VerfG des Landes Brandenburg, Urteil vom 23.10.2020 - 9/19
Fundstelle
openJur 2020, 75879
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antragsgegner hat die Rechte der Antragstellerin aus Art. 20 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg und Art. 21 Abs. 1 Satz2 Grundgesetz (Organisations- und Programmfreiheit der Parteien), Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3 Satz 2, Art. 22Abs. 3 Satz 1 und 2 Verfassung des Landes Brandenburg (Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien) und aus Art. 21 Grundgesetz, Art. 12 Abs.1 und 2, Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Verfassung des Landes Brandenburg (Chancengleichheit der Parteien) dadurch verletzt, dass er am 31.Januar 2019 das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes - Parité-Gesetz beschlossen hat, mit dem eineVerpflichtung politischer Parteien zur Aufstellung geschlechterparitätisch besetzter Wahlvorschläge statuiert wird.

2. Im Übrigen wird der Antrag verworfen.

3. Das Land Brandenburg hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen für das Organstreitverfahren zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 200.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

A.

Politische Parteien - hier die Antragstellerin als im Land Brandenburg aktive Partei -sind andere Beteiligte in diesem Sinne, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten, insbesondere der Freiheit ihrer Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 LV, ausgestattet sind.

Das Verfassungsgericht hat im Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VfGBbg 20/06 -, LVerfGE 17, 146, 152 f, ausgeführt:

"1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können politische Parteien eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung des ihnen verliehenen verfassungsrechtlichen Status durch ein Verfassungsorgan nur im Wege der Organstreitigkeit als "andere Beteiligte" (§§ 35, 12 Nr. 1 VerfGGBbg) geltend machen (BVerfGE [Plenum] 4, 27, 31; s. a. BVerfGE 6, 367, 372; 11, 239, 241; 66, 107, 115; 73, 1, 29; 82, 322, 335; 84, 290, 298; 85, 264, 284). [...]

Das Landesverfassungsgericht schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an (ebenso LVerfG M-V, Urteil vom 14. Dezember 2000 - LVerfG 4/99 -, LVerfGE 11, 306, 310 f.). [...] Das Landesverfassungsgericht folgt auch hier der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Art. 21 GG als ungeschriebener Bestandteil der jeweiligen Landesverfassung gilt (BVerfGE 1, 208, 227; 4, 375, 378; 6, 367, 375; 23, 33, 39; 60, 53, 62; 66, 107, 114) und deshalb die Parteien als Beteiligte von Organstreitverfahren anzuerkennen sind, sofern das Recht der Partei in Frage steht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (so bereits Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 16. März 1995 - VfGBbg 4/95 EA -, LVerfGE 3, 135, 139; VerfGH NW, DVBl. 1999, 1271, 1271)."

An dieser Rechtsprechung hält das Gericht - trotz erheblicher Kritik im Schrifttum gegen die Beteiligtenfähigkeit von Parteien im Organstreit (etwa Ipsen, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 52; Korioth, in: Schlaich/Korioth, BVerfG, 11. Auflage 2018, 4. Teil, Rn. 92; Walter, in: BeckOK-BVerfGG, 8. Ed. 1. Januar 2020, § 63 Rn. 27; zahlreiche Nachweise bei Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 21 Rn. 400) - fest (vgl. auch VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 - 3/09 -, Rn. 30-32, juris; VerfGH RP, st. Rspr., z. B. Urteil vom 15. Dezember 2014 - VGH O 22/14 -, Rn. 68, juris). Zwar sind politische Parteien unbeschadet ihrer Anerkennung durch Art. 21 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 LV frei gebildete, im gesellschaftlichen Bereich wurzelnde Gruppierungen, die nicht an der inneren Staatswillensbildung beteiligt sind und denen deshalb auch nicht die Eigenschaft "oberster Landesorgane" zukommt (BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20, 56-119, Rn. 121, juris; VerfG MV, Urteile vom 14. Dezember 2000 - 4/99 -, Rn. 34, und vom 16. Dezember 2004 - 5/04 -, Rn. 24, juris). Dennoch haben sie - worauf Grundgesetz und Landesverfassung angelegt sind - eine besondere, hervorgehobene Funktion bei der demokratischen Willensbildung des Volkes und damit im Verfassungsleben. Sie nehmen gesellschaftliche und politische Forderungen und Impulse auf und bringen diese durch die Mitwirkung bei den Wahlen zum Landtag, aber auch in den Zeiträumen zwischen den Wahlen gegenüber den Staatsorganen zur Geltung.

