SG Bayreuth, Urteil vom 19.09.2019 - S 17 AS 7/19
Fundstelle
openJur 2020, 72152
  • Rkr:
Tenor

I. Der Änderungsbescheid vom 14.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2018 wird hinsichtlich der Änderungen für November 2018 aufgehoben. Hinsichtlich der Änderungen für Oktober 2018 wird er dahingehend abgeändert, dass nur ein Heizkostenguthaben in Höhe von 22,25 € die Bedarfe für Unterkunft und Heizung mindernd angerechnet wird.

II. Der Änderungsbescheid vom 15.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2018 wird dahingehend abgeändert, dass im Dezember 2018 nur ein Betriebskostenguthaben in Höhe von 1,18 € die Bedarfe für Unterkunft und Heizung mindernd angerechnet wird.

III. Der Beklagte trägt von den notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers 19/20.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

V. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Anrechnung von Betriebskosten- und Heizkostenguthaben, die größtenteils auf Zeiten zurückgehen, in denen der Kläger nicht im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten stand.

Der Beklagte bewilligte dem 1969 geborenen Kläger auf seinen Antrag auf Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung vom 16.01.2018, eingegangen am 17.01.2018, mit Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren vom 24.04.2018 Leistungen für Dezember 2017 in Höhe von 213,47 € (nur Kosten für Unterkunft und Heizung). Er berücksichtigte hierbei die tatsächliche Grundmiete in Höhe von 223,90 €, die tatsächlichen kalten Betriebskosten in Höhe von 60,00 € und die tatsächlichen Heizkosten in Höhe von 109,00 €, insgesamt 392,90 €; nach Anrechnung des Einkommens des Klägers in Höhe von 588,43 € auf die Regelleistung verblieb ein auf die Kosten für Unterkunft und Heizung anzurechnender Einkommensbetrag in Höhe von 179,43 €.

Aus der bisher bewohnten Wohnung in der F.-Str. in M. zog der Kläger laut Meldeauskunft am 01.06.2018 in seine aktuelle Wohnung in der L.-Str. ebenda.

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 15.07.2018 bewilligte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 26.07.2018 Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 300,00 € für den Zeitraum vom 01.08.2018 bis 31.07.2019.

Am 31.08.2018 rechnete die ehemalige Vermieterin der Wohnung in der F.-Str. über die Heizkosten für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2017 ab. Hiernach stand dem Kläger bei geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 1.308,00 € (12 x 109,00 €) ein Guthaben in Höhe von 483,66 € zu, welches ihm laut Kontoauszug am 12.09.2018 zugeflossen ist. Der Beklagte erteilte daraufhin am 14.09.2018 einen Änderungsbescheid, nach dessen Verfügungssatz für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.07.2019 geänderte Leistungen bewilligt wurden. Inhaltlich wurde das Heizkostenguthaben im Oktober in Höhe von 300,00 € und im November in Höhe von 183,66 € auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung angerechnet. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dem Kläger sei im Oktober 2018 ein Guthaben in Höhe von 483,66 € zugeflossen, welches die Kosten der Unterkunft und Heizung mindere.

Hiergegen legte der Kläger am 10.10.2018 Widerspruch ein und führte zur Begründung unter Berufung auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23.09.2015, L 13 AS 164/14 aus, er halte die Berücksichtigung des Heizkostenguthabens als Einkommen für rechtswidrig, weil er im Zeitraum vom 01.01.2017 bis 30.11.2017 nicht im Leistungsbezug gestanden habe. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzte den Widerspruch mit Schriftsatz vom 17.10.2018 unter Berufung auf § 22 Abs. 3 SGB II. Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung der Vorschrift bezweckt, dass Jobcenter letztlich nicht von nicht übernommenen Kosten für Unterkunft und Heizung profitieren sollten; dies müsse auch für Guthaben gelten, die aus Zeiträumen resultierten, in denen der Leistungsberechtigte die Vorauszahlungen selbst getragen habe.

