VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.09.2019 - 20 K 183/19
Fundstelle
openJur 2021, 2987
  • Rkr:

1. Gegen die Ablehnung eines Antrags auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen bedarf es gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 JustG NRW abweichend von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren. Die Rückausnahme des § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 JustG NRW ist nicht einschlägig, da es sich bei der Informationsgewährung nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen auch dann nicht um einen Verwaltungsakt nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – handelt, wenn – wie hier – Einsicht in eine Akte des Jugendamts begehrt wird.

2. Soweit die im Streit stehende Jugendamtsakte Sozialdaten enthält, die dem zuständigen Mitarbeiter des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe „anvertraut“ worden sind, steht das Weitergabeverbot des §65 SGB VIII einem geltend gemachten Akteneinsichtsanspruch entgegen.

3. Soweit die übrigen Aktenbestandteile der Jugendamtsakte keine anvertrauten Sozialdaten i. S. d. § 65 Abs. 1 SGB VIII enthalten sollten, besteht der Anspruch auf Informationszugang aus § 4 Abs. 1 IFG NRW nur im Rahmen der durch §§ 6 ff. IFG NRW gezogenen Grenzen. Zu beachten ist dabei insbesondere der Schutz personenbezogener Daten gemäß §§ 9 und 10 IFG NRW.

4. Die Wahrung des Sozialdatengeheimnisses nach § 35 SGB I ist jedenfalls als ungeschriebener Ausschlussgrund im Rahmen einer bundesrechtskonformen und geltungserhaltenden Auslegung des Landesrechts vor dem Hintergrund des Art. 31 GG in § 6 Satz 1 Buchst. a) IFG NRW hineinzulesen bzw. im Rahmen von § 9 IFG NRW zu berücksichtigen.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus N. wird abgelehnt.

Gründe

Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung (ZPO).

I. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, aber doch fernliegt. Dabei dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder -verteidigung wegen des aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) folgenden Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit nicht überspannen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind deshalb nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in der Hauptsache zugeführt werden können. Ebenso läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn dem unbemittelten Beteiligten wegen Fehlens der Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zu seinem Nachteil ausgehen würde.

St. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 -, NJW 2013, 1727 = juris, Rn. 10 ff. m. w. N.

Nach diesem Maßstab hat die vorliegende Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es stellen sich weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht schwierige Fragen, die einer Klärung im Hauptsacheverfahren bedürften. Die auch für den vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einsichtsgewährung von Angehörigen in Jugendamtsakten sind in der Rechtsprechung hinreichend geklärt. Danach sind die Vorschriften über den besonderen Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe auch bei Akteneinsichtsgesuchen von Angehörigen gegenüber Auskunfts- oder Akteneinsichtsansprüchen, z.B. nach § 25 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) oder nach den Informationsfreiheitsgesetzen, als speziellere Regelungen vorrangig, so dass anvertraute Sozialdaten nur in den engen Grenzen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe - (SGB VIII) weitergegeben werden dürfen.

Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2008 - 12 E 115/08 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. August 2018 - 20 L 623/18 -, n.v.; VG Köln, Urteile vom 31. Oktober 2016 - 26 K 5681/15 - und vom 13. Dezember 2017 - 26 K 134/17 -, juris; VG Darmstadt, Urteil vom 12. Oktober 2015 - 5 K 1164/14.DA -, juris; VG Hannover, Beschluss vom 10. März 2015 - 10 B 1268/15 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 18. März 2014 - 26 K 5849/12 -, juris; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 24. April 2013 - 3 K 1544/11 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 4 K 2344/12 -, juris; VG Braunschweig, Urteil vom 9. August 2010 - 3 A 231/09 -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 14. Dezember 2009 - 13 A 1158/08 -, juris; VG München, Urteil vom 21. Oktober 2009 - M 18 K 08.6355 -, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 11. Mai 2009 - 15 A 160/08 -, juris; VG Aachen, Urteil vom 9. September 2008 - 2 K 213/06 -, juris; VG Göttingen, Urteil vom 9. Februar 2006 - 2 A 199/05 -, juris.