Das Organstreitverfahren ist angesichts des bedeutenden Auftrags, den die politischen Parteien im Schnittbereich zwischen Staat und Gesellschaft wahrnehmen, gegenüber der Verfassungsbeschwerde die angemessenere verfassungsgerichtliche Rechtsschutzform zur Verteidigung des ihnen durch Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 LV verliehenen verfassungsrechtlichen Status gegen eine mögliche Beeinträchtigung durch Verfassungsorgane (ebenso VerfG MV, Urteil vom 14. Dezember 2000 - 4/99 -, Rn. 35, juris; vgl. Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VfGBbg 20/06 -, LVerfGE 17, 146, 152 f; VerfGH NRW, Urteile vom 29. September 1994 - VerfGH 7/94 -, NVwZ 1995, 579, und vom 6. Juli 1999 - VerfGH 14/98 und 15/98 -, NVwZ 2000, 666, 666 f). Dafür spricht auch, dass die Parteien - anders als dies im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg erforderlich wäre - nicht zunächst den Rechtsweg beschreiten müssen.

2. Der von der Antragstellerin bezeichnete Beschluss des Paritätsgesetzes vom 31. Januar 2019 durch den Antragsgegner ist gemäß § 36 Abs. 1 VerfGGBbg zulässiger Antragsgegenstand eines Organstreitverfahrens (st. Rspr. des BVerfG zu § 64 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG, z. B. Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 -, BVerfGE 118, 277-401, Rn. 188, Beschluss vom 23. Januar 1995 - 2 BvE 6/94 -, BVerfGE 92, 80-91, Rn. 27, www.bverfg.de, und Urteil vom 3. Dezember 1968 - 2 BvE 1/67 -, BVerfGE 24, 300-362, BStBl II 1969, 458, juris). Unschädlich ist, dass sie das beschlossene Gesetz entsprechend dem ursprünglichen Gesetzesentwurf bezeichnet hat, wenngleich die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Kommunales die Überschrift in "Zweites Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes - Parité-Gesetz" geändert hatte (LT-Drs. 6/10466, Anlage 1, S. 7). Die Bezeichnung der beanstandeten Maßnahme ist hinreichend eindeutig.

Die Wahlfreiheit gewährleistet neben der Möglichkeit der freien aktiven Ausübung des Wahlrechts durch jede Wählerin und jeden Wähler, d. h. ohne Zwang, Druck oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen, und dem Vorhandensein einer "echten Wahl" zwischen verschiedenen Kandidaten bzw. Listen auch ein freies Wahlvorschlagsrecht. Die Wahlrechtsgrundsätze beanspruchen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich das Landesverfassungsgericht anschließt, entsprechende Anwendung bereits auf die Listenaufstellung als Teil der Wahlvorbereitung: Zum Bürgerrecht auf Teilnahme an der Wahl (Art. 22 Abs. 1, Abs. 3 LV) gehört als Kernstück auch die Möglichkeit, Wahlvorschläge zu machen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Oktober 1993 - 2 BvC 2/91 -, BVerfGE 89, 243-265, Rn. 39, und vom 9. März 1976 - 2 BvR 89/74 -, BVerfGE 41, 399-426, Ls. 1, Rn. 45, juris). Die Aufstellung der (Wahlkreis- und) Listenkandidatinnen und -kandidaten durch die Parteien ist ein wesentlicher Bereich der Wahlvorbereitung, da die Wahlberechtigten bei der Landtagswahl keine Möglichkeit haben, andere als die - ganz überwiegend von Parteien - vorgeschlagenen Bewerberinnen und Bewerber zu wählen oder - wegen der starren Listenwahl nach § 3 Abs. 5 Satz 2 BbgLWahlG - Einfluss auf die Listenplätze der Kandidatinnen und Kandidaten zu nehmen. Durch die Listenaufstellung wird daher eine notwendige Voraussetzung für die Wahl selbst geschaffen und das aktive und passive Wahlrecht unmittelbar berührt (vgl. zum Bundesrecht BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1993 - 2 BvC 2/91 -, BVerfGE 89, 243-265, Rn. 39, juris; zu Art. 46 Abs. 1 Thüringer Verfassung - ThürVerf - ThürVerfGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - VerfGH 2/20 -, Rn. 76, juris). Das freie Wahlvorschlagsrecht für alle Wahlberechtigten setzt daher eine freie Kandidatenaufstellung unter Beteiligung der Mitglieder der Parteien und Wählergruppen voraus (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76 -, BVerfGE 47, 253-285, Rn. 63, juris, m. w. N.). Daraus folgt zugleich, dass die Parteien bei der (Aus-)Wahl der Wahlbewerber die Grundsätze eines demokratischen Wahlrechts, soweit sie sich zur Gestaltung der Wahlvorbereitung eignen, bei ihrer innerparteilichen Kandidatenaufstellung befolgen müssen. Mit der Anforderung einer "Wahl" ist folglich die Einhaltung eines Kernbestands an demokratischen Verfahrensgrundsätzen geboten, ohne die ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorgangs sein kann und deren Nichteinhaltung die legitimierende Wirkung der nachfolgenden Wahl in Frage stellen würde (BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1993 - 2 BvC 2/91 -, BVerfGE 89, 243-265, Leitsatz 2 a, Rn. 38, juris; VerfGH Sachsen, Urteil vom 25. November 2005 - Vf. 67-V-05 -, Rn. 83, juris). Soweit zu Gunsten der Parteien aufgrund ihrer verfassungsrechtlich geschützten Autonomie bei parteieigenen Regelungen ein im Verhältnis zu staatlichen Maßnahmen im Wahlrecht abgestufter Kontrollmaßstab angenommen wird, gilt dies umgekehrt dann nicht, wenn eine politische Partei die Einhaltung der Wahlgrundsätze in ihrem Aufstellungsverfahren vor staatlichen Eingriffen verteidigen will. Zum einen berechtigen sie die Parteienfreiheit und die freie Teilnahme an der politischen Willensbildung gerade zu einer solchen Abwehr. Zum anderen kann der Staat die Parteiautonomie nicht für sich in Anspruch nehmen.

