit des Antrags insgesamt ergibt sich aus § 47 Abs. 6 VwGO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 4 ThürAGVwGO. Danach entscheidet das Oberverwaltungsgericht auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von - wie hier - im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften.

Die Antragstellerin ist als Inhaberin eines Friseurstudios antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Durch die mit der streitgegenständlichen Verordnung bewirkte Schließung ihres Geschäftes ist sie jedenfalls in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG betroffen.

Der Senat versteht den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO - entgegen seiner Formulierung - so, dass die Antragstellerin eine allgemeinverbindliche Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm begehrt. Sie würde den Entscheidungsanspruch nach dieser, das Normenkontrollverfahren begleitenden Norm verkennen, würde sie lediglich eine Suspendierung vom Verbot ausschließlich für ihren Fall beantragen wollen. Das Normenkontrollverfahren ermöglicht grundsätzlich keine Regelung des Einzelfalls, sondern ist allein auf eine Überprüfung der allgemeinverbindlichen Verordnungsregelung gerichtet.Zu berücksichtigen sind mithin die Auswirkungen auf alle von der angegriffenen Regelung Betroffenen, nicht nur die Folgen für die Antragstellerin.

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Ob dies der Fall ist, beurteilt sich in Anlehnung an die Regelung in § 32 BVerfGG (vgl. auch § 26 ThürVerfGHG). An die vorläufige Aussetzung einer bereits in Kraft gesetzten Norm, an deren Vollzug ein erhebliches Allgemeininteresse besteht, ist deshalb ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Insoweit sind die Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, ein Normenkontrollantrag (§ 47 VwGO) aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die aufträten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nur dann als Bestandteil der Folgenabwägung in die Bewertung einzubeziehen, wenn sich schon bei summarischer Prüfung im Anordnungsverfahren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ein Normenkontrollantrag unzulässig, offensichtlich unbegründet oder offensichtlich begründet ist (st. Rspr. des Senats: vgl. nur Beschluss vom 23. August 2011 - 3 EN 77/11 - LKV 2011, 472 m. w. N.).

Die begehrte einstweilige Anordnung ist - selbst bei unterstellter Offenheit der Erfolgsaussichten der Normenkontrolle in der Hauptsache - jedenfalls nicht auf Grund der nach den genannten Maßgaben erforderlichen Folgenabwägung geboten.

a. Ein Erfolg des Normenkontrollantrags ist - allenfalls - offen.

Wie der Senat wiederholt betont hat, wirft der aktuelle Erlass infektionsschutzrechtlicher Regelungen angesichts der dynamischen Entwicklung der Corona-Pandemie und damit einhergehender Gefährdungen existentieller Rechtsgüter wie Leib und Leben sowie der vom Antragsgegner intendierten Abwendung erheblicher Risiken für den Einzelnen und die Gesellschaft einerseits und den damit verbundenen gravierenden Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheitsräume bis hin zu deren vorübergehender Außerkraftsetzung andererseits schwierigste Rechts- und Tatsachenfragen auf, die in der fachjuristischen Diskussion kontrovers diskutiert werden. Diese Rechtsfragen sind einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich. Dies muss dem Hauptsacheverfahren und gegebenenfalls abschließender verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nach notwendiger umfassender tatsächlicher und rechtlicher Erörterung vorbehalten sein.

Im Einzelnen gilt hier:

aa. Rechtsgrundlage für die streitige Verordnungsbestimmung ist § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397). Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Nach § 7 der Thüringer Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Ermächtigungen nach dem Infektionsschutzgesetz vom 2. März 2016 (GVBl. S. 155), zuletzt geändert durch Art. 3 der Verordnung vom 21. September 2020 (GVBl. S. 501) wurde diese Verordnungsermächtigung differenziert nach Regelungsbereichen auf das für das Gesundheitswesen bzw. das für Bildung zuständige Ministerium übertragen.

bb. Durchgreifende evidente Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage werden weder von der Antragstellerin geltend gemacht, noch drängen sich solche auf. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung (Beschlüsse des Senats zuletzt vom 7. Januar 2021 - 3 EN 851/20 - juris Rn. 26; vom 21. Dezember 2020 - 3 EN 812/20 - juris Rn. 60; vom 25. November 2020 - 3 EN 746/20 - juris Rn. 40, vom 17. November 2020 - 3 EN 764/20 - juris, vom 13. November 2020 - 3 EN 729/20 - juris Rn. 95 ff., vom 12. November 2020 - 3 EN 747/20 - Rn. 67, vom 8. November 2020 - 3 EN 725/20 - juris Rn. 93 ff., zuvor bereits vom 10. April 2020 - 3 EN 248/20 - juris Rn. 34 ff., vom 9. April 2020 - 3 EN 238/20 - juris Rn. 43 ff. und vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 - juris Rn. 36 ff.).

