LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.06.2020 - 4 Sa 139/18
Fundstelle
openJur 2021, 4021
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung der Klägerseite gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 13.12.2017 - 5 Ca 3395/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die klagende Partei nimmt in der Berufungsinstanz den Beklagten in seiner Funktion als Insolvenzverwalter über das Vermögen der der B GmbH, einem Unternehmen der Baubranche, noch auf Feststellung eines Schadensersatzanspruchs nach § 628 Abs. 2 BGB in Anspruch.

Das Arbeitsverhältnis der 1965 geborenen klagenden Partei bestand seit Januar 1995, zunächst mit der E GmbH und ging im Wege eines Betriebsübergangs am 11.10.2013 auf die B GmbH über. Zum 01.01.2015 erfolgte ein weiterer Betriebsübergang auf die B I GmbH, die ihren Sitz in B hatte. Wie einer Pressemitteilung des Beklagten vom 05.08.2015 zu entnehmen ist, beschäftigte die B I GmbH zum Zeitpunkt des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10.07.2015 rund 440 Arbeitnehmer, und zwar an ihrem Sitz in B 230 Mitarbeiter, in der Betriebsstätte I 50 Mitarbeiter und in der Betriebsstätte O, wo die klagende Partei tätig war, 160 Mitarbeiter. Auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr als Angestellte beschäftigten Arbeitnehmer gelangte kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) zur Anwendung. Für die gewerblichen Arbeitnehmer war der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe (BRTV-Bau) anwendbar. In der Lohn- und Gehaltsabrechnung 12.2014 ist als Mitarbeiterstatus der klagenden Partei "angestellt" eingetragen.

Im Jahr 2014 und im ersten Halbjahr 2015 kam es im Unternehmen zu erheblichen Ergebniseinbußen. Folge davon waren Liquiditätsschwierigkeiten, so dass immer weniger Lieferanten pünktlich bezahlt wurden, was zu Materiallieferengpässen führte. Im Monat Mai 2015 erhielten die gewerblichen Arbeitnehmer von dem Beklagten zum Fälligkeitstermin am 15.06.2015 kein Entgelt ausgezahlt. Später erhielten die gewerblichen Arbeitnehmer auf die Vergütung für den Monat Mai 2015 eine Zahlung i. H. v. 600 € netto. Das Entgelt für den Monat Juni 2015 zahlte die B I GmbH weder an die gewerblichen Arbeitnehmer noch an die Angestellten. Zum Zeitpunkt der Fälligkeitstermine war die B I GmbH nicht dazu in der Lage, die Vergütungen der Arbeitnehmer zu leisten.

Unter dem 10.07.2015 stellte der Geschäftsführer der B I GmbH (zukünftig: Insolvenzschuldnerin) beim Amtsgericht B einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Gesellschaft. Das Amtsgericht B hat in diesem Insolvenzverfahren unter dem Geschäftszeichen 80 IN 554/15 ebenfalls am 10.07.2015 folgende Anordnungen getroffen:

"Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wird Rechtsanwalt W ... bestellt.

Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens sind nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO).

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten.... "

In einem gemeinsamen Schreiben des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin und des Beklagten als vorläufiger Insolvenzverwalter vom 10.07.2015 informierten diese die Arbeitnehmer darüber, dass am 10.07.2015 ein Insolvenzantrag gestellt worden war. Sie teilten mit, dass sie beabsichtigen würden, die laufenden Baustellen nach Möglichkeit fertig zu stellen, um sämtliche heute nur schon vorhandenen Teilleistungen gegenüber den Kunden abrechnen zu können. Weiter informierten sie die Arbeitnehmer darüber, dass sie für bereits rückständige Lohn- und Gehaltsansprüche einen Anspruch auf Insolvenzgeld hätten und der vorläufige Verwalter beabsichtige, für die Insolvenzgeldansprüche eine Vorfinanzierung durchzuführen, damit rückständige Löhne und Gehälter schnellstmöglich ausgezahlt werden könnten. Schließlich baten sie die Arbeitnehmer, weiterhin an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben und zu helfen, die laufenden Baustellen fertig zu stellen.