Die Landesverfassung definiert den Begriff der demokratischen Repräsentation des Volkes im Landtag nicht. In der Zusammenschau von Art. 2 Abs. 2 LV und Art. 56 Abs. 1 Satz 1 LV kommt jedoch das Modell der Gesamtrepräsentation des Volkes im Landtag Brandenburg zum Ausdruck.

Art. 2 Abs. 2 LV bestimmt das Volk zum Träger der Staatsgewalt. Dem Volk kommt damit durch die Volkssouveränität die maßgebliche Bestimmungsmacht über die staatliche Gewalt zu (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 - LKV 2011, 124, 126; zu Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfG, Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 BvE 9/11 -, BVerfGE 131, 316-376, Rn. 72, juris, m. w. N.). Legitimationssubjekt von Art. 2 Abs. 2 LV ist "das Volk", d. h. die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger als (Landes-)Staatsvolk (Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 -, LKV 2011, 124, 126; zu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 -, BVerfGE 93, 37, 66, Rn. 135 f, www.bverfg.de; ThürVerfGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - VerfGH 2/20 -, Rn. 104 f, juris), nicht hingegen ein in zwei Gruppen geteiltes Staatsvolk. Jede Ausübung von Staatsgewalt bedarf damit (nur) einer Legitimation, die sich auf das Volk in seiner Gesamtheit zurückführen lässt, nicht aber (auch) auf den jeweils betroffenen oder interessierten Einzelnen (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 -, LKV 2011, 124, 126). Sie bedarf auch keiner Rückführung auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Der damit in Art. 2 Abs. 2 LV zum Ausdruck kommende Grundsatz der Volkssouveränität stellt den Zusammenhang zwischen dem Wahlrecht und dem Demokratieprinzip her, womit ein Anspruch aller Bürger auf freie Teilhabe an der Legitimation und Beeinflussung der sie betreffenden Hoheitsgewalt gewährleistet ist (vgl. zu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG BVerfG, Urteil vom 21. Juni 2016 - 2 BvE 13/13 -, BVerfGE 142, 123-234, Rn. 128), ohne dass es auf das Geschlecht ankommt.

Dem darin vom Verfassungsgeber aus dem parlamentarisch-repräsentativen Demokratieprinzip herzuleitenden Zurechnungszusammenhang zwischen dem Volk und staatlicher Herrschaft (vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 2 BvF 3/89 -, BVerfGE 83, 60-81, Rn. 37, juris) kommt eine herausragende Bedeutung zu. Es ist daher erforderlich, dass sich die Legitimation des Landtags als gewählte Vertretung des Volkes und Organ der Gesetzgebung (Art. 2 Abs. 4 Satz 1, Art. 55 Abs. 1 LV) auf die Gesamtheit der Bürger als Staatsvolk zurückführen lässt. Diese Legitimation ist im Hinblick auf die Abgeordneten dadurch gewährleistet, dass sie unmittelbar durch die Gesamtheit der Staatsbürger, das (wahlberechtigte) Volk, Frauen wie Männer gleichermaßen, in Wahlen bestimmt werden, die den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 22 Abs. 3 LV unterliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2002 - 2 BvL 5/98 -, BVerfGE 107, 59, 87, Rn. 155, und vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 -, BVerfGE 93, 37, 66, Rn. 134 f, www.bverfg.de; BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2018 - Vf. 15-VII-16 -, Rn. 111, juris). Art. 56 Abs. 1 Satz 1 LV macht die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit zu Vertretern "des ganzen Volkes". Jede und jeder gewählte Abgeordnete vertritt das Volk und ist diesem gegenüber verantwortlich. Die Abgeordneten sind nicht einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verantwortlich; sie repräsentieren das Volk in dem unitarischen Vertretungsorgan "Landtag" in ihrer Gesamtheit. Niemand von ihnen vertritt also lediglich eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder Interessengruppe - insbesondere auch nicht die soziale Gruppe, der er selbst angehört (BVerfG, Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 BvE 9/11 -, BVerfGE 131, 316-376, Rn. 72, juris, m. w. N.; ThürVerfGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - VerfGH 2/20 -, Rn. 104, juris; BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2018 - Vf. 15-VII-16 -, Rn. 112, juris). Soweit darauf abgestellt wird, die Interessen der Frauen bzw. Wählerinnen könnten nur durch eine entsprechende Anzahl an weiblichen Landtagsabgeordneten hinreichend demokratisch legitimiert vertreten werden, beruht diese Sichtweise gerade auf der unzutreffenden Vorstellung einer gruppenspezifischen (Teil-)Repräsentation des Volkes. Daran ändert nichts, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie auch der Gleichstellungsauftrag in Art. 12 Abs. 2, Abs. 3 LV auf die Interpretation des Demokratieprinzips ausstrahlen können. Das vorgefundene Prinzip der Gesamtrepräsentation vermögen sie dem Grunde nach nicht zu ändern.