Am 05.11.2018 rechnete die ehemalige Vermieterin der F.-Str. über die Betriebskosten für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2017 ab. Hiernach stand dem Kläger bei geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 720,00 € (12 x 60,00 €) ein Guthaben in Höhe von 25,56 € zu, welches dem Kläger laut Kontoauszug am 14.11.2018 zugeflossen ist. Der Beklagte erteilte daraufhin am 15.11.2018 einen Änderungsbescheid nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X), wonach dem Kläger für Dezember 2018 unter Anrechnung des Betriebskostenguthabens um 25,56 € geringere Leistungen für Unterkunft und Heizung bewilligt wurden. In der Rechtsbehelfsbelehrung:wurde der Kläger zu einem möglichen Widerspruch gegen diesen Bescheid belehrt.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers führte mit Schreiben vom 20.11.2018 aus, der Änderungsbescheid vom 15.11.2018 sei entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung:Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 14.09.2018 geworden. Inhaltlich sprächen dieselben Gründe gegen die Anrechnung des Betriebskostenguthabens wie gegen die Anrechnung des Heizkostenguthabens.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 19.12.2018 als unbegründet zurück. Er korrigierte die Begründung des Änderungsbescheides vom 14.09.2018 dahingehend, dass das Heizkostenguthaben dem Kläger im September 2018 zugeflossen sei; der Zufluss im Oktober 2018 stelle einen Schreibfehler dar. Der Änderungsbescheid vom 15.11.2018 sei gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Inhaltlich sei höchstrichterlich bereits entscheiden, dass Betriebs- und Heizkostenguthaben in voller Höhe aufwendungsmindernd zu berücksichtigen seien, wenn und soweit sie den anerkannten Kosten der Unterkunft zuzuordnen seien. Dies gelte auch dann, wenn das Guthaben aus einer Zeit stamme, in der keine Leistungen nach dem SGB II bezogen wurden. Rückzahlungen, die sich auf die Kosten der Haushaltsenergie bezögen, blieben insoweit außer Betracht; jedoch bezögen sich die Abrechnungen nicht auf Aufwendungen für Haushaltsenergie.

Hiergegen hat der Kläger am 04.01.2019, eingegangen am 07.01.2019, Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte verkenne, dass die vormalige Rechtsprechung seit der Änderung des SGB II zum 01.08.2016 nicht mehr aktuell sei. Nach der neuen Rechtslage sollten auch Guthaben aus Kosten für Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt werden, die vom Jobcenter nicht anerkannt worden waren. Zweck der Neuregelung sei, dass der Leistungsträger nicht Guthaben leistungsmindernd für sich vereinnahmen könne, die der Leistungsberechtigte "aus eigener Tasche" gezahlt habe. Für Zeiten des Nichtbezuges von Leistungen könne nichts anderes gelten als für Zeiten eines vollständigen Wegfalls der Leistungen aufgrund einer Sanktion.

Der Kläger beantragt,

die Änderungsbescheide vom 14.09.2018 und 15.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid berufen.

Die für den Kläger am 15.12.2017 angeordnete Betreuung ist mit Beschluss des Amtsgerichts W. vom 13.03.2019 aufgehoben worden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und weitgehend - im tenorierten Umfang - begründet.

1. Streitgegenstand sind die Änderungsbescheide vom 14.09.2018 und 15.11.2018 in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid vom 19.12.2018 gefunden haben und mit denen der Beklagte abweichend von der ursprünglichen Bewilligung das Heizkostenguthaben in Höhe von 482,66 € sowie das Betriebskostenguthaben in Höhe von 25,56 € bedarfsmindernd auf die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Oktober und November einerseits sowie im Dezember 2018 andererseits angerechnet hat.

