LG Darmstadt, Urteil vom 31.08.2020 - 13 O 88/20
Fundstelle
openJur 2020, 73956
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 20.770,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Abgasskandal" geltend.

Der Kläger erwarb am 16.01.2017 bei dem nicht am hiesigen Verfahren beteiligten Autohaus A in [...] ein Fahrzeug [Fahrzeugtyp], Fahrgestellnummer: [...], zu einem Kaufpreis in Höhe von 24.230,00 €.

Bei Übergabe des Fahrzeuges betrug der Kilometerstand 0 Kilometer.

Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs EA 288 - Euro 6 wurde von der Beklagten hergestellt.

Das mit "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288" überschriebene interne Dokument des Fachbereichs EA ("Aggregate-Entwicklung") der Beklagten vom 19.10.2015 enthält auf Seite 3 folgende Ausführungen:

...

Ferner wird im genannten Dokument der Beklagten auf Seite 4 Folgendes ausgeführt:

...

Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieses Dokuments wird auf die Anlage K3 zur Klageschrift vom 26.02.2019 Bezug genommen (Anlagensonderband).

Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem sog. Thermofenster ausgestattet. Dieses hat zur Folge, dass die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren und ein abweichender Stickoxidausstoß erzielt wird. Eine signifikante Reduktion wird dabei jedenfalls bei einer Temperatur von 5 Grad Celsius erreicht.

Bei Schluss der mündlichen Verhandlung wies das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 49.978 Kilometer auf.

Der Kläger behauptet, in den Motoren des genannten Typs EA 288 sei eine von der Beklagten entwickelte Software eingebaut, die erkenne, ob das Fahrzeug sich auf dem Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befindet, oder ob es im Straßenverkehr genutzt wird. Sobald das Fahrzeug auf der Straße betrieben wird, schalte es in den dafür vorgesehenen Betriebsmodus um. Bei der Fahrt auf der Straße würden die gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte von 80 mg/km um das 3- bis 5-fache überschritten.

Der Kläger ist der Ansicht, dies stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 dar. Gleiches gelte für das - unstreitig verbaute - sog. Thermofenster.

Der Kläger behauptet ferner, die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt. Insbesondere seien sämtliche beteiligten Ingenieure sowie der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten [...] von der "Betrugssoftware" in Kenntnis gewesen. Man habe sich zur Erreichung eines Marktvorteils gegenüber der Konkurrenz bewusst dazu entschlossen, die Software zu entwickeln und bei allen Marken, die einen Dieselmotor verwenden, zu implementieren.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 24.230,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 17.01.2017 bis 19.02.2020 und seither fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 3.460,00 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer [...] zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 20.02.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.899,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klageschrift ist der Beklagten am 08.04.2020 zugestellt worden.

Gründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

Das Landgericht Darmstadt ist in sachlicher Hinsicht gem. §§ 71 Abs.1, 23 Nr. 1 GVG zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO.

Gemäß § 32 ZPO ist für Klagen wegen unerlaubter Handlung das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.

Der Kläger stützt seinen geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages im Wege des Schadensersatzes auf die §§ 823 ff., 249 BGB und damit auf eine unerlaubte Handlung.

Nachdem es sich hierbei um eine doppelrelevante Tatsache handelt, genügt es für die Annahme der Zuständigkeit, wenn schlüssige Tatsachen behauptet werden, aus denen bei rechtlich zutreffender Würdigung eine unerlaubte Handlung folgt (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 39. Aufl., § 32 Rn.14).

Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass die Beklagte ihm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einen Schaden zugefügt hat, indem sie einen Motor herstellte, der über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt und daher gesetzeswidrig ist. Zuständig ist damit auch das Gericht, an dem der Erfolg der Handlung eingetreten ist, regelmäßig am Sitz des Geschädigten (Thomas/Putzo, a.a.O., § 32 Rn. 7).

Nachdem der Kläger seinen Sitz in [...] hat, also im Bezirk des Landgerichts Darmstadt, ist das angerufene Gericht örtlich zuständig.

Für den Klageantrag zu 2) bezüglich der Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs besteht das Feststellungsinteresse angesichts der mit der Feststellung verbundenen Vereinfachung und Beschleunigung des Zugriffs in der Zwangsvollstreckung (vgl. § 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO).