Soweit die Antragstellerin sinngemäß geltend macht, das verfassungsrechtliche Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, da die angegriffene Verordnung - ebenso wie die gesetzliche Bestimmung des § 32 Satz 3 IfSG - eine Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG nicht benenne, trifft dies nicht zu. Ungeachtet der Frage, ob das Zitiergebot die Benennung der eingeschränkten Grundrechte in der Verordnung selbst gebietet, entspricht es der Verfassungsrechtsprechung, dass die inhalts- und schrankenbestimmenden Normen von berufsregelnden Gesetzen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, wie dies im Fall des § 28 Abs. 1 IfSG sein kann, nicht die darin liegenden Beschränkungen dieses Grundrechts ausdrücklich zu benennen haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1968 - 1 BvR 638/64 u. a. -, juris Rn. 99 ff. und Beschlüsse vom 4. Mai 1983 - 1 BvL 46/80 u. a. - juris Rdn. 26 ff. sowie vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 -, juris Rdn. 45; Beschluss des Senat vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 - juris Rn. 37; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE - m. w. N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 30. März 2020 - 20 CS 20.611 - juris Rdn. 18.).

cc. Formelle Bedenken gegen den Erlass der Rechtsverordnung wie auch der Änderungsverordnungen sind nicht vorgetragen und auch nicht ohne weiteres erkennbar. Auch bestehen nach einer angesichts des tatsächlichen Umfangs und der rechtlichen Schwierigkeiten der Angelegenheit nur möglichen vorläufigen Einschätzung jedenfalls keine solchen Bedenken gegen die erlassene Verordnung, die eine materielle Rechtswidrigkeit zwingend nahelegen.

Weder der Vortrag der Antragstellerin - die hierzu schweigt - noch sonstige Erwägungen lassen Zweifel daran zu, dass der Anwendungsbereich der genannten Rechtsgrundlage eröffnet ist und deren besonderen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Es ist nicht in Frage zu stellen, dass infolge der Corona-Pandemie, der vom Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite und des derzeit erheblichen Infektionsgeschehens grundsätzlich der Antragsgegner verpflichtet ist, infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.

Die Feststellung einer übertragbaren Krankheit bedingt, dass die zuständige Stelle - sei es die zuständige Behörde im Wege des Erlasses von Verwaltungsakten oder die Landesregierung bzw. die von ihr ermächtigte Stelle im Wege des Erlasses einer Rechtsverordnung - zum Handeln verpflichtet ist. Die Stelle hat lediglich ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl der anzuwendenden Schutzmaßnahmen.

Die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, lässt sich nicht im Vorfeld bestimmen. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Darüber hinaus hat er nunmehr in § 28a Abs. 1 IfSG - im Rahmen dessen Anwendungsbereichs während der aktuellen Pandemielage - bestimmte notwendige Standardschutzmaßnahmen benannt, die auch - wie vorliegend durch die Unterbindung der Ausübung körpernaher Dienstleistungen in Friseurstudios und damit deren faktischer Schließung - Maßnahmen der Untersagung und Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- und Großhandel umfassen können (§ 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG).

Das Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um "notwendige" Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich Maßnahmen, "soweit" sie zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit "erforderlich" sind. Weiterhin betont das Gesetz den zeitlichen Aspekt: Maßnahmen dürfen nur getroffen werden, "solange" sie erforderlich sind. Insgesamt sind dem Ermessen damit durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 - juris Rn. 24 unter Bezugnahme auf die Gesetzgebungsmaterialien: Bundestag-Drs. 8/2468, S. 27).

Dies ergänzt § 28a Abs. 3 IfSG nunmehr für die Zeitdauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufgrund der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) durch weitere Vorgaben. So sind Entscheidungen über Schutzmaßnahmen insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten. Die Schutzmaßnahmen sollen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an den Schwellenwerten nach Maßgabe der weiteren Regelungen ausgerichtet werden, soweit Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes nicht regional übergreifend oder gleichgelagert sind. Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Unterhalb eines Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen. Vor dem Überschreiten eines Schwellenwertes sind die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen insbesondere bereits dann angezeigt, wenn die Infektionsdynamik eine Überschreitung des jeweiligen Schwellenwertes in absehbarer Zeit wahrscheinlich macht. Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. Nach Unterschreitung eines zuvor genannten Schwellenwertes können die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 erforderlich ist. Ferner bestimmt § 28a Abs. 6 IfSG, dass die Schutzmaßnahmen auch kumulativ angeordnet werden können, soweit und solange es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Krankheit erforderlich ist. Bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen sind soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Krankheit vereinbar ist. Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Krankheit nicht zwingend erforderlich ist.

Aus alledem folgt auch weiterhin, dass im Hinblick auf das gewählte Mittel, solange eine epidemische Lage wie vorliegend durch erhebliche Ungewissheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägt ist, der zuständigen Stelle - hier dem Verordnungsgeber - ein entsprechender Einschätzungsspielraum einzuräumen ist, soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen (vgl. im infektionsschutzrechtlichen Zusammenhang: BVerfG, Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - 1 BvR 1027/20 - juris und vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE - juris; BayVGH, Beschlüsse vom 30. März 2020 - 20 NE 20.632 - juris Rn. 60 und - 20 CS 20.611 - juris Rn. 22; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 - juris Rn. 10). Den tatsächlichen Ungewissheiten und den darauf aufbauenden Gefahrprognosen liegen notwendigerweise Pauschalierungen, Verallgemeinerungen und Generalisierungen inne; die Regelungen bedürfen jedoch der Präzisierung mit fortschreitendem Erkenntnisgewinn.