In einer Betriebsversammlung am 15.07.2015 warb der Beklagte als damaliger vorläufiger Insolvenzverwalter dafür, dass die Mitarbeiter "wieder die Schippe in die Hand nehmen" sollten.

In einer Pressemitteilung vom 05.08.2015 teilte der Beklagte als damaliger vorläufiger Insolvenzverwalter mit, dass er noch in dieser Woche beim Amtsgericht B das Gutachten zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens einreichen werde. Er sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Geschäftsbetrieb des Straßenbauunternehmens nicht fortgeführt werden könne und rund 270 Beschäftigte - bis auf ein kleines Rumpfteam zur Abwicklung des Verfahrens - ab dem 07.08.2015 freigestellt und noch im August 2015 gekündigt würden. Angesichts der gekündigten und verlustreichen Aufträge sowie des verlorenen Know-hows durch außergewöhnlich viele Eigenkündigungen - fast 200 Beschäftigte hätten in den wenigen Wochen des vorläufigen Insolvenzverfahrens von sich aus gekündigt - könne das Unternehmen nicht fortgeführt werden. Er erwarte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum 07.08.2015. Im eröffneten Insolvenzverfahren werde er den diversen Anzeichen nachgehen, dass das Unternehmen bereits im Herbst 2014 unter existenzbedrohenden Verlusten gelitten und mit erheblichen Liquidationsproblem zu kämpfen gehabt habe.

Mit Schreiben vom 17.08.2015 (Bl. 314 des ursprünglich als Sammelklage von 62 Mitarbeitern vor dem Arbeitsgericht Magdeburg betriebenen Verfahrens 5 Ca 1482/16) kündigte die klagende Partei ihr Arbeitsverhältnis fristlos wegen Zahlungsverzug und machte gleichzeitig Schadensersatzansprüche gemäß § 628 Abs. 2 BGB i. H. v. 52.800 € geltend. Das Kündigungsschreiben trägt einen Eingangsstempel der Arbeitgeberin vom 17.08.2015.

In der Folgezeit machten eine Vielzahl von Arbeitnehmern im Rahmen einer unter dem 06.08.2015 beim Arbeitsgericht Magdeburg eingegangenen Sammelklage (Az. 5 Ca 1482/16) zunächst gegen die B I GmbH war auch mbH Ansprüche auf Zahlung einer Zuwendung für das Jahr 2014 sowie auf Schadensersatz nach § 628 Abs.2 BGB geltend. Die Sammelklage wurde der Insolvenzschuldnerin am 19.08.2015 zugestellt (Zustellungsurkunde Bl. 270 d. A. 5 Ca 1482/16). Die klagende Partei schloss sich mit Klageerweiterung vom 19.08.2015 dieser Sammelklage an.

Mit Beschluss vom 07.08.2015 eröffnete sodann das Amtsgericht B (Geschäfts-Nr.: 80 IN 554/15) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin und bestellte den Beklagten zu deren Insolvenzverwalter. In dem Eröffnungsbeschluss wurde u.a. ausgeführt, dass bereits jetzt Masseunzulänglichkeit vorliege (§§ 208, 210 InsO). Unter dem 07.08.2015 forderte der Beklagte im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens die Mitarbeiter zur Anmeldung ihrer Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin bis zum 25.09.2015 auf. Unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Beklagte sämtliche Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter in O gekündigt und den Betrieb stillgelegt. Mit Schreiben vom 18.09.2015 meldete die klagende Partei zum einen eine aus Vergütungsansprüchen bestehende Hauptforderung zur Insolvenztabelle an, die unter anderem eine Zuwendung für das Jahr 2014 i. H. v. 4.895,00 € beinhaltete und eine weitere Hauptforderung auf Schadensersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes i. H. v. 58.740,00 €. Beide Forderungen wurden von dem Beklagten im Prüfungstermin vor dem Amtsgericht B am 29.02.2016 bestritten.

