KG, Beschluss vom 15.03.2015 - (1) 2 StE 14/15 - 8 (3/15)
Fundstelle
openJur 2021, 1801
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Verteidigung, den Angeklagten digitale Kopien sämtlicher Audioaufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachung bzw. der Fahrzeuginnenraumüberwachung zur Besichtigung der Beweismittel zu überlassen, wird abgelehnt.

Gründe

I. Über den zulässigen Antrag auf Besichtigung der Beweismittel durch die Angeklagten in der Form, dass ihnen die im Zuge der Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachung gespeicherten Audiodateien in digitaler Kopie auf ihnen zur Verfügung gestellten Laptops zur Einsicht überlassen werden, hat entsprechend § 147 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 letzter HS StPO derzeit der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts zu entscheiden.

II. Der Antrag ist unbegründet. Die Strafprozessordnung sieht ein Recht des Angeklagten zur Besichtigung der amtlich verwahrten Beweismittel nicht vor. Der Schutz der Grundrechte drittbetroffener Personen verbietet die Herausgabe der Daten.

1. Die aufgezeichneten und beim Landeskriminalamt gespeicherten Daten der Telekommunikationsüberwachung, die zwischenzeitlich in Kopie auch dem Senat und den Verteidigern auf 44 DVDs bzw. transportablen Festplatten vorliegen, unterliegen dem Recht auf Akteneinsicht und Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke gemäß § 147 Abs. 1 StPO. Denn dazu gehören die - konkretisiert durch die Identität von Tat und Täter - vom ersten Zugriff der Polizei (§ 163 StPO) an gesammelten Beweismittel einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen (vgl. BGH NStZ 2014, 347; StraFo 2009, 338; a.A. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 147 Rdn. 19, wonach das Besichtigungsrecht kein Teil des Akteneinsichtsrechts sei). Die hier in Rede stehenden Tonaufzeichnungen sind Augenscheinsobjekte, die als Beweisstücke nach § 147 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur am Ort ihrer amtlichen Verwahrung besichtigt bzw. angehört werden können (vgl. BGH a.a.O.).

2. Die Angeklagten selbst haben - wie der Verteidigung bereits mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 mitgeteilt wurde - keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Dazu ist lediglich der Verteidiger befugt (vgl. BVerfGE 53, 207, 212, 215 und 62, 338, 343; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 10. Juli 2001 - 3 Ws 656/01 -; OLG Düsseldorf JZ 1986, 508; OLG Stuttgart NStZ 1986, 45, 46; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 147 Rdn. 3f).

Dem Begehren der Angeklagten steht aber nicht nur der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht, sondern überdies das Verbot der Herausgabe von Daten der Telekommunikationsüberwachung aus dem Kontrollbereich der Justiz entgegen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 2 Ws 8/15 -; OLG Celle StV 2016, 156; allgemein für Beweisstücke Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 147 Rdn. 30 m.w.N.). Denn die Aufzeichnung von Telefongesprächen führt zu einem Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) Dritter, der durch die Weitergabe von Kopien unkontrollierbar vertieft würde. Bei der Telekommunikationsüberwachung werden ebenso wie bei der Fahrzeuginnenraumüberwachung sämtliche Gespräche ohne Differenzierung nach den Gesprächspartnern oder den Inhalten der Gespräche aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Damit werden - wie auch hier - regelmäßig auch Gespräche mit oder zwischen Personen erfasst, die offensichtlich in keiner Weise mit der aufzuklärenden Tat in Verbindung stehen. Zudem besteht die Möglichkeit der Aufzeichnung von Gesprächen, die dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Da bei den Überwachungsmaßnahmen keine realistische Möglichkeit besteht, den erforderlichen Grundrechtsschutz für betroffene Dritte schon im Rahmen der Aufzeichnungen der Gespräche sicherzustellen, und da der Grundrechtseingriff nicht nur in der Aufzeichnung und dem anschließenden Abhören der Gespräche besteht, sondern sich durch die Speicherung, Verwendung und Weitergabe der gewonnenen Informationen fortsetzt und vertieft (BVerfG NJW 2004, 999, 1005), muss im Verlauf des weiteren Verfahrens darauf geachtet werden, dass der bestehende Grundrechtseingriff auf keinen Fall weiter als unbedingt erforderlich vertieft wird. Der hohe Rang des Schutzes der Grundrechte Dritter spiegelt sich in den Vorschriften der StPO wieder. Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach § 100a StPO dürfen nur für die dort genannten schweren Straftaten und nur durch einen Richter angeordnet werden (§ 100b Abs. 1 StPO). Für die von der Abhörung außerhalb des Wohnraums und der hier auch in Rede stehenden Fahrzeuginnenraumüberwachung gilt Vergleichbares (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 100f Rdn. 2). Betroffene Personen sind von der Maßnahme zu unterrichten, allerdings erst, wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten möglich ist (§ 101 Abs. 5 Satz 1 StPO). Wenn die Daten nicht mehr erforderlich sind, sind sie zu löschen, was aktenkundig zu machen ist (§ 101 Abs. 8 Satz 1, 2 StPO). Gemeinsames Grundprinzip dieser Regelungen und Voraussetzung für den Schutz der Rechte der betroffenen Dritten ist, dass die gewonnenen Daten stets der vollen staatlichen Kontrolle unterliegen und eine vollständige Vernichtung der Daten nach Abschluss des Verfahrens gewährleistet wird, weil nur so der Eingriff in die Grundrechte Unbeteiligter hingenommen und angemessen begrenzt werden kann. Diese Ziele sind aber nur zu erreichen, wenn eine Herausgabe der Daten (oder einer Kopie davon) ausgeschlossen ist. Deshalb ist die Weitergabe von digitalen Kopien an die Angeklagten nicht gestattet.

