OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2020 - OVG 12 B 19.19
Fundstelle
openJur 2021, 3195
  • Rkr:

Die Umbettung einer Urne ist auch nach Ablauf der Ruhezeit nur aus einem wichtigen Grund zulässig. Für eine teleologische Reduktion der - vorliegend kirchenrechtlichen - Rechtsgrundlage fehlt es an einem planwidrig zu weit gefassten Wortlaut der Norm.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. November 2019 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Umbettung der Urne seines verstorbenen Vaters.

Der 1998 verstorbene Vater des Klägers ist auf dem Friedhof A in einem Urnenwahlgrab mit vier Urnenplätzen bestattet. Die Ruhezeit für Urnen auf dem Friedhof beträgt 20 Jahre und endete im August 2018. Die Grabstätte wurde vom Kläger nicht verlängert; eine erneute Belegung ist noch nicht erfolgt.

Mit Schreiben vom 29. November 2017 beantragte der Kläger die Ausbettung der Urne seines Vaters zwecks Beisetzung auf dem Friedhof in Z, auf dem auch seine kurz zuvor verstorbene Mutter bestattet wurde. Der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 unter Hinweis auf den Schutz der Totenruhe ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, es sei der letzte Wille seiner verstorbenen Mutter, vereint mit ihrem Ehemann auf dem Friedhof in Z in der Nähe ihres Sohnes und der Enkelkinder bestattet zu werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2018 wies das Konsistorium der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz den Widerspruch zurück. Ein besonders wichtiger oder zwingender Grund für eine ausnahmsweise Störung der Totenruhe liege nicht vor. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der verstorbene Vater des Klägers entgegen seinem Willen auf dem Friedhof A bestattet worden sei. Eine dem vorgetragenen Wunsch der Mutter des Klägers entsprechende gemeinsame Bestattung mit ihrem Ehemann sei auch in der Urnenwahlgrabstätte auf dem Friedhof A möglich gewesen. Dass dem Kläger ein Besuch des Friedhofs etwa aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, sei nicht ersichtlich; die Entfernung zwischen seinem Wohnort in Z und A betrage nur 25 km. Auch der bloße Wunsch eines Hinterbliebenen, eine Grabstätte nur auf dem Friedhof in unmittelbarer Nähe seines Wohnorts pflegen zu müssen, könne eine Umbettung nicht rechtfertigen.

Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten, ihm unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Ausgrabung und Mitnahme der Aschenurne mit der Totenasche seines verstorbenen Vaters zum Zwecke der Wiedereingrabung auf dem Friedhof Z zu erlauben, hilfsweise den Beklagten zur Neubescheidung seines Umbettungsantrags zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht hat der Klage, mit der der Kläger geltend gemacht hat, dass es nach Ablauf der 20jährigen Ruhezeit für Urnen nicht mehr auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes ankomme, teilweise stattgegeben und den Beklagten auf den Hilfsantrag zur Neubescheidung verpflichtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sei das Kirchengesetz über die evangelischen Friedhöfe. Soweit der Friedhofsträger danach auf Antrag die Ausbettung von Leichen und Urnen zulassen könne, wenn ein wichtiger Grund eine Störung der Totenruhe rechtfertige, seien die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung des Beklagten erfüllt. Zwar liege nach dem Vortrag des Klägers ein wichtiger Grund im Sinne der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung für eine Umbettung nicht vor. Das Gesetz sei jedoch abweichend vom Wortlaut dahingehend einschränkend auszulegen, dass die Regelung Urnen, bei denen die Ruhezeit bereits abgelaufen sei, nicht erfasse, der zweite Halbsatz der Vorschrift also keine Anwendung finde.

Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Norm stehe den Gerichten (ausnahmsweise) dann zu, wenn diese nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasse, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen solle. In einem solchen Fall sei eine zu weit gefasste Regelung im Wege der teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen. Eine derartige planwidrige Gesetzeslücke liege hier vor. Nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers sollte das Erfordernis eines "wichtigen Grundes" in der Anspruchsgrundlage den Fall einer Ausbettung nach Ablauf der Ruhezeit nicht erfassen. Die Vorschrift sei durch das Kirchengesetz zur Vereinheitlichung und Änderung friedhofsrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 2016 neu gefasst worden. In der amtlichen Einzelbegründung werde ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Ausbettung "vor Ablauf der Ruhefrist" immer eine Störung der Totenruhe darstelle und daher nach Absatz 1 der Regelung nur dann zulässig sei, wenn ein wichtiger Grund vorliege. Nach der hierzu in Bezug genommenen Erläuterung beschreibe die durch staatliches Recht vorgezeichnete Ruhefrist den Zeitraum, in dem die grundgesetzlich geschützte Totenruhe zu wahren sei; während des Laufs der Ruhefrist dürften Grabstätten nicht erneut belegt oder anderweitig verwendet werden. In Zusammenschau mit der weiteren Regelung, nach der die Ruhefrist durch eine Ausbettung nicht unterbrochen oder verkürzt werde - was voraussetze, dass die Frist überhaupt noch laufe -, belegten die Ausführungen in der amtlichen Begründung eindeutig, dass der Gesetzgeber das Erfordernis eines die Störung der Totenruhe rechtfertigenden wichtigen Grundes nur für den Fall der Ausbettung einer Urne während der Ruhefrist habe aufstellen wollen.

Ein derartiger Fall liege hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr vor. Die Entscheidung über die Zulassung der Ausbettung liege danach unabhängig von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes im pflichtgemäßen Ermessen des Friedhofsträgers. Von diesem Ermessen habe der Beklagte nicht fehlerfrei Gebrauch gemacht; allerdings liege auch ein Fall der Ermessensreduzierung zu einem Anspruch des Klägers auf Zulassung der Ausbettung nicht vor. Denn bei der Entscheidung über die Ausbettung könne der Beklagte gegenläufige Interessen berücksichtigen und in seine Abwägung einstellen. Dazu gehöre zum einen der Umstand, dass es sich um einen kirchlichen, von bestimmten Glaubensüberzeugungen getragenen Friedhof handele. Zum anderen könne berücksichtigt werden, ob die beantragte Ausbettung - zur Vermeidung einer doppelten Graböffnung - im zeitlichen Zusammenhang mit einer ohnehin vorgesehenen Wiederbelegung des Grabes erfolgen könne, ob es ausgeschlossen sei, dass überhaupt noch der Ausbettung zugängliche Urnenreste geborgen werden könnten und ob eine pietätvolle Umbettung in ein anderes Grab gewährleistet sei.

Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten, zu deren Begründung er im Wesentlichen geltend macht:

Die erstinstanzliche Entscheidung beruhe auf einer Verkennung der Reichweite der grundrechtlich geschützten Totenruhe und von Sinn und Zweck der Ruhefrist. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass es für eine Ausbettung nach Ablauf der Ruhefrist keines die Störung der Totenruhe rechtfertigenden wichtigen Grundes mehr bedürfe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei der Schutz der Totenruhe nicht durch eine absolute zeitliche Schranke und erst recht nicht durch die Dauer der - anderen Zwecken dienenden - Ruhefrist beschränkt. Eingriffe in die Totenruhe seien allenfalls dann gerechtfertigt, wenn damit die Würde des Verstorbenen gewahrt und seinem mutmaßlichen Willen besser Rechnung getragen werden könne. Dies entspreche den allgemein anerkannten Voraussetzungen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der vom Verwaltungsgericht hier im Ergebnis zutreffend verneint worden sei. Die Ruhefrist markiere keine zeitliche Beschränkung der Totenruhe, sondern den Zeitraum, nach dessen Ablauf keine Überreste von Leichen oder Urnen und Urneninhalt mehr vorhanden sein sollten. Ihre Dauer müsse sich nach den Vorgaben des staatlichen - auch für den kirchlichen Gesetzgeber geltenden - Friedhofs- und Bestattungsrechts an der Dauer der natürlichen Verwesungs- und Zersetzungsprozesse unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse orientieren. Diesen Zweck der Ruhefrist habe das Verwaltungsgericht, soweit es auf die Gesetzesmaterialien verwiesen habe, verkannt. Insbesondere habe es verkannt, dass die einschlägige Norm allein auf den Grundsatz der Totenruhe, nicht aber auf die Regelungen zur Ruhefrist verweise. Die erstinstanzliche Auslegung beruhe danach auf einer Vermengung zweier unterschiedlicher Regelungssachverhalte. Diese Fehlinterpretation führe dazu, dass die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke fehlerhaft sei. Angesichts der durch die Verfassung und die staatlichen Gesetze gezogenen Grenzen sei nicht ansatzweise erkennbar, dass der kirchliche Gesetzgeber das Erfordernis eines wichtigen Grundes auf Ausbettungen während des Laufs der Ruhefrist habe beschränken wollen.