Hierbei kann dahinstehen, ob der Änderungsbescheid vom 15.11.2018 gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Änderungsbescheid vom 14.09.2018 geworden ist. Für die direkte Anwendung des § 86 SGG spricht, dass der Änderungsbescheid vom 14.09.2018 in seinem Verfügungssatz anordnet, dass die Bewilligung ab 01.10.2018 bis 31.07.2019 geändert wird, dagegen, dass inhaltlich nur eine Änderung der für Oktober und November 2018 getroffen wurde, während der Bescheid vom 15.11.2018 den Kalendermonat Dezember 2018 betrifft und damit streng genommen nicht die Änderung vom 14.09.2018 abändert im Sinne des § 86 SGG. In Betracht kommt jedenfalls entweder eine analoge Anwendung des § 86 SGG aus prozessökonomischen Gründen (so für ausdrückliche oder konkludente Bewilligungsbescheide Folgezeiträume betreffend etwa BSG, Urt. vom 17.06.2008, B 8 AY 11/07 R, juris, Rdnr. 10) oder die Auslegung bzw. Umdeutung des Schreibens der Prozessbevollmächtigten vom 20.11.2018 in einen Widerspruch gegen den neuen Änderungsbescheid. Jedenfalls hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 19.12.2018 über Widersprüche gegen beide Änderungsbescheide entschieden, so dass auch beide Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden sind.

2. Statthaft ist die zutreffend erhobene isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG gegen beide Bescheide, da der Kläger die Beseitigung der Anrechnung des Guthabens und das Aufleben der ungekürzten Leistungsbewilligung vom 26.07.2018 begehrt. Die Klage wurde form- und fristgerecht gem. §§ 87, 90 SGG erhoben, wobei der Kläger hinsichtlich der Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten noch von seiner gerichtlich bestellten Betreuerin vertreten wurde.

3. Der Änderungsbescheid vom 14.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2018 stellt sich zur Auffassung der Kammer insoweit als rechtswidrig dar und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als ein Heizkostenguthaben berücksichtigt wurde, welches der Kläger in Zeiten selbst "erwirtschaftet" hat, in denen er nicht im Leistungsbezug stand.

a. Der Änderungsbescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Eine Anhörung gem. § 24 Abs. 1 SGB X war aufgrund von § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X nicht erforderlich, weil eine einkommensabhängige Leistung den geänderten Verhältnissen, nämlich der Erzielung von Einkommen durch die Heizkostenerstattung, angepasst wurde (vgl. BSG, Urt. vom 16.10.2012, B 14 AS 188/11 R, juris, Rdnr. 8).

b. Die materiellen Voraussetzungen für den Änderungsbescheid nach § 40 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 48 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB X und § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitsförderung - SGB III) sind nur zu einem geringen Teil erfüllt.

Der teilweise aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 26.05.2018 war ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist auch eine wesentliche Änderung eingetreten, weil der Kläger durch die Heizkostenerstattung am 12.09.2018 Einkommen erzielt hat; dies jedoch nicht in dem vom Beklagten angenommenen Umfang (dazu unten c.). Diese Einkommenserzielung ist nach dem Erlass des Bewilligungsbescheides erfolgt und führte zu einer Minderung des Anspruchs des Klägers auf laufende Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Mit dem beklagten Jobcenter hat die zuständige Behörde gehandelt (vgl. § 48 Abs. 4, § 44 Abs. 3 SGB X) und auch die Fristerfordernisse wurden eingehalten (§ 48 Abs. 4, § 44 Abs. 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5, Abs. 4 Satz 2 SGB X). Ermessen war seitens des Beklagten nicht auszuüben, sondern der Bewilligungsbescheid war zwingend mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (§ 40 Abs. 2 Nr. 3, § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

c. Ob und Umfang des anzurechnenden Einkommens aufgrund der Heizkostenerstattung folgt aus § 22 Abs. 3 SGB II i.d.F. des Art. 1 Nr. 20 lit. b des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.06.2016. Danach mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 Hs. 1 SGB II sind aufgrund der Heizkostenabrechnung des ehemaligen Vermieters und der Zahlung des Erstattungsbetrages auf das Konto des Klägers am 12.09.2018 erfüllt. Jedoch beziehen sich die Rückzahlungen zur Überzeugung der erkennenden Kammer zum größten Teil auf "nicht anerkannte Aufwendungen" für Heizung im Sinne des Hs. 2 der Vorschrift und haben daher außer Betracht zu bleiben.