3. Dieses Verbot besteht nach vorherrschender Ansicht grundsätzlich auch für Verteidiger, die nach § 147 Abs. 1 StPO das Recht haben, die Beweismittel am Ort der amtlichen Verwahrung bei der Polizei oder dem Gericht zu besichtigen (so OLG Nürnberg a.a.O. mit kritischer Anmerkung von Wesemann/Mehmeti in StraFo 2015, 102-107; vgl. auch OLG Celle a.a.O. mit kritischer Anm. von Killinger StV 2016, 149; KG (3. Senat), Beschluss vom 8. März 2016 - 3 Ws 114/16 -; OLG Karlsruhe NJW 2012, 2742; OLG Celle StV 2016, 156).

Dafür spricht neben den genannten gewichtigen Gründen und der Schwere des Grundrechtseingriffs zum Nachteil von Drittbetroffenen auch, dass eine Pflicht der Verteidiger zur Mitwirkung an der Löschung nicht besteht und selbst die Erklärung, die Daten zu löschen, nicht vollstreckbar wäre (vgl. OLG Köln StV 2009, 686; OLG Celle a.a.O.), so dass grundsätzlich die vom Gesetz vorgesehene Löschung der Daten gefährdet ist. Die Justizbehörden könnten weder die Verpflichtung durchsetzen, keine weiteren Kopien herzustellen, noch eine Herausgabe der Dateien oder deren Löschung nach Abschluss des Verfahrens erzwingen. Wie problematisch die Herausgabe von digitalisierten Gesprächsinhalten an Verteidiger sein kann, zeigt sich im Übrigen beispielhaft daran, dass sich eine zum vorliegenden Verfahren gehörende DVD mit TKÜ-Daten nach § 100a StPO (Medien-Label: x), die der Verteidigung überlassen wurde, in einer anderen Verfahrensakte (Az.: x Js x/15) wiederfand, nachdem diese von einem Rechtsanwalt, der im vorliegenden Verfahren nicht mandatiert ist, aus der Akteneinsicht zurück an die Generalstaatsanwaltschaft geschickt worden war (vgl. Auffindevermerk der Justizbeschäftigten P. vom 4. Februar 2016). Dies mag ein einmaliges (Büro-)Versehen sein, zeigt aber, dass auch die Herausgabe von Daten an Verteidiger Risiken birgt.

Die abweichenden Ansichten (vgl. LG Bremen StV 2015, 682f; Wohlers in SK-StPO, 4. Aufl. 2011, § 147 Rdn. 93; Killinger StV 2016, 149, 151 meint gar, ein "überbordender Drittschutz" sei auszumachen) können vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen nicht überzeugen. Der zur Begründung bemühte Vergleich der Gefährdung der Rechte Dritter bei der Akteneinsicht hinkt, weil die Herstellung einer körperlichen Kopie und ihre Verbreitung ungleich größerer Mühe bedarf, während die Kopie von Daten schnell und die Weitergabe auf winzigen Speichermedien möglich ist; auch werden die verfahrensirrelevanten Erkenntnisse mit Drittbezug aus der Überwachung üblicherweise gerade nicht umfänglich verschriftet und zu den Akten genommen.

Die Verteidigung trifft bei dieser Sach- und Rechtslage die Obliegenheit, sich unter Berücksichtigung der gebotenen Verfahrensbeschleunigung aktiv um die Einsichtnahme zu bemühen und alle zumutbaren Anstrengungen in diese Richtung zu unternehmen (BGH NStZ 2014, 347); der zusätzliche Aufwand, der sich durch das Abhören der Dateien am Ort ihrer Verwahrung ergibt, ist grundsätzlich nicht unzumutbar (vgl. OLG Celle a.a.O. S. 148).