Soweit das Verwaltungsgericht auch unabhängig von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes davon ausgehe, dass der Friedhofsträger im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens den Wunsch auf Ausbettung mit anderen Rechtsgütern abzuwägen habe, bleibe unklar, welche Abwägungsmaßstäbe dafür gelten sollten. Wenn der Schutz der Totenruhe nach Ablauf der Ruhefrist keine Bedeutung mehr haben solle, wäre es nicht zu begründen, weshalb eine doppelte Graböffnung ein gegen das Ausbettungsverlangen ins Feld zu führender Gesichtspunkt wäre. Gleiches gelte für den Maßstab, dass eine pietät- bzw. würdevolle Umbettung in ein anderes Grab gewährleistet sein solle. Auch dies könne nur Relevanz erlangen, wenn die Totenruhe fortgelte.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. November 2019 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist darauf, dass eine Ausgrabung bzw. Umbettung im Sinne des staatlichen Friedhofs- und Bestattungsrechts und des hier einschlägigen Evangelischen Friedhofsgesetzes nicht vorliege. Nach Ablauf der Mindestruhezeit werde lediglich die Verlegung der Reste der bestatteten Aschenurne begehrt, für die das Vorliegen besonderer Gründe nicht erforderlich sei und nur noch die allgemeinen Pietätsanforderungen gelten würden.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in eigenen Rechten; das Verwaltungsgericht hat dem Kläger den Neubescheidungsanspruch zu Unrecht zuerkannt (§§ 125 Abs. 1 i.V.m. 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist nur die mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag begehrte Verpflichtung des Beklagten, über den Antrag des Klägers auf Umbettung der Urne seines verstorbenen Vaters erneut zu entscheiden. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage hinsichtlich des Hauptantrags - Verpflichtung des Beklagten zur Zulassung der Umbettung - abgewiesen hat, ist das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig geworden, da der Kläger es nicht angefochten hat.

2. Ein Anspruch auf Neubescheidung seines Umbettungsantrags steht dem Kläger nicht zu. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung des Beklagten sind nicht erfüllt. Nach § 26 Abs. 1 des Kirchengesetzes über die evangelischen Friedhöfe - FhG ev. - vom 26. Oktober 2016 (KABl. S. 183, KABl. 2017, S. 234), der den ablehnenden Bescheiden des Beklagten zu Grunde liegt, kann der Friedhofsträger auf Antrag der oder des Nutzungsberechtigten oder der oder des Totenfürsorgeberechtigten die Ausbettung von Leichen und Urnen zulassen, wenn ein wichtiger Grund eine Störung der Totenruhe (§ 21 Absatz 1) rechtfertigt. Ein Neubescheidungsanspruch setzt danach voraus, dass es entweder tatbestandlich - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - bei Umbettungen von Urnen nach Ablauf der Ruhefrist keines wichtigen, die Störung der Totenruhe rechtfertigenden Grundes im Sinne von § 26 Abs. 1 Halbsatz 2 FhG ev. bedarf (a) oder aber im Fall des Klägers ein wichtiger Grund für die begehrte Umbettung vorliegt (b). Beides ist hier nicht der Fall.

a) Zwar mag es für eine Umbettung bzw. "Verlegung" von Urnen, bei denen die Ruhefrist abgelaufen ist, unterschiedliche Regelungsansätze geben (vgl. Barthel, in: Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 12. Aufl. 2019, Kapitel 15 Rn. 2 m.w.N.). Für die Entscheidung kommt es indessen nicht darauf an, ob der Gesetzgeber zwischen der Umbettung von Urnen vor und nach Ablauf der Ruhefrist differenzieren und nach Ablauf der Ruhefrist auf das Erfordernis eines wichtigen, die Störung der Totenruhe rechtfertigenden Grundes verzichten kann (so etwa die Regelung in § 15 Nds. BestattG n.F.). Maßgeblich ist allein, dass die  hier in Rede stehende Rechtsgrundlage des § 26 Abs. 1 FhG ev. eine derartige Unterscheidung nach ihrem Wortlaut nicht vorsieht. Für die vom Verwaltungsgericht befürwortete einschränkende Auslegung dahingehend, dass das Erfordernis eines wichtigen Grundes nur für den Fall der Ausbettung einer Urne während der Ruhefrist gilt, fehlt die Grundlage.

