FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.08.2012 - 6 K 6218/10
Fundstelle
openJur 2021, 2981
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und am 14. April 1938 geboren. Er und seine Ehefrau C... sind Eltern des B..., geboren am 20. Oktober 1987. B... studiert seit dem 01. Oktober 2009; seine Einkünfte lagen im Jahr 2009 unter der Einkünftegrenze des § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr gültigen Fassung - EStG -.

Frau C... war seit dem 01. September 2009 von der D... an die Europäische Schule in F... abgeordnet. Dort erhielt sie ausweislich einer Bescheinigung der Europäische Schule kindergeldähnliche Leistungen in Gestalt einer Kinderzulage in Höhe von € 385,96 sowie einer Erziehungszulage in Höhe von € 243,55.

Der Kläger beantragte am 22. Oktober 2009 bei der Beklagten Kindergeld ab dem 01. Oktober 2009. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Dezember 2009 ab. Sie begründete dies damit, dass Frau C... Anspruch auf Familienleistungen der Europäische Schule habe.

Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Die Europäische Schule in F... sei eine zwischenstaatliche Einrichtung, so dass Anspruch auf deutsches Kindergeld bestehe. Nach dem Statut des abgeordneten Personals der Europäische Schulen (Art. 52 Abs. 2a) würden die Familienzulagen um das deutsche Kindergeld gekürzt bzw. mit diesem verrechnet.

Mit Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2010 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Anspruch auf Kindergeld sei nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ausgeschlossen. Bereits der Anspruch auf eine kindergeldähnliche Leistung einer zwischenstaatlichen Leistung sei schädlich. Die Kinder- und Erziehungszulage sei mit dem Kindergeld vergleichbar.

Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass er selbst keine kindergeldähnlichen Leistungen erhalte; daher bestehe sein Anspruch auf Kindergeld. Zudem erhielten alle übrigen Mitarbeiter der Europäische Schule Kindergeld; zum Nachweis hat der Kläger einen Gehaltsnachweis eines Kollegen seiner Ehefrau in anonymisierter Form eingereicht, auf den das Gericht Bezug nimmt (Bl. 57 der Streitakte). Die Europäische Schule kürze die Familienzulage um € 184 wegen des Anspruchs auf Kindergeld. Weiterhin reicht der Kläger eine aktualisierte Bescheinigung der Europäische Schule F... vom 26. Januar 2011 ein, nach der Frau C... für ihren Sohn B... kindergeldähnliche Leistungen erhalte, gleichzeitig aber der Kläger Anspruch auf Erhalt des deutschen Kindergelds habe. Weiter heißt es:

"Wir verweisen in diesem Zusammenhang nochmals auf Art. 53 Absatz 2a des Statuts des abgeordneten Personals der Europäische Schulen. Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich keineswegs um eine Ausnahmesituation, die nur die Familie G ... betrifft. Von dieser Regelung sind alle an die Europäische Schulen abgeordneten Lehrkräfte betroffen, die Anspruch auf Kindergeld haben, unabhängig welches Land bzw. Bundesland ihre Abordnung veranlasst hat."

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28. Dezember 2009 sowie der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2010 dahingehend zu verpflichten, ab September 2009 Kindergeld für das Kind B... zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihre Einspruchsentscheidung und führt ergänzend dazu aus, dass es nicht um eine Anspruchskonkurrenz im Sinne der EG VO Nr. 1408/71, sondern lediglich um die Frage des Ausschlusses nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG gehe. Es komme nicht darauf an, ob die Europäische Schule das Kindergeld von der Familienzulage abziehe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sowie einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 79a Abs. 4 FGO):

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Ausschlusstatbestand des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG erfüllt ist.

1. Der Kläger erfüllte für seinen Sohn B... zwar grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG wird Kindergeld jedoch nicht für ein Kind gezahlt, wenn für dieses Kind von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung Leistungen gezahlt oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind.

a) Die Europäische Schule F... ist eine zwischenstaatliche Organisation, deren Rechtsgrundlage die Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen - Satzung - (ABl. Nr. L 212 vom 17. August 1994) ist. Die Europäische Schulen sind nach Art. 6 der Satzung mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet. Es handelt sich um eine zwischenstaatliche Organisation, weil die Satzung von den Mitgliedsstaaten, die Vertragsparteien sind, im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ratifiziert worden ist (Art. 33 der Satzung). Dies gilt auch für die Europäische Schule in F..., für die ein Zusatzprotokoll am 15. Dezember 1975 unterzeichnet worden ist und die im Anhang I der Satzung ausdrücklich genannt ist.

Ziel der Europäischen Schulen ist die Unterrichtung der Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften; dabei bezweckt die Europäische Schule F... insbesondere die Aufnahme und Unterrichtung von Kindern der Mitarbeiter der Europäischen H...-Behörde in F... (Schüler der Kategorie I).

Für das Lehr-, Aufsichts- und Direktionspersonal der Europäische Schulen gilt das Statut des abgeordneten Personals der Europäische Schulen vom 14. Juli 2008 (Az. 2011-04-D-14-de-2) in der aktuellen Fassung vom 14. Mai 2012 (Schriftliches Verfahren Nr. 2012/14, vom 02. Mai 2012 bis zum 14. Mai 2012 - Dokument 2012-02-D-67-de-5), im Folgenden - Statut - genannt.

b) Für das Kind B... bestand ein Anspruch auf eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung.