Mit Schriftsatz vom 31.05.2016, dem Beklagten zugestellt am 10.06.2016, richtete die klagende Partei die Klage nunmehr gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der B I GmbH. Zugleich wurden der bislang auf Zahlung gerichtete Klageantrag nunmehr auf Feststellung zur Insolvenztabelle umgestellt.

Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 28.11.2016 ist die Sammelklage in einzelne Verfahren für jeden Mitarbeiter abgetrennt worden.

Die klagende Partei hat, soweit noch für die Berufung von Interesse, vorgetragen,

ein Schadensersatzanspruch sei nach § 628 Abs. 2 BGB gegeben, weil sie eine Eigenkündigung ausgesprochen habe, die durch das Verhalten der Insolvenzschuldnerin veranlasst gewesen sei. Nachdem die gewerblichen Kläger von der Insolvenzschuldnerin zum Fälligkeitstermin, dem 15.06.2015 kein Entgelt ausgezahlt erhalten hätten, hätten diese mit jeweiligem Schreiben gegenüber der Arbeitgeberin jeweils ihre Entgeltzahlungen für den Monat Mai geltend gemacht und weiter mitgeteilt, dass Sie für den Fall, dass die von Ihnen gesetzte Zahlungsfrist nicht eingehalten werde, von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen würden. Nachdem die Insolvenzschuldnerin die Entgeltansprüche für den Monat Mai 2015 an die gewerblichen Arbeitnehmer lediglich i. H. v. 600 € netto befriedigt und weder den gewerblichen Arbeitnehmern noch den Angestellten das Entgelt für den Monat Juni gezahlt habe, hätten diese der Insolvenzschuldnerin mit jeweiligem Schreiben mitgeteilt, dass sie von ihrem Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitskraft ab dem 06.07.2015 Gebrauch machen würden. Auch sei bei nicht vollständiger Erfüllung der Zahlungsforderungen bis zum 15.07.2015 die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht worden. Da weitere Entgeltzahlungen der Insolvenzschuldnerin nicht erfolgt sein, habe die klagende Partei mit jeweiligem Schreiben das Arbeitsverhältnis zur Beklagten fristlos gekündigt. Aus dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt des Jahres 2014 multipliziert mit in Monate umgerechneten Beschäftigungsjahren und einem Abfindungsfaktor von 0,8 ergebe sich der Gesamtbetrag, gemäß §§ 9, 10 Abs. 1 KSchG sei dieser Schadensersatzanspruch gegebenenfalls auf 12,15 bzw. 18 Monatsverdienste zu reduzieren.

Die klagende Partei hat beantragt,

1.) den Beklagten zu verpflichten, die Forderung des Klägers auf Zuwendung für das Jahr 2014 in Höhe von 4.895,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB für den Zeitraum vom 31.05.2015 bis zum 07.08.2015 festzustellen;

2.) den Beklagten weiterhin zu verpflichten, die Forderung des Klägers auf Schadensersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch einen Betrag von 58.740,00 € brutto nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für den Zeitraum vom 31.07.2015 bis zum 07.08.2015 zur Insolvenztabelle festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Soweit noch für das Berufungsverfahren von Interesse, hat der Beklagte vorgetragen,