Zu den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gehört auch die teleo-logische Reduktion. Sie ist dann vorzunehmen, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der vom Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil Sinn und Zweck der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 2016 - 1 BvR 871/13 u.a. - NVwZ 2017, 617, juris Rn. 22). Ob eine in diesem Sinne planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt. Sie ist u.a. zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass eine gesetzliche Vorschrift nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. In einem derartigen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege teleologischer Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 C 15.18 - BVerwGE 164, 179, juris Rn. 17 f. m.w.N.).

Gemessen hieran ergeben sich aus den angeführten Gesetzesmaterialien keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass der Wortlaut des § 26 Abs. 1 FhG ev. planwidrig zu weit gefasst ist.

Das Verwaltungsgericht verweist zwar zutreffend darauf, dass das derzeit gel-tende Kirchengesetz über die evangelischen Friedhöfe - und damit auch die Vorschrift des § 26 Abs. 1 FhG ev. - durch Artikel 1 des Kirchengesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung friedhofsrechtlicher Vorschriften (6. Rechtsvereinheitlichungsgesetz - 6. RVereinhG) vom 29. Oktober 2016 neu gefasst worden ist. Dem Verwaltungsgericht ist auch zuzugeben, dass die Einzelbegründung zu § 26 FhG ev. und die darin in Bezug genommene Erläuterung zu § 21 FhG ev. durchaus Hinweise auf eine Verbindung von Ausbettung und Ablauf der Ruhefrist enthalten. So heißt es in der Begründung zu § 26, nachdem der besondere Schutz der Totenruhe hervorgehoben wird, dass eine Ausbettung vor Ablauf der Ruhefrist immer eine Störung der Totenruhe darstelle und daher nach Absatz 1 der Vorschrift nur dann zulässig sei, wenn ein wichtiger Grund vorliege (S. 16 der Gesetzesbegründung, Drs. 11 der Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 25. bis 29. Oktober 2016 - Az. 1624-07.04:05/01). Nach der Erläuterung zu § 21 beschreibt die durch staatliches Recht vorgezeichnete Ruhefrist den Zeitraum, in dem die grundgesetzlich geschützte Totenruhe zu wahren ist. Rechtsfolge dessen sei u.a., dass während des Laufs der Ruhefrist Grabstätten nicht erneut belegt oder anderweitig verwendet werden dürften (S. 12 der Gesetzesbegründung, a.a.O.). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts belegen diese Ausführungen jedoch nicht "eindeutig", dass der kirchliche Gesetzgeber das Erfordernis eines wichtigen, die Störung der Totenruhe rechtfertigenden Grundes nur für den Fall der Ausbettung einer Urne während der Ruhefrist aufstellen wollte.

Zum einen verweist § 26 Abs. 1 Halbsatz 2 FhG ev. lediglich auf § 21 Abs. 1 des Gesetzes, der den vom Friedhofsträger zu wahrenden grundrechtlichen Schutz der Totenruhe klarstellt. Der Lauf der Ruhefrist ist dagegen nicht in § 21 Abs. 1, sondern in § 21 Abs. 2 und 3 des Gesetzes geregelt. Dem Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass die Ruhefrist den Zeitraum beschreibe, in dem die grundgesetzlich geschützte Totenruhe zu wahren sei, lässt sich danach nicht ohne weiteres entnehmen, dass der Totenruhe nach Ablauf der Ruhefrist grundsätzlich kein Gewicht mehr zukommen und die Zulassung einer Ausbettung auch ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich sein soll. Insbesondere lässt sich den Gesetzesmaterialien auch nicht ansatzweise entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 26 Abs. 1 FhG ev. von der bis dahin geltenden Rechtslage abweichen und das Erfordernis eines wichtigen Grundes nunmehr auf Ausbettungsbegehren vor Ablauf der Ruhefrist beschränken wollte. Dass die Vorgängerregelung in § 30 Abs. 2 des Kirchengesetzes über die Friedhöfe (Friedhofsgesetz) vom 7. November 1992 (ABl. EKD 1993 S. 93 Nr. 47) bereits eine entsprechende Einschränkung enthalten hätte oder zumindest in der Praxis in diesem Sinne gehandhabt worden wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Unter diesen Umständen hätte es nahegelegen, im Rahmen des Rechtsvereinheitlichungsgesetzes vom 29. Oktober 2016 eine Abweichung von der bisherigen Rechtslage ausdrücklich zu regeln, wenn der Gesetzgeber insoweit zwischen der Ausbettung von Urnen vor und nach Ablauf der Ruhefrist hätte unterscheiden wollen. Jedenfalls wären dazu nähere Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu erwarten gewesen, an denen es auch in Ansehung der vom Verwaltungsgericht zitierten Einzelbegründungen fehlt.