4. Der Senat lässt allerdings - der Ansicht des Bundesgerichtshofes (NStZ 2014, 347) folgend - in besonderen Fallkonstellationen Ausnahmen vom Verbot der Herausgabe zu. Den Verteidigern können digitale Kopien der Überwachungsdateien dann überlassen werden, wenn ein Missbrauch mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden kann und im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer dem Interesse des Angeklagten auf zeitweise Übergabe der Daten an den Verteidiger Vorrang vor dem Grundrechtsschutz der betroffenen Dritten zukommt (vgl. zum Streitstand auch Meyer-Goßner a.a.O., § 147 Rdn. 19; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, 7. Aufl., § 147 Rdn. 10; Lüderssen/Jahn in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 147 Rdn. 112, 117; Wessing in Beck-OK-StPO, Stand 30. September 2013, § 147 Rdn. 19; OLG Frankfurt/M. StV 2016, 148 und StV 2001, 611; für einen generellen Anspruch auf Überlassung einer Kopie: Beulke/Witzigmann, StV 2013, 75; Meyer-Mews, NJW 2012, 2743). Allerdings lässt sich eine Überlassung an die Verteidigung nicht allein mit dem besonderen Umfang der Daten begründen, denn mit dem Umfang steigen typischerweise auch die Schwere der drittbelastenden Grundrechtseingriffe, die Zahl der betroffenen Personen und der mögliche drohende Schaden für die betroffenen Rechtsgüter.

Nach diesen Maßstäben war es vertretbar, den Verteidigern - wie geschehen - in vorliegender Sache die gesamten dem Senat vorliegenden Audiodateien als digitale Kopien zur Erleichterung ihrer Arbeit zu überlassen. Denn es erschien aufgrund der Verschlüsselung sämtlicher Audiodateien, die nur mit einem den Verteidigern mitgeteilten, vertraulich zu behandelnden Passwort zugänglich sind, hinreichend sicher, den Zugriff durch Dritte zu verhindern. Zudem ist neben einzelnen DVDs nur eine leicht überschaubare Anzahl von Datenträgern (zwei Festplatten) ausgehändigt worden, die nicht kopiert werden dürfen. Aufgrund der fachlichen und persönlichen Integrität der dem Gericht bekannten Strafverteidiger erschien es höchst unwahrscheinlich, dass die Daten kopiert, weitergegeben oder nicht zurückgegeben werden, sodass die sichere Löschung zum gegebenen Zeitpunkt nicht ernsthaft in Frage stand. Den Verteidigern ist im Übrigen die Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO ebenso bekannt wie die Strafbarkeit der Verletzung eines Berufsgeheimnisses nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Hinzu kommt, dass vorliegend dem Interesse der Angeklagten, die Audiodateien den Verteidigern zu überlassen, damit diese das besonders umfangreiche Material ggf. unter Zuziehung eines Dolmetschers sichten können, besonders hohes Gewicht zukommt, da sie sich bereits seit über einem Jahr in Untersuchungshaft befinden und angesichts des mit fortdauernder Untersuchungshaft an Gewicht zunehmenden Freiheitsanspruches alle Möglichkeiten, das Verfahren zu beschleunigen, zu nutzen sind. Die Überlassung der Daten ermöglicht es den Verteidigern, die sich im Ermittlungsverfahren nicht ausreichend um die Besichtigung bemüht hatten (was den Angeklagten selbst nicht zum Nachteil gereichen soll), schnellstmöglich die von ihnen nunmehr für erforderlich erachtete Prüfung der Relevanz der Beweismittel vorzunehmen und dabei nicht auf die Geschäftszeiten bei Gericht oder beim Landeskriminalamt, wo die Daten verwahrt werden, angewiesen zu sein. Durch die Möglichkeit der Verteidiger, mit ihren Laptops und der überlassenen transportablen Festplatte die Mitschnitte der Telefongespräche und ELAU-Maßnahmen auch gemeinsam mit dem Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt anzuhören (vgl. OLG Köln StV 1995, 12; OLG Frankfurt StV 2001, 611; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, a.a.O., § 147 Rdn. 10), ist den Verteidigungsinteressen insgesamt hinreichend Rechnung getragen.

5. Die aus dem geltenden Strafprozessrecht folgende und nicht gegen Verfassungsgrundsätze verstoßende Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf den Verteidiger ist mit dem Recht des Angeklagten auf ausreichende Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung nach Art. 6 MRK vereinbar (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21. September 1993, 29/1992/374/445 - Fall Kremzow gegen Österreich).

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