II. Zwar dürfte die Klage mit dem Antrag,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2018 zu verpflichten, ihr Akteneinsicht im Jugendhilfefall J. zu gewähren,

zulässig sein. Sie ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft, denn die Informationsgewährung nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) erfolgt durch Verwaltungsakt. Vor allem dürfte die am 14. Januar 2019 erhobene Klage nicht gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfristet sein. Denn der Ablehnungsbescheid vom 21. November 2018 enthält eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. Bl. 15 der Beiakte/Heft 1), so dass gemäß § 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs die Jahresfrist maßgeblich ist. Gegen die Ablehnung eines Antrags auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen bedarf es gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen - JustG NRW) abweichend von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren. Das hier durchgeführte Widerspruchverfahren war daher unstatthaft. Die Rückausnahme des § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 JustG NRW ist nicht einschlägig, da es sich bei der Informationsgewährung nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen auch dann nicht um einen Verwaltungsakt nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - handelt, wenn - wie hier - Einsicht in eine Akte des Jugendamts begehrt wird.

III. Die Klage dürfte jedoch unbegründet sein. Der Klägerin dürfte kein Anspruch auf die begehrte Informationsgewährung zustehen, § 113 Abs. 5 VwGO.

1. Die von der Klägerin begehrte Einsichtnahme ist nach dem verlautbarten Zweck in der Sache auf sämtliche Aktenbestandteile gerichtet. Die Klägerin will Einsicht in die vollständige und ungeschwärzte Akte, insbesondere um prüfen zu können, ob es Mitverantwortlichkeiten im Hause der Beklagten am Tod ihres Enkels gibt. Die Klägerin will jedenfalls die "Teile der Akte" einsehen, die ihr eine entsprechende Überprüfung ermöglichen. Wenngleich die Kammer dieses Anliegen der Klägerin menschlich uneingeschränkt nachvollziehen kann, so steht ihr jedoch von Gesetzes wegen kein entsprechender Rechtsanspruch zu. Der Klägerin dürfte kein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß §§ 25, 83 SGB X zustehen, da sie weder "Beteiligte" (vgl. § 12 SGB X) noch "Betroffene" (vgl. Art. 4 Nr. 1 Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO) i. S. dieser Vorschriften ist; hieran ändert auch der bedauerliche Umstand nichts, dass das Familiengericht offensichtlich erst nach dem Tod ihres Enkels dessen Überführung in ihren Haushalt angeordnet haben soll. Ein Anspruch auf Einsicht in die Akte wird der Klägerin auch nicht gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW eingeräumt.

a) Soweit die im Streit stehende Jugendamtsakte Sozialdaten enthält, die dem zuständigen Mitarbeiter des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe "anvertraut" worden sind, steht das Weitergabeverbot des § 65 SGB VIII dem geltend gemachten Akteneinsichtsanspruch entgegen. § 65 SGB VIII geht - wie eingangs bereits gesagt - als besondere Rechtsvorschrift über den Zugang zu anvertrauten Sozialdaten dem durch § 4 Abs. 1 IFG NRW vermittelten Zugang zu amtlichen Informationen vor und sperrt auch insoweit das Akteneinsichtsbegehren nach diesem Gesetz.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2008 - 12 E 115/08 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 18. März 2014 - 26 K 5849/12 -, juris, Rn. 33; Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 65 SGB VIII, Rn. 9.

Anvertraut i. S. d. § 65 SGB VIII sind Informationen nicht nur, wenn die Mitteilung "unter dem Siegel der Verschwiegenheit" erfolgte, sondern - allgemeinen Prinzipien des Datenschutzrechts folgend, d. h. vom Betroffenen ausgehend - immer dann, wenn derjenige, der die Information dem Mitarbeiter preisgibt, i. S. einer subjektiven Zweckbindung von dessen Verschwiegenheit ausgeht und dies ausdrücklich signalisiert wird oder aus dem Zusammenhang erkennbar ist.