Dem Prinzip der Gesamtrepräsentation widerspricht damit die Idee, dass sich in der Zusammensetzung des Parlaments auch diejenige der (wahlberechtigten) Bevölkerung in ihren vielfältig einzuteilenden Gruppen, Schichten oder Klassen widerspiegeln soll (zutreffend BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2018 - Vf. 15-VII-16 -, Rn. 110, juris). Keine - wie auch immer bestimmte - Bevölkerungsgruppe kann aus dem Demokratieprinzip den Anspruch ableiten, entsprechend ihrem (Wahl-)Bevölkerungsanteil proportional im Parlament repräsentiert zu werden (BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2018 - Vf. 15-VII-16 -, Rn. 110, juris).

Soweit der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren meint, mit dem Paritätsgesetz gehe es nicht um eine Repräsentation durch eine Spiegelung der Gruppe der Frauen, sondern um die Herstellung eines "level playing field", vermag die abweichende Bezeichnung nichts an der Tatsache zu verändern, dass er einen gruppenbezogenen Ansatz verfolgt, indem er einen höheren - auf lange Sicht ausgeglichenen - Anteil von Frauen im Landtag anstrebt.

Soweit für die Abbildung des Parlaments in Ausschüssen der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit der politischen Kräfteverhältnisse gilt (grundlegend BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 -, BVerfGE 80, 188-244, Rn. 113, juris; in jüngerer Zeit BVerfG, Urteil vom 22. September 2015 - 2 BvE 1/11 -, BVerfGE 140, 115-160, Rn. 94 ff, www.bverfg.de, m. zahlr. N.), ist dieser Grundsatz nicht auf die Zusammensetzung des Parlaments durch Wahlen übertragbar. Er gilt bereits dort nur für die politischen Kräfteverhältnisse, nicht aber für die Abbildung gesellschaftlicher Gruppen. Vor allem führt er lediglich die grundlegende, freie Wahlentscheidung der Wahlberechtigten für die Zusammensetzung des Parlaments in den kleineren Einheiten der Ausschüsse fort. Allein die Entscheidung der Wähler bleibt aber für die Zusammensetzung der Vertretungskörperschaft maßgeblich.

Eine gesetzliche Vorgabe, die die Zusammensetzung des Parlaments beeinflusst, ist ferner auch deshalb nicht mit dem aus der Landesverfassung zum Ausdruck kommenden Demokratieprinzip vereinbar, da dessen grundlegendes Element die Willensbildung "von unten nach oben", also vom Volk zu den Staatsorganen ist - und nicht umgekehrt. Den Staatsorganen ist es grundsätzlich verwehrt, sich in Bezug auf den Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen - er hat "staatsfrei" zu bleiben (vgl. BVerfG, Urteile vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20-369, Rn. 544, www.bverfg.de, m. w. N., und vom 19. Juli 1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20, 56-119, Rn. 117, juris). Die Vorgabe einer Quote von Männern und Frauen bei der Besetzung von Wahllisten für ein Parlament mittels des Wahlrechts verkehrt dieses grundlegende demokratische Prinzip der Willensbildung von unten nach oben aber geradezu in sein Gegenteil, indem der Gesetzgeber dem Volk und den Parteien vorgibt, welche Besetzung des Parlaments "die richtige" sei. Ein wesentlicher Teil der Wahlentscheidung wird dadurch dem demokratischen Prozess entzogen.

Der Gesetzgeber ist durch den Auftrag des Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV dazu angehalten, laufend zu überprüfen, ob in den Bereichen von Beruf, öffentlichem Leben, Bildung und Ausbildung, Familie und der sozialen Sicherung tatsächliche Nachteile von Frauen oder Männern bestehen, und diesen gegebenenfalls entgegenzuwirken. Der ausdrücklich aufgenommene Bereich des öffentlichen Lebens umfasst als geradezu klassischen Anwendungsbereich die Handlungen staatlicher Organe und damit auch ihre persönliche Mitwirkung an und in ihnen. Davon ist der Landtag Brandenburg nicht ausgenommen. Der Gesetzgeber hat also, sofern er zulässigerweise einen Handlungsbedarf aufgrund fehlender Gleichstellung von Frauen im Bereich des Landesparlaments konstatiert, verfassungsrechtlich fortlaufend die Pflicht, wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wie er dies für den Bereich der öffentlichen Verwaltung zum Beispiel durch Erlass des Landesgleichstellungsgesetzes, u. a. mit der Verpflichtung zur Aufstellung von Gleichstellungsplänen, getan hat.