II.

Die Klage ist weitgehend begründet.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß §§ 826, 249 ff. BGB i.V.m. § 31 BGB auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

a.

Die Verwendung der Software zur Optimierung des Stickoxidausstoßes im Prüfstand stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei dar.

Die schädigende Handlung der Beklagten war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Software.

b.

Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch eine umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau. BGB, 77. Auflage 2018, § 826 Rn. 4 m.w.N.).

Die streitgegenständliche Software wurde - was jedenfalls im vorliegenden Einzelfall als unstreitig zu Grunde zu legen ist - so programmiert, dass die Abgasrückführung in zumindest zwei verschiedenen Betriebsmodi gesteuert wird, wobei ausschließlich im NEFZ eine höhere Abgasrückführungsrate, im normalen Straßenverkehr hingegen durchgehend eine niedrige Abgasbehandlung aktiv gewesen ist. Die Steuerungssoftware führt mithin dazu, dass der gesetzlich definierte Grenzwert ausschließlich im Prüfverfahren zur Typengenehmigung eingehalten wird. Da der im NEFZ verwendete Betriebsmodus unstreitig so programmiert wurde, dass er die Aktivierung der höheren Abgasrückführung exakt an die Fahrverhaltens-Parameter der NEFZ-Prüfung knüpfte, kommt es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit auch nicht darauf an, ob die Überschreitung der Grenzwerte im realen Straßenbetrieb Einfluss auf die Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugtyps gehabt hätte. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang allein die Tatsache, dass ein Bauteil konstruiert wurde, das ausschließlich die Funktion hat, die Abgasrückführung nur in der Prüfsituation so zu erhöhen, dass der gesetzliche NOx-Grenzwert eingehalten wird. Dieser Zweck widerspricht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, da ein bestimmtes Verhalten des Fahrzeugs nur zum Zwecke des Erwerbs der Zulassung hervorgerufen wird und im normalen Straßenverkehr nicht vorliegt.

Der klägerische Vortrag zur Programmierung der Motorsteuersoftware im Motor EA288 ist im vorliegenden Einzelfall zwischen den Parteien als unstreitig zu Grunde zu legen. Zwar hat die Beklagte den mit der Klageschrift erfolgten Vortrag zunächst einfach bestritten und als unsubstantiiert eingeordnet. Bereits im Rahmen der Klageschrift, weiter vertieft sodann im Replikschriftsatz, hat die Klägerseite jedoch unter Vorlage von Auszügen aus dem mit "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288" überschriebenen, internen Dokument der Beklagten qualifiziert vorgetragen.

Aus diesem internen Dokument geht hervor, dass für den NEFZ-Zyklus die Zielwerte der Beklagten um den Faktor bis zu 1,5 über den EU-Vorgaben von 80 mg/km und damit in einem Bereich bis zu 120 mg/km liegen.

Darüber hinaus wird auf Seite 4 des Dokuments die Erkennung des Prüfstandlaufs durch die verbaute Software beschrieben, um die Abgasnachbehandlung "nur streckengesteuert zu platzieren".

Unter Berücksichtigung des durch die Vorlage von internen Dokumenten der Beklagten qualifizierten Klägervortrags war ein einfaches Bestreiten der Beklagten nicht mehr ausreichend; sie wäre stattdessen als Herstellerin des streitgegenständlichen Motors zu substantiiertem Bestreiten verpflichtet gewesen.Über die Klageerwiderung hinaus ist jedoch kein weiterer substantieller Vortrag der Beklagten erfolgt, weshalb der Vortrag der Klagepartei zur Programmierung der Motorsteuerungssoftware als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO.

Ob darüber hinaus die Verwendung eines sog. Thermofensters eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 und in der Folge dessen Einbau durch die Beklagte ein sittenwidriges Verhalten darstellt, kann insoweit dahin stehen (ablehnend etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19; OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 23.12.2019 - 16 U 195/19; )

c.