aa) Nach Art. 52 Nr. 1 des Statuts in Verbindung mit Art. 54 des Statuts hat ein abgeordneter Mitarbeiter der Europäische Schule Anspruch auf eine Familienzulage, die eine Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder umfasst (Unterhaltsberechtigtenzulage). Kinder in diesem Sinne sind nach Art. 54 Nr. 2 des Statuts u. a. eheliche Kinder des Mitarbeiters, wenn sie von dem Mitarbeiter oder seinem Ehegatten tatsächlich unterhalten werden. Die Zulage wird für volljährige Kinder bis zum Alter von 26 Jahren gewährt, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden (Art. 54 Nr. 3 Buchst. b des Statuts).

bb) Bei dieser Unterhaltsberechtigtenzulage handelt es sich um eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Begriff "vergleichbare Leistung" bezeichnet einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nach dem Sinn und Zweck der Regelung, kindbezogene Doppelleistungen zu vermeiden, auszufüllen ist. Dem Kindergeld vergleichbar sind solche Leistungen, die direkt davon abhängen, dass der Empfänger zumindest bei typisierender Betrachtung mit Unterhaltsleistung für Kinder belastet ist, und die folglich entfallen, wenn die Kinder nicht mehr wirtschaftlich abhängig sind (BFH, Urteil vom 22. Mai 2002 VIII R 91/01, BFH/NV 2002, 1431).

Die Unterhaltsberechtigtenzulage knüpft wie das Kindergeld lediglich an das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses an und hat - wie das Kindergeld - den Zweck, den Berechtigten von unterhaltsbezogenen Aufwendungen zu entlasten. Sie ist ähnlich dem Kindergeld ausgestaltet; die Zahlung für volljährige Kinder ist typisierend abhängig von deren eigener wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Bei der Vergleichbarkeit ist dabei auf den materiellen Gehalt der Leistung abzustellen und nicht auf die formelle Ausgestaltung, etwa die Auszahlung als Dienstbezüge oder zusammen mit dem Gehalt, wie dies auch bei inländischen Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Fall ist.

Dieser Einstufung als eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung entspricht zum einen die vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen der Europäische Schule in F ..., wonach Frau C... "kindergeldähnliche Leistungen" erhalten haben soll. Zum anderen geht auch die Rechtsprechung der Finanzgerichte bei der Qualifizierung der Unterhaltsberechtigtenzulage für Beamte des Europäischen Patentsamts von einer Leistung im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG aus (FG Nürnberg, Urteil vom 26. September 2007 III 168/2006, Juris; FG München, Urteil vom 07. Juli 2011 5 K 765/10, Juris). Die zuletzt genannte Unterhaltsberechtigtenzulage für Beamte des Europäischen Patentsamts ist aber in Art. Art. 67 Abs. 1 Buchstabe b in Verbindung mit Art. 69 des Statuts der Beamten des Europäischen Patentamts (Beamtenstatut) in vergleichbarer Weise ausgestaltet wie die Unterhaltsberechtigtenzulage für die Mitarbeiter der Europäische Schulen, so dass es keinen Grund für eine Differenzierung zwischen beiden Zulagen gibt.

cc) Dieser Auffassung steht Art. 52 Nr. 2 Buchst. a des Statuts nicht entgegen. Danach werden anderweitig gezahlte Zulagen, auf die u. a. der Ehegatte Anspruch hat, von der von der Europäischen Schule gezahlten Familienzulage (einschließlich Unterhaltsberechtigtenzulage) abgezogen. Diese Regelung entspricht Art 67 Abs. 2 des Beamtenstatuts (vgl. hierzu FG Nürnberg, Urteil vom 26. September 2007 III 168/2006, Juris). Sie führt aber nicht dazu, dass die Klage Erfolg hätte. Denn ausweislich der Bescheinigung der Europäische Schule vom 03. Dezember 2009 - und damit entgegen der Behauptung des Klägers - hat Frau C... eine Kinderzulage von € 358,96 erhalten und damit die ungekürzte Zulage, die seit dem 01. Juli 2010 € 372,61 beträgt.

c) Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kommt es nicht darauf an, ob die kindergeldähnliche Leistung derjenigen Person, die auch kindergeldberechtigt ist, oder einem Dritten zusteht (BFH, Beschluss vom 27. November 1998 VI B 120/98, BFH/NV 1999, 614). Es kommt auch nicht darauf an, ob eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung tatsächlich gezahlt wird; denn entscheidend ist, dass bei entsprechender Antragstellung ein solche, dem Kindergeld vergleichbare Leistung gezahlt werden würde.

d) Der Ausnahmetatbestand des § 65 Abs.1 Satz 3 EStG greift nicht zu Gunsten des Klägers.

aa) Nach dieser Regelung wird u.a. der Anspruch eines im Inland versicherungspflichtigen Arbeitnehmers oder eines - nach der früheren Regelung des § 28 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - wegen Erwerbunfähigkeit versicherungsbefreiten oder eines öffentlich Bediensteten nicht nach Satz 1 Nr. 3 deshalb ausgeschlossen, weil sein Ehegatte als Beamter der Europäischen Gemeinschaften für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat.

bb) Dies Ausnahme greift im Streitfall nicht. Denn der Kläger war im Streitjahr 2009 als über Siebzigjähriger nicht mehr versicherungspflichtig tätig, auch nicht versicherungsbefreit und nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 EStG), da er allenfalls Versorgungsbezüge im Sinne von § 72 Abs. 1 Nr. 2 EStG bezog.

e) Die Klage ist schließlich nicht deshalb begründet, weil andere Mitarbeiter der Europäische Schule in F... bzw. deren Ehegatten durchaus noch Kindergeld neben der Familienzulage (Unterhaltsberechtigtenzulage) erhalten haben. Eine derartige Ungleichbehandlung wäre durch die Beklagte zwar abzustellen, indem bei den anderen Mitarbeitern die Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird; es gibt aber keine Gleichheit im Unrecht, so dass sich hieraus kein Anspruch des Klägers ableiten lässt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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