Wie der Senat wiederholt betont hat, kommt dem Verordnungsgeber im Rahmen solcher dynamischen Entwicklungen eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht zu, ob und inwieweit er an den Einschränkungen festhält, sie aufrechterhält oder sie auch verschärft (Beschlüsse des Senats vom 10. April 2020 - 3 EN 248/20 - juris, vom 9. April 2020 - 3 EN 238/20 - juris und vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 - juris; vgl. so auch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE - juris).

Ausgehend davon erkennt der Senat nicht die Unverhältnismäßigkeit der Untersagung körpernaher Dienstleistungen in Friseurstudios.

(a) Die angegriffene Verordnung zielt - wie dies die amtliche Begründung zur Thüringer Verordnung vom 14. Dezember 2020 (https://www.tmasgff.de/covid-19/rechtsgrundlage) zum Ausdruck bringt - mit der hier angegriffenen Untersagung der körpernahen Dienstleistungen in Friseursalons  speziell auf die Unterbindung solcher Tätigkeiten, denen aufgrund des Umstandes, dass dauerhaft und regelmäßig der Mindestabstand in erheblichem Umfang unterschritten werden muss, eine erhöhte Infektionsgefahr innewohnt. Generell verfolgt sie - wie auch die weiteren angeordneten Maßnahmen - den Zweck einer Kontaktreduzierung. Sie hat damit eine andere Zielrichtung als die weiterhin geltende Zweite Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung, die auf eine Reduzierung der Gefahr von Infektionsübertragungen durch Hygienemaßnahmen und Sicherung der Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten gerichtet ist. Allgemein formuliert dies § 2 3. ThürSARS-CoV-2-SondereindmaßnVO so, dass jede Person angehalten ist, die physisch-sozialen Kontakte zu anderen Personen (außer zu den Angehörigen des eigenen Haushalts und Personen, für die ein Sorge- oder Umgangsrecht besteht) auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.

Insgesamt dient die Regelung dem legitimen Zweck der Bekämpfung der Infektion und damit einhergehend dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Angesichts des dynamischen Geschehens mit hohen Infektionszahlen, intensivmedizinischen Behandlungsfällen und Todesraten thüringen-, deutschland-, europa- und weltweit zielen die Maßnahmen - in einer Situation, in der Ansteckungsverläufe nicht mehr nachvollziehbar sind - darauf, massiv dieser gravierenden Infektionslage und deren Wachstum entgegenzutreten und eine rückläufige Entwicklung einzuleiten (siehe zu allem: Beschluss der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 19. Januar 2021, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bund-laender-beschluss-1841048; Amtliche Begründung zur Thüringer Verordnung vom 25. Januar 2021, https://www.tmasgff.de/covid-19/rechtsgrundlage).

In seiner, für das jetzige Verfahren maßgeblichen Risikobewertung vom 12. Januar 2021 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html;jsessionid=5AB8A054EDA68C02E8884850AE486F6A.internet081?nn=2386228) führt das vom Gesetzgeber durch § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu vorrangig berufenen Robert-Koch-Institut insoweit aus:

Allgemein

Es handelt sich weltweit, in Europa und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit nimmt die Anzahl der Fälle weiter zu. Nach einem Plateau im Dezember kam es zu einem weiteren Anstieg der Fallzahlen in Deutschland. Darüber hinaus ist die Zahl der auf Intensivstationen behandelten Personen und die Anzahl der Todesfälle stark angestiegen.

Der Anstieg schwerer Erkrankungen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, betrifft dabei auch Altersgruppen unter 60 Jahren. Ziel der Anstrengungen ist es, diese Entwicklung umzukehren und einen nachhaltigen Rückgang der schweren Erkrankungen und Todesfälle in allen Altersgruppen zu erreichen.

Aktuell kann nur in wenigen Fällen das Infektionsumfeld noch ermittelt werden. Man muss von einer Community Transmission ausgehen. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen v.a. private Haushalte, das berufliche Umfeld sowie insbesondere auch Alten- und Pflegeheime, finden aber in vielen Lebensbereichen statt. Die aktuelle Entwicklung weist darauf hin, dass neben der Fallfindung und der Kontaktpersonennachverfolgung auch der Schutz der Risikogruppen, den das RKI seit Beginn der Pandemie betont hat, konsequenter umgesetzt werden muss. Dies betrifft insbesondere den Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen. Nur wenn die Zahl der neu Infizierten insgesamt deutlich sinkt, können auch Risikogruppen zuverlässig geschützt werden.

Impfstoffe sind noch nicht für alle impfwilligen Personen verfügbar. Die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und erst wenige spezifische Therapieansätze haben sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen.

Die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (B.1.1.7 und B.1.351) in einigen Staaten ist besorgniserregend. Zwar ist noch unklar, wie sich diese neue Varianten von SARS-CoV-2, die auch in Deutschland bereits nachgewiesen wurden, auf die Situation in Deutschland auswirken werden, aber es besteht die Möglichkeit einer Verschlimmerung der Lage.

Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.

...