Zum anderen überzeugt die erstinstanzliche Auslegung schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht nicht in den Blick genommen hat, dass für den Friedhof, auf dem der Vater des Klägers bestattet ist, nicht nur die kirchengesetzliche Vorschrift des § 26 Abs. 1 FhG ev., sondern auch die staatliche Regelung des § 14 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über die landeseigenen und nicht-landeseigenen Friedhöfe Berlins (Friedhofsgesetz) vom 1. November 1995 (GVBl. S. 707) gilt. Wie in der allgemeinen Begründung des Kirchengesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung friedhofsrechtlicher Vorschriften betont, handelt es sich bei der Materie des Friedhofswesens um eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1966 - II C 45.65 - BVerwGE 25, 364, 365 f.; Hömig/Wolff, GG, 11. Aufl. 2016, Art. 140 Rn. 14). Kirchliches Friedhofsrecht regelt danach eine ureigene Angelegenheit der Kirche; dies erfolgt aber in den Grenzen der für alle geltenden Gesetze (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV), zu denen auch das Friedhofsgesetz Berlin gehört (S. 1 der Begründung des 6. RVereinhG). Nach § 14 Abs. 1 des Friedhofsgesetzes Berlin, das auch für nicht landeseigene Friedhöfe in kirchlicher Trägerschaft gilt (§§ 1, 2 Abs. 3), darf die Ruhe der Toten grundsätzlich nicht gestört werden. Gemäß § 14 Abs. 2 und 3 Friedhofsgesetz Berlin bedarf das Ausgraben von Leichen und Urnen zum Zwecke der Umbettung immer der Zustimmung der Friedhofsverwaltung, die nur erteilt werden darf, wenn ein wichtiger Grund besteht. Eine Beschränkung dieser tatbestandlichen Voraussetzung auf den Lauf der in § 11 des Gesetzes geregelten Ruhezeit lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen (Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 12/5423 S. 10 f.). Soweit danach auch die nach § 14 Abs. 3 Friedhofsgesetz Berlin erforderliche Zustimmung zum Ausgraben einer Urne einen wichtigen Grund voraussetzt (vgl. Beschluss des Senats vom 28. Mai 2019 - OVG 12 N 26.19 - juris Rn. 3), kann vorliegend dahinstehen, ob der kirchliche Friedhofsträger überhaupt berechtigt wäre, eine abweichende Regelung für die Ausbettung von Urnen nach Ablauf der Ruhezeit zu erlassen. Jedenfalls spricht auch die landesrechtliche Vorschrift dagegen, der Wortlaut des § 26 Abs. 1 FhG ev. sei einer teleologischen Reduktion im Sinne des Verwaltungsgerichts zugänglich. Ein Wille, entgegen der im Übrigen betonten Bindung an staatliche Vorgaben auf das Erfordernis eines wichtigen Grundes bei Ausbettungsbegehren nach Ablauf der Ruhezeit zu verzichten, kann dem Kirchengesetzgeber nicht schlicht unterstellt werden. Dies gilt umso mehr, als auch insoweit zu erwarten gewesen wäre, dass ein entsprechender Wille deutlich zum Ausdruck gebracht oder in den Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 26 Abs. 1 FhG ev. zumindest angesprochen worden wäre.

b) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein wichtiger Grund für die begehrte Ausbettung der Urne seines verstorbenen Vaters vorliegt.