dass er das Klagebegehren für unbegründet halte. Im vorliegenden Fall fehle es schon an einer Abmahnung der klagenden Partei, in dem Anlagenkonvolut seien nur Abmahnungen anderer Arbeitskollegen vorgelegt worden. Eine Abmahnung sei auch nicht entbehrlich gewesen. Auch eine Kündigungserklärung habe die klagende Partei nicht zur Gerichtsakte gereicht, die Klage sei bereits deshalb unschlüssig. Im Übrigen sei dem Beklagten bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren deutlich geworden, dass eine Fortführung des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin nicht in Betracht komme. Er habe daher schon vor dem 31.07.2015 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Geschäftsbetrieb zum nächstmöglichen Zeitpunkt einzustellen und sämtliche Betriebe schnellstmöglich stillzulegen. Die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB seien daher schon deshalb und aus weiteren Gründen nicht gegeben. Wegen des diesbezüglichen Vortrages des Beklagten wird auf seine Ausführungen auf S.3 ff. seines Schriftsatzes vom 01.02.2017 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 13.12.2017 hat das Arbeitsgericht Magdeburg die Klage insgesamt abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat, soweit für die Berufung relevant, seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Beklagte sich nicht gemäß § 628 Abs. 2 BGB schadenersatzpflichtig gemacht habe, weil er zu dem Zeitpunkt, zu dem die klagende Partei das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, selbst das Arbeitsverhältnis hätte kündigen können. Dass es im Juli 2015 noch nicht zu einer arbeitgeberseitigen Kündigung gekommen sei, dürfte damit zusammenhängen, dass der Beklagte erst mit seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter am 07.08.2015 das Arbeitsverhältnis mit der kurzen Kündigungsfrist nach § 113 S. 2 InsO hätte beenden können, während von ihm im Falle einer schon im Juli ausgesprochenen Kündigung die für die klagende Partei nach dem Tarifvertrag maßgebliche längere Kündigungsfrist einzuhalten gewesen wäre.

Wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf die in ihm aufgeführten Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das der klagenden Partei am 26.01.2018 zugestellte Urteil hat diese am 23.02.2018 Berufung eingelegt und die Berufung - nach Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 26.04.2018 - mit am 25.04.2018 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Zur Begründung der Berufung trägt die klagende Partei vor,

die Auffassung des Arbeitsgerichts, der Beklagte habe schon zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung durch die klagende Partei das Arbeitsverhältnis selbst kündigen können, gehe fehl, weil die Insolvenzschuldnerin ausdrücklich auf ihre Kündigungsmöglichkeit gegenüber den Arbeitnehmern verzichtet habe. Bereits in Ihrem Schreiben vom 10.07.2015 hätten der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin sowie der Beklagte in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter ausdrücklich auf die Kündigungsmöglichkeit verzichtet, indem sie die Beschäftigten der Insolvenzschuldnerin aufgefordert hätten, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. In der Betriebsversammlung am 15.07.2015, an der auch Pressevertreter teilgenommen hätten, hätten der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter gegenüber den anwesenden Arbeitnehmern wiederum ausdrücklich auf ihre Kündigungsmöglichkeit verzichtet. Insbesondere der Beklagte habe die Arbeitnehmer aufgefordert "wieder die Schippe in die Hand zu nehmen". Dieses Verhalten stehe in erheblichen Widerspruch zu dem prozessualen Vorbringen des Beklagten.

Die klagende Partei beantragt,

auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 13.12.2017, Aktenzeichen: 5 Ca 3395/16, abgeändert und nach dem Schlussantrag zu 2. des Klägers im Verfahren I. Instanz erkannt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor,

der Anspruch sei bereits unschlüssig. Eine Erläuterung zur Höhe und Zusammensetzung des Klagebetrages liefere die klagende Partei nicht. Zutreffend weise die klagende Partei darauf hin, dass Voraussetzung für einen Anspruch nach § 628 Abs. 2 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter anderem eine einschlägige Abmahnung sei. Dazu führe die klagende Partei aus, dass die Schreiben, mit denen sie die Entgeltzahlung für die Monate Mai und Juni 2015 geltend gemacht habe, die Tatbestandsmerkmale einer ordnungsgemäßen Abmahnung wegen der Nichtzahlung von Arbeitsentgelt erfüllen würden. Diese Abmahnung würde jedoch nach wie vor nicht vorliegen. Hinsichtlich des weiteren Vortrages des Beklagten wird auf den Schriftsatz zur Erwiderung der Berufung Bezug genommen.