Im Gegensatz zur Rechtslage nach § 22 Abs. 3 SGB II a.F. und der Vorgängervorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F., auf deren Grundlage die bisherigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts ergangen sind (vgl. nur Urteile vom 22.03.2013, B 4 AS 139/11 R, juris, Rdnr. 19 f. und vom 12.12.2013, B 14 AS 83/12 R, juris, Rdnr. 15), sieht § 22 Abs. 3 nach der Neuregelung vor, dass zumindest teilweise berücksichtigt werden soll, wie das Einkommen erwirtschaftet wurde. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind daher die früheren Entscheidungen der BSG nicht mehr unmittelbar auf die Neufassung der Norm zu übertragen.

Die Auslegung, dass unter nicht anerkannte Aufwendungen auch solche Aufwendungen fallen, die ein später Leistungsberechtigter außerhalb des Leistungsbezuges getätigt hat, folgt für die Kammer aus einer verfassungskonformen Auslegung der neu gefassten Vorschrift.

Nach dem Willen des Gesetzgebers, sichtbar aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 18/8041, S. 40), wird nach der Wiedergabe des Wortlauts der Vorschrift als Regelbeispiel auf die Situation abgestellt, dass Leistungsberechtigte den nicht anerkannten Teil der Aufwendungen eigenverantwortlich aus dem Regelbedarf oder aus vorhandenem Einkommen oder Vermögen erbringen. Es sei unbillig, wenn ein Teil der Rückzahlung oder des Guthabens auch den anerkannten Teil der Bedarfe mindere, soweit der rückgezahlte Betrag der Höhe nach zuvor erbrachten Eigenmitteln entspreche. Damit klingt an, dass die Herkunft der Guthaben nur dann zu berücksichtigen sei, wenn diese während laufenden Leistungsbezuges und nach Vollzug einer Kostensenkungsaufforderung seitens des kommunalen Trägers aus Mitteln des Leistungsberechtigten, sei es aus dem Regelbedarf oder anderen Eigenmitteln, erwirtschaftet worden sind (so auch die Kommentarliteratur, vgl. etwa Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, Rdnr. 171 zu § 22 einerseits und Rdnr. 175 zu § 22 andererseits; Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 74. EL Juni 2019, Rdnr. 96 zu § 22 SGB II einerseits und Rdnr. 97 zu § 22 SGB II andererseits). In diesem Sinne wäre die Lesart des § 22 Abs. 3 Hs. 2 Fall 2 SGB II diejenige, dass nur Rückzahlungen, die sich auf beantragte, jedoch nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, außer Betracht zu bleiben hätten.

Diese Auslegung würde zur Auffassung der Kammer jedoch eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Leistungsberechtigten einerseits darstellen, die ein Guthaben durch "Eigenmittel" aus der Regelleistung und solchen, die ein Guthaben durch außerhalb des Leistungsbezuges eingenommene Mittel erwirtschaftet haben. Sie vermag im Lichte des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht zu überzeugen.

Der allgemeine Gleichheitssatz fordert für eine gesetzliche Unterscheidung den "sachlich oder sonstwie einleuchtenden, den rechtfertigenden Grund für die jeweilige Rechtsfolge" (vgl. P. Kirchhof in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, Rdnr. 75 zu Art. 3 m.w.N.). Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe anders behandelt als eine andere, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass diese eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 100, 195, 205; st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts).