Die Verfassung des Landes Brandenburg verpflichtet den Gesetzgeber - anders als in der später in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG gewählten Formulierung ("der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" und "wirkt auf den Ausgleich faktischer Nachteile hin") -, für die Gleichstellung "durch wirksame Maßnahmen zu sorgen". Gleichstellung lässt sich dem Wortlaut nach als Synonym für die Angleichung der rechtlichen Stellung und tatsächlichen Lebensverhältnisse und damit Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV als deutlichere, aber entsprechende Formulierung der Gleichberechtigung in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verstehen. Die Verpflichtung zur Sorge bringt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber dieses Ziel ernsthaft im Blick behalten muss.

Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung - auch in Bezug auf den Landtag (s. soeben Rn. 153) - verfolgen als Umsetzung des Auftrags des Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV grundsätzlich ein legitimes Ziel.

Wäre Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV dahingehend zu verstehen, dass er die staatliche Vorgabe einer geschlechterparitätischen Abbildung in demokratischen Entscheidungsgremien im Land Brandenburg erlaubte, hätte dies bedeutsame Ausstrahlungswirkung auf die Grundsätze der Verfassung aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 LV sowie auf Art. 22 Abs. 1, Abs. 3, Art. 55 Abs. 1 Satz 1, Art. 56 Abs. 1 LV (s. o. Rn. 130 ff) und Art. 76 ff LV. So wäre der Landtag, aus dessen Grundnorm Art. 55 LV eine derartige Auffassung des Verfassungsgebers nicht zu lesen ist, ebenso betroffen wie etwa die Volksgesetzgebung nach Art. 76 ff LV, für die sich beispielsweise die Frage stellte, ob eine Mindest-Geschlechterquote bei den Abstimmenden zu fordern wäre.

Wenn der Gesetzgeber Anlass dafür sieht, diese Grundsätze durch eine Änderung des Wahlrechts zu modifizieren, bedarf es dafür einer offenbarenden Normierung im Sinne einer hinreichend bestimmten Grundlage auf der Ebene der Verfassung selbst, die ihrerseits den in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG dem Grunde nach bundesverfassungsrechtlich festgelegten Wahlgrundsätzen zu entsprechen hätte.

Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV erfüllt diese Anforderungen nicht. Zwar schließt die Norm ihrem Wortlaut nach Wahlen zu Volksvertretungen nicht ausdrücklich aus und nimmt insbesondere auch das öffentliche Leben in ihren Anwendungsbereich auf. Dies erfasst jedoch zahlreiche denkbare Anwendungsfälle, die nicht oder nicht in gleichem Maße das Demokratieprinzip berühren, wie dies bei Wahlen zu Volksvertretungen der Fall ist. Im Falle Letzterer besteht aufgrund des überragenden Rangs des Demokratieprinzips im demokratisch verfassten Land (Art. 2 Abs. 1 LV) die Verpflichtung des Verfassungsgesetzgebers, die wesentlichen Entscheidungen selbst und ausdrücklich zu treffen. Daran fehlt es hier.

Ein hiervon abweichender Wille ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte der Landesverfassung. Der Verfassungsgeber hat eine solche konkrete Normierung bewusst nicht vorgenommen. Der für Grundrechte und Staatsziele zuständige Unterausschuss I des Verfassungsausschusses beriet im Rahmen der Gewährleistung der Parteienfreiheit über einen Vorschlag, dass "in Wahlvorschlagslisten Männern und Frauen die gleichen Chancen eingeräumt werden sollen". Dieser wurde "von keinem Mitglied des Ausschusses übernommen" (Landtag Brandenburg, Verfassungsausschuss, Unterausschuss I, 16. Sitzung vom 4. November 1991, Ausschussprotokoll VA/UA I/16, Dokumentation, Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2, S. 711, 725). Verfassungsnormen sind, wie alle Rechtsnormen, im Gesamtzusammenhang auszulegen; die Ablehnung der Einführung einer Quotenregelung im Abschnitt über die politischen Gestaltungsrechte spricht dafür, dass der historische Verfassungsgeber nicht zugleich an anderer Stelle, nämlich in Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV, mit einer weniger konkret formulierten "Querschnittsnorm" zugleich einen abweichenden Gleichheitsbegriff für die Wahlgrundsätze vorgeben und dadurch gesetzliche Quotenvorgaben legitimieren wollte.