Nach dem ersten Kammertermin hat das Gericht die klagende Partei nochmals beauflagt. Auf diesen Auflagenbeschluss haben die Parteien nicht mehr vorgetragen, stattdessen haben beide Seiten um Entscheidung nach Aktenlage gebeten. In dem weiteren Termin zur Kammerverhandlung am 21.04.2020 sind die Parteien nicht erschienen.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Gründe

A.

Die Berufung der klagenden Partei ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die klagende Partei hat auch die Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG gewahrt. Weiterhin entspricht die Berufung inhaltlich den Vorgaben des § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO, wonach sich der Berufungsführer mit den tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung dezidiert in entscheidungserheblicher Weise auseinandersetzen muss. Im vorliegenden Fall hat die klagende Partei gegen das erstinstanzliche Urteil im Schriftsatz zur Berufungsbegründung im Einzelnen nachvollziehbar ausgeführt, dass ein Schadensersatzanspruch wegen Auflösungsverschuldens nicht daran scheitere, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der klagenden Partei der Arbeitgeber selbst hätte kündigen dürfen.

B.

Die Berufung der klagenden Partei ist unbegründet. Der klagenden Partei steht keine Feststellung eines Schadenersatzanspruchs zur Insolvenztabelle gemäß § 628 Abs. 2 BGB zu.

Auf die Frage, ob der Antrag wegen der von dem Kläger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 17.08.2015 ausgesprochenen fristlosen Kündigung dahingehend auszulegen wäre, dass er nicht "Feststellung seiner Forderungen zur Insolvenztabelle" sondern unter Berücksichtigung der Masseunzulänglichkeit "Feststellung seiner Forderungen gegen die Insolvenzmasse" beantragen wollte, kommt es wegen der Unbegründetheit seiner Forderung nicht streitentscheidend an.

I.

Die dem Beklagten als Insolvenzverwalter nach Bestreiten der streitgegenständlichen Forderungen im Prüfungstermin am 10.06.2016 zugestellte Klage mit dem Ziel der Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle ist auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zulässig. Die Pflicht des Beklagten als Insolvenzverwalter zur Verwaltung und zur Verwertung der Masse (§ 8 Abs. 3 InsO) besteht auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fort. Die Tatsache, dass wegen der Masseunzulänglichkeit voraussichtlich mit einer Insolvenzquote gegen Null zu rechnen ist, der Beklagte bewertet im Schriftsatz zur Berufungserwiderung selbst Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO als nahezu wertlos, lässt das Feststellungsinteresse der klagenden Partei nicht entfallen. Dieses ist schon deshalb zu bejahen, weil nach Beendigung des Insolvenzverfahrens die Schuldnerin gemäß § 178 Abs. 3 InsO an die Feststellungen gebunden ist (BAG 26.07.2007 - 8 AZR 796/06, Rn. 19). Über die Sinnhaftigkeit eines solches Verfahrens über mehrere Instanzen entscheiden im Übrigen die Parteien und nicht die Gerichte.

II.

Der klagenden Partei steht der Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 9, 10, 13 KSchG nicht zu.

1. Die fristlose Kündigung ist nach dem Posteingangsstempel der Insolvenzschuldnerin am 17.08.2015 und damit erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugegangen.

Der begehrte Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 9, 10, 13 KSchG scheidet deshalb aus, weil der Beklagte als Insolvenzverwalter ab dem 07.08.2015, als mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf ihn übergegangen ist, das Arbeitsverhältnis selbst hätte kündigen können.

2. Ein Entschädigungsanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB wegen des Verlustes des Bestandsschutzes ist dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Arbeitnehmerkündigung das Arbeitsverhältnis seinerseits selbst hätte kündigen dürfen. Dies ist anzunehmen, wenn ein Kündigungsgrund im Sinne der § 1 Abs. 2 KSchG oder § 626 BGB bzw. § 15 Abs. 4 oder 5 KSchG bestanden hätte (BAG 21.05.2008 - 8 AZR 623/07, Rn. 33).