Krankheitsschwere

Bei der überwiegenden Zahl der Fälle verläuft die Erkrankung mild. Die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Das individuelle Risiko kann anhand der epidemiologischen/statistischen Daten nicht abgeleitet werden. So kann es auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen, auch nach leichten Verläufen, sind derzeit noch nicht abschätzbar.

Ressourcenbelastung des Gesundheitssystems

Die Belastung des Gesundheitssystems hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (z.B. Isolierung, Quarantäne, physische Distanzierung) ab. Sie ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands bereits sehr angespannt und kann sehr schnell weiter zunehmen, so dass das öffentliche Gesundheitswesen, aber auch die Einrichtungen für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung örtlich überlastet werden.

Infektionsschutzmaßnahmen und Strategie

Die drei Säulen der Strategie bestehen in der Eindämmung (Containment, dazu gehört auch die Kontaktenachverfolgung), Protektion (Schutz vulnerabler Gruppen) und Mitigation (Milderung der Folgen). Bei der Bewältigung der Pandemie müssen die verschiedenen Maßnahmen der Strategie zusammenwirken und sich gegenseitig verstärken, um die Folgen der COVID-19-Pandemie für Deutschland zu minimieren.

Die massiven Anstrengungen auf allen Ebenen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) stellen die Grundlage dar, die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und Ausbrüche und Infektionsketten einzudämmen. Um Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich so weit wie möglich zu vermeiden, ist eine Intensivierung der gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen nötig. Hier können junge Erwachsene und Jugendliche und Personen mit vielen sozialen Kontakten durch Einhaltung der empfohlenen Maßnahmen (AHA + Lüften Regeln) in ganz besonderer Weise dazu beitragen, Übertragungen zu verhindern. Dazu zählen Hygienemaßnahmen, das Abstandhalten, das Einhalten von Husten- und Niesregeln, das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung/Alltagsmaske in bestimmten Situationen (AHA-Regeln). Dies gilt auch bei Menschenansammlungen im Freien, wenn der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten wird. Beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen ist zusätzlich eine gute Belüftung wichtig, um eine mögliche Anreicherung von infektiösen Aerosolen zu reduzieren. Alle Personen, die unter akuten respiratorischen Symptomen leiden, sollten weitere Kontakte vermeiden. Derzeit warnt das Auswärtige Amt vor nicht notwendigen touristischen Reisen in eine Vielzahl von Ländern.

Es ist von entscheidender Bedeutung, die Zahl der Erkrankten so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern. Dadurch können Belastungsspitzen im Gesundheitswesen vermieden werden. Ferner kann hierdurch mehr Zeit für die Entwicklung von Impfstoffen, Durchführung von Impfungen sowie Entwicklung von antiviralen Medikamenten gewonnen werden.

Diese Bewertung findet ihre Grundlage in den indiziellen Fallzahlen (Neuinfektionen,  intensivmedizinische Behandlungsfälle, Todesfälle, Reproduktionsfaktor, Impfquote u. a.) der vergangenen Tage (Deutschland: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html;jsessionid=5AB8A054EDA68C02E8884850AE486F6A.internet081?nn=2386228; Thüringen: https://www.tmasgff.de/covid-19/fallzahlen; Europa und Welt: https://www.ecdc.europa.eu/en/covid-19/situation-updates). Danach ist festzustellen, dass trotz rückläufiger Fallzahlen die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen deutschlandweit mit 108 (26.01.2021) erheblich und Thüringen mit 173,6 Fällen (28.01.2021) überdeutlich weit über dem vom Gesetzgeber als bereits kritisch angesehenen Wert von 50 Fällen liegt. Diese Lage, die innerhalb von Thüringen regional keine markanten Unterschiede in den indiziellen Fallzahlen erkennen lässt, rechtfertigt auch eine landesweite Anordnung von notwendigen Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28a Abs. 3 IfSG.

(b) Von diesen Feststellungen ausgehend erweist sich die hier angegriffene Maßnahme mittels der bezweckten Vermeidung infektionsgefährlicher Begegnungen und Kontaktreduzierung als geeignetes Mittel zur Eindämmung der Pandemie.

Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis gilt für die Übertragbarkeit nach der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts folgendes (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html;jsessionid=7B50FC3D11C6F895334EBCDE6D1DC025.internet101?nn=2386228):

SARS-CoV-2 ist grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Das Infektionsrisiko ist stark vom individuellen Verhalten (AHA-Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken tragen), der regionalen Verbreitung und von den Lebensbedingungen (Verhältnissen) abhängig. Hierbei spielen Kontakte in Risikosituationen (wie z.B. langer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle. Dies gilt auch in Situationen im privaten Umfeld mit Familienangehörigen und Freunden außerhalb des eigenen Haushalts und im beruflichen Umfeld. Die Aerosolausscheidung steigt bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen steigt hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1,5 m. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wird, z. B. wenn Gruppen von Personen an einem Tisch sitzen oder bei größeren Menschenansammlungen, besteht auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko. Die neuen Varianten von SARS-CoV-2, die zuerst im Vereinigten Königreich (B.1.1.7) und in Südafrika (B.1.351) nachgewiesen wurden, sind nach ersten Untersuchungen aus dem Vereinigten Königreich und Südafrika und gemäß Einschätzung des ECDC noch leichter von Mensch zu Mensch übertragbar und unterstreichen daher die Notwendigkeit einer strengen Einhaltung dieser kontaktreduzierenden Maßnahmen.