Nach diesen Grundsätzen würde eine Auslegung im oben genannten Sinne zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes führen. Wenn der Gesetzgeber postuliert, dass es eine Unbilligkeit darstellt, Rückzahlungen (und Guthaben) als Einkommen anzurechnen, die sich auf während Leistungsbezuges vom Leistungsträger nicht anerkannte Aufwendungen beziehen, weil die kommunalen Träger damit Rückgriff auf Eigenmittel der Leistungsberechtigten nehmen, ist nicht einzusehen, warum Rückzahlungen (und Guthaben) ohne weiteres als Einkommen angerechnet werden können, wenn sie auf außerhalb des Leistungsbezuges getätigte Vorauszahlungen zurückgehen. Für diese gilt umso mehr, dass sie auf erbrachten Eigenmitteln der Leistungsberechtigten beruhen, nämlich auf Mitteln, die in der Regel durch ihre eigene Erwerbsarbeit erwirtschaftet worden sind.

Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift muss daher alle Fälle erfassen, in denen Rückzahlungen und Guthaben sich auf nicht vom kommunalen Träger finanzierte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen. Die Rückausnahme von der grundsätzlichen Anrechnung erstreckt sich nach der hier für richtig gehaltenen Auslegung somit auf Rückzahlungen und Guthaben, die vom Leistungsträger nicht berücksichtigt oder für die keine Leistungen erbracht worden waren.

Diese Auslegung überspannt auch nicht den Rahmen des Wortlauts der Vorschrift. Unter "nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" lassen sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ohne weiteres auch solche Aufwendungen fassen, die nicht zuvor bei einem Leistungsträger beantragt worden waren.

Nicht anerkannt in diesem Sinne war im vorliegenden Fall der Anteil der Rückzahlung von Heizkosten an den Kläger, der auf Zeiträume zurückgeht, in denen er nicht im Leistungsbezug gestanden hat, vorliegend betreffend den Abrechnungszeitraum 2017 also die Kalendermonate Januar bis November 2017 und ein Anteil im Kalendermonat Dezember 2017. Dieser Anteil ist, da im Falle des Klägers die Unterkunftskosten vollumfänglich berücksichtigt, aber aufgrund Einkommens des Klägers nur teilweise Leistungen für sie erbracht worden sind, nach dem Bruchteil der Leistungserbringung zu errechnen. Dies ergibt sich daraus, dass die Bedarfe für Unterkunft und Heizung als einheitliche Leistung erbracht werden und bei der Einkommensanrechnung nicht nach Nettokaltmiete, Betriebs- und Heizkosten unterschieden wird. Der Beklagte hat für Dezember 2017 nach Einkommensanrechnung einen Teilbetrag an Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 213,47 € von einer vom Kläger zu bezahlenden Gesamtmiete in Höhe von 392,90 € erstattet. Dies entspricht einem prozentualen Anteil von (gerundet) 54%. Damit sind für einen Anteil von 46% der Heiz- und Betriebskosten im Dezember 2017 keine Leistungen erbracht worden und ist zu diesem Anteil die Rückzahlung anrechnungsfrei.

Insgesamt beziehen sich von der Heizkostenrückzahlung 11/12, also 91,6% zuzüglich 46% von 1/12, also 3,8% des Jahresbetrages für Dezember 2017, auf nicht vom Beklagten anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Anrechenbar sind folglich lediglich 4,6% der Heizkostenrückzahlung, mithin 22,25 €. Zu diesem Anteil waren die Anrechnung und folglich auch der angegriffene Änderungsbescheid, rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten.

4. Die identischen Überlegungen führen auch zu einer teilweisen Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheides vom 15.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2018. Auch hier ist lediglich ein Anteil in Höhe von 4,6% der Erstattung anrechenbar. Das macht gerundet einen Betrag in Höhe von 1,18 € aus.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht im Ergebnis dem Ausgang des Rechtsstreits.

6. Die Berufung und Revision waren zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat im Sinne der §§ 144 Abs. 2 Nr. 1 und § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der streitentscheidenden Frage, ob bzw. in welchem Umfang für die Anrechnung einer Rückzahlung oder eines Guthabens nach § 22 Abs. 3 SGB II auf die Herkunft der Mittel abgestellt werden muss, aus denen die Vorauszahlungen erbracht worden sind, ist zur Rechtslage vor dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - ergangen. Zur neuen Rechtslage existiert, soweit ersichtlich, noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung.

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