Das Verhalten der Beklagten ist auch als verwerflich anzusehen, da hierdurch der Eindruck erzeugt wird, die NOx-Emissionen des Fahrzeugs würden ohne Beeinflussung durch eine künstlich erhöhte Abgasrückführung im Normbereich liegen, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. Es ist offensichtlich, dass das Verhalten der Beklagten nur dazu diente, sich auf rechtswidrigem Wege Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch die Unternehmensgewinne zu steigern. Dieses per se legale Ziel wurde jedoch mit verwerflichen Mitteln erreicht. Insbesondere ist bei einer Gesamtabwägung hervorzuheben, dass die Beklagte über einen erheblichen Wissensvorsprung verfügte. Sie alleine wusste von der unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Autokunden vertrauten darauf, dass Fahrzeuge mit einer EG-Typengenehmigung gesetzeskonform betrieben werden können. Dieses Vertrauen missbrauchte die Beklagte, indem sie die Kunden täuschte. Dem Kunden demgegenüber war es nicht möglich, diese Täuschung zu erkennen. Die Beklagte nutzte das Vertrauen der Kunden bewusst zu ihrem eigenen Vorteil aus.

d.

Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist dem Kläger auch ein Schaden im Sinne von § 249 Abs. 1 BGB entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug liegt.

Ein Schaden ist nicht nur dann gegeben, wenn sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Vielmehr ist auch dann, wenn die Differenzhypothese vordergründig nicht zu einem rechnerischen Schaden führt, die Bejahung eines Vermögensschadens auf einer anderen Beurteilungsgrundlage nicht von vornherein ausgeschlossen. Die Differenzhypothese muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (BGH, Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14).

Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14; Urteil vom 26.09.1997 - V ZR 29/96).

Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14; Urteil vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03).

Insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12; Urteil vom 21.12.2004 - VI 306/03).

Durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Kläger eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Dabei kann dahinstehen, ob er einen Vermögensschaden dadurch erlitten hat, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht gegeben war (§ 249 Abs. 1 BGB). Denn ein Schaden ist hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss nach den oben genannten Grundsätzen als unvernünftig anzusehen ist. Der Kläger hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war.

Insofern ist im Hinblick auf das Vorliegen eines Schadens auch nicht entscheidend, ob das streitgegenständliche Fahrzeug - wie hier unstreitig nicht der Fall - von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrbundesamtes erfasst ist oder nicht.

e.

Das Verhalten der Beklagten ist ursächlich für die Schädigung. Die Beklagte hat den streitgegenständlichen Motor, welcher die Abschalteinrichtung beinhaltet, entwickelt und in den Verkehr gebracht und hierdurch den Schaden der Klagepartei kausal verursacht.

f.

In diesem Zusammenhang handelte die Beklagte auch vorsätzlich. Es bestehen keineZweifel, dass die mit der Entwicklung betrauten Mitarbeiter der Beklagten betreffend die unzulässige Abschalteinrichtung vorsätzlich handelten, da hierdurch für die Beklagte nicht unerhebliche Gewinne resultierten. Die Entwicklung der unzulässigen Abschalteinrichtung wurde nur aus dem Grund eingesetzt, um sich einen Wettbewerbs- und Kostenvorteil zu verschaffen. Der Beklagten war auch bewusst, dass das Verschweigen der Existenz dieser Abschalteinrichtung für die Klagepartei entscheidungserheblich für den Kauf dieses Fahrzeugs war.

Aufgrund der konkreten Funktionsweise der Software ist darüber hinaus aber auch von zumindest bedingtem Vorsatz in Bezug auf die weiteren Voraussetzungen des bei der Klagepartei eingetretenen Vermögensschadens auszugehen. Da die Software die Abgasrückführung im Betriebsmodus für den Prüfstand exakt an die Parameter des NEFZ anknüpft und nur so die Einhaltung der gesetzlichen NOx-Grenzwerte bewirkt, muss sich demjenigen, welcher diese Softwareentwicklung veranlasst, aufdrängen, dass bei öffentlichem Bekanntwerden dieser Funktionsweise zum einen behördlich eine Umrüstung verlangt werden könnte, welche die gezielte Anknüpfung an die NEFZ-Parameter abstellt und im Zuge der Umrüstungsmaßnahmen eine erhebliche Unsicherheit über die technische Unbedenklichkeit der Maßnahmen bestehen würde.

g.

Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch gem. § 31 BGB zuzurechnen.

Voraussetzung hierfür ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15).

Die Klagepartei brachte hierzu vor, dass die Vorstands- und Ingenieurebene Kenntnis von den haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen hatten. Dieser Vortrag ist gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, da er von der Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestritten wurde.

Die Beklagte trifft bezüglich der vorstehenden Behauptung eine sekundäre Darlegungslast.

Diese trifft die nicht primär darlegungs- und beweisbelastete Partei ausnahmsweise dann, wenn die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei für einen hinreichend substantiierten Vortrag Umstände darzutun hätte, die ihr unbekannt sind, die aber in den Wahrnehmungsbereich der Gegenpartei fallen und die Darlegung der entsprechenden Verhältnisse der Gegenpartei zumutbar ist.

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor.

Die Klagepartei ist zu einer weitergehenden Darlegung und einem sachgerechten Beweisantritt nicht in der Lage, da es ihr an entscheidender Kenntnis über die internen Betriebsabläufe der Beklagten mangelt, zumal es ihr sogar gelungen ist, interne Dokumente der Abteilung "Aggregate Entwicklung" vorzulegen, die den Schluss auf eine Kenntnis der Beklagten nahelegen.

Die Betriebsabläufe gehören jedoch aber schon gar nicht zum unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Klägerpartei, während deren Offenbarung der Beklagten ohne Weiteres zumutbar ist. Der insoweit bestehenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend nachgekommen.

h.

Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist dem Kläger auch ein Schaden im Sinne von § 249 Abs. 1 BGB entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug liegt.

Ein Schaden ist nicht nur dann gegeben, wenn sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Vielmehr ist auch dann, wenn die Differenzhypothese vordergründig nicht zu einem rechnerischen Schaden führt, die Bejahung eines Vermögensschadens auf einer anderen Beurteilungsgrundlage nicht von vornherein ausgeschlossen. Die Differenzhypothese muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (BGH, Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14).

Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14; Urteil vom 26.09.1997 - V ZR 29/96).

Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14; Urteil vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03).

Insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12; Urteil vom 21.12.2004 - VI 306/03).

Durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Kläger eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Dabei kann dahinstehen, ob er einen Vermögensschaden dadurch erlitten hat, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht gegeben war (§ 249 Abs. 1 BGB). Denn ein Schaden ist hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss nach den oben genannten Grundsätzen als unvernünftig anzusehen ist. Der Kläger hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war.

Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde.

Ohne die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung - das Inverkehrbringen des manipulierten Fahrzeugs und das Verschweigen des Einbaus der Abgasabschalteinrichtung - hätte der Kläger den Vertrag nicht geschlossen. In diesem Fall hätte er das Fahrzeug nicht erhalten und den Kaufpreis nicht gezahlt. Die Beklagte hat dem Kläger daher den Kaufpreis zurückzuerstatten, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Die Klagepartei muss sich auf ihren Ersatzanspruch jedoch - wie von ihr auch beantragt - die von ihr während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen, weil im Übrigen eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde.

Im Rahmen der Schadensabwicklung ist die Nutzungsentschädigung im Wege des Vorteilsausgleichs allgemein anerkannt. Es ist nicht veranlasst, im vorliegenden Fall hiervon eine Ausnahme zu machen, zumal die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw unstreitig problemlos über einen längeren Zeitraum nutzen konnte und dessen Vorteile für sich in Anspruch nahm.

Bei Fahrzeugen wird die Nutzungsentschädigung ermittelt, indem der Kaufpreis mit der Zahl der tatsächlich gefahrenen Kilometer multipliziert und das Ergebnis durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug bis zur mündlichen Verhandlung im Umfang von 49.978 km genutzt. Unter Berücksichtigung einer vom Gericht gemäß § 287 ZPO geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 350.000 km sowie des von der Klagepartei erbrachten Kaufpreises in Höhe von 24.230,00 € ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 3.460,00 EUR.

i.

Deliktszinsen nach § 849 BGB auf den Kaufpreis ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses

stehen dem Kläger nicht zu.