Davon ausgehend ist die - in der amtlichen Begründung der Verordnung zum Ausdruck gebrachte - Annahme des Antragsgegners nicht zu beanstanden, dass eine Unterbindung körpernaher Dienstleistungen und auch die Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung geeignet sind, dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken und die Zahl der Neuinfektionen wieder in die nachverfolgbare Größenordnung von unter 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen zu senken. Es liegt auf der Hand, dass selbst bei Einhaltung von strengen Sicherheits- und Hygieneregeln bei dem unvermeidlichen face-to-face-Kontakt bei Dienstleistungen des Friseurhandwerks ein Infektionsrisiko für Kunden und Mitarbeiter besteht und nicht auszuschließen ist. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass diese Art von Dienstleistungen regelmäßig in geschlossenen Räumen erbracht werden und einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen, was eine Infektion über Tröpfchen und Aerosole begünstigen kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Januar 2021 - 13 B 1724/20.NE - juris Rn. 38).

Allein der sehr pauschale Hinweis der Antragstellerin, dass die bisherigen Maßnahmen nicht zur Senkung der Infektionsraten geführt hätten und damit ungeeignet seien, ist angesichts der aktuellen Entwicklung sinkender Fallzahlen schon nicht mehr haltbar.

(c) Dem Senat drängt sich weiterhin nicht die mangelnde Erforderlichkeit der angegriffenen Maßnahmen auf.

Ein Gesetz ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können, wobei dem Gesetzgeber auch insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u. a. - und vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 - jeweils juris).

Der Vorhalt der Antragstellerin, als milderes Mittel gegenüber der Schließung von Friseurstudios käme die weitere Öffnung dieser Einrichtungen unter Beachtung strenger Hygienepläne in Betracht, verkennt bereits, dass dies nicht geeignet wäre, grundsätzlich ein Infektionsrisiko auszuschließen. Überdies ist die Verordnung darauf gerichtet, grundsätzlich Kontakte zwischen Personen zu vermeiden - ungeachtet der Möglichkeit zur Durchsetzung von Hygieneplänen. Im Hinblick auf diese grundsätzlichen Anliegen der Verordnung ist das Offenhalten kein gleichgeeignetes und damit milderes Mittel.

Die benannten Ziele haben auch nicht grundsätzlich hinter anderen, weniger grundrechtlich einschränkenden Maßnahmen zurückzustehen. Dies muss jedenfalls in der derzeitigen Situation gelten, in der angesichts des Standes der Ausbreitung des Coronavirus und der weiterhin dynamischen Entwicklung der Infektionen, die durch die konkret drohende Verbreitung noch infektiöserer Mutationen jederzeit im Sinne einer weiteren Steigerung der Infektionsfälle beeinflusst werden kann, mit erheblichen schweren Krankheits- und Todesfällen zu rechnen ist. Zudem besteht die vom Gesetzgeber intendierte Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten nicht mehr. Eine Unbeherrschbarkeit des Infektionsgeschehens ist eingetreten. Diese der Verordnung zu Grunde liegende Situationsbeurteilung wird von den tatsächlichen Feststellungen getragen und ist jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht anzufechten.

Dieser Feststellung steht auch nicht entgegen, dass - wie von der Antragstellerin vorgetragen - ein wesentliches Infektionsgeschehen in den Bereichen des Friseurhandwerks nicht nachweisbar sei. Zum einen ist dem entgegenzuhalten, dass valide aktuelle Untersuchungen nicht vorliegen und auch nicht von der Antragstellerin vorgelegt werden. Hinzu tritt die Diffusität des Infektionsgeschehens; der Verordnungsgeber geht von der - von Seiten des Senats nicht weiter anzuzweifelnden - Feststellung des Robert-Koch-Instituts aus, dass mittlerweile in der überwiegenden Anzahl der Infektionen der Ausgangspunkt nicht mehr nachweisbar ist.

Insgesamt drängen sich auch annähernd vergleichbar effektive Handlungsalternativen zu der Reduzierung von Kontakten jedenfalls nicht in einer Weise auf, dass allein diese in Frage kommen.

(d) Nach der summarischen Prüfung ist auch nicht zwingend anzunehmen, dass die Regelung unter Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen unangemessen ist.

Der beabsichtigte Verordnungszweck steht jedenfalls nicht offensichtlich außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Die Maßnahme führt zwar unverkennbar zu - mittlerweile länger andauernden - Grundrechtseinschränkungen von erheblicher Intensität, vorrangig in Bezug auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Dieses Recht - wie auch andere Grundrechtspositionen - wird jedoch nicht unbeschränkt gewährt, sondern unterliegt einem Gesetzesvorbehalt. Das diesen im Ergebnis ein unbedingter Vorrang gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gebührt, ist nicht festzustellen. Die existenzsichernde Erzielung von Einnahmen zur Bestreitung des Lebensbedarfs in einem Bereich von gefahrerhöhender Tätigkeit kann vorübergehend gegenüber der Durchsetzung überragend gewichtiger Gemeinwohlbelange zurückzustehen haben. Hierbei ist neben der zeitlichen Befristung der Maßnahme auch zu berücksichtigen, dass der Bund und der Antragsgegner zahlreiche Hilfsmaßnahmen beschlossen haben, die die Existenz von Unternehmen in der Corona-Krise sichern sollen (siehe hierzu Pkt. b. / Interessenabwägung).