Diesem Ergebnis steht auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 5. Dezember 2019 - Nr. 54893/18 (Zevnik et. al. v. Slovenia) -, nicht entgegen, aus welcher der Antragsgegner ableitet, im europäischen Verfassungsraum seien Geschlechterquoten bei Wahlen mit demokratischen Prinzipien vereinbar. Vielmehr bestätigt die Entscheidung die hier gestellten Anforderungen. Der EGMR bezieht sich gerade auf Äußerungen des Europarats, wonach Quoten der Wahlrechtsgleichheit dann nicht widersprächen, wenn sie eine verfassungsrechtliche Grundlage hätten und der Stärkung der Repräsentation dienen könnten (Rn. 21 der Entscheidung). Die slowenische Verfassung enthält eine solche ausdrückliche Grundlage in Art. 43, der bestimmt, dass Gesetze Maßnahmen vorzusehen hätten, die die Chancengleichheit von Männern und Frauen förderten, die für staatliche Behörden / Staatsorgane zur Wahl stünden (Art. 43 der slowenischen Verfassung, übersetzt aus der englischen Fassung in der Entscheidung des EGMR, a. a. O., Rn. 14: "the law shall provide measures to encourage equal opportunities for men and women standing for election to State authorities"). Im Übrigen räumt der EGMR den Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Frage ein, ob die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts unverhältnismäßig in die Wahlfreiheit eingreife (a. a. O., Rn. 39).

e. Da die Eingriffe in die Rechte der Parteienfreiheit und Wahlfreiheit der Antragstellerin durch den Erlass des Paritätsgesetzes nicht gerechtfertigt werden können, verletzt der angegriffene Beschluss des Antragsgegners die Antragstellerin in diesen Rechten aus Art. 20 Abs. 1 LV und Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 20 Abs. 3 Satz 2 LV, Art. 22 Abs. 3 Satz 1 und 2 LV.

2. Der angegriffene Gesetzesbeschluss des Antragsgegners verletzt die Antragstellerin ferner in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb aus Art. 21 GG und Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 20 Abs. 1, Art. 21 LV. Das erlassene Paritätsgesetz benachteiligt sie unangemessen gegenüber Parteien mit ausgewogenerem Geschlechteranteil unter den Mitgliedern sowie gegenüber Parteien, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen.

a. Art. 21 GG und Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 20 Abs. 1, Art. 21 LV gewähren den politischen Parteien neben dem Recht auf Gründung und Betätigung auch das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VfGBbg 20/06 -, LVerfGE 17, 146, 152 f). Dieses Recht ergibt sich für die Parteien daraus, dass sie Mittler des Bürgerwillens auf den Staat hin sind; es hat seinen Grund im demokratischen Recht der Bürger auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung und leitet sich daraus her (Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 44). Es steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV), die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren. Deshalb ist die geschützte Gleichheit der Chancen wie bei der durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgten gleichen Behandlung der Wähler in einem strikten und formalen Sinn zu verstehen. Soweit sich dem Beschluss des Verfassungsgerichts vom 21. Dezember 2006 (VfGBbg 20/06, LVerfGE 17, 146, 152) etwas anderes entnehmen lässt, wird daran nicht festgehalten. Das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb führt zu einem grundsätzlichen Differenzierungsverbot und zieht dem Ermessen des Gesetzgebers besonders enge Grenzen. Der Staat darf vor allem die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen. Denn der im Mehrparteiensystem angelegte politische Wettbewerb soll Unterschiede hervorbringen - je nach Zuspruch der Bürger. Diesen darf die öffentliche Gewalt nicht ignorieren oder gar konterkarieren (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2015 - 2 BvE 4/12 -, BVerfGE 140, 1-42, Rn. 63, und Urteil vom 26. Oktober 2004 - 2 BvE 1/02 -, BVerfGE 111, 382-412, Rn. 61, www.bverfg.de, jeweils m. w. N.).

Bei einem Bezug zu Wahlen verlangen auch Art. 22 Abs. 3 Satz 1 und 2 LV sowie die Bedeutung, die den Parteien nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 LV, Art. 21 GG und der darin verbürgten Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt, die Chancengleichheit der Parteien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009 - 2 BvC 2/06 -, BVerfGE 124, 1-25, Rn. 84, m. w. N., www.bverfg.de; VerfGH RP, Urteil vom 15. Dezember 2014 - VGH O 22/14 -, Rn. 95, juris). Es ist verfassungsrechtlich gefordert, dass die Rechtsordnung jeder Partei und jedem Wahlbewerber grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlverfahren und Wahlkampf und damit eine gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen gewährleistet (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009 - 2 BvC 2/06 -, BVerfGE 124, 1-25, Rn. 84, www.bverfg.de). Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit beansprucht dabei sowohl für den Wahlvorgang selbst als auch für die Wahlvorbereitung Geltung (BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125-197, Rn. 61, juris). Damit sich der in der Verfassung angelegte politische Wettbewerb tatsächlich einstellen kann, bedarf es chancengleicher Bedingungen, vor allem eines für alle offenen Zugangs zum "politischen Markt" (BVerfG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - 2 BvE 1/02 -, BVerfGE 111, 382-412, Rn. 82, www.bverfg.de). Die Chancengleichheit der Parteien kann daher insbesondere durch gesetzliche Regelungen betroffen sein, die die Zusammensetzung der gewählten Volksvertretung betreffen (s. o. Rn. 81).

b. Das Paritätsgesetz benachteiligt die Antragstellerin gegenüber Parteien mit einem ausgewogene(re)n Geschlechterverhältnis (1) sowie gegenüber Parteien nur eines Geschlechts (2).