Nach § 849 BGB ist der Schadensbetrag zu verzinsen, wenn wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache Wertminderung zu ersetzen ist. Diese Norm, bei der es sich um eine Ausnahmeregelung handelt, soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass der Geschädigte für die Zeit der Vorenthaltung bzw. Instandsetzung gehindert war, die Sache zu nutzen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 31. März 2020 - 13 U 134/19).

So liegt der Fall hier nicht.

Der Kläger hat durch den Erwerb des Fahrzeugs in Bezug auf den gezahlten Kaufpreis keine Nutzungsbeeinträchtigung hinnehmen müssen. Er hat für den aufgewandten Kaufpreis ein Fahrzeug erhalten, das er durchgehend uneingeschränkt genutzt hat, sodass es an einem nach § 849 BGB verzinslichen Wertersatzanspruch fehlt (vgl. hierzu eingehend OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.03.2020 - 13 U 134/19; Urteil vom 27.11.2019 - 17 U 290/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 28.11.2018 - 14 U 89/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 21.10.2019 - 13 U 73/19; KG Berlin, Urteil vom 26.09.2019 - 4 U 51/19; OLG Celle, Urteil vom 22.01.2020 - 7 U 445/18).

Auch ein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen besteht nicht, da der Kläger die Beklagte mit anwaltlichem Aufforderungsschreiben vom 05.02.2020 (Anlage K4 zur Klageschrift, Anlagensonderband) lediglich zur Rückzahlung des Kaufpreises, allerdings nicht unter konkreter Bezifferung der in Abzug zu bringenden Nutzungsentschädigung, aufgefordert hat. Die Beklagte konnte allerdings nur dann in Verzug geraten, wenn der Kläger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19).

Insofern verbleibt dem Kläger lediglich ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen gemäß §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB.

2.

Dem Klageantrag zu 2), gerichtet auf Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten, war nicht stattzugeben.

Indem der Kläger von der Beklagten mit anwaltlichem Aufforderungsschreiben vom 05.02.2020 die Erstattung des gesamten Kaufpreises ohne konkrete Bezifferung der in Abzug zu bringenden Nutzungsentschädigung gefordert hat, hat er die Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges nicht zu denjenigen Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19; Urteil vom 20.07.2005 - VIII ZR 275/04).

3.

Es besteht ferner ein Anspruch gemäß § 826 BGB auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die sich auf der Grundlage einer 1,3-Geschäftsgebühr und unter Zugrundelegung des ausgeurteilten Betrages von 20.770,00 € auf 1.171,67 € beziffern.

Im Übrigen unterliegt die Klage auch insoweit der Abweisung.

Gründe für ein Überschreiten der Schwellengebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG sind nicht erkennbar, so dass lediglich eine 1,3-Geschäftsgebühr als notwendig anzusehen und damit erstattungsfähig ist. Die Sache ist weder mit besonderen Schwierigkeiten versehen, noch - trotz der umfangreichen Schriftsätze - besonders umfangreich. Wie dem Gericht aus einer Vielzahl von Parallelverfahren bekannt ist, vertreten die Bevollmächtigten des Klägers eine Vielzahl von Klägern. In allen Verfahren werden nahezu wortgleiche Ausführungen zur Haftung der Beklagten gemacht.

Auf Grund der Zuvielmahnung besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Im Falle der sog. Zuvielmahnung ist von einer wirksamen Mahnung nur dann auszugehen, wenn der Gläubiger zwar vom Schuldner zu viel fordert, der Schuldner die Aufforderung jedoch nach Treu und Glauben und den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss (diese muss also für ihn feststehen oder ermittelbar sein) und der Gläubiger zur Annahme der vom Schuldner geschuldeten Minderleistung bereit ist (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019 § 286 Rn. 53).

Da im vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung vom Kläger nicht konkret beziffert wurde, war der Beklagten auch der den geltend gemachten Rechtsanwaltskosten zu Grunde liegende Gegenstandswert nicht ersichtlich. Da zudem auch nicht der aktuelle Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeuges mitgeteilt wurde, war die Höhe des Gegenstandswerts auch nicht zu ermitteln.

Die Beklagte schuldet daher gemäß §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB lediglich Prozesszinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt wegen der im Hinblick auf den Streitwert nur als geringfügig anzusehenden Zuvielforderung aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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