(e) Soweit die Antragstellerin mit ihrem Vortrag eine grundrechtswidrige Ungleichbehandlung zu anderen geöffneten Bereichen des Wirtschaftslebens geltend macht, führt dies nicht notwendig auf eine Annahme der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme.

Hierbei ist schon zweifelhaft, ob und inwieweit der Vorwurf gleichheitswidriger Behandlung zu den Bereichen der Wirtschaft, in denen weiterhin wirtschaftliche Betätigung möglich ist, überhaupt im Eilverfahren auf eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen führen muss (Bayerischer VGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 - juris). Allein ein solcher Rechtsverstoß unterstellt, eröffnet dem Verordnungsgeber - soweit nicht andere rechtserhebliche Gesichtspunkte Anderes (wie die Erweiterung der bestehenden Regelung) gebieten (vgl. z. B. Beschluss des Senats vom 22. Mai 2020 - 3 EN 341/20 - juris) - erneut einen Entscheidungsspielraum, diesen Gleichheitsverstoß zu beseitigen. Dies schließt vorliegend nicht aus, im Interesse des Infektionsschutzes und der Vermeidung weiterer Infektionen Kontaktbeschränkungen gegebenenfalls auch für weitere, bislang geöffnete Bereiche des Wirtschaftslebens einzuführen.

Im Übrigen spricht durchaus einiges für eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung.

Bei Differenzierungen ist der Verordnungsgeber zwar an den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich jedoch je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Hoheitsträger, wobei das Niveau der Rechtfertigungsanforderungen sich nach den Besonderheiten des geregelten Lebens- und Sachbereichs bestimmt (sog. bereichsspezifische Anwendung, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 1237/85 - BVerfGE 89, 365 = juris Rn. 37 f. m. w. N., vom 18. April 2008 - 1 BvR 759/05 - juris Rn. 53 = DVBl. 2008, 780, und vom 19. November 2019 - 2 BvL 22/14 u. a. - juris Rn. 96 m. w. N. = NJW 2020, 451). Für Rechtsbereiche der Gefahrenabwehr, wie das Infektionsschutzrecht, ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltung ihre Entscheidungen hier oftmals - wie in der vorliegenden Krisensituation - unter Zeitdruck und unter Bedingungen einer sich ständig verändernden Lage zu treffen hat. Dass sie trotz dieses Handlungsrahmens bei ihren Entscheidungen im Hinblick auf den Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG einem Gebot innerer Folgerichtigkeit unterläge - wie dies in anderen Rechtsbereichen, etwa dem Steuerrecht, für das Handeln des Gesetzgebers anerkannt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 BvR 1493/89 - BVerfGE 84, 239 = juris Rn. 108; Beschluss vom 19. November 2019, juris Rn. 100 m. w. N.) - wird, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur zu Recht nicht vertreten (Beschluss des Senats vom 9. April 2020 - 3 EN 238/20 - juris Rn. 67 f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 Bs 48/20 - juris).

Davon ausgehend spricht durchaus einiges für eine sachliche Rechtfertigung der hier streitgegenständlichen Differenzierung. Die besondere Situation eines längeren körpernahen Kontaktes in geschlossenen Räumen bei Leistungen des Friseurhandwerks unterscheidet sich deutlich von der Situation des Handels, der regelmäßig durch kurzfristige Begegnungen in größeren Räumen geprägt ist. Die vom Antragsgegner vorgebrachten und in der publizierten amtlichen Begründung zu Grunde gelegten Abwägungsvorgänge legen jedenfalls nahe, dass hier zumindest keine Willkürentscheidung im Raume steht.