Vgl. Wiesner/Mörsberger, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 65 Rn. 12.

Der besondere Vertrauensschutz, der durch § 65 SGB VIII gewährleistet werden soll, besteht dabei auch dann fort, wenn Jugendhilfe i. S. d. SGB VIII nicht mehr gewährt wird. Nach dem Tod des Kindes entfällt daher das Weitergabeverbot nicht. Auch ist im vorliegenden Fall keine der gesetzlich geregelten Ausnahmen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB VIII einschlägig. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von denjenigen, die die Informationen dem Jugendamt im vorstehenden Sinne anvertraut haben, Einwilligungserklärungen erteilt wurden. Soweit die Kindesmutter dem zuständigen Mitarbeiter selbst etwaige Sozialdaten anvertraut haben sollte, gilt, dass diese einer Akteneinsicht durch die Klägerin sogar ausdrücklich widersprochen hat (vgl. Bl. 14 der Beiakte/Heft 1). Soweit die Klägerin davon ausgeht, dass noch andere beteiligte Personen bzw. Institutionen dem Jugendamt Informationen anvertraut haben (vgl. Bl. 18 der Beiakte/Heft 1), bezieht sie sich offensichtlich auf einen Bericht des Krankenhauses, der dem Jugendamt bereits nach der Geburt des Kindes übermittelt worden sein soll; in der Jugendamtsakte sollen nach Ansicht der Klägerin mehrere ärztliche Bescheinigungen und Krankenhausberichte enthalten sein, wonach die Mutter des später getöteten Kindes der Drogensucht verfallen war und daraufhin psychische Probleme hatte (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 24. April 2019, Bl. 42 f. der Gerichtsakte). Ausweislich der beigezogenen Verwaltungsakte haben das Krankenhaus resp. die behandelnden Ärzte (bislang) mit Blick hierauf keine Einwilligung i. S. d. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erteilt. Auch die Klägerin hat keine entsprechenden Einwilligungserklärungen beigebracht. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Krankenhaus resp. die behandelnden Ärzte eine solche Einwilligung erteilen würden. Nachdem die Kindesmutter bereits einer Akteneinsicht durch die Klägerin ausdrücklich widersprochen hat, ist vielmehr davon auszugehen, dass sie das Krankenhaus resp. die behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbinden würde. Soweit die Klägerin sinngemäß geltend macht, ihr persönliches Informationsinteresse als Großmutter überwiege gleichwohl das Geheimhaltungsinteresse der Beklagten, bleibt anzumerken, dass das gesetzliche Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 SGB VIII keiner Interessen- oder Güterabwägung zugänglich ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2018 - 12 A 1057/17 -, juris, Rn. 10.

b) Soweit die übrigen Aktenbestandteile der Jugendamtsakte keine anvertrauten Sozialdaten i. S. d. § 65 Abs. 1 SGB VIII enthalten sollten, hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass der Anspruch der Klägerin auf Informationszugang aus § 4 Abs. 1 IFG NRW nur im Rahmen der durch §§ 6 ff. IFG NRW gezogenen Grenzen besteht. Zu beachten ist dabei insbesondere der Schutz personenbezogener Daten gemäß §§ 9 und 10 IFG NRW.

Vgl. bereits VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. August 2018 - 20 L 623/18 -, n.v.

Vorliegend ist vor allem zu beachten, dass es sich bei allen Bestandteilen, die die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse der Kindesmutter betreffen, um personenbezogene Daten der Mutter handelt.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 13. Dezember 2017 - 26 K 134/17 -, juris, Rn. 79 ("Sozialdaten").