Nach dem Schutzzweck des § 628 Abs. 2 BGB ist der Einwand des Arbeitgebers, auch er hätte das Arbeitsverhältnis berechtigterweise kündigen können, erheblich. Der (hypothetische) Ausspruch einer Kündigung durch die Vertragspartei, welche die Auflösung des Dienstverhältnisses verschuldet hat, begrenzt den durch die Schadenersatzpflicht gewährleisteten Schutz. Es kommt nicht darauf an, ob der Kündigungsgegner sich auf seine Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich beruft und beweist, dass er sie ausgeübt hätte. Eine solche Lösungsmöglichkeit stellt keine Reserveursache im Sinne des allgemeinen Schadenersatzrecht dar, die als hypothetisches Ereignis keine Berücksichtigung findet, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt aus anderem Anlass eingetreten wäre und denselben Erfolg wie das die Schadensersatzpflicht auslösende Ereignis herbeigeführt hätte. Vielmehr besteht dann nach dem Schutzzweck des § 628 Abs. 2 BGB kein über den Verdienstausfall für die Dauer der Kündigungsfrist hinaus auszugleichender Schaden, wenn der Arbeitgeber seinerseits das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen könnte (BAG 26.07.2007 - 8 AZR 796/06, Rn. 33 und BAG 21.05.2008 - 8 AZR 623/07, Rn. 34).

3. Der Beklagte hat sich ausdrücklich darauf berufen, dass er unmittelbar nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und noch im August 2015 sämtliche Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter in O gekündigt und damit den Betrieb stillgelegt hat. Diesen Vortrag hat die klagende Partei nicht bestritten. Schon aus diesem Vortrag des Beklagten ergibt sich, dass er, soweit Arbeitnehmerkündigungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugegangen sind, zu diesem Zeitpunkt selbst hätte das Arbeitsverhältnis kündigen können.

a) Eine wegen Betriebsstilllegung erklärte ordentliche Kündigung setzt den ernstlichen und endgültigen Entschluss des Unternehmers voraus, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuheben (BAG 26.07.2007 - 8 AZR 796/06, Rn. 35). Sie kann bereits erklärt werden, wenn die Umstände einer Betriebsstilllegung schon greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass bis zum Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist die Stilllegung durchgeführt sein wird.

b) Nach den oben getroffenen Feststellungen hatten zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 07.08.2015 eine größere Anzahl von Arbeitnehmern, wie viele genau ist unbekannt, ihre Arbeitsverhältnisse wegen erheblicher Lohnrückstände selbst fristlos gekündigt. Außerdem ist einer von der klagenden Partei vorgelegten Pressemitteilung des Beklagten vom 05.08.2015 zu entnehmen, dass der Beklagte, schon bevor mit der Insolvenzeröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis am 07.08.2015 auf ihn übergegangen ist, den Entschluss gefasst hatte, den Betrieb mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens schnellstmöglich stillzulegen und auch nicht mehr die einstmals 40 Baustellenprojekte weiterzuführen, sondern mit Interessenten über die Übernahme von noch 5 Projekten zu verhandeln.

4. Damit lag ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 07.08.2015 ein ernstlicher und endgültiger Entschluss des Beklagten als gerade bestellter Insolvenzverwalter vor, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuheben und den Betrieb endgültig stillzulegen.

Ein Anspruch der klagenden Partei nach § 628 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 9, 10, 13 KSchG scheidet daher aus.

C.

Da beide Parteien im zweiten Termin zur Kammerverhandlung nicht erschienen sind und im ersten Termin zur Kammerverhandlung am 08.10.2019 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, hat die Kammer gemäß § 64 Abs. 7 ArbGG i. V. m. § 251a Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO nach Lage der Akten entschieden. Beide Parteien haben hierzu ihr schriftliches Einverständnis gegeben.

D.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

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