(f) Der Senat folgt in der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verordnung den vom Amtsgericht Weimar (Urteil vom 11. Januar 2021 - 6 OWi - 523 Js 202518/20 - juris) geäußerten grundsätzlichen erheblichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der infektionsschutzrechtlichen Verordnungen zur Bekämpfung der derzeitigen Pandemie nicht. Zum einen bezieht sich die Entscheidung, gegen die die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt hat (https://www.mdr.de/thueringen/mitte-west-thueringen/weimar/corona-urteil-kontaktbeschraenkung-weimar-100.html) und die mithin noch nicht rechtskräftig ist, auf eine Verordnung aus dem April 2020 und nicht auf den Erlass der aktuellen Verordnungen infolge der geänderten Infektionslage seit Herbst 2020. Zum anderen wird auch die Bewertung des Amtsgerichts einer grundsätzlichen offensichtlichen Verfassungswidrigkeit weder von der Verfassungsrechtsprechung (zur Offenheit der Rechtsfragen vgl. nur: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 7. Juli 2020 - 1 BvR 1187/20 - juris Rn. 5 und vom 9. April 2020 - 1 BvQ 29/20 - juris Rn. 5; ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 - 17/20 (eAO) - juris Rn. 74) noch der Rechtsprechung des Senats (vgl. nur die veröffentlichten Beschlüsse vom 7. Januar 2021 - 3 EN 851/20 -, vom 21. Dezember 2020 - 3 EN 812/20 -, 25. November 2020 - 3 EN 746/20 -, vom 13. November 2020 - 3 EN 729/20 -, vom 12. November 2020 - 3 EN 747/20 -, vom 8. November 2020 - 3 EN 725/20 -, vom 26. August 2020 - 3 EN 531/20 -, vom 3. Juli 2020 - 3 EN 391/20 -, vom 13. Juni 2020 - 3 EN 374/20 -, vom 5. Juni 2020 - 3 EN 369/20 - und - 3 EN 370/20 -, vom 28. Mai 2020 - 3 EN 359/20 -, vom 22. Mai 2020 - 3 EN 341/20 -, vom 7. Mai 2020 - 3 EN 311/20 -, vom 10. April 2020 - 3 EN 248/20 -, vom 9. April 2020 - 3 EN 238/20 - und vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 - alle juris) oder anderer Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe (vgl. hierzu jeweils zuletzt mit m. w. N.: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2020 - 1 S 4028/20 -; Bayerischer VGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 - 20 NE 20.3026 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 11 S 124/20 -; OVG Bremen, Beschluss vom 7. Januar 2021 - 1 B 470/20 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 18. November 2020 - 5 Bs 209/20 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 30. November 2020 - 8 B 2681/20.N -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. November 2020 - 2 KM 768/20 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 13 MN 14/21 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Januar 2021 - 13 B 1899/20.NE -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. November 2020 - 6 B 11345/20 -; OVG Saarland, Beschluss vom 18. November 2020 - 2 B 339/20 -; OVG Sachsen, Beschluss vom 27. November 2020 - 3 B 394/20 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 3 R 259/20 -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19. Januar 2021 - 3 MR 1/21 - alle juris) geteilt. So hat der Senat wiederholt betont, dass durchaus gewichtige Umstände gegen eine Verletzung des aus dem verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsprinzips folgenden Parlamentsvorbehalts sprechen (Beschlüsse des Senats vom 25. November 2020 - 3 EN 746/20 - juris Rn. 40, vom 13. November 2020 - 3 EN 729/20 - juris Rn. 96 f., vom 8. November 2020 - 3 EN 725/20 - juris Rn. 95 f., vom 3. Juli 2020 - 3 EN 391/20 - juris Rn. 39 und vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 - juris Rn. 36;vgl. zuletzt umfassend auch: OVG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 30. Dezember 2020 - 13 B 1787/20 NE - juris Rn. 35 ff. und vom 15. Dezember 2020 - 13 B 1731.20 - juris Rn. 33 ff.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 - 20 NE 20.2461 - juris Rn. 22 f.). Der Senat folgt in seiner Rechtsprechung auch nicht den Erwägungen des Amtsgerichts zur Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG (Beschluss des Senats vom 26. August 2020 - 3 EN 531/20 - juris Rn. 52 m. w. N. zum Mund-Nasen-Schutz). Ferner haften den - wohl so zu verstehenden - Ausführungen des Amtsgerichts zur grundsätzlichen Unverhältnismäßigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen in der derzeitigen Pandemie sowohl rechtliche als auch tatsächliche Mängel an. So ist der Rechtmäßigkeitsbeurteilung keine ex-post-Betrachtung, sondern eine ex-ante-Beurteilung zu Grunde zu legen (vgl. zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle: BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 - BVerfGE 150, 1 ff. Rn. 175); entscheidend sind die Erkenntnismöglichkeiten des Verordnungsgebers zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung und während deren Geltungsdauer. Darüber hinaus setzt das Amtsgericht unzulässig seine Bewertung an die Stelle des dem Antragsgegner einzuräumenden Entscheidungsspielraums. Insgesamt verkennt das Amtsgericht die Maßstäbe, die die Verfassung für das staatliche Handeln aufstellt. Wesentliche Aufgabe der staatlichen Gewalt - einschließlich Gesetzgebung und Verwaltung - ist es, Leib und Leben seiner Bürger zu schützen. Diese Aufgabe des unmittelbaren Lebens- und Gesundheitsschutzes muss auch vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Auswirkungen nicht zurückstehen. Indem das Amtsgericht die nachteiligen Folgen der Infektionsschutzregelungen den Auswirkungen gegenüberstellt, die diese Maßnahmen nach sich ziehen, stellt es sowohl hinsichtlich der Gefahren der Pandemie als auch hinsichtlich der aus den Infektionsschutzregelungen folgenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen Vermutungen auf, für die es ihm ersichtlich an wissenschaftlicher Kompetenz fehlt. In seiner Abwägung, zum einen den Auswirkungen der Pandemie auch ohne Infektionsschutzmaßnahmen kein dramatisches Ausmaß zuzumessen, zum anderen aber die potentiellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen gravierend in den Vordergrund zu stellen, berücksichtigt das Amtsgericht den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis unzureichend; das Amtsgericht misst sich insgesamt eine Erkenntnisgewissheit an, die so nicht besteht (vgl. hierzu auch zu entsprechenden Beteiligtenvorbringen: Beschlüsse des Senats vom 26. August 2020 - 3 EN 531/20 - juris Rn. 41 und vom 3. Juli 2020 - 3 EN 391/20 - juris Rn. 61; vgl. zu allem auch: Bayerischer VGH, Beschluss vom 24. Januar 2021 - 10 CS 21.249 - veröffentlicht unter: https://www.vgh.bayern.de/bayvgh/oeffentl/pm/index.php).