Dies gilt insbesondere für sämtliche Berichte, die mitunter sehr umfangreiche und detaillierte Angaben zu den gesundheitlichen und sonstigen persönlichen Verhältnissen der Kindesmutter enthalten. Die Kindesmutter hat weder in die Offenbarung ihrer personenbezogenen Daten eingewilligt i. S. d. § 9 Abs. 1 Buchst. a) IFG NRW (vgl. bereits oben) noch liegt sonst ein gesetzlicher Offenbarungsgrund vor. Vor allem hat die Klägerin kein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Informationen i. S. d. § 9 Abs. 1 Buchst. e) IFG NRW geltend gemacht. Personenbezogene Informationen sind grundsätzlich schutzwürdig (§ 9 Abs. 1, 1. Halbsatz IFG NRW) und dürfen nur ausnahmsweise zugänglich gemacht werden. Die Offenbarung solcher Daten gemäß § 9 Abs. 1 Buchst. e) IFG NRW verlangt daher nicht nur ein "berechtigtes Interesse", sondern ein weitergehendes "rechtliches Interesse" des Antragstellers an der Kenntnis der begehrten Information. Ein rechtliches Interesse erfordert nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit Rechtsverhältnissen des Auskunftsbegehrenden besteht. Die Kenntnis der Daten muss zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich sein.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juni 2003 - 8 A 175/03 -, juris, Rn. 11 ff., und vom 6. Februar 2019 - 15 E 1026/18 -, juris, Rn. 49, sowie Urteil vom 6. Mai 2015 - 8 A 1943/13 -, juris, Rn. 103.

Voraussetzung für ein rechtliches Interesse ist das Vorhandensein einer durch die Rechtsordnung definierten Beziehung zwischen der antragstellenden und der dadurch betroffenen Person.

Vgl. Tege, in: Fluck/Fischer/Martini, Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, Stand: Mai 2016, § 9 IFG NRW Rn. 25.

Dabei ist das rechtliche Interesse ein solches Interesse, das dem Antragsteller eine qualifizierte Rechtsposition verschafft. Er muss daher ein ihm zustehendes subjektives Recht geltend machen können, in dessen Zusammenhang er die Informationserteilung begehrt.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 - 27 K 6171/03 -, juris; Seidel, in: Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2007, § 9 Rn. 986.

Dies zugrunde gelegt besteht vorliegend kein für eine Offenbarung dieser Daten notwendiges rechtliches Interesse. Die Klägerin selbst hat nicht ansatzweise dargelegt, dass sie die Akteneinsicht in die Jugendamtsakte - unter Einbeziehung auch der Bestandteile, die personenbezogene Daten der Kindesmutter enthalten - begehrt, weil sie gegen die Kindesmutter etwaige Rechte verfolgen oder Ansprüche geltend machen will. Etwaige familienrechtliche Verfahren sind nach den Schilderungen der Klägerin inzwischen beendet. Auch begründet der Umstand, dass die Klägerin in dem Strafverfahren vor dem Schwurgericht des Landgerichts O. als Nebenklägerin zugelassen worden sein soll, in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Kindesmutter kein "rechtliches Interesse" im vorstehenden Sinne. Denn zum einen wird das Strafverfahren nach den Angaben der Klägerin nicht gegen die Kindesmutter, sondern gegen deren Lebensgefährten geführt. Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Einsichtnahme in die vollständige und ungeschwärzte Jugendamtsakte erforderlich sein soll, um im Strafverfahren etwaige Rechte als Nebenkläger verfolgen zu können. Schließlich hat die Klägerin ausgeführt, es gehe ihr nicht darum, den Täter der Gewalteinwirkungen zur Rechenschaft zu ziehen, vielmehr möchte sie sich auch ein Bild davon machen, ob es Mitverantwortlichkeiten im Hause der Beklagten am Tod ihres Enkels gibt.