(1) Das Paritätsgesetz benachteiligt die Antragstellerin als Partei mit einem unausgewogenen Geschlechterverhältnis - der Landesverband Brandenburg hat nach ihren unbestrittenen Angaben einen Frauenanteil unter den Mitgliedern von 13,6 Prozent - gegenüber Parteien mit einem ausgeglicheneren Geschlechterverhältnis.

Dass die Paritätsregelung rechtlich für alle Parteien in gleicher Weise gilt, steht einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nicht entgegen. Letztere schützt die Parteien nicht nur vor tatsächlichen oder rechtlichen Ungleichbehandlungen durch staatliche Organe, sondern erstreckt sich vielmehr auch auf staatliche Verfälschungen des Parteienwettbewerbs. Die Demokratie ist insoweit als "Wettbewerbsordnung" zu verstehen, die es verlangt, das Gebot der Chancengleichheit der Parteien auch auf die mittelbaren Auswirkungen einer rechtlichen Regel zu erstrecken (VerfGH RP, Urteil vom 15. Dezember 2014 - VGH O 22/14 -, Rn. 97, juris, m. w. N. aus der Literatur; vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - VerfGH 2/20 -, Rn. 94, juris).

Der Antragsgegner weist noch zutreffend darauf hin, dass der Staat im Hinblick auf die Gewährleistung eines fairen Parteienwettbewerbs auf der anderen Seite auch nicht gehalten ist, bestehende Unterschiede zwischen den Parteien auszugleichen oder zu beseitigen. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber und Parteien verlangt nicht, dass die sich aus der Größe, Leistungsfähigkeit und politischen Zielsetzung ergebenden Unterschiede durch staatliche Maßnahmen ausgeglichen oder von vornherein ausgeschlossen werden müssen. Das Paritätsgesetz hat aber Auswirkungen auf die vorgefundene, staatsfrei zu haltende Wettbewerbslage zwischen den Parteien.

Eine Partei wie die Antragstellerin mit einem deutlich geringeren Anteil von Frauen unter den Mitgliedern wird auf erheblich größere Schwierigkeiten treffen, Kandidatinnen ihrer Wahl in hinreichender Zahl aufzustellen, um ihre Liste möglichst ausgiebig zu besetzen, als Parteien mit einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - VerfGH 2/20 -, Rn. 95, juris; BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2018 ​- Vf. 15-VII-16 -, Rn. 143, juris). Unter Umständen müsste sie sich mangels einer ausreichenden Anzahl an Bewerberinnen auf eine kurze, im Extremfall eine nur den Spitzenbewerber umfassende, jedenfalls aber auf eine kürzere als von ihr beabsichtigte Liste beschränken. Das kann dazu führen, dass sie mit weniger Kandidatinnen und Kandidaten antreten müsste als sie möglicherweise nach ihrem Wahlergebnis Sitze im Parlament erringen würde. Die Partei könnte bei einer weniger als vier Personen umfassenden Liste die ihr nach dem Wahlergebnis zustehenden Sitze im Landtag regelmäßig nicht ausschöpfen, sollte sie die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten oder ein Direktwahlmandat erringen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BbgLWahlG). Eine extrem kurze Landesliste könnte zugleich die Wählerinnen und Wähler etwa an der politischen Durchsetzungskraft einer Partei oder der Ernsthaftigkeit des Anliegens zweifeln lassen und dazu veranlassen, ihre Stimmen nicht "zu verschenken".

Der Antragsgegner meint hingegen, die Paritätsregelung verändere die vorgefundene Wettbewerbslage nicht substantiell und beeinträchtige daher das Recht auf Chancengleichheit der Parteien nicht, insbesondere weil ein kleinerer Personalpool kleineren gegenüber größeren Parteien immanent sei und aus dem Zuspruch der Bevölkerung folge. Für kleine Parteien mit einem unausgewogenen Geschlechterverhältnis dürfte es zwar tatsächlich schwieriger sein, eine mehrere Kandidatinnen und Kandidaten umfassende Liste zu erstellen, als für größere Parteien mit einem ebensolchen Geschlechterverhältnis. Auch letztere können aber, wenn sie beabsichtigen, eine Landesliste mit einer sehr großen Kandidatenanzahl aufzustellen, um den Wahlkampf mit möglichst vielen Kandidatinnen und Kandidaten zu betreiben oder um im Fall eines Erdrutschsiegs alle Plätze besetzen zu können, gegenüber großen Parteien mit einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis auf erheblich größere Schwierigkeiten bei der Listenbesetzung treffen. In beiden Fällen kleiner und großer Parteien mit unausgewogenen Geschlechterverhältnissen muss von dem unterrepräsentierten Geschlecht eine verhältnismäßig höhere Anzahl auch zur Kandidatur bereit sein und die Zustimmung der Aufstellungsversammlung finden.