Auch wenn man dafür zugrunde legt, dass der Zustand der Urne nach der verstrichenen Liegezeit einer Ausbettung nicht von vornherein entgegensteht (§ 26 Abs. 5 Satz 4 FhG ev.), weil mit dem Beklagten nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch nach Ablauf der Ruhezeit noch aussonderbare, der Ausbettung zugängliche Urnenreste vorhanden sind, fehlt es an einem wichtigen Grund für das Begehren.

Den Gründen, aus denen das Verwaltungsgericht einen wichtigen Grund verneint hat, ist der Kläger nicht durchgreifend entgegengetreten; auf die zutreffenden erstinstanzlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (juris Rn.  16) kann der Senat verweisen. Sie behandeln den in der mündlichen Verhandlung vom Kläger nochmals betonten letzten Willen seiner Mutter, eine Umbettung nach Z vorzunehmen, zutreffend und erschöpfend. Die Absicht, diesem Willen seiner Mutter durch die Umbettung der Urne seines Vaters entsprechen und einen gemeinsamen Trauerort schaffen zu wollen, ist mit dem Beklagten anzuerkennen und in Anbetracht des von dem Beklagten hervorgehobenen Pflegezustands des Grabs auf dem Friedhof Aals nicht lediglich vorgeschoben und ernst gemeint zu bewerten. Sie ergeben aber keinen wichtigen Grund für die Ausgrabung, da dem Wunsch der Mutter in Übereinstimmung mit dem Willen des verstorbenen Vaters durch deren Beisetzung in A hätte genügt werden können und die Entfernung zwischen Wohnung des Klägers und diesem Beisetzungsort ein anderes Vorgehen nicht gebot. Inwieweit die Mutter des Klägers und dieser selbst sich dabei durch Auskünfte von Mitarbeitern des Beklagten zur Möglichkeit der in Aussicht genommenen Umbettung des Vaters nach Z haben leiten lassen, kann dahinstehen. Diese Auskünfte sind nicht in einer Form nachgewiesen, die geeignet wäre, ein rechtlich geschütztes Vertrauen zu begründen.

Dass das Umbettungsbegehren eine "ausgeruhte" Urne betrifft, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Ablauf der Ruhefrist vermag für sich genommen einen wichtigen Grund nicht zu begründen. Die bereits abgelaufene Ruhefrist ist aber bei der Prüfung, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalles ein wichtiger Grund vorliegt, der ausnahmsweise den Schutz der Totenruhe überwiegt, zu berücksichtigen. Insoweit dürfte dem Gesichtspunkt, ob den Angehörigen des Verstorbenen die Totenfürsorge in unzumutbarer Weise erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (vgl. VGH München, Beschluss vom 19. März 2018 - 4 ZB 16.2301 - juris Rn. 13), nach Ablauf der Ruhefrist und - wie hier - zeitgleichem Ablauf des Nutzungsrechts an der Grabstätte zwar keine große Bedeutung mehr zukommen. Ein die Störung der Totenruhe rechtfertigender wichtiger Grund könnte sich aber daraus ergeben, dass die begehrte Umbettung die Würde des Verstorbenen besser wahrt und seinem Willen besser Rechnung trägt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 2016 - 1 BvR 2202/13 - NVwZ 2016, 1804, juris Rn. 60). Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten sein ausdrückliches Einverständnis mit der Umbettung erklärt hat oder zumindest Umstände gegeben sind, aus denen ein dahingehender Wille des Verstorbenen gefolgert werden kann. Ein derartiger ausdrücklicher oder mutmaßlicher Wille kann vorliegend aber nicht festgestellt werden. Weder hat sich der verstorbene Vater des Klägers mit einer Umbettung auf den Friedhof in Z, am Wohnort des Klägers, zu Lebzeiten einverstanden erklärt, noch ist ein solcher Wille im Hinblick auf die vom Kläger beschriebene nachträgliche Entwicklung, die zum Umzug seiner Mutter nach W geführt hat, angesichts der bereits geschaffenen Gegebenheiten für die Beisetzung auch der Mutter des Klägers auf dem Friedhof in A anzunehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.