Soweit die Akte im Übrigen personenbezogene Daten von weiteren Personen (z.B. den Kindesvater) enthält, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.

c) Zu berücksichtigen ist ferner, dass auch die Aktenbestandteile, die Sozialdaten des verstorbenen Kindes enthalten, auf der Grundlage des IFG NRW nicht an die Klägerin herausgegeben werden dürfen. Die Wahrung des Sozialdatengeheimnisses nach § 35 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - ist jedenfalls als ungeschriebener Ausschlussgrund im Rahmen einer bundesrechtskonformen und geltungserhaltenden Auslegung des Landesrechts vor dem Hintergrund des Art. 31 des Grundgesetzes (GG) in § 6 Satz 1 Buchst. a) IFG NRW hineinzulesen,

so etwa zum Bankgeheimnis OVG NRW, Urteil vom 2. Juni 2015 - 15 A 1997/12 -, juris, Rn. 78, und zum Steuergeheimnis VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Mai 2019 - 20 K 2576/15 -, n.v.,

bzw. im Rahmen von § 9 IFG NRW zu berücksichtigen,

so zum Steuergeheimnis OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rn. 30.

§ 35 Abs. 5 SGB I stellt die Sozialdaten Verstorbener mit denen von Lebenden gleich. Nach dessen Satz 1 dürfen Daten nur verarbeitet, d. h. erhoben, gespeichert, verwendet und übermittelt werden, wenn dies nach den §§ 67a ff. SGB X zulässig ist. Nach Satz 2 ist das Verarbeiten der Sozialdaten Verstorbener zusätzlich ("außerdem") zu den in §§ 67a ff. SGB X genannten Voraussetzungen zulässig, wenn schutzwürdige Interessen des Verstorbenen oder seiner Angehörigen dadurch nicht beeinträchtigt werden können. Haben bei einer Mehrheit von Erben und Hinterbliebenen nicht alle in eine Offenbarung des Sozialgeheimnisses eingewilligt, dann ist diese nur zulässig, wenn feststeht, dass dem mutmaßlichen Willen auch der übrigen entsprochen wird.

Vgl. KassKomm/Schifferdecker, SGB I, 104. EL (Juni 2019), § 35 Rn. 100 m.w.N.

Im vorliegenden Fall sind weder die Voraussetzungen der §§ 67a ff. SGB X erfüllt noch ist § 35 Abs. 5 Satz 2 SGB I einschlägig. Denn die Kindesmutter hat - als weitere Hinterbliebene - einer Einsicht durch die Klägerin in die Jugendamtsakte insgesamt widersprochen.

d) Nach den plausiblen Ausführungen der Beklagten kommt schließlich eine Abtrennung oder Schwärzung der "anvertrauten Sozialdaten" i. S. d. § 65 SGB VIII, der personenbezogenen Daten insbesondere der Kindesmutter und der Sozialdaten des verstorbenen Kindes nicht in Betracht. Wenngleich die Kammer die Jugendamtsakte nicht kennt und auch von einer Beiziehung abgesehen hat, um eine Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache zu verhindern, die durch eine Einsicht der Klägerin in die Jugendamtsakte gemäß § 100 VwGO hätte eintreten können, so ist es für die Kammer gleichwohl nachvollziehbar, dass bei einer Abtrennung und/oder Schwärzung der in Rede stehenden Daten kein Rest verbleiben dürfte, der noch Gegenstand eines Informationsanspruchs der Klägerin sein könnte.

2. Ob im Übrigen - eventuell im Wege einer vergleichsweisen Einigung - der Klägerin zumindest auf ausgewählte Fragen bestimmte Auskünfte aus den Akten erteilt werden können, durch die weder anvertraute Sozialdaten i. S. d. § 65 SGB VIII noch personenbezogene Daten der Kindesmutter oder Sozialdaten des verstorbenen Kindes offenbart werden, bleibt in der mündlichen Verhandlung, die die Kammer zeitnah anberaumen möchte, zu erörtern.