Soweit der Antragsgegner meint, allenfalls könne die Chancengleichheit von Parteien betroffen sein, die gerade aus dem Grund gewählt würden, dass sie überwiegend Männer aufstellten, trifft dies aus den genannten Gründen nicht zu. Auch schützt das Recht auf Chancengleichheit gerade die Vielfalt der vertretenen Meinungen, die auch umfassen kann, dass eine Partei wegen ihres hohen Anteils an männlichen Mitgliedern oder Kandidaten gewählt wird. Wenn der Antragsgegner ferner anführt, der Gesetzgeber dürfe aufgrund der Erfahrungen der Parteien BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Frauenanteil in der Partei 39,8 Prozent) und DIE LINKE (Frauenanteil in der Partei 36,5 Prozent) davon ausgehen, es werde auch Parteien mit "einem geringen Frauenanteil" gelingen, Frauen in ausreichender Anzahl zur Kandidatur zu bewegen, ist dies offensichtlich nicht zielführend. Der Antragsgegner benennt hier gerade die Parteien mit relativ großem weiblichen Anteil unter den Mitgliedern. Die Frauenanteile bei der Antragstellerin liegen erheblich unter diesen Werten.

(2) Das beschlossene Paritätsgesetz benachteiligt die Antragstellerin ferner gegenüber Parteien nur eines Geschlechts. Der Antragsgegner hat im Gesetzgebungsverfahren nach einem Hinweis der Landesregierung, Parteien nur eines Geschlechts würden durch die bis dahin vorgesehene Regelung von Wahlen faktisch vollständig ausgeschlossen (LT-Drucks. 6/9699, S. 9), in § 25 Abs. 3 Satz 7 BbgLWahlG eine Ausnahme von der Reißverschlussregelung zugunsten von Parteien aufgenommen, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen. Zwar schont er damit die Programmfreiheit und Chancengleichheit derartiger Parteien. Zugleich geht damit aber eine Benachteiligung aller gemischt-geschlechtlichen Parteien einher.

Auch ist die tatsächliche Benachteiligung der Antragstellerin, die sowohl Frauen als auch Männer als Mitglieder aufnimmt, gegenüber Parteien nur eines Geschlechts besonders intensiv: Die Antragstellerin dürfte bei der Listenaufstellung angesichts ihres unausgeglichenen Geschlechterverhältnisses im Wesentlichen gleich einzustufende Schwierigkeiten haben wie eine Partei nur eines Geschlechts. Diese Schwierigkeiten könnten in gleicher Weise wie bei der Vergleichsgruppe dazu führen, dass die Landesliste einer gemischt-geschlechtlichen Partei mit nur einem Parteimitglied bestückt werden könnte.

c. Der Eingriff in die Chancengleichheit der Antragstellerin ist nicht gerechtfertigt.

Die Rechtfertigung eines Eingriffs in die - strikt und formal zu verstehende - Chancengleichheit der Parteien unterliegt den gleichen Maßstäben wie diejenige eines Eingriffs in die Wahlrechtsgrundsätze. Zwischen ihnen besteht ein enger Zusammenhang. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien verändern kann, sind ihrem Ermessen daher besonders enge Grenzen gezogen (s. o. Rn. 175; BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 - 2 BvE 2/13 -, BVerfGE 135, 259-312, Rn. 52 f, www.bverfg.de, m. w. N.).

Eine Rechtfertigung kommt daher entsprechend den obigen Ausführungen (Rn. 118 ff) nicht in Betracht.

C.

Der Antragsgegner hat in dem sich aus der Entscheidungsformel ergebenden Umfang gegen die Landesverfassung verstoßen und dadurch die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Das Verfassungsgericht ist wegen § 38 Abs. 1 VerfGGBbg auf diese Feststellung beschränkt. Eine Entscheidung über die Gültigkeit einer Norm ist ihm im Organstreitverfahren versagt (Urteil vom 22. Juli 2016 - VfGBbg 70/15 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

D.

Über den für den Fall der fehlenden Statthaftigkeit des Organstreitverfahrens gestellten Hilfsantrag war hiernach nicht mehr zu entscheiden.

E.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg. Die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts (Beschluss vom 20. November 2003 - VfGBbg 95/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. zahlr. N., auch zu § 34a Abs. 3 BVerfGG) für eine Kostenerstattung im Organstreitverfahren erforderlichen besonderen Billigkeitsgründe liegen hier vor. Die Antragstellerin, die die für die Führung des Rechtsstreits erforderlichen Aufwendungen jedenfalls nicht vollständig aus Mitteln öffentlicher Haushalte bestreiten kann, hat zur Klärung einer sehr umstrittenen Rechtsfrage von hoher allgemeiner Bedeutung beigetragen.

Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Unter besonderer Berücksichtigung der subjektiven und objektiven Bedeutung des Verfahrens, dessen Förderung durch die anwaltliche Tätigkeit sowie der Schwierigkeit der Materie entspricht die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes auf 200.000,00 Euro billigem Ermessen.

F.

Das Urteil ist einstimmig ergangen. Es ist unanfechtbar.

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