b. Verbleibt es bei allenfalls offenen Erfolgsaussichten, gebietet eine Folgenabwägung es nicht, die einstweilige Anordnung zu erlassen. Dies legt weder der Vortrag der Antragstellerin nahe, noch ist dies ansonsten erkennbar (vgl. hierzu im Übrigen: ThürVerfGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 2020 - VerfGH 118/20 - und vom 24. Juni 2020 - VerfGH 17/20 -; BVerfG, Beschlüsse vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 - und vom 28. April 2020 - 1 BvR 899/20 - jeweils juris). Bei der Folgenabwägung sind angesichts der Allgemeinverbindlichkeit der Entscheidung die Auswirkungen auf alle von der angegriffenen Regelung Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für die Antragstellerin.

Würde der Aussetzungsantrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt, erwiese sich im Ergebnis des Hauptsacheverfahrens die Verordnung aber als rechtswidrig, wären zwar die betroffenen Bereiche des Friseurhandwerks in ihren (Grund-)Rechten erheblich beeinträchtigt. Dies wirkt umso schwerwiegender, als infolge der Dauer der Pandemie und deren wellenmäßigem Verlauf die betroffenen Unternehmen bereits mehrfach in ihrer wirtschaftlichen Betätigung beschränkt waren und daraus teilweise gravierende existenzielle Nachteile resultieren können. Jedoch werden diese Nachteile in erheblichen Maße durch die zahlreichen staatlichen Hilfsprogramme zur Überbrückung in der Krisenphase kompensiert. Insbesondere sind auf Bundesebene im Zusammenhang mit den aktuellen Maßnahmen Hilfsprogramme aufgelegt, für die von den temporären Schließungen erfassten Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen eine außerordentliche Wirtschaftshilfe zu gewähren, um sie für finanzielle Ausfälle zu entschädigen. Überdies treten daneben die Programme des Bundes und der Länder zur wirtschaftlichen Bewältigung der Pandemiefolgen, wie die erweiterten Möglichkeiten der Gewährung von Kurzarbeitergeld, der Aussetzung von Insolvenzverfahren und branchenspezifische Hilfsprogramme (vgl. hierzu nur die Übersichten: Bund: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/info-unternehmen-selbstaendige-1735010; Land: https://wirtschaft.thueringen.de/corona/). Zwar mag die Bewilligung einzelner Hilfen sich hinauszögern, dadurch werden sie jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Antragstellerin hat auch bezogen auf ihren Fall nicht substantiiert vorgetragen, ob und inwieweit es ihr nicht möglich ist, solche Hilfen zu beanspruchen.

Würde hingegen dem Aussetzungsantrag stattgegeben, erwiese sich die Verordnung im Hauptsacheverfahren aber als rechtmäßig, träte damit eine konkrete - wie auch durch die Fallzahlenentwicklung in Thüringen, Deutschland und der Welt belegte - nicht unwahrscheinliche Steigerung der Risiko- und Gefährdungslage ein. Auch nur eine vorläufige Außervollzugsetzung kann eine Gefahr für Gesundheit, Leib und Leben einer unüberschaubaren Vielzahl von Menschen begründen.

Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Außervollzugsetzung aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit weit über den Fall der Antragstellerin hinaus wirken würde. Ein wesentliches Element der komplexen Pandemiebekämpfungsstrategie des Antragsgegners würde in seiner Wirkung deutlich reduziert (vgl. zur Berücksichtigung dieses Aspekts in der Folgenabwägung: BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 2020 - 1 BvQ 42/20 -, juris Rn. 10), und dies zu einem Zeitpunkt mit einem dynamischen hohen Infektionsgeschehen. Die Möglichkeit, eine geeignete und erforderliche Schutzmaßnahme zu ergreifen und so die Verbreitung der Infektionskrankheit zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 - u. a., BVerfGE 121, 317, 350 = juris Rn. 119 m. w. N.), effektiver zu verhindern, bliebe hingegen zumindest zeitweise bis zu einer Reaktion des Verordnungsgebers (irreversibel) ungenutzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Senat bemisst das Interesse der Antragstellerin in Anlehnung an gewerberechtliche Untersagungsverfahren in Höhe von 15.000,00 € (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. der am 31.05.2005 /01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage, Anhang § 164 Rn. 14), der hier im Hinblick auf die vorübergehende Dauer der Maßnahme zu halbieren ist. Eine weitere Halbierung ist wegen der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache hingegen nicht